Urteil des LAG Köln vom 08.04.2009

LArbG Köln: juristische person, arbeitsgericht, beschwerdeschrift, mensch, behinderter, beteiligungsrecht, eingliederung, unverzüglich, organisation, eigentum

Landesarbeitsgericht Köln, 8 TaBV 113/08
Datum:
08.04.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 TaBV 113/08
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 8 BV 100/08
Schlagworte:
Schwerbehindertenvertretung, Anhörungs- und Beteiligungsrecht,
Stellenbesetzung mit Personalleitungsfunktion
Normen:
§ 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Das in § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX normierte Unterrichtungs- und
Anhörungsrecht steht der Schwerbehindertenvertretung nur dann zu,
wenn ein einzelner Schwerbehinderter oder gleichgestellter behinderter
Mensch oder das Kollektiv der schwerbehinderten Menschen betroffen
ist.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass entweder die spezifischen
Belange der Gruppe der schwerbehinderten Menschen oder die eines
einzelnen schwerbehinderten Menschen „berührt“ werden.
Dies ist nicht der Fall wenn es - ohne dass schwerbehinderte Menschen
als Bewerber zu berücksichtigen sind - um die Besetzung einer Stelle
mit Personalleitungsfunktion geht, der nachgeordnet auch
schwerbehinderte Menschen zugeordnet sind.
Tenor:
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Köln vom 04.11.2008 wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
I. Die Beteiligten streiten um die Beteiligungsrechte des Beteiligten zu 1) als
Vertrauensmann der Schwerbehinderten bei der Besetzung von Stellen mit
Personalleitungsfunktion nach § 95 Abs. 1 Satz 1 SGB IX.
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Der Beteiligte zu 1) nimmt in Anspruch, dass er vor Durchführung der Besetzung einer
derartigen Stelle vom Beteiligten zu 2) hierüber umfassend zu unterrichten und vor der
zu treffenden Entscheidung anzuhören ist.
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Das Arbeitsgericht hat für die mit dem Verfahren angesprochenen Besetzungsverfahren
Stellen mit Personalleitungsfunktion betreffend ein Beteiligungsrecht des Beteiligten zu
1) gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 abgelehnt und die getroffene Entscheidung damit
begründet, dass die durch den Beteiligten zu 1) aufgezeigte Problematik der
Stellenbesetzung mit Personalleitungsfunktion keine "Angelegenheit" i. S. d. § 95 Abs. 2
Satz 1 SGB IX darstelle. Eine solche Angelegenheit liege nur vor, wenn die
schwerbehinderten Mitarbeiter – einzeln oder als Gruppe – gerade im Bezug auf ihre
spezifische rechtliche und tatsächliche Stellung als schwerbehinderte Menschen
betroffen seien. Daher könnten unter "Angelegenheit" i. S. d. § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX
keine Sachverhalte fallen, die alle Beschäftigten gleichermaßen in ihrer rechtlichen oder
tatsächlichen Stellung als Arbeitnehmer des Betriebes berührten.
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Ergänzend wird auf die Begründung des Beschlusses erster Instanz (Bl. 59 d. A.) Bezug
genommen.
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Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beteiligte zu 1) mit seiner Beschwerdeschrift
vom 15.12.2008, in der die Beschwerde gleichzeitig begründet worden ist. Die
Beschwerdeschrift ist beim Landesarbeitsgericht am 16.12.2008 eingegangen.
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Die Beschwerde macht geltend, dass das Arbeitsgericht die Vorschrift des § 95 Abs. 2
Satz 1 SGB IX verkenne. Die dort genannten Beteiligungsrechte seien immer dann
betroffen, wenn schwerbehinderte Menschen von einer Maßnahme "berührt" seien.
Nach der gesetzlichen Regelung sei nicht zu schlussfolgern, dass es sich dabei nur um
solche Maßnahmen handeln könne, die gezielt schwerbehinderte Menschen beträfen.
Ausreichend sei in jedem Fall, dass sich die Maßnahme auf die Situation
schwerbehinderter Beschäftigter irgendwie auswirke. Dem stehe nicht entgegen, dass
es um eine Maßnahme gehe, die ebensolche, gleiche Auswirkungen für nicht
schwerbehinderte Beschäftigte auslöse.
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Der Beteiligte zu 1) beantragt,
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den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 04.11.2008 abzuändern und
festzustellen, dass der Beteiligte zu 2) verpflichtet ist, den Beteiligten zu 1) nach
§ 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX vor der Entscheidung zur Besetzung einer Stelle mit
Personalleitungsfunktion, die der Mitbestimmung des Personalrats nach § 72
LPVG Nordrhein-Westfalen unterliegt, zu unterrichten und anzuhören, soweit es
um die Besetzung einer Stelle geht, der bezüglich der Personalleitungsfunktion
mindestens ein schwerbehinderter Mensch zugeordnet ist.
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Die Beteiligte zu 2) beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Die Beteiligte zu 2) verteidigt den Beschluss in erster Instanz unter Vertiefung ihres
Sachvortrags.
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Wegen des sonstigen Sach – und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der
Akten sowie die gewechselten Schriftsätze beider Instanzen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
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II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
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1. Der Beteiligte zu 1) hat gegen den unter dem 21.11.2008 zugestellten Beschluss
erster Instanz fristwahrend mit seiner Beschwerdeschrift vom 15.12.2008, die am
16.12.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, Beschwerde eingelegt. Die
Beschwerdeschrift enthält gleichzeitig die Begründung für die Beschwerde. Diese
Begründung setzt sich im Einzelnen mit dem Beschluss erster Instanz auseinander und
erweist sich damit als ein ordnungsgemäß eingelegtes Rechtsmittel.
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2. Die Beschwerde führt nicht zu einer Abänderung des Beschlusses erster Instanz.
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Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung das vom Beteiligten zu 1) geltend
gemachte Beteiligungsrecht für die streitbefangenen Maßnahmen nach § 95 Abs. 2 Satz
1 SGB IX abgelehnt.
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Nach Maßgabe dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung
in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen
als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer
Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich
mitzuteilen.
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Das Landesarbeitsgericht teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts zum Verständnis der
Regelungen in § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Das dort normierte Unterrichtungs- und
Anhörungsrecht steht der Schwerbehindertenvertretung nur dann zu, wenn ein einzelner
Schwerbehinderter oder gleichgestellter behinderter Mensch oder das Kollektiv der
schwerbehinderten Menschen betroffen ist. Die Vorschrift ist damit Ausschluss des in §
99 Abs.1 SGB IX verankerten Grundsatzes der engen Zusammenarbeit, um die
Teilhabechancen der schwerbehinderten Menschen sicher zu stellen. Sinn dieser sehr
weitreichenden Unterrichtungs- und Anhörungspflicht ist es, zu vermeiden, dass eine
Entscheidung des Arbeitgebers die Belange der schwerbehinderten Menschen
beeinträchtigt. Deshalb soll die Schwerbehindertenvertretung vor jeder Entscheidung
Gelegenheit haben, aus ihrer fachlichen Sicht als für die Eingliederung
schwerbehinderter Menschen zuständige Sondervertretung unterrichtet zu sein, um
sodann auf mögliche, nicht vom Arbeitgeber bedachte Auswirkungen seiner
Entscheidung hinweisen zu können. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass entweder
die spezifischen Belange der Gruppe der schwerbehinderten Menschen oder die eines
einzelnen schwerbehinderten Menschen "berührt" werden.
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Damit ist eine Abgrenzung im Verhältnis zu den Angelegenheiten erforderlich, die alle
Arbeitnehmer und Bediensteten gleichermaßen "berühren", da in derartigen Fällen
weder die geschützten Teilhabchancen schwerbehinderter Menschen noch deren
Eingliederung betroffen ist, wenn schwerbehinderte Menschen nicht zum für die
Maßnahme selbst zu berücksichtigenden Personenkreis gehören.
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Eine derartige Maßnahme, bei der schwerbehinderte Menschen nicht zum für die
Maßnahme selbst zu berücksichtigenden Personenkreis gehören, nimmt der Beteiligte
zu 1) in Anspruch, um hierfür das Beteiligungs- und Anhörungsrecht gemäß § 95 Abs. 2
Satz 1 SGB IX einzuklagen. Die vom Beteiligten zu 1) aufgezeigte personelle
Maßnahme ist die Besetzung einer Stelle mit Personalleitungsfunktion, die für sich
gesehen, soweit es um die Besetzungsmaßnahme selbst geht, soweit hierbei nicht
Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit nach § 91 Abs. 1 SGB IX oder
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Bewerbungen schwerbehinderter Menschen vorgelegen haben, Beteiligungsrechte der
Schwerbehindertenvertretung, insbesondere solche nach § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX,
nicht auslöst.
Wird eine Stelle mit Personalleitungsfunktion besetzt, so wird die Person, die die Stelle
übernimmt, damit Vorgesetzter aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dieser Stelle
zugeordnetet sind. Damit sind alle diese Mitarbeiter von der Besetzungsmaßnahme
selbst gleich betroffen bzw. gleichermaßen berührt. Dies, das gleichermaßen
Betroffensein, schwerbehinderter Menschen als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
einerseits und nicht behinderter Menschen als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
andererseits, die der Stelle mit Personalleitungsfunktion zugeordnet sind, ist – weil die
Auswirkungen der personellen Maßnahme für alle Betroffenen sich als gleich darstellt –
nicht als eine Angelegenheit im Sinne des § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zu verstehen, die
einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berührt (ebenso
Dau, Düvell, Heines, SGB IX, § 95 Rn 31; Masuch, in Hauck/Noftz, SGB IX, § 95 Rn 28).
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Der Beteiligte zu 1) bleibt unter Berücksichtigung dieses Verständnisses der
Vorschriften in § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bezüglich seiner Aufgaben in der
Wahrnehmung der Schwerbehindertenvertretung auch nicht ohne das Recht auf die
personelle Einzelmaßnahme Einfluss zu nehmen. Etwaige, für notwendig erachtete
Stellungnahmen und Hinweise zu der anstehenden Stellenbesetzung sind dem
Beteiligten zu 1) als Schwerbehindertenvertreter vielmehr jederzeit durch sein Recht auf
Teilnahme an den Sitzungen des Personalrats möglich, da er an diesen Sitzungen
beratend teilzunehmen berechtigt ist. Unterstützt wird dies durch das weitergehende
Recht für Betriebsratssitzungen beantragen zu können, Angelegenheit, die einzelne
oder schwerbehinderte Menschen als Gruppe besonders betreffen, auf die
Tagesordnung einer Sitzung zu setzen; § 95 Abs. 4 Satz 1 SGB IX.
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Auf die Inanspruchnahme seiner Rechte nach Maßgabe dieser Möglichkeiten ist der
Beteiligte zu 1) bezüglich der im vorliegenden Verfahren angesprochenen
Angelegenheit zu verweisen.
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Damit war der Beschluss des Arbeitsgerichts zu bestätigen.
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Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) führt nicht zu einer Abänderung dieser
Entscheidung.
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III. Die vom Beteiligten zu 1) aufgeworfene Fragestellung zum Umfang der
Unterrichtungs- und Anhörungsrechte bei personellen Einzelmaßnahmen unter dem
Gesichtspunkt der Beteiligungsrechte nach § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist eine Frage
grundsätzlicher Bedeutung.
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Aus diesem Grund hat die Kammer die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht
zugelassen.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen diesen Beschluss kann von dem Beteiligten zu 1)
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R E C H T S B E S C H W E R D E
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eingelegt werden.
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Für die weiteren Beteiligten ist gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Rechtsbeschwerde muss
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innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
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nach der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht
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Hugo-Preuß-Platz 1
37
99084 Erfurt
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Fax: 0361 2636 2000
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eingelegt werden.
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Die Rechtsbeschwerdeschrift
muss
Als
Bevollmächtigte
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1. Rechtsanwälte,
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser
Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit
vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
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In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Rechtsbeschwerdeschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
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Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Jüngst Dr. Scharnke Schäfer
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