Urteil des LAG Köln vom 29.08.2002

LArbG Köln: wichtiger grund, arbeitsgericht, arbeitsbedingungen, ordentliche kündigung, qualifikation, kündigungsfrist, unternehmen, umgestaltung, betriebsorganisation, dringlichkeit

Landesarbeitsgericht Köln, 5 Sa 586/02
Datum:
29.08.2002
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Sa 586/02
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bonn, 3 Ca 3477/01
Schlagworte:
außerordentliche Kündigung, betriebsbedingt, Altersteilzeit
Normen:
§ 626 Abs. 1 BGB, § 11 Z. i MTV Einzelhandel NRW, § 1 Abs. 3 KSchG
Leitsätze:
Die außerordentliche betriebsbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers,
für den die ordentliche Kündigung tariflich ausgeschlossen ist, kommt
nur in Ausnahmefällen in Betracht. Wenn sie auf der unternehmerischen
Entscheidung beruht, den Betrieb anders zu organisieren, kann es dem
Arbeitgeber zumutbar sein, eine verhältnismäßig kurze Zeitspanne - bis
der betroffene Arbeitnehmer aufgrund einer Altersteilzeitvereinbarung
ohnehin ausscheidet - mit der Umorganisation abzuwarten.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn
vom 21.02.2002 - 3 Ca 3477/01 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten nach Zurücknahme einer von der Beklagten zurückgenommenen
ordentlichen Änderungskündigung vom 29.10.2001 zum 30.06.2002 noch um die
Wirksamkeit einer von der Beklagten unter dem 17.12.2001 ausgesprochenen
Änderungskündigung aus wichtigem Grund zum 30.06.2002 und um die Erteilung eines
Zwischenzeugnisses.
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Der am 07.06.1940 geborene Kläger, verheiratet, keine unterhaltspflichtigen Kinder,
steht seit dem 15.11.1963 als Bereichsleiter in den Diensten der Beklagten bzw. deren
Rechtsvorgängerin mit einer monatlichen Bruttovergütung von 6.943,20 DM und einer
Eingruppierung in die Gehaltsgruppe IV c des Gehaltstarifvertrages für den
Einzelhandel NRW.
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Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet unumstritten der allgemeinverbindliche
Manteltarifvertrag für den Einzelhandel NRW Anwendung.
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Unter dem 01.07.2001 schlossen die Parteien einen Altersteilzeitarbeitsvertrag nach
dem Blockmodell (Blatt 11 - 16 d. A.) mit Wirkung ab dem 01.07.2001 mit Arbeitsphase
bis zum 30.06.2003 und nachfolgender Freistellungsphase bis zum 30.06.2005.
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Insoweit vereinbarten die Parteien in § 4 Abs. 2, dass während der Arbeitsphase das
Recht zur ordentlichen/außerordentlichen Kündigung entsprechend den
einzelvertraglichen, tarifvertraglichen und gesetzlichen Bestimmungen bestehen bleibe.
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Hinsichtlich weiterer inhaltlicher Einzelheiten des Altersteilzeitarbeitsvertrages wird auf
Blatt 11 - 16 d. A. Bezug genommen.
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Unter dem 29.10.2001 sprach die Beklagte eine ordentliche, betriebsbedingte
Änderungskündigung zum 30.06.2002 aus (Blatt 17, 18 d. A.), die sie in der
Kammerverhandlung vom 21.02.2002 in Ansehen des vom Kläger gerügten Verstoßes
gegen § 11 Ziff. 9 MTV zurücknahm, worauf der Kläger sein diesbezügliches
Feststellungsbegehren zurücknahm.
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Mit Schreiben vom 17.12.2001 (Blatt 51, 52 d. A.) kündigte die Beklagte das
Arbeitsverhältnis "aus wichtigem Grund unter Einhaltung Ihrer persönlichen
Kündigungsfrist bis zum 30.06.2002" und bot dem Kläger die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses ab dem 01.07.2002 mit einer Tätigkeit als 1. Sortimenter mit
Eingruppierung in die Gehaltsgruppe III c GTV bei unverändertem Entgelt mit der
Möglichkeit der Anrechnung übertariflicher Zulagen auf Änderungen des Tarifentgelts
an.
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Mit Schreiben vom 17.12.2001 (Blatt 53 d. A.) nahm der Kläger die geänderten
Arbeitsbedingungen vorbehaltlich an.
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Mit seiner am 21.12.2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageerweiterung, die der
Beklagten am 03.01.2002 zugestellt worden ist, hat der Kläger im Wege des
Feststellungsbegehrens die Sozialwidrigkeit der Änderungskündigung geltend gemacht.
Der von der Beklagten hinsichtlich der Änderung der
Arbeitsbedingungen/Änderungskündigung beteiligte Betriebsrat hat mit Stellungnahme
vom 29.11.2001 (Blatt 55) die Zustimmung zur Änderungskündigung und mit weiterer
Stellungnahme vom 29.11.2001 (Blatt 56) die Zustimmung zur Umgruppierung
verweigert. Das vom Arbeitgeber wegen der Zustimmungsverweigerung angerufene
Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 17.04.2002 - 5 BV 96/01 - die
Zustimmungsersetzung zur Umgruppierung und Versetzung des Klägers verweigert.
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Der Kläger hält die Änderungskündigung vom 17.12.2001 für unwirksam, weil die
Ausnahmevoraussetzungen für eine Kündigung trotz tariflichen
Alterskündigungsschutzes gemäß § 11 Ziff. 9 MTV - wichtiger Grund - nach dem
Vorbringen der Beklagten nicht gegeben seien. Auch sei die Änderungskündigung nicht
sozial gerechtfertigt und fehlerhaft hinsichtlich der Sozialauswahl im Hinblick auf die mit
der Filialleitung des Hauptgeschäftes in B betraute Mitarbeiterin Frau G S .
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Im übrigen seien weder die bisherigen Leitungsaufgaben des Klägers weggefallen noch
eine Dringlichkeit der von der Beklagten geltend gemachten Umorganisation gegeben.
Die vorgesehene neue Eingruppierung in die Gehaltsgruppe III c GTV sei tarifwidrig, da
die Tätigkeit des Klägers auch nach den von der Beklagten vorgesehenen Änderungen
den Merkmalen der Gehaltsgruppe IV c GTV entspreche. Schließlich sei dem Kläger die
Änderung der Arbeitsbedingungen auch deshalb nicht zuzumuten, weil der
Altersteilzeitarbeitsvertrag gerade im Hinblick auf anstehende Veränderungen im
Unternehmen abgeschlossen worden sei.
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Der Kläger beantragt,
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1. festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die
Änderungskündigung vom 17.12.2001 sozial ungerechtfertigt und unwirksam ist;
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1. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich
auf Führung und Leistung erstreckt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat geltend gemacht, ihr stehe hinsichtlich der Änderungskündigung ein
wichtiger Grund im Sinne des § 11 Ziffer 9 MTV und im Sinne der Rechtsprechung zur
außerordentlichen Kündigung tariflich ordentlich unkündbare Arbeitnehmer zur Seite,
weil die bisherige Position des Klägers ersatzlos entfallen sei:
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Die Unternehmensleitung der Beklagten habe am 28.08.2001 beschlossen, auch das B
Hauptgeschäft, in dem der Kläger tätig ist, wie die übrigen Niederlassungen der
Beklagten unter anderem in K und K , von einem Filialleiter führen zu lassen und die
bisherigen Hierarchiestufe der Bereichsleiter ersatzlos entfallen zu lassen, und zwar im
Hinblick auf die Vorteile durch eine Verkürzung er Entscheidungswege und durch die zu
erwartende Steigerung der Effizienz der innerbetrieblichen Abläufe und der
Vereinheitlichung der Unternehmensstruktur.
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Da durch diese unternehmerische Entscheidung die bisherige Position des Klägers
ersatzlos entfalle, sei der erforderliche wichtige Grund zur Änderung der
Arbeitsbedingungen auch des Klägers als eines tariflich ordentlich unkündbaren
Mitarbeiters gegeben.
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Dem gegenüber könne der Kläger nicht beanspruchen, trotz Wegfalls der Position des
Bereichsleiters zukünftig als Bereichsleiter vergütet zu werden. Die nunmehr vom
Kläger wahrzunehmende Funktion des 1. Sortimenters entspreche einer Eingruppierung
in die Gehaltsgruppe III c GTV.
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Hinsichtlich der Sozialauswahl sei der Kläger mit dem Filialleiter nicht vergleichbar,
dessen Position übertariflich angesiedelt sei; eine Beförderung könne der Kläger über
die Sozialauswahl nicht beanspruchen.
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Die Beklagte bestreitet, dass die mit dem Kläger vereinbarte Altersteilzeitregelung im
Hinblick auf anstehende Veränderungen im Unternehmen abgeschlossen worden sei.
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Da auch der Betriebsrat hinsichtlich der Änderungskündigung ordnungsgemäß beteiligt
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worden sei - hinsichtlich der Zustimmungsverweigerung zur Umgruppierung ist ein
Beschlussverfahren anhängig -, sei die Änderungskündigung hinsichtlich der einzelnen
geänderten Arbeitsbedingungen und damit auch insgesamt wirksam.
Das Arbeitsgericht hat der Feststellungsklage durch ein am 21.02.2002 verkündetes
Urteil stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die von der
Beklagten vorgetragenen Tatsachen würden nicht den besonderen Anforderungen
gerecht, die an das Vorliegen eines wichtigen Grundes bei der außerordentlichen
Kündigung der redlich unkündbare Arbeitnehmer zu stellen sind. Insbesondere spräche
im Streitfall gegen das Vorliegen eines wichtigen Grundes, dass die Beklagte ihr
unternehmerisches Konzept ohnehin mit Beginn der Freizeitphase des Klägers
verwirklichen könne.
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Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsbegründung wird auf den Akteninhalt
ergänzend Bezug genommen.
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Gegen das am 06.05.2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.06.2002 schriftlich
beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt, die sie schriftlich am 14.06.2002
begründet hat:
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Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei vom Vorliegen eines wichtigen
Grundes für die außerordentlich Änderungskündigung auszugehen. Eine
Erforderlichkeits- und Zweckmäßigkeitkontrolle hinsichtlich der von der Beklagten
getroffenen unternehmerischen Entscheidung, die Positionen der Bereichsleiter
wegfallen zu lassen, nicht zulässig. Würde man dem Arbeitsgericht folgen, so könne die
Beklagte ihren Betrieb nicht mehr so organisieren, wie sie das für sachlich und
betriebswirtschaftlich geboten und erforderlich halte. Vorliegend würde die
Entscheidung des Arbeitsgerichts dazu führen, dass die Beklagte verpflichtet wäre, dem
Kläger bis zum Eintritt in den Ruhestand als Bereichsleiter auf Grund Gehaltsgruppe G
IV c GTV zu bezahlen, obwohl er keine Tätigkeit mit entsprechender Qualifikation und
Verantwortung mehr verrichte. Dies sei für die Beklagte unzumutbar. Auch habe das
Arbeitsgericht übersehen, dass es sich vorliegend nicht um eine Beendigungs-, sondern
um eine Änderungskündigung handle, auch der Umstand, dass der Kläger bereits seit
Anfang 2002 einvernehmlich die geänderten Aufgaben als erster Sortimenter ausübe,
mache deutlich, dass es dem Kläger weniger um die tatsächliche ausgeübte Tätigkeit
als um seine Eingruppierung und Bezahlung gehe.
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Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts insoweit abzuändern, als festgestellt wurde, dass die
Änderung der Arbeitsbedingungen des Klägers durch die Änderungskündigung vom
17.12.2001 sozial ungerechtfertigt und unwirksam ist und die Kündigungsschutzklage
abzuweisen.
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Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Mit der Berufungserwiderung verteidigt er unter Vertiefung seines Vorbringens erster
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Instanz die angefochtene Entscheidung. Mit dem Arbeitsgericht sei davon auszugehen,
dass der Beklagten ein Festhalten an den bisherigen Arbeitsbedingungen jedenfalls für
den Zeitraum bis zum Beginn der Freistellungsphase des Klägers zumutbar sei.
Entgegen dem Vorbringen der Beklagten werde der Beklagten nicht verwehrt, den
Betrieb so zu organisieren, wie sie es für sachlich und betriebswirtschaftlich geboten
und erforderlich halte, allerdings würden die Möglichkeiten der Beklagten durch die
bestehenden gesetzlichen und tariflichen Regelungen Schranken gesetzt. Im Ergebnis
sei vom Arbeitsgericht zutreffend erkannt worden, dass eine unternehmerische
Entscheidung, die lediglich zur Veränderung von Arbeitsplatzinhalten führe, ohne dass
sie die Stilllegung oder Teilstilllegung des Betriebes zur Folge habe, für den
Fortbestand des Betriebes nicht zwingend geboten sei, zumal der Arbeitgeber diese
ohnehin zumutbare zeitliche Verzögerung verwirklichen könne.
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Der Kläger bestreitet, dass sämtliche Leitungsaufgaben entzogen worden seien,
insbesondere sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger mit der Vertretung der
Filialleitung in deren Abwesenheit betraut sei.
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Schließlich sei auch die fehlerhafte Sozialauswahl der Beklagten zu prüfen, der Kläger
erfülle auf Grund seiner beruflichen Qualifikation die Anforderungen der Stelle als
Filialleiter, was sich auch daran ablesen lasse, dass die Filialleiterin wie der Kläger in
die Gehaltsgruppe IV c einzugruppieren sei.
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Wegen weiterer Einzelheiten des wechselseitigen Sachvortrags wird auf den
vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und den sonstigen
Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die nach dem Beschwerdewert an sich statthafte Berufung der Beklagten ist in
gesetzlicher Form und Frist eingelegt und begründet worden, sie ist somit zulässig. Sie
bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend
der Änderungsschutzklage stattgegeben.
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1. Wie das Arbeitsgericht zunächst zu Recht ausgeführt hat, ist die außerordentliche
Kündigung gegenüber einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer aus
betriebsbedingten Gründen nur ausnahmsweise unter Einhaltung der ordentlichen
Kündigungsfrist dann zulässig, wenn der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers
weggefallen ist und der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch unter Einsatz aller
zumutbaren Mittel, ggf. durch Umorganisation seines Betriebes, nicht mehr
weiterbeschäftigen kann (vgl. BAG vom 05.02.1998 - 2 AZR 227/97 - AP Nr. 143
zu § 626 BGB). Dabei ist mit dem Bundesarbeitsgericht davon auszugehen, dass
im Fall der tariflichen Unkündbarkeit von Arbeitnehmern im Rahmen des § 626
Abs. 1 BGB ein besonders strenger Prüfungsmaßstab anzulegen ist. Dringende
betriebliche Erfordernisse können regelmäßig nur eine ordentliche
Arbeitgeberkündigung nach § 1 KSchG rechtfertigen. Eine außerordentliche
betriebsbedingte Kündigung kann nur ausnahmsweise zulässig sein, denn zu dem
vom Arbeitgeber zu tragenden Unternehmerrisiko zählt auch die Einhaltung der
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ordentlichen Kündigungsfrist. Die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers kann
dem Arbeitgeber aber insbesondere dann unzumutbar sein, wenn eine ordentliche
Kündigungsmöglichkeit ausgeschlossen ist und der Arbeitgeber deshalb dem
Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum hin sein Gehalt weiterzahlen müsste,
weil er z. B. wegen Betriebsstilllegung für dessen Arbeitskraft keine Verwendung
mehr hat (BAG a.a.O.; ferner BAG, Urteil vom 28.03.1985 - 2 AZR 113/84 - AP Nr.
86 zu § 626 BGB; vom 12.07.1995 - 2 AZR 762/94 - AP Nr. 7 zu § 626 BGB
Krankheit). Die Beklagte hat allerdings in der Berufungsverhandlung zu Recht
darauf hingewiesen, dass das Bundesarbeitsgericht auch schon den bloßen
Wegfall von Arbeitsplätzen auf Grund einer Entscheidung des Arbeitgebers zur
Umorganisation und Umstrukturierung des Betriebes (Wegfall von
Kassenaufsichten) als wichtigen Grund für eine außerordentliche
Änderungskündigung gegenüber auf Grund gesetzlicher Sonderschutzvorschriften
unkündbaren Arbeitnehmern als wichtigen Grund anerkannt hat, ohne dass es zu
einer Betriebsstilllegung oder Teilbetriebsstilllegung gekommen ist (BAG vom
21.06.1995 - 2 ABR 28/94 - AP Nr. 36 zu § 15 KSchG 1969). Auf den vorliegenden
Fall übertragen bedeutet dies, dass grundsätzlich der durch eine
unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers in Bezug auf die Änderung
seiner Betriebsorganisation bedingte Wegfall von Arbeitsplätzen
kündigungsschutzrechtlich hinzunehmen ist, ohne dass sie im Übrigen auf
Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen ist. Etwas anderes gilt lediglich
dann, wenn die unternehmerische Maßnahme unsachlich, willkürlich oder
offensichtlich unbegründet ist, wofür indessen im vorliegenden Fall keine
Anhaltspunkte ersichtlich sind.
Daher ist für den Streitfall zunächst die Entscheidung der Beklagten, die Stellen der drei
Bereichsleiter in ihrer B Filiale, von denen der Kläger eine Stelle ausgefüllt hat, entfallen
zu lassen, und der Umstand, dass sie diese Maßnahme auch tatsächlich mit Beginn des
Jahres 2002 durchgeführt und umgesetzt hat, was im Übrigen für ihre sachliche
Berechtigung spricht, vom Gericht zu respektieren, ohne dass dessen Notwendigkeit
oder Zweckmäßigkeit zu überprüfen ist.
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Dies bedeutet indessen nicht, dass auch der zeitliche Faktor für die Umsetzung und
Verwirklichung der Maßnahme angesichts des bestehenden Sonderschutzes des
Klägers ohne Einschränkung und ohne gerichtliche Überprüfung hinzunehmen ist.
Insoweit muss entweder bei den Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen
Grundes oder bei der Zumutbarkeitsprüfung im Rahmen der Interessenabwägung der
auch vom Bundesarbeitsgericht verlangte besonders strenge Prüfungsmaßstab nach
Auffassung des Berufungsgerichts in der Weise verwirklicht werden, dass die mit der
Umorganisation bezweckte Effizientsteigerung und die hierfür maßgeblichen Gründe
abgewogen werden gegen die auf Seiten der Arbeitnehmer zu berücksichtigenden
besonderen Schutzbedürfnisse. Insoweit hat es das Bundesarbeitsgericht für
unzumutbar gehalten, ein inhaltsleeres Arbeitsverhältnis über mehr als fünf Jahre
aufrecht zu erhalten, wenn die Arbeitgeberin zur Gehaltszahlung, die Arbeitnehmer
allerdings nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet bliebe (BAG vom 05.02.1998 a.a.O.).
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Im vorliegenden Fall erscheint es dagegen - insoweit ist dem Arbeitsgericht zu folgen -
für die Beklagte durchaus zumutbar, mit der Umsetzung und Verwirklichung der
Änderung der Betriebsorganisation abzuwarten, bis der Kläger auf Grund der mit ihm
getroffenen Altersteilzeitvereinbarung ohnehin seine aktive Tätigkeit mit Beginn der
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Freistellungsphase ab 01.07.2003 beendet. Dies bedeutet für die Beklagte lediglich
eine Verschiebung und zeitliche Hinauszögerung der Verwirklichung der Maßnahme
um zwölf Monate. Die Beklagte hat weder für eine besondere Dringlichkeit der von ihr
beabsichtigten Umorganisation noch für wirtschaftlich zwingende Erfordernisse, die
hierfür angeführt werden könnten, etwas vorgetragen. Wenn der Beklagtenvertreter in
der Berufungsverhandlung von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten des "notleidenden
Buchhandels" allgemein gesprochen hat, so steht das im Widerspruch zum bisherigen
beiderseitigen Sachvortrag. Der Kläger hatte bereits in der Klageschrift vorgetragen,
dass es der Beklagten bei der Maßnahme nicht um Kostenersparnisse gehe, wobei die
Filiale B der Beklagten mit hohem Gewinn arbeite; die Beklagte ist diesem Vortrag nicht
entgegengetreten. Es ist daher davon auszugehen, dass zwingende Gründe, zumindest
solcher wirtschaftlicher Art, für die sofortige Umsetzung der beabsichtigten
Umorganisation nicht gegeben waren.
Auf der anderen Seite trifft die Änderung der Arbeitsbedingungen den Kläger, der
jahrzehntelang im Betrieb der Beklagten beschäftigt war, kurz vor Beendigung seiner
aktiven Tätigkeit besonders hart, auch wenn man berücksichtigt, dass er seinen
Arbeitsplatz nicht verliert und auch die durch die geänderte Tätigkeit bedingte
Minderung der Vergütung sich mit einem Betrag von ca. 14.000,00 DM für die Zeit bis zu
seinem Ausscheiden in einem überschaubaren Rahmen bewegt. Allerdings ist dabei zu
berücksichtigen, dass sich die Vergütungsminderung kurz vor Eintritt in den Ruhestand
für den Kläger nachhaltig auf seine Rentenansprüche auswirken wird. Der Beklagten ist
es unter Berücksichtigung der aufgezeigten beiderseitigen Interessen nicht unzumutbar,
die auf ihrer Unternehmerentscheidung beruhende betriebliche Umorganisation mit
einer zeitlichen Verzögerung umzusetzen. Der Zeitfaktor ist von ihr ohnehin im Hinblick
auf die einzuhaltenden Kündigungsfristen zu berücksichtigen. Ebenso kann die
Umsetzung unternehmerischer Entscheidungen sich zeitlich dadurch verzögern, dass
auf Grund bestehender Sonderkündigungsschutzvorschriften, wie etwa § 15 Abs. 2
KSchG oder § 85 SGB IX, Entscheidungen Dritter, etwa von Behörden oder Gerichten
abgewartet werden müssen.
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1. Abgesehen davon verstößt die von der Beklagten ausgesprochne Kündigung
auch gegen die Grundsätze der Sozialauswahl, § 1 Abs. 3 KSchG.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat eine Sozialauswahl nach den
Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG auch dann zu erfolgen, wenn ein Arbeitgeber die
Anzahl der Beschäftigungsmöglichkeiten verringert und gleichzeitig sog.
Beförderungsstellen neu schafft, sofern die betroffenen Arbeitnehmer nach der
Umgestaltung des Arbeitsablaufs für eine Weiterbeschäftigung persönlich und fachlich
geeignet sind (BAG vom 10.11.1994 - 2 AZR 242/94 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 77). Voraussetzung dafür ist, dass durch die Umgestaltung des
Arbeitsablaufs keine Arbeitskapazitäten wegfallen und die bisher geleisteten Arbeiten
nach wie vor anfallen, so dass ein entsprechender Beschäftigungsbedarf besteht. In
solchen Fällen kann der Arbeitgeber die Kündigung der betroffenen Arbeitnehmer
dadurch vermeiden, dass er dem Arbeitnehmer die nunmehr höher zu bewertenden,
jedoch umgestalteten Arbeiten zuweist. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall
gegeben:
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Der Kläger hat vorgetragen, dass er für die Tätigkeit als Filialleiter sowohl die
persönliche wie die fachliche Qualifikation erfüllt. Die Beklagte selbst hat vorgetragen,
dass die unternehmerische Entscheidung darin besteht, die bisher von drei Personen
gemeinschaftlich als Bereichsleitern ausgeübte Filialleitung in einer Person zu
konzentrieren, die sämtliche Aufgaben und Funktionen wahrnimmt. Zwar hat die
Beklagte auch geltend gemacht, dass der Filialleiterin zusätzlich zu den von den
Bereichsleitern übernommenen Aufgaben noch weitere Leitungsaufgaben übertragen
worden sind. Hierbei handelt es sich jedoch nach dem Vortrag der Beklagten nur um
unwesentliche, sich aus der Konzentration der Aufgaben insgesamt ergebende,
unwesentliche Teilaufgaben. So hatte die Beklagte mit Schriftsatz vom 13.02.2002 die
Aufgaben der Filialleiter und der ersten Sortimenter gegenübergestellt, wobei sich keine
erheblichen Unterschiede - abgesehen von der Bündelung der Aufgaben in einer
Person - ergeben, weil die Ermittlung des Personalbedarfs, die Einstellung und
Entlassung von Mitarbeitern, die Budgetverantwortung, die Entscheidungen über den
Warenbestand und das optische Erscheinungsbild, die bisher bei den Bereichsleitern
gelegen haben, nunmehr von der Filialleiterin getroffen werden. Bei dieser Sachlage ist
es auch nicht erheblich, dass die Beklagte die Tätigkeit der Filialleiterin als
übertarifliche "Beförderungsstelle" ausgestattet hat. Auch der Umstand, dass durch die
Bündelung der Leitungsaufgaben in einer Person der Grad der Verantwortung der
Tätigkeit entsprechend gestiegen ist, kann für die Frage, ob auf dem von der Beklagten
neu geschaffenen Arbeitsplatz des Filialleiters der Kläger eingesetzt werden kann,
letztlich keine entscheidende Rolle spielen. Da der Kläger unzweifelhaft auf Grund
seiner langen Betriebszugehörigkeit und seines Alters sozial erheblich schutzwürdiger
ist als die von der Beklagten aus einem anderen Bereich des Unternehmens
übernommene Mitarbeiterin, mit der die Stelle der Filialleitung besetzt worden ist,
verstößt damit die Kündigung der Beklagten auch gegen § 1 Abs. 3 KSchG.
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Die Berufung der Beklagten musste nach alle dem zurückgewiesen werden. Die
Kostenfolge beruht auf § 97 ZPO.
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