Urteil des LAG Köln vom 17.02.2006
LArbG Köln: einstweilige verfügung, betriebsrat, vertrag zugunsten dritter, unwirksamkeit der kündigung, arbeitsgericht, freizeit, vergütung, anhörung, kopie, unternehmen
Landesarbeitsgericht Köln, 6 Ta 76/06
Datum:
17.02.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 Ta 76/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bonn, BVGa 2/06
Schlagworte:
Einstweilige Verfügung; Verfügungsgrund; Karneval; Rosenmontag
Normen:
§§ 253, 567, 920, 935 ZPO
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Der Betriebsrat kann individuelle Ansprüche der Arbeitnehmer, die in
einer Betriebsvereinbarung ihre Grundlage haben (hier: Freistellungs-
und Vergütungsansprüche an den rheinischen Karnevalstagen), nicht
zum Gegenstand eines Durchführungsanspruchs machen.
2. Ist der Arbeitgeber bereit, den Arbeitnehmern zur Teilnahme an
Karneval in dem bisherigen Umfang Freizeit zu gewähren, so fehlt es
hinsichtlich der Frage der Vergütungspflicht an einem Verfügungsgrund
für den Erlass einer einstweiligen Verfügung.
Tenor:
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Bonn vom 31.01.2006 – 6 BVGa 2/06 – wird
zurückgewiesen.
G r ü n d e :
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I. Die Beteiligten streiten über die Anwendung einer "Betriebsvereinbarung über
Arbeitszeitregelung" vom 17.07.1990 hinsichtlich der rheinischen Brauchtumstage
Weiberfastnacht, Rosenmontag und Fastnachtsdienstag 2006.
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Antragsteller ist der bei der Antragsgegnerin gebildete Betriebsrat. Die Antragsgegnerin
ist ein Unternehmen der die eine Harmonisierung der Arbeitszeitregelungen innerhalb
der zur Gruppe gehörenden Unternehmen herbeiführen will. Vor diesem Hintergrund
wurde die Betriebsvereinbarung über Arbeitszeitregelung bereits mit Schreiben vom
30.09.2003 per E-Mail "zum 31.12.2003" gekündigt (Kopie Bl. 26 d. A.). "Rein
vorsorglich" wiederholte die Antragsgegnerin die Kündigung mit Schreiben vom
23.09.2005 (Kopie Bl. 27 d. A.). In einem weiteren Schreiben an den Betriebsrat vom
23.12.2005 heißt es:
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"Sehr geehrter Herr S ,
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mit Schreiben vom 23.09.2005 hatten wir Ihnen mitgeteilt, dass zukünftig an
allen Karnevalstagen die normale Sollarbeitszeit von 7:36 Stunden gilt. Wie in
den letzten beiden Jahren angekündigt, sind wir nicht mehr bereit, für diese
Tage eine Zeitgutschrift zu gewähren und wollen dies jetzt für das Jahr 2006
auch umsetzen. Zugleich entfällt der "B Tag".
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Wir sind der Auffassung, dass die Betriebsvereinbarung Arbeitszeit der B B im
Jahre 2003 durch H. B wirksam gekündigt wurde. Ferner gehen wir davon aus,
dass keine Nachwirkung bezüglich der freiwilligen Regelungen besteht.
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Da es uns nicht darum geht, den Karneval "abzuschaffen" sondern lediglich die
Zeitgutschrift, schlagen wir für 2006 eine Regelung außerhalb der BV
Arbeitszeit vor.
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Den Mitarbeitern wird ermöglicht, an den gleichen Tagen wie im Vorjahr Freizeit
– jedoch ohne entsprechende Zeitgutschrift – in Anspruch zu nehmen und den
Betrieb am Rosenmontag (27.02.) zu schließen. Für Weiberfastnacht (23.02.)
gilt die Sollarbeitszeit von 7:36 Stunden; für die Teilnahme an der
Weiberfastnachtsfeier des D H wird keine Zeitgutschrift gewährt. Über die
Umsetzung in der Zeitwirtschaft können wir uns noch verständigen.
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Wir hoffen, dass unser Vorschlag Ihr Einverständnis findet. Wie Sie wissen,
können wir dieses Verfahren nicht einseitig umsetzen. Bei fehlendem
Einvernehmen müssten wir die Mitarbeiter daher darüber informieren, dass mit
Ausnahme von normalen Urlaubsregelungen die regelmäßige Sollarbeitszeit
bzw. Anwesenheitspflicht gilt.
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Bitte teilen Sie uns Anfang Januar mit, ob Sie mit dieser Lösung einverstanden
sind."
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Mit dem am 20.01.2006 beim Arbeitsgericht eingegangen Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung hat der Betriebsrat beantragt:
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1. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, es zu unterlassen,
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1.1 den 27.02.2006 (Rosenmontag) als Arbeitstag zu behandeln,
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1.2 den 23.02.2006 (Weiberfastnacht) über 4 Stunden hinaus als Arbeitstag zu
behandeln,
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1.3 den 28.02.2006 (Fastnachtsdienstag) über 5,5 Stunden hinaus als Arbeitstag
zu behandeln.
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2. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 1 wird der
Antragsgegnerin pro Tag und pro betroffenem Arbeitnehmer ein Ordnungsgeld
angedroht, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
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ersatzweise Ordnungshaft.
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3. Hilfsweise:
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die unter 1. und 2. beantragte einstweilige Verfügung nach Anhörung der
Beteiligten unter größtmöglicher Abkürzung der Ladungs- und Einladungsfristen zu
erlassen.
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Die Antragsgegnerin hat beantragt,
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die Anträge zurückzuweisen.
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Das Arbeitsgericht hat die Anträge mit Beschluss vom 31.01.2006 ohne mündliche
Anhörung der Beteiligten zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen
ausgeführt, es fehle an einem Verfügungsgrund, weil ein möglicher Verstoß gegen die
Betriebsvereinbarung im Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden könne und
hinsichtlich der Frage, ob eine bezahlte Freistellung der Arbeitnehmer stattzufinden
habe, kein besonderes Eilbedürfnis bestehe. Zudem habe der Betriebsrat längst eine
Klärung im Hauptsacheverfahren anstreben und erreichen können.
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Mit seiner am 13.02.2006 gegen den am 03.02.2006 zugestellten Beschluss des
Arbeitsgerichts eingelegten Beschwerde verfolgt der Betriebsrat seine Anträge auf
Erlass einer einstweiligen Verfügung weiter.
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Er meint, dass entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts von einem
Verfügungsgrund auszugehen sei, weil er weder auf das Hauptsacheverfahren
verwiesen werden könne, noch eine "selbst verursachte Eilbedürftigkeit" vorliege.
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II. Die nach den §§ 78 ArbGG, 567, 569 ZPO zulässige, insbesondere frist- und
formgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.
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1. Mit Rücksicht auf das Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 ZPO ist bereits
zweifelhaft, ob die mit dem Antrag zu 1. formulierten Unterlassungsanträge zulässig
sind. Denn der Unterlassungsantrag muss möglichst konkret gefasst sein, damit für
Rechtsverteidigung und Vollstreckung klar ist, worauf sich das Verbot erstreckt (vgl. nur
Zöller/Greger, ZPO, 25. Auflage, § 253 Rz. 13 b m.w.N.). Unklar ist etwa, was damit
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gemeint ist, die Antragsgegnerin solle den Rosenmontag nicht "als Arbeitstag
behandeln". Damit kann einmal bezweckt sein, die Arbeitnehmer an diesem Tag
tatsächlich von der Arbeit freizustellen. Dazu ist aber die Antragsgegnerin ohne weiteres
bereit, wie in dem Schreiben vom 23.12.2005 unmissverständlich zum Ausdruck kommt.
Es soll lediglich die Zeitgutschrift entfallen. Die Formulierung, den Rosenmontag wie die
anderen genannten Tage über ein bestimmtes Maß hinaus nicht "als Arbeitstag" zu
behandeln, kann daher auch bedeuten, gerade an dieser Zeitgutschrift im Sinne der
Betriebsvereinbarung festzuhalten. In diesem Sinne handelte es sich aber bei dem
Unterlassungsantrag der Sache nach lediglich um einen Feststellungsantrag mit dem
Ziel, die Geltung bzw. Nachwirkung der Betriebsvereinbarung zwischen den
Betriebsparteien klären zu lassen. Es bleibt nach alledem unklar, was genau von der
Antragsgegnerin für die streitbefangenen Tage verlangt wird.
2. Wenn man die Unterlassungsanträge in dem weitestgehenden Sinn versteht, an der
bisherigen Regelung mit verbindlicher Wirkung für die Regelungsbetroffenen
festzuhalten, so ist ferner zweifelhaft, ob dem Antragsteller ein solcher
Verfügungsanspruch als Durchführungsanspruch aus der Betriebsvereinbarung über die
Arbeitszeitregelung aus dem Jahre 1990 zusteht. Selbst wenn man mit dem
Antragsteller davon ausgeht, dass die Betriebsvereinbarung wegen einer
Unwirksamkeit der Kündigung vom 30.09.2003 und der Wirkung der vorsorglichen
Kündigung vom 23.09.2005 erst zum 30.06.2006 noch in Kraft ist, so folgt daraus nicht
die Befugnis des Antragstellers, mit Wirkung für die betroffenen Arbeitnehmer die
Berechnungsgrundlage für die Vergütung an den fraglichen Tagen festschreiben zu
lassen.
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Das Bundesarbeitsgericht hat in zwei Entscheidungen vom 17.10.1989 – 1 ABR 31/87
und 1 ABR 57/88 - (AP Nr. 39 zu § 76 BetrVG 1972 und AP Nr. 53 zu § 112 BetrVG
1972) zu der Frage der Abgrenzung von Durchführungsansprüchen des Betriebsrats
aus einer Betriebsvereinbarung und der Geltendmachung von normativ begründeten
Individualansprüchen der Arbeitnehmer folgendes ausgeführt: Der Betriebsrat könne
nicht die Feststellung eines zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer
bestehenden Rechtsverhältnisses im Beschlussverfahren verlangen. Die Feststellung
individualrechtlicher Ansprüche der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber sei keine
Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz im Sinne von § 80 Abs. 1 ArbGG i.
V. m. § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Der Individualrechtschutz des einzelnen Arbeitnehmers
könne nicht ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung dem Betriebsrat übertragen
werden.
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Anders könne nur dann entschieden werden, wenn über eigene
betriebsverfassungsrechtliche Ansprüche des Betriebsrats gegenüber dem Arbeitgeber
zu entscheiden wäre. Dementsprechend beträfen die Entscheidungen, in denen dem
Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch bzw. ein Anspruch auf Durchführung einer
Betriebsvereinbarung zugesprochen worden sei, Handlungen und Maßnahmen des
Arbeitgebers, zu denen sich der Arbeitgeber dem Betriebsrat gegenüber in der
Betriebsvereinbarung verpflichtet habe (BAG AP Nr. 53 zu § 112 BetrVG 1972).
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Von diesem Anspruch auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung zu unterscheiden
seien diejenigen Fälle, in denen durch Betriebsvereinbarung normativ Ansprüche des
Arbeitnehmers begründet würden. Dem Betriebsrat komme nicht die Rolle eines
gesetzlichen Prozesstandschafters der Arbeitnehmer zu. Die Betriebsvereinbarung sei
wie der Tarifvertrag ein Normenvertrag und kein schuldrechtlicher Vertrag zugunsten
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Dritter (BAG AP Nr. 39 zu § 76 BetrVG 1972).
Auch im vorliegenden Fall geht es der Sache nach um individualrechtliche Ansprüche
der Arbeitnehmer in Gestalt von Zeitgutschriften für die genannten Karnevalstage. Das
Begehren des Betriebsrats läuft darauf hinaus, den Arbeitgeber zu verpflichten, den
Arbeitnehmern wie bisher auch für die Zeit der Arbeitsfreistellung die volle Vergütung zu
zahlen. Es geht damit um individuelle Ansprüche, die in einer normativen Regelung ihre
Grundlage haben. Für die Durchsetzung dieser Ansprüche ist der Betriebsrat nicht
zuständig. Er kann dieses Begehren auch nicht zum Gegenstand eines
Durchführungsanspruchs machen.
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3. Jedenfalls fehlt es an einem Verfügungsgrund für die beantragte einstweilige
Verfügung.
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Es muss die Besorgnis bestehen, dass die Verwirklichung eines Rechts ohne
alsbaldige Regelung vereitelt oder wesentlich erschwert wird (§§ 920 Abs. 2, 935 ZPO).
Davon kann hier unabhängig von der vom Arbeitsgericht angesprochenen
"selbstverursachten Eilbedürftigkeit" keine Rede sein. Der Antragsteller selbst sieht den
Verfügungsgrund in der objektiv begründeten Besorgnis, dass sein Anspruch auf
Durchführung der Karnevalsbestimmungen in der Betriebsvereinbarung vom 17.07.1990
durch eine entgegengesetzte und vereinbarungswidrige Praxis der Antragsgegnerin im
Jahre 2006 unheilbar vereitelt werde. Das ist wegen der ausdrücklichen Ankündigung
der Antragsgegnerin, man sei nach wie vor bereit, den Mitarbeitern an den gleichen
Tagen wie im Vorjahr Freizeit zu gewähren – jedoch ohne entsprechende Zeitgutschrift
– , nicht der Fall. Was diesen Vorbehalt zur Vergütungsseite betrifft, so handelt es sich
um eine reine Rechtsfrage, die auch in einem Hauptsacheverfahren über die
Weitergeltung bzw. Nachwirkung der Betriebsvereinbarung zwischen den Beteiligten
dieses Verfahrens wie auch in Individualprozessen der betroffenen Arbeitnehmer geklärt
werden kann. So wird auch in dem vom Betriebsrat mit der Beschwerde vorgelegten
Schreiben vom 21.12.2005 an den "Direktionsbetrieb" D ausgeführt:
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"Sollte in einem gerichtlichen Verfahren wider Erwarten festgestellt werden,
dass unser Vorgehen gemäß Schreiben vom 23.09.2005 rechtlich fehlerhaft
war, könnte die Zeit den Mitarbeitern nachträglich gutgeschrieben werden."
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Eine Vereitelung oder auch nur wesentliche Erschwerung der in der
Betriebsvereinbarung geregelten Arbeitszeitgestaltung für die Karnevalstage, die nur
hinsichtlich der Vergütungsseite im Streit ist, ist daher nicht zu befürchten. Wenn die
tatsächliche Freistellung wie in den Vorjahren praktiziert wird, dann ist dem
Primärinteresse, die Teilnahme am rheinischen Karneval zu ermöglichen, Rechnung
getragen. Das Risiko des Wegfalls der Vergütungsgutschrift und einer etwa anderen
Verrechnung mit vergüteten Freizeitansprüchen ist den Betroffenen zumutbar.
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III. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§§ 72 Abs. 4 analog, 78 ArbGG).
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(Dr. Kalb)
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