Urteil des LAG Köln vom 13.12.2005
LArbG Köln: anspruch auf beschäftigung, betriebsübergang, betriebsmittel, wirtschaftliche einheit, überwiegendes interesse, arbeitsgericht, rechtsgeschäft, unterbrechung, geschäftsführer, abrede
Landesarbeitsgericht Köln, 9 Sa 744/05
Datum:
13.12.2005
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 Sa 744/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 2 Ca 3533/04
Schlagworte:
Betriebsübergang - Steuerberaterpraxis
Normen:
§ 613 a BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Bei einer Steuerberaterpraxis gehören die Mandantenverträge zu den
wesentlichen immateriellen Betriebsmitteln.
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 4. März 2005 – 2 Ca 3533/04 – wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen den Parteien aufgrund Betriebsübergangs
ein Arbeitsverhältnis besteht und der Beklagte verpflichtet ist, den Kläger zu
beschäftigen.
2
Der Kläger war aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 15. Oktober 2001 als
Steuersachbearbeiter bei der Firma O C T GmbH (im weiteren: O GmbH), einer
Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, beschäftigt. Alleiniger
Gesellschafter und Geschäftsführer dieser Gesellschaft war bis zum 20. Juni 2003 der
Beklagte.
3
Durch Vertrag vom 20. Juni 2003 veräußerte und übertrug der Beklagte sämtliche
Geschäftsanteile der O GmbH auf einen E C S . Die Gesellschaft verlegte ihren Sitz
nach B , A B , und firmierte nunmehr unter O C Unternehmensberatung GmbH. Über
deren Vermögen wurde nach einem Antrag der A R vom 7. Juli 2003 das
Insolvenzverfahren durch Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 4. Dezember 2003
eröffnet. Die Staatsanwaltschaft Köln hat nach einer Anzeige des Klägers am 1. August
2005 gegen den Beklagten Anklage beim Amtsgericht Kerpen erhoben wegen
4
verspäteter Erstellung der Bilanz über das Vermögen der O GmbH, inbesondere auch
nach Eintritt der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit, wegen verspäteter
Beantragung des Insolvenzverfahrens, wegen verspäteter Abführung von
Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung und wegen Untreue. In der
Anklageschrift heißt es u. a., der Beklagte habe den Mandantenstamm und das
Anlagevermögen der O GmbH auf sich übertragen, ohne dafür eine Gegenleistung zu
erbringen. Zudem habe er als Geschäftsführer der O GmbH durch Vertrag vom 30. Juni
2003 Forderungen dieser Gesellschaft im Nominalwert von EUR 96.023,30 an sich
übertragen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erbringen. Des weiteren habe er ein
Inkassounternehmen damit beauftragt, Forderungen in Höhe von EUR 180.527,82
einzuziehen. Es habe sich um Forderungen der O GmbH gehandelt, die nicht an ihn
abgetreten gewesen seien. Der Beklagte habe diese Tatvorwürfe bestritten.
Mit Schreiben vom 3. Juli 2003 teilte der Beklagte den Mandanten der O GmbH mit,
diese Gesellschaft habe ihre Tätigkeit als Steuerberatungs- und
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft eingestellt. Die bisherige Zustellungs- und
Vertretungsvollmacht sei zum 30. Juni 2003 zurückgenommen worden. Er, der bisherige
Geschäftsführer der Gesellschaft, sei Steuerberater und Wirtschaftsprüfer und werde die
mandatsmäßige Betreuung weiter unter seiner Einzelpraxis übernehmen und fortführen.
Sofern die Mandanten mit einer solchen Mandatsübernahme einverstanden seien,
sollten sie die auf ihn lautende Zustellungs- und Vertretungsvollmacht unterschreiben
und zurücksenden. Die Büroräume befänden sich nach wie vor unter der bisherigen
Anschrift der O GmbH in F , E . Mit Schreiben vom 8. August 2003 teilte er den
Mandanten mit, er habe die Büroräume seiner Steuerkanzlei nach K , E Str. , verlegt.
5
Durch Schreiben vom 20. Juni 2003 kündigte die O GmbH das mit dem Kläger
bestehende Arbeitsverhältnis. In dem von dem Kläger vor dem Arbeitsgericht Köln – 1
Ca 4780/03 - eingeleiteten Kündigungsschutzverfahren ist rechtskräftig festgestellt
worden, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist.
6
Mit der vorliegenden Klage, die am 5. April 2004 beim Arbeitsgericht Köln eingegangen
ist, begehrt der Kläger von dem Beklagten, ihn zu den mit der O GmbH geltenden
Arbeitsbedingungen zu beschäftigen.
7
Er hat vorgetragen, der Betrieb der O GmbH sei auf den Beklagten übergegangen. Er
habe die überwiegende Zahl der bei der O GmbH beschäftigten Arbeitnehmer ebenso
wie die Betriebsausstattung, wie z. B. das Datev-Software-System mit den
Mandantendaten, die Fachliteratur, Prozessor-Terminals, Bildschirme, Zentral- und
Einzelplatzdrucker sowie Telefaxgeräte übernommen. Ebenso habe er die Mehrzahl der
wichtigsten Mandanten übernommen, u. a. die S -Gruppe als umsatzstärkste Mandantin
mit einem Jahresnettoumsatz von etwa EUR 125.000,00, für deren Auftrag allein 2
Arbeitskräfte eingesetzt würden. Die O C GmbH führe die Geschäfte der O GmbH
dagegen nicht weiter, da sie als Unternehmensberatungsgesellschaft lediglich
Buchführungsarbeiten erledige.
8
Der Kläger hat beantragt,
9
1. den Beklagten zu verurteilen, ihn zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom
10
15. Oktober 2001 mit der O GmbH und dem Gehalt von EUR 3.936,95 brutto zu
beschäftigen,
11
2. hilfsweise festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis seit Juni 2003 auf den
Beklagten übergegangen ist und mit diesem zu unveränderten
Arbeitsbedingungen fortbesteht.
12
13
Der Beklagte hat beantragt,
14
die Klage abzuweisen.
15
Er hat bestritten, dass der Betrieb der O GmbH auf ihn übergegangen ist. Ein Großteil
der Betriebsmittel der O GmbH sei nicht von ihm übernommen worden, sondern von
einer O C Aktiengesellschaft mit Sitz in K , E . Sie habe den Server, die Datev-Dateien
und Zugangsberechtigungen für die Software und einen Teil der Büroausstattung
übernommen. Er habe weder die überwiegende Zahl der früheren Arbeitnehmer noch
der Mandanten der O GmbH übernommen.
16
Das Arbeitsgericht Köln hat durch Urteil vom 4. März 2005 der Klage mit ihrem
Hauptantrag stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Betriebsübergang
von der O GmbH auf den Beklagten sei erfolgt. Ohne zeitliche Unterbrechung habe der
Kläger den Betrieb fortgeführt. Er habe die Mandanten und einen nicht nur
unwesentlichen Teil der früheren Belegschaft der O GmbH übernommen. In diesem
Zusammenhang komme der Mandanteninformation vom 3. Juli 2003 wesentliche
Bedeutung zu. Nicht entscheidend sei, ob auch die wesentlichen (sächlichen)
Betriebsmittel übertragen worden seien. Sofern die Übertragung nicht rechtsgeschäftlich
vereinbart gewesen sei, hindere dies nicht die Bejahung eines Betriebsübergangs.
17
Das Urteil ist dem Beklagten am 3. Mai 2005 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 30.
Mai 2005 Berufung einlegen und diese – nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis zum 3. August 2005 – am 3. August 2005 begründen
lassen.
18
Er ist der Ansicht, die Klage sei bereits unzulässig, weil das Urteil in dem zwischen dem
Kläger und der O GmbH geführten Kündigungsrechtsstreit 1 Ca 4780/03 Arbeitsgericht
Köln rechtskräftig sei. Der Kläger mache Selbiges noch einmal gerichtlich geltend, was
den Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit bzw. der Rechtskrafterstreckung
begründe.
19
Als die O GmbH veräußert worden sei, habe es sich nicht mehr um eine
Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gehandelt, sondern nur noch um
eine Unternehmensberatungsgesellschaft. Mit der Mandanteninformation habe er nichts
anderes getan, als von ihm gesetzlich und standesrechtlich verlangt worden sei. Es
20
habe in jedem Einzelfall einer neuen Mandatierung bedurft. Er habe nur 6 von
insgesamt 19 früheren Mitarbeitern der O GmbH übernommen. Im Übrigen fänden die
Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Betriebsübergang keine
Anwendung bei der Übertragung einer Steuerberaterpraxis.
Er bestreite die in der Anklageschrift erhobenen Tatvorwürfe. Das vorliegende Verfahren
solle ausgesetzt werden, bis die Hauptverhandlung in der Strafsache stattgefunden
habe.
21
In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 13. Dezember 2005 hat
der Beklagte erklären lassen, im Hinblick auf das Strafverfahren gebe er in der
Verhandlung keine Auskünfte auf Fragen des Gerichts darüber, welche materiellen
Betriebsmittel, welche Mandantenakten und welche Mandantendaten übernommen
worden seien.
22
Der Beklagte beantragt,
23
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 4. März 2005 – 2 Ca
3533/04 – die Klage abzuweisen.
24
Der Kläger beantragt,
25
die Berufung zurückzuweisen.
26
Er hält die Klage für zulässig. Der Betrieb der O GmbH sei von dem Beklagten
übernommen worden. Er habe die Mandanten weiter betreut, und zwar ohne zeitliche
Unterbrechung. Zudem habe er die kompletten Sachmittel übernommen. Bei der O
GmbH seien 11 Arbeitnehmer und 2 Auszubildende fest angestellt gewesen. Die
anderen Beschäftigten seien freie Mitarbeiter gewesen, die gelegentlich Aufträge für die
O GmbH ausgeführt hätten.
27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den
Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen verwiesen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind.
28
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
29
I. Die Berufung ist zulässig.
30
Sie ist nach § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen nach § 66
Abs. 1 S. 1 ArbGG eingelegt und begründet.
31
II. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
32
Der Beklagte ist verpflichtet, den Kläger zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom
15. Oktober 2001 mit der O GmbH und zu dem zuletzt gezahlten Gehalt in Höhe von
EUR 3.936,95 brutto zu beschäftigen.
33
Mit seinem Antrag macht der Kläger geltend, der Beklagte sei nach § 613 a BGB in die
Rechte und Pflichten aus dem zwischen ihm und der O GmbH begründeten
Arbeitsverhältnis eingetreten und dementsprechend verpflichtet, ihn zu beschäftigen.
34
1. Die Beschäftigungsklage ist zulässig.
35
Entgegen der Ansicht des Beklagten steht der Zulässigkeit der Klage nicht die
rechtskräftige Feststellung in dem Kündigungsrechtsstreit entgegen, dass das
Arbeitsverhältnis des Klägers nicht durch die Kündigung der O GmbH vom 20. Juni
2003 beendet worden ist.
36
Der Kläger kann nicht aus dem Titel, der in dem gegen die O GmbH gerichteten
Kündigungsschutzverfahren ergangen ist, den von ihm geltend gemachten Anspruch auf
Beschäftigung gegen den Beklagten vollstrecken.
37
Zum Einen wirkt das Urteil nicht gegen den Beklagten, wenn der behauptete
Betriebsübergang bereits vor der Erhebung der Kündigungsschutzklage erfolgt ist.
38
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts findet § 325 ZPO im Verhältnis zu
der vom Arbeitnehmer als Übernehmer in Anspruch genommenen Person weder
unmittelbare noch entsprechende Anwendung, wenn der behauptete Betriebsübergang
vor Eintritt der Rechtshängigkeit der Kündigungsschutzklage erfolgte (vgl. BAG, Urteil
vom 18. Februar 1999 – 8 AZR 485/97 -; KR-Pfeiffer, 6. Aufl., § 613 a BGB Rnd. 209).
39
Der Kläger macht geltend, bereits zum 1. Juni 2003 und mithin vor Erhebung der Klage
gegen die Kündigung vom 20. Juni 2003 sei der Betriebsübergang von der O GmbH auf
den Beklagten erfolgt.
40
Zum Anderen umfasst die Rechtskraft des in dem Kündigungsrechtsstreits ergangenen
Urteils nicht den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Beschäftigung, da er
einen anderen prozessualen Anspruch darstellt. Gegenstand der
Kündigungsschutzklage ist (nur) die Frage, ob ein Arbeitsverhältnis aus Anlass einer
ganz bestimmten Kündigung aufgelöst worden ist oder nicht.
41
Auch die Rechtskraft der gleichzeitig erfolgten Verurteilung der O GmbH zur Zahlung
von EUR 3.936,95 als rückständige Vergütung umfasst nicht den Anspruch auf
tatsächliche Beschäftigung, den der Kläger zuletzt für die Zeit ab Verkündung des
erstinstanzlichen Urteils am 4. März 2005 geltend gemacht hat.
42
Es bedarf schließlich neben der Beschäftigungsklage keiner zusätzlichen Klage auf
Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt auf den
Beklagten übergegangen ist und mit diesem zu unveränderten Arbeitsbedingungen
fortbesteht. Vielmehr ist der Betriebsübergang als Vorfrage im Beschäftigungsprozess
zu prüfen (vgl. dazu: BAG, Urteil vom 13. Juni 1985 – 2 AZR 410/84 -).
43
2. Die Klage ist auch begründet.
44
Der Kläger hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Beschäftigung, da der
Beklagte nach § 613 a BGB in die Rechte und Pflichten aus dem zwischen dem Kläger
und der O GmbH begründeten Arbeitsverhältnis eingetreten ist.
45
a. Der Kläger hat mit der Übernahme der Steuerberatungs- und
Wirtschaftsprüfungsmandate der O GmbH den Betrieb dieser Arbeitgeberin
übernommen.
46
Es ist zwischen den Parteien nicht streitig, dass die O GmbH in F einen Betrieb
unterhalten hat, also eine abgrenzbare wirtschaftliche Einheit, in der Arbeitnehmer und
Betriebsmittel zur Verfolgung einer arbeitstechnischen Zweckbestimmung
organisatorisch zusammengefasst waren.
47
Dieser Betrieb besteht in seiner bisherigen Identität als wirtschaftliche und
organisatorische Einheit bei dem Beklagten fort.
48
Dies ergibt eine Gesamtabwägung nach den maßgeblichen Kriterien, wobei auch die
Gesichtspunkte des Einzelfalles einbezogen sind. Zu den maßgeblichen Kriterien
gehören nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des
Bundesarbeitsgerichts:
49
die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs,
der Übergang oder Nichtübergang der materiellen Betriebsmittel,
der Wert der immateriellen Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs,
die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft,
der etwaige Übergang der Kundschaft,
der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und nach dem Übergang verrichteten
Tätigkeit und
die Dauer einer evtl. Unterbrechung dieser Tätigkeit.
50
51
Dabei brauchen nicht alle Kriterien erfüllt zu sein, um seinen Betriebsübergang
anzunehmen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Anschluss an
EUGH vom 11.3.97 – RS C-13/95; zuletzt EUGH, Urteil vom 15.12.2005 – C-232/04 und
C 233/04, BAG, Urteil vom 24.5.2005 – 8 AZR 333/04 -).
52
Für die Frage des Vorliegens eines Betriebsübergangs kann sich der Arbeitnehmer auf
den Beweis des ersten Anscheins berufen, wenn er darlegt, dass der in Anspruch
Genommene nach einer Einstellung des Geschäftsbetriebes durch den bisherigen
Inhaber die wesentlichen Betriebsmittel verwendet, um einen gleichartigen
Geschäftsbetrieb zu führen (vgl. BAG, Urteil vom 15.5.85 – 5 AZR 276/84 -; HWK-
Willemsen/Müller-Bonanni, Arbeitsrechtkommentar, § 613 a BGB Rdn. 375).
53
Der Beklagte verrichtet die gleiche Tätigkeit, die zuletzt die O GmbH verrichtet hat.
Aufgrund des Schreibens des Beklagten vom 3. Juli 2003 an die Mandanten der O
GmbH bestehen daran keine Zweifel. Unmissverständlich heißt es in dem Schreiben,
die von der O GmbH ausgeübte Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung werde von dem
Beklagten als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer "übernommen und fortgeführt".
54
Zutreffend hat das Arbeitsgericht Köln darauf hingewiesen, dass ausweislich des
Schreibens vom 3. Juli 2003 eine Unterbrechung der Tätigkeit nicht stattfand. Nachdem
die Zustellungs- und Vertretungsvollmachten zum 30. Juni 2003 zurückgenommen
worden waren, übernahm der Beklagte nahtlos die Mandate und holte dazu die
erforderlichen Vollmachten bei den Mandanten ein.
55
Die Tätigkeit wurde auch in den Geschäftsräumen fortgeführt, in denen die O GmbH
zuletzt die Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungstätigkeit verrichtet hatte. Dies ergibt
sich aus dem Schreiben vom 3. Juli 2003, in dem es heißt, die Büroräume befänden
sich "nach wie vor" in F , E . Mit Schriftsatz vom 6. Juli 2004 hat der Beklagte
ausdrücklich vorgetragen, bis zur Verlegung ihres Sitzes nach B im Anschluss an die
Veräußerung der Geschäftsanteile im Juni 2003 habe die O GmbH ihren Sitz unter
genannten Anschrift gehabt.
56
Ob neben den Büroräumen auch die komplette Büroeinrichtung und sämtliche
Arbeitsmittel übertragen worden sind, kann dahinstehen. Bei Dienstleistungsbetrieben
kann nur begrenzt auf sächliche Betriebsmittel abgestellt werden. Im Mittelpunkt stehen
hier vor allem die immateriellen Betriebsmittel wie der Kundenstamm, die Kundenlisten,
die Geschäftsbeziehungen zu Dritten und das Know-how des Betriebes, die
Fachkenntnisse einzelner Mitarbeiter, die Einführung des Unternehmens am Markt. Die
Ausstattung des Betriebes mit technischen Einrichtungen und Büromaterial tritt in ihrer
Bedeutung zurück. Bei Dienstleistungsunternehmen, die üblicherweise mit ihren
Kunden längerfristige Verträge abschließen, wie z. B. in der Steuerkanzlei
Mandantenverträge, gehören die Beziehungen zu den Kunden zu den wesentlichen
immateriellen Betriebsmitteln. Die Übertragung solcher wesentlichen immateriellen
Betriebsmittel stellt einen Betriebsübergang dar (vgl. LAG Nürnberg, Urteil vom 9.
Dezember 1998 – 4 Sa 1059/97 -; juris).
57
Der Beklagte wollte sämtliche Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsmandate der O
GmbH übernehmen, wenn die Mandanten dem zustimmten. Dies ergibt sich aus dem
Schreiben vom 3. Juli 2003, dass gleichlautend an alle Mandanten der O GmbH
gerichtet war. Ob anschließend auch tatsächlich alle Mandanten die erwünschte
Vertretungsvollmacht erteilt haben oder ob dies – wie der Beklagte in der mündlichen
Verhandlung am 13. Dezember 2005 erklärt hat – insbesondere bei türkischen
Mandanten nicht der Fall war, kann dahinstehen. Nachdem der Kläger vorgetragen
hatte, der Beklagte habe die Mehrzahl der wichtigsten Mandanten übernommen, u. a.
die S -Gruppe als umsatzstärkste Mandantin mit einem Jahresnettoumsatz von etwa
EUR 125.000,00, für deren Auftrag allein 2 Arbeitskräfte eingesetzt worden seien, oblag
es dem Beklagten, im Einzelnen darzulegen, dass er nur eine geringfügige Anzahl der
Mandate mit einem auch nur geringfügigen Umsatzvolumen übernommen hat. Eine
solche Aufstellung über die übernommenen Mandate hat der Beklagte nicht eingereicht.
58
Im Übrigen war der Beklagte auch in der mündlichen Verhandlung vor dem
Berufungsgericht am 13. Dezember 2005 nicht bereit, Auskunft darüber zu geben,
welche materiellen Betriebsmittel, welche Mandantenakten und welche
Mandantendaten übergegangen waren.
59
Für eine Betriebsübernahme spricht auch, dass der Beklagte zumindest einen
erheblichen Teil der früheren Belegschaft der O GmbH übernommen hat, die bei der
Bearbeitung der übernommenen Mandate eingesetzt werden. Dabei kann dahinstehen,
ob es ein Drittel oder mehr der Arbeitnehmer sind, die zuletzt bei der O GmbH als
Arbeitnehmer beschäftigt waren. Der Beklagte nutzt damit die Fachkenntnisse von bei
der O GmbH eingearbeiteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
60
Angesichts dieser Umstände ist von einem Betriebsübergang auszugehen.
61
b. Der Betriebsübergang erfolgte auch rechtsgeschäftlich im Sinne des § 613 a BGB.
62
Das Tatbestandsmerkmal Rechtsgeschäft dient allein der Abgrenzung gegenüber den
Fällen der Gesamtrechtsnachfolge und sollte als Auffangtatbestand keine
Einschränkung des Anwendungsbereiches begründen (vgl. BAG, Urteil vom 6. Februar
1985 – 5 AZR 411/83 -). Der Betriebsübergang muss weder durch ein unmittelbares
Rechtsgeschäft zwischen früheren und neuem Betriebsinhaber noch durch ein
einheitliches, auf den Erwerb des gesamten Betriebes gerichtetes Rechtsgeschäft
vermittelt werden. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Betriebsüberlassung
entgeltlich erfolgte (vgl. BAG, Urteil vom 15. Mai 1985 – 5 AZR 276/84 -).
63
Aus dem Schreiben des Beklagten vom 3. Juli 2004 ergibt sich, dass aufgrund einer
Abrede die O GmbH ihre Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungstätigkeit eingestellt
hat und dem Beklagten damit die Gelegenheit verschafft hat, sie zu übernehmen. Ob der
Beklagte die Abrede zum Einen für sich und zum Anderen als Geschäftsführer für die O
GmbH traf und dabei die O GmbH in strafrechtlich relevanter Weise schädigte und ob
deshalb die Abrede rechtsunwirksam ist, kann dahinstehen. Der Erwerber eines
Betriebes tritt auch dann gemäß § 613 a BGB in die Rechte und Pflichten aus dem im
Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsverhältnisses ein, wenn das
zugrundeliegende Rechtsgeschäft rechtsunwirksam ist (vgl. BAG, Urteil vom 6. Februar
1985 – 5 AZR 411/83 -).
64
c. Aufgrund des Betriebsübergangs ist der Beklagte nach § 611 Abs. 1 S. 1 BGB in die
Rechte und Pflichten des zum Zeitpunkt des Übergangs zwischen dem Kläger und der
O GmbH bestehenden Arbeitsverhältnisses eingetreten, mithin auch in die
Beschäftigungspflicht der Arbeitgeberin.
65
Diese Beschäftigungspflicht besteht auch dann, wenn die Grundsätze des Großes
Senats des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung vom 27. Februar 1985 – GS 1/84
- über den Weiterbeschäftigungsanspruch nach Ausspruch einer fristlosen Kündigung
und nach Ablauf der Kündigungsfrist bei Ausspruch einer ordentlichen Kündigung bei
einem Streit über den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber
entsprechend anzuwenden sind (vgl. dazu: BAG, Urteil vom 13. Juni 1985 – 2 AZR
410/84 -; KR-Etzel, 6. Aufl., § 102 BetrVG Rdn. 273).
66
Nachdem sowohl erstinstanzlich als auch im Berufungsverfahren festgestellt worden ist,
dass der Beklagte als Betriebsübernehmer in das Arbeitsverhältnis eingetreten ist,
überwiegt das Interesse des Klägers an einer Beschäftigung das Interesse des
Beklagten an seiner Nichtbeschäftigung. Zusätzliche Umstände, aus denen sich ein
überwiegendes Interesse des Beklagten an einer Nichtbeschäftigung des Klägers
ergeben könnten, sind nicht vorgetragen worden.
67
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge nach § 97 ZPO zurückzuweisen.
68
Die Revision war nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Die
sich dabei stellenden Rechtsfragen sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung
beantwortet.
69
(Schwartz) (Klüver) (Heider)
70