Urteil des LAG Köln vom 16.06.2006

LArbG Köln: ablauf der frist, anspruch auf beschäftigung, überwiegendes interesse, mensch, lehrstuhl, physik, anschlussberufung, universität, techniker, arbeitsgericht

Landesarbeitsgericht Köln, 12 Sa 168/06
Datum:
16.06.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 Sa 168/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 8 Ca 6643/04
Schlagworte:
Sonderkündigungsschutz nach der Novelle des SGB IX
Normen:
§§ 85, 90 Abs. 2 a SGB IX
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung eines
schwerbehinderten Menschen ist auch dann erforderlich, wenn die
Feststellung der Schwerbehinderung nach zunächst erfolglosem Antrag
erst im Widerspruchsverfahren oder auf Klage hin rückwirkend auf den
Zeitpunkt der Antragstellung erfolgt. § 90 Abs. 2 a SGB IX hat auch ab
01.05.2004 nichts an der einschlägigen Rechtsprechung des BAG
geändert.
Tenor:
1) Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Köln vom 01.12.2005 – 8 Ca 6643/04 – wird
zurückgewiesen.
2) Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 01.12.2005 – 8 Ca 6643/04 – teilweise abgeändert:
Das beklagte Land wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten
Bedingungen auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 22.03.2000
als Techniker "sonstiger Angestellter" bei der Universität in K, Lehrstuhl
für angewandte Physik, mit einer regelmäßigen Arbeitszeit eines
vollbeschäftigten Angestellten Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 1 Teil II
L I BAT weiterzubeschäftigen.
3) Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land.
4) Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
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Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristgerechten arbeitgeberseitigen
Kündigung und um Weiterbeschäftigung.
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Der am 22.09.1956 geborene Kläger ist seit 02.05.2000 beim beklagten Land
beschäftigt, er ist als Techniker am Lehrstuhl für angewandte Physik der Universität K
tätig. Im Jahre 2001 war er an 207 Tagen, 2002 an 228 Tagen, 2003 an 150 Tagen und
2004 bis 09.06.2004 an 43 Tagen arbeitsunfähig krank. Der Kläger ist an Hepatitis C
erkrankt.
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Am 16.01.2004 hatte er beim Versorgungsamt K die Feststellung der
Schwerbehinderung beantragt, durch Bescheid vom 17.03.2004 wurde eine GdB von 30
zuerkannt, wogegen der Kläger am 13.04.2004 Widerspruch einlegte. Auf diesen hin
erliess das Versorgungsamt Köln den Abhilfebescheid vom 09.08.2004, wonach ab
16.01.2004 eine GdB von 50 vorliegt.
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In der Zwischenzeit hatte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom
22.06. aus krankheitsbedingten Gründen zum 30.09.2004 gekündigt. Gegen die
Wirksamkeit dieser Kündigung wendet der Kläger sich im vorliegenden Rechtsstreit. Er
hat geltend gemacht, der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß zur Kündigung beteiligt
worden. Es lägen auch keine hinreichenden Kündigungsgründe vor. Zwar sei er in der
Vergangenheit länger arbeitsunfähig krank gewesen, für die Zukunft eine sich daraus
ergebende negative Prognose jedoch angesichts seiner gesundheitlichen Entwicklung
nicht gerechtfertigt. Der Kläger rügt außerdem, die Kündigung sei unwirksam, weil sie
ohne Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen worden sei. Er sei nämlich
bereits bei Kündigungsausspruch ein schwerbehinderter Mensch gewesen, wie durch
Bescheid vom 09.08.2004 festgestellt worden sei. Auch nach Änderung des
Schwerbehindertenrechtes mit Wirkung zum 01.05.2004 bedürfe es in Fällen wie dem
vorliegenden der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Die in § 90 Abs. 2 a)
SGB IX vorgesehene Einschränkung des Sonderkündigungsschutzes, wonach dieser
nicht greife, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter
Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des §
69 Abs. 1 S. 2 eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte, greife
nicht. Die Gesetzesänderung gelte nur für diejenigen Betroffenen, die ihren Antrag nach
dem 01.05.2004 gestellt hätten. Sonst würde das Gesetz in unzulässiger Weise
zurückwirken.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien seit Mai 2000 bestehende
Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 12.06.2004 nicht aufgelöst ist,
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2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über die letzte
mündliche Verhandlung hinaus ungekündigt fortbesteht,
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3. das beklagte Land zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen auf der
Grundlage des Arbeitsvertrages vom 22.03.2000 als Techniker "sonstiger Angestellter"
bei der Universität zu K , Lehrstuhl für angewandte Physik, mit der regelmäßigen
wöchentlichen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Angestellten, Vergütungsgruppe Vc
Fallgruppe 1 Teil II/L/I BAT, weiterzubeschäftigen.
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Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht: die Kündigung
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sei wirksam. Sie sei wegen langanhaltender Krankheit des Klägers, die eine negative
Prognose auch für die Zukunft indiziere, gerechtfertigt, zumal die Fehlzeiten erhebliche
betriebliche Auswirkungen gehabt hätten. Ein sinnvoller/effektiver Einsatz des Klägers
sei nicht möglich.
Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Er habe am 22.06.2004 seine
Zustimmung erklärt, woraufhin die Kündigung ausgesprochen worden sei.
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Die Zustimmung des Integrationsamtes sei zur Wirksamkeit der Kündigung nicht
erforderlich gewesen, wie sich aus der Regelung des § 90 Abs. 2 a) SGB IX in der ab
01.05.2004 geltenden Fassung ergebe. Danach komme es nunmehr für die Wirksamkeit
der Kündigung nicht darauf an, dass die Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der
Kündigung bereits objektiv vorlag und das Versorgungsamt dem Anerkennungsantrag
später stattgab. Vielmehr stelle die neue Regelung einzig auf den förmlichen Nachweis
der Schwerbehindertenstellung ab. Dieser habe bei Ausspruch der Kündigung am
22.06.2004 nicht vorgelegen. Der Kläger trage auch nicht vor, dass das Versorgungsamt
eine Feststellung nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 S. 2 SGB IX wegen fehlender
Mitwirkung nicht treffen konnte.
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Durch Urteil vom 01.12.2005 hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage
stattgegeben und den Weiterbeschäftigungsanspruch abgewiesen. Zur Begründung hat
es im Wesentlichen ausgeführt:
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Der Kläger unterfalle als schwerbehinderter Mensch dem besonderen Schutz aus
Kapitel IV des SGB IX (§§ 85 – 92). Die danach erforderliche Zustimmung des
Integrationsamtes zur Kündigung vom 22.06.2004 liege nicht vor, deshalb sei diese
unwirksam. Der zum 01.05.2004 mit § 90 Abs. 2 a) SGB IX eingeführte Ausschluss vom
Sonderkündigungsschutz greife bei dem hier zur Entscheidung stehenden Sachverhalt
nicht. Für die vom Kläger geltend gemachte Weiterbeschäftigung fehle es an einer
Anspruchsgrundlage.
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Wegen des weiteren Inhaltes des erstinstanzlichen Urteils wird auf Blatt 89 bis 97 der
Akten Bezug genommen.
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Gegen das ihm am 25.01.2006 zugestellte Urteil hat das beklagte Land am 14.02.2006
Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis 25.04.2006 am 25.04.2006
begründet.
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Das beklagte Land verbleibt dabei, dass nach der ab 01.05.2004 geltenden Regelung
des § 90 Abs. 2 a) SGB IX die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes zur
Kündigung nicht erforderlich gewesen sei. Da der Gesetzgeber keine
Übergangsregelung geschaffen habe, sei auf die Gesetzeslage zurzeit des Zuganges
der Kündigung abzustellen. Danach gelte: werde der Antrag auf Anerkennung als
schwerbehinderter Mensch durch das Versorgungsamt abschlägig beschieden, wie hier
mit Bescheid vom 17.03.2004 geschehen, scheide Sonderkündigungsschutz nach dem
Schwerbehindertenrecht aus. Dies gelte nach herrschender Meinung auch dann, wenn
zu einem späteren Zeitpunkt auf Widerspruch bzw. Klage des Antragstellers hin seine
Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (rückwirkend) anerkannt werde. Dies folge
aus dem klaren Wortlaut des § 90 Abs. 2 a 2. Alternative SGB IX, der sich eindeutig nur
auf das Erstverfahren vor dem Versorgungsamt bis zu dessen Abschluss beziehe. In
allen anderen Fällen, also auch bei Widerspruch und Klage gegen Entscheidungen des
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Versorgungsamtes, komme der Grundsatz des § 90 Abs. 2 a) 1. Alternative SGB IX zum
Tragen, wonach Sonderkündigungsschutz mangels Nachweises des
Schwerbehinderteneigenschaft nicht bestehe.
Im Übrigen werde rein vorsorglich die ordnungsgemäße Mitwirkung des Klägers
hinsichtlich seines Widerspruches mit Nichtwissen bestritten. Die in § 69 Abs. 1 S. 2
SGB IX bestimmte Drei- bzw. Sieben-Wochenfrist sei zum Zeitpunkt des Zuganges der
streitgegenständlichen Kündigung am 24.06.2004 längst ohne Entscheidung des
Versorgungsamtes abgelaufen gewesen. Im Rahmen der allgemeinen Grundsätze zur
abgestuften Darlegungs- und Beweislast sei das Streiten des beklagten Landes mit
Nichtwissen hinsichtlich der Mitwirkungspflichten des Klägers zulässig. Dieser möge
daher gegebenenfalls darlegen und beweisen, dass es trotz ordnungsgemäßer
Mitwirkung von seiner Seite aus nicht gelungen sei, eine Entscheidung des
Versorgungsamtes innerhalb der vorgesehenen Frist herbeizuführen.
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Im Übrigen sei die Kündigung, so macht das beklagte Land weiter geltend, aus
krankheitsbedingten Gründen gerechtfertigt. Der Personalrat sei ordnungsgemäß gehört
worden. Soweit das Arbeitsgericht dem Weiterbeschäftigungsanspruch nicht
stattgegeben habe, tritt das beklagte Land dem angefochtenen Urteil bei.
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Das beklagte Land beantragt,
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1. unter teilweise Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage kostenpflichtig
abzuweisen;
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2. die Berufung des Klägers, Berufungsbeklagten und Anschlussberufungsklägers
kostenpflichtig zurückzuweisen.
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Der Kläger, der Anschlussberufung eingelegt hat, beantragt,
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1. die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen.
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2. das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 01.12.2005 – 8 Ca 6643/04 – abzuändern
und die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen auf der
Grundlage des Arbeitsvertrages vom 22.03.2000 als Techniker "sonstiger Angestellter"
bei der Universität zu Köln, Lehrstuhl für angewandte Physik, mit der regelmäßigen
wöchentlichen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Angestellten, zuletzt der
Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 1 Teil II/L/I BAT, weiter zu beschäftigen.
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Der Kläger verfolgt im Wege der Anschlussberufung seinen Weiterbeschäftigungsantrag
weiter und weist auf die diesbezügliche Rechtsprechung des großen Senates des
Bundesarbeitsgerichts hin. Im Übrigen verteidigt er das angefochtene Urteil, soweit dies
der Kündigungsschutzklage stattgeben hat.
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Wegen das erst- und zweitinstanzlichen Vortrages der Parteien im Übrigen und im
Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten
Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Berufung des beklagten Landes hat in der Sache keinen Erfolg. Das
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Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 22.06. nicht wirksam zum
30.09.2004 beendet worden. Das Arbeitsverhältnis besteht weiter, sodass der Kläger
nach den vom großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen
Anspruch auf Beschäftigung entsprechend dem Arbeitsvertrag hat, der
Anschlussberufung des Klägers ist daher statt zu geben.
I. Die Kündigung vom 22.06.2004 ist wegen fehlender Zustimmung des
Integrationsamtes unwirksam (§§ 85 SGB IX, 134 BGB).
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1. Bei Ausspruch der Kündigung gehörte der Kläger bereits zum Kreis der
schwerbehinderten Menschen (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Dies steht aufgrund des Bescheides
des Versorgungsamtes K vom 09.08.2004 fest, wonach ab 16.01.2004 eine GdB von 50
vorliegt. Dass dieser Bescheid erst nach Zugang der Kündigung erging, ändert am
Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes zugunsten des Klägers nichts, da dieser
sich auf ihn unter Mitteilung des relevanten Sachverhaltes innerhalb eines Monats nach
Zugang der Kündigung berufen hat. Dies entsprach bislang gefestigter Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 19.07.1979 – 2 AZR 469/78 – AP Nr. 5 zu §
12 Schwerbehindertengesetz, KR-Etzel, 7. Auflage, Rdnr. 17, 18 zu §§ 85 – 90 SGB IX).
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2. An dieser Rechtslage hat sich durch den ab 01.05.2004 eingefügten § 90 Abs. 2 a)
SGB IX nichts geändert.
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a) Teilweise wird zwar die Ansicht vertreten, schon nach dem Wortlaut der Vorschrift sei
diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erledigt (Neumann-Pahlen-Majerski-
Pahlen, SGB IX, 11. Auflage, Rdnr. 23 zu § 90). Ein Teil des Schrifttums geht nicht
soweit, ist aber ebenfalls unter Abstellen auf den Wortlaut der Meinung, dass in Fällen
wie dem vorliegenden, nämlich wenn der Antrag auf Feststellung der
Schwerbehinderteneigenschaft bei Zugang der Kündigung bereits abschlägig
beschieden war, der Sonderkündigungsschutz ausscheide; dies selbst dann, wenn zu
einem späteren Zeitpunkt auf Widerspruch oder Klage hin die Eigenschaft als
schwerbehinderter Mensch rückwirkend festgestellt wird (Grimm/Brock/Windeln, DB 05,
282, 284; Schlewing, NZA 05, 1218, 1221 mit weitern Nachweisen zum Streitstand).
Das Gesetz stelle auch in § 90 Abs. 2 a) 2. Alternative SGB IX auf den positiven
Bescheid des Versorgungsamtes als Erstbescheid ab, ansonsten ergebe sich bei der
zweiten Alternative eine gegenüber der ersten Alternative unberechtigte Privilegierung.
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b) Auch diese eher vermittelnde Ansicht ist jedoch auf Widerspruch gestoßen.
Rolfs/Barg (BB 05, 1678, 1680, 1682) stellen entscheidend auf das objektive Vorliegen
der Schwerbehinderung ab, und sind der Meinung, der Fall dass ein Arbeitnehmer nach
zunächst erfolglosem Anerkennungsantrag – wie hier – im Widerspruchsverfahren
Erfolg hat, sei gesetzlich nicht geregelt, an der bisherigen Rechtslage habe sich daher
nichts geändert.
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c) Das Landesarbeitsgericht tritt dieser Rechtsansicht bei. Sie ergibt sich aus dem
Gesetzeszweck. Dieser geht dahin, Missbräuche zu bekämpfen, die darin liegen, noch
kurz vor der Kündigung ein in der Regel aussichtloses Anerkennungsverfahren zu
betreiben, um so eine bessere prozessuale Position zu erreichen (BT-Drucksache
15/2357, Seite 24; Rolfs/Barg, DB 05, 1678, Schlewing, NZA 05, 1218, 1221, Däubler,
AIB 05, 387, 394). Dagegen sollte dem redlichen Antragsteller für die Dauer des
Feststellungsverfahrens beim Versorgungsamt der besondere Kündigungsschutz nicht
entzogen werden (Düwell, BB 04, 2811, 2812). Bei dem so definierten Gesetzeszweck
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kann der Ausschlusstatbestand des § 90 Abs. 2 a) SGB IX im vorliegenden Fall nicht
greifen. Der Kläger hat nämlich seinen Antrag frühzeitig, bereits am 16.01.2004, gestellt.
Bei sachgerechter Verfahrensweise des Versorgungsamtes, nämlich Einholung eines
Gutachtens, hätte die Schwerbehinderung noch vor Ausspruch der Kündigung
festgestellt werden können und müssen, wobei nach § 69 Abs. 1 S. 2. in Verbindung mit
§ 14 Abs. 2 S. 2 und Abs. 5 S. 2, 5 eine Frist von sieben Wochen maßgebend ist
(Grimm/ Brock/Windeln, DB 05, 282, 283; Rolfs, Barth, BB 05, 1678, 1681, 1682). In
einem solchen Fall bleibt der Sonderkündigungsschutz bestehen (Rolfs/Barg, BB 05,
1678, 1682), also auch hier. Die vorgenannte Siebenwochenfrist lief am 05.03.2004 ab,
und damit deutlich vor Ausspruch der Kündigung vom 22.06.2004.
d) Soweit das beklagte Land einwendet, die Frist habe wegen fehlender Mitwirkung des
Klägers nicht eingehalten werden können, ist sein Einwand unerheblich. Es fehlt für
dessen Berechtigung an jedem auch nur ansatzweise substanziierten Vortrag. Dieser
wäre erforderlich und dem beklagten Land auch möglich gewesen; denn das
Arbeitsgericht hat die Akte des Versorgungsamtes K beigezogen und sie dem beklagten
Land zur Einsicht überlassen. Diesem war also der Gang des Verfahrens bekannt,
sodass es zum Verhalten des Klägers substanziiert vortragen konnte. Dies ist nicht
geschehen. Dementsprechend muss der Vortrag des Klägers, dass er die Verzögerung
nicht verschuldet habe, als zugestanden angesehen werden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Aus
diesem Grunde kann dahinstehen, wer für den Einwand des fehlenden oder
unzureichenden Mitwirkens des Antragstellers darlegungs- und beweisbelastet ist (nach
überwiegender Ansicht wohl der Arbeitgeber (Grimm/Brock/Windeln DB 05, 282, 283;
Rolfs/Barg BB 05, 1678, 1681, Anders/Schlewing, NZA 05, 1218, 1222, 1223)).
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3. Da die Kündigung bereits wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamtes
unwirksam ist, kann dahin gestellt bleiben, ob ein personenbedingter Kündigungsgrund
im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG vorlag oder der Personalrat ordnungsgemäß beteiligt
worden ist.
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II. Die vom Kläger eingelegt Anschlussberufung ist zulässig und begründet. Dem Kläger
steht der geltend gemachte Weiterbeschäftigungsanspruch zu.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Großer Senat Beschluss vom
27.02.1985 – GS 1/84 – AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) hat der
gekündigte Arbeitnehmer einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße
Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Kündigungsschutzprozesses, wenn die Kündigung für unwirksam erklärt
wurde, wie dies hier der Fall ist. Eine Beschäftigungspflicht entfällt nur dann, wenn
zusätzliche Umstände gegeben sind, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes
Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen. Für einen
solchen Ausnahmetatbestand liegen hier hinreichende Gesichtspunkte nicht vor.
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Das Landesarbeitsgericht folgt dieser als feststehend anzusehenden Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts allein schon aus Gründen der Rechtssicherheit und um die
Rechtsprechung für die Rechtsunterworfenen kalkulierbar zu machen.
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Der Kläger ist nach seinem nicht wiederlegten Vortrag auch arbeitsfähig, sodass alle
Voraussetzungen für die Begründetheit des geltend gemachten
Beschäftigungsanspruchs vorliegen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Revision wurde gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen wegen der
grundsätzlichen Bedeutung der Sache (Auslegung des § 90 Abs. 2 a) SGB IX).
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g :
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Gegen dieses Urteil kann von
45
R E V I S I O N
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eingelegt werden.
47
Die Revision muss
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innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
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schriftlich beim
50
Bundesarbeitsgericht
51
Hugo-Preuß-Platz 1
52
99084 Erfurt
53
Fax: (0361) 2636 - 2000
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eingelegt werden.
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Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
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Die Revisionsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen
Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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(Dr. Leisten) (Müller) (Fomferek)
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