Urteil des LAG Köln vom 04.05.2004
LArbG Köln: karenzentschädigung, arbeitsmarkt, unterlassen, erwerb, beschränkung, konkurrenz, arbeitsgericht, arbeitskraft, beratung, territorialitätsprinzip
Landesarbeitsgericht Köln, 1 Sa 1240/03
Datum:
04.05.2004
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 Sa 1240/03
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bonn, 3 Ca 478/03
Schlagworte:
Nachvertragliches Wettbewerbsverbot; böswilliges Unterlassen
anderweitigen Erwerbs
Normen:
§ 74 c Abs. 1 HGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Ein in der Rechts- und Steuerabteilung einer
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft angestellter Rechtsanwalt, der einem
nachvertraglichen Wettbewerbsverbot unterliegt, unterlässt während der
Karenzzeit nicht dadurch böswillig anderweitigen Erwerb i. S. d. § 74 c
Abs. 1 HGB, dass er über ein Zweitstudium im Ausland die
Zusatzqualifikation "Master of Law" erwirbt.
Tenor:
1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Bonn vom 18.09.2003 - 3 Ca 478/03 -
wird zurückgewiesen.
2) Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3) Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Der Kläger war laut Anstellungsvertrag vom 06.07.1999 bis zum 31.12.2002 bei der
Beklagten als Mitarbeiter in der Rechts- und Steuerabteilung tätig. Er war, wie von § 1
Nr. 3 des Arbeitsvertrages gefordert, als Rechtsanwalt zugelassen und nach § 8 Nr. 1
des Vertrages berechtigt, neben seiner Beschäftigung bei der Beklagten die anwaltliche
Tätigkeit selbständig auszuüben.
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In § 10 des Arbeitsvertrages hatten die Parteien eine Wettbewerbsklausel vereinbart.
Diese lautet u.a. wie folgt:
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"1. Herr D verpflichtet sich, für die Dauer von zwei Jahren nach Beendigung
des Arbeitsverhältnisses nicht auf dem Gebiet der Steuerberatung in
selbständiger oder unselbständiger Form tätig zu werden. Der örtliche
Geltungsbereich des Verbots erstreckt sich auf das Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland.
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2. Für die Dauer des Verbots zahlt die E GmbH Herrn D als Entschädigung
50 % der zuletzt gewährten vertragsgemäßen Leistungen".
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Seit Beendigung des Arbeitsverhältnisses erwirbt der Kläger durch ein Studium an der
Universität von A /N die Zusatzqualifikation "Master of Law". Nach vergeblicher
Aufforderung, die Karenzentschädigung von monatlich 2.464,58 EUR zu zahlen, hat er
die Beklagte verklagt
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mit den Anträgen, an ihn
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1. 2.464,58 EUR brutto nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem
01.02.2003 zu zahlen,
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2. weitere 2.464,58 EUR brutto nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz
ab dem 01.03.03 sowie weitere 2.464,58 EUR brutto nebst 8 % Zinsen über
dem Basiszinssatz ab dem 01.04.03 zu zahlen,
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3. weitere 2.464,58 EUR brutto nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz
ab dem 01.05.03 sowie weitere 2.464,58 EUR brutto nebst 8 % Zinsen über
dem Basiszinssatz ab dem 01.06.03 zu zahlen.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Kläger habe böswillig
unterlassen, als Rechtsanwalt tätig zu sein, weil das Wettbewerbsverbot nur auf das
Gebiet der Steuerberatung beschränkt sei. Er entziehe sich durch seinen
Auslandsaufenthalt dem Geltungsbereich des Wettbewerbsverbots und stehe dem
deutschen Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung. Im Übrigen erwerbe der Kläger nur
eine nicht notwendige Zusatzqualifikation. Diese mache deutlich, dass er später nicht
vorrangig auf dem Gebiet der Steuerberatung, sondern als Rechtsanwalt tätig sein
wolle.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage bis auf einen Teil der Zinshöhe zugesprochen. Wegen
der Einzelheiten der Entscheidung wird auf Bl. 70 ff d.A. Bezug genommen.
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Gegen das ihr am 14.02.2003 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat die Beklagte am
10.11.2003 Berufung eingelegt, die am 11.12.2003 begründet worden ist. Unter
Wiederholung früheren Vortrags meint sie weiterhin, der Kläger könne als Fachanwalt
für Steuerrecht tätig sein. Er sei bereits ausreichend qualifiziert und betreibe kein
berufsförderndes Studium. Die angestrebte Zusatzqualifikation habe für die
Steuerberatung keine Bedeutung. Halte der Kläger sich nicht in Deutschland auf, fänden
die §§ 74 ff HGB nach dem Territorialitätsprinzip keine Anwendung. Diese Vorschriften
setzten voraus, dass der Kläger in Deutschland studiere und sich nicht dem deutschen
Arbeitsmarkt entziehe.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil und hält die Rechtsauffassung der Beklagten für
unzutreffend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten haben die Parteien auf ihre im zweiten Rechtszug
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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1. Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2
ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1
Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
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2. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Mit Recht hat das
Arbeitsgericht der Klage auf Zahlung der Karenzentschädigung wegen des von den
Parteien vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverbots stattgegeben. Das
Berufungsgericht schließt sich den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß §
69 Abs. 2 ArbGG an und beschränkt sich auf die folgenden Ergänzungen.
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a) Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten ist der Kläger nicht verpflichtet, sich um
eine Tätigkeit als Rechtsanwalt zu bemühen. Das ergibt sich weder aus der
Beschränkung des Wettbewerbsverbots in § 10 Nr. 1 des Arbeitsvertrages auf das
Gebiet der Steuerberatung noch daraus, dass sich der Kläger nach § 74 c Abs. 1 Satz 1
HGB auf die Karenzentschädigung anrechnen lassen muss, was er durch anderweitige
Verwertung seiner Arbeitskraft zu erwerben böswillig unterlässt. Beide Gesichtspunkte -
einerseits Beschränkung des Wettbewerbsverbots, andererseits böswilliges
Unterlassen anderweitigen Erwerbs - können nicht getrennt voneinander gesehen
werden. In beiden Fällen kommt es darauf an, was dem Kläger an sonstiger Tätigkeit
zugemutet werden kann. Bei der Prüfung des böswilligen Unterlassens anderweitigen
Erwerbs liegt dies auf der Hand. Aber auch bei der Erörterung des Umfangs eines
Wettbewerbsverbots kann dies nicht anders sein. Jedes Wettbewerbsverbot lässt, will
es wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG nicht verfassungswidrig sein,
irgendwelche Beschäftigungsmöglichkeiten offen. Wäre allein die darauf gegründete
"Verweisungsmöglichkeit" ausschlaggebend, würde gerade bei Juristen angesichts
ihrer breiten Berufspalette die Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots kaum noch Sinn
machen. Entscheidend ist vielmehr, ob das Wettbewerbsverbot so beschränkt ist, dass
der davon betroffene Arbeitnehmer seine Arbeitskraft angesichts seiner bisherigen
Tätigkeit auf anderen Berufsfeldern noch in zumutbarer Weise verwerten kann.
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b) Die Beschränkung des Wettbewerbsverbots auf die Steuerberatung lässt insoweit
nicht genügend Spielraum. Der Kläger war bei der Beklagten nach § 1 Nr. 1 des
Arbeitsvertrages als Mitarbeiter in der "Rechts- und Steuerabteilung" beschäftigt. Schon
das zeigt deutlich die Vermischung von Rechts- und Steuerberatung, wobei, da es sich
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bei der Beklagten um eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft handelt, das Schwergewicht
auf der steuerlichen bzw. steuerrechtlichen Beratung lag. Der Kläger war von seinem
Tätigkeitsfeld her Steuerexperte im umfassenden Sinn. Ihm war nicht zuzumuten, sich
auf dem Arbeitsmarkt für Rechtsanwälte, der gerade nach den Aussagen der
organisierten Anwaltschaft überfüllt sein soll, eine ungewisse anwaltliche Tätigkeit
außerhalb seines Fachgebiets zu suchen oder bei jeder anwaltlichen Beratung die
kaum zu lösende Differenzierung zwischen (unerlaubter) "Steuerberatung" und
(erlaubter) "Steuerrechtsberatung" vorzunehmen.
c) Der Kläger hat durch das Ergreifen eines Zweitstudiums bzw. den Erwerb einer
Zusatzqualifikation - dazwischen wie die Beklagte zu unterscheiden, ist ein nicht
nachvollziehbarer Streit um Worte - nicht böswillig im Sinne des § 74 c Abs. 1 Satz 1
HGB unterlassen, seine Arbeitskraft anderweitig zu verwerten. Ihm kann nicht
vorgeworfen werden, er habe wegen dieses Studiums von zumutbarem Erwerb von
Arbeitseinkommen abgesehen.
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Zwar ist richtig, dass das Bundesarbeitsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung bei
der Prüfung, ob die Aufnahme eines Studiums während der Karenzzeit "böswillig" ist,
auf den Einzelfall abstellt. Es hat allerdings - was die Beklagte übersieht - offen
gelassen, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist oder ob nicht bei einem
Studium die Einwendung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 HGB grundsätzlich a u s s c h e i d e t
(Urteil vom 13.02.1996 - 9 AZR 931/04 -, EzA § 74 HGB Nr. 58, unter III 1 und 2 der
Gründe). Selbst wenn man aber an der bisherigen Rechtsprechung festhält, ist daraus
nichts zugunsten der Beklagten herzuleiten. Die Entscheidung aus dem Jahre 1996
nimmt ausdrücklich Bezug auf frühere Urteile, wonach ein berufsförderndes Studium in
der Regel kein böswilliges Auslassen anderweitigen Erwerbs im Sinne des § 74 c Abs.
1 Satz 1 HGB darstellt. Schädlich sei insoweit lediglich, wenn ein schulisch
Minderbegabter studiere oder ein studium generale oder ein sinn- und planloses
Studium betreibe (BAG vom 08.02.1974 - 3 AZR 519/73 - und 09.08.1974 - 3 AZR
350/73 -, EzA § 74 c HGB Nr. 12 und 14). Selbst ein Studium für einen Berufswechsel
(Betriebswirt studiert im Zweitstudium Politologie, Philosophie und Geschichte) hat das
Bundesarbeitsgericht nicht von vornherein für schädlich gehalten (BAG vom 13.02.1996,
aaO). Nach alledem kann nicht der geringste Zweifel daran bestehen, dass der Erwerb
des "Master of Law", der für einen Juristen - wie allseits bekannt ist - eine sinnvolle
Ausbildungsergänzung darstellt, nicht als böswilliges Unterlassen anderweitigen
Erwerbs anzusehen ist. Dabei ist entgegen der Auffassung der Beklagten
unmaßgeblich, ob die Zusatzausbildung "notwendig" ist. Weder stellt das Gesetz oder
die Rechtsprechung darauf ab noch ist es "böswillig", ein sinnvolles, aber nicht
unbedingt notwendiges Studium zu ergreifen.
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d) Die sonstigen Einwände der Beklagten sind ebenfalls unzutreffend. Die von ihr selbst
aufgestellte Prämisse, der Kläger müsse dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung
stehen oder er dürfe nicht im Ausland studieren, ergibt sich an keiner Stelle aus dem
Gesetz. Voraussetzung für die Karenzentschädigung ist allein, dass der Angestellte
keine Konkurrenz betreibt. Dem Arbeitgeber hat gleichgültig zu sein, aus welchem
Grund sich der Arbeitnehmer sich der Konkurrenz enthält (ständ. Rspr., BAG vom
13.02.1996, aaO). Der Anspruch auf Karenzentschädigung entfällt sogar nicht dadurch,
dass sich ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis mit Vollendung des 63.
Lebensjahres endet, aus Altersgründen aus dem Arbeitsleben zurückzieht (BAG vom
03.07.1990 - 3 AZR 96/89 -, EzA § 74 c HGB Nr. 29). Gerade der letzte Fall zeigt, dass
erst recht der Kläger, der nach berufsfördernder Zusatzausbildung ins Arbeitsleben
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zurückkehren will, den Anspruch auf Karenzentschädigung behält.
Was die Beklagte darüber hinaus mit dem Berufen auf das "Territorialitätsprinzip" zur
Sachentscheidung beitragen will, ist nicht erkennbar. Der Kläger darf der Beklagten
lediglich im "Territorium" der Bundesrepublik Deutschland keine Konkurrenz machen.
Daran hält er sich.
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e) Abschließend ist der Beklagten entgegenzuhalten, dass sie nichts zur weiteren
Voraussetzung der §§ 74 c Abs. 1 Satz 1, 2 HGB vorgetragen hat, nämlich dass die
Karenzentschädigung unter Hinzuziehung des unterlassenen Verdienstes die zuletzt
vom Kläger bezogenen vertragsmäßigen Leistungen um mehr als ein Zehntel, bei
Wohnsitzwechsel um mehr als ein Viertel übersteigen würde (vgl. dazu BAG vom
13.02.1996 unter III 2 der Gründe). Bei dem angeblich gesättigten Arbeitsmarkt für
Rechtsanwälte, deren Berufsfeld wie beim Kläger zudem eingeschränkt ist, kann von
den geforderten Einkünften nicht ohne weiteres ausgegangen werden.
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3. Da die Beklagte das Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt hat, muss sie nach §§ 64
Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 97 ZPO die Kosten der Berufung tragen.
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Die Revision war nicht nach § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, weil die Entscheidung auf
den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht und die angesprochenen
Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt sind.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
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Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Auf die Möglichkeit der
Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird verwiesen.
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(Dr. Isenhardt) (Willner) (Paffrath)
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