Urteil des LAG Köln vom 03.12.2009

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Landesarbeitsgericht Köln, 13 Sa 949/09
Datum:
03.12.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 Sa 949/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 12 Ca 469/09
Schlagworte:
Erhöhung der Arbeitszeit
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Einzelfall eines Antrags auf Erhöhung der Arbeitszeit (von 75 % auf 100
%) eines Flugzeugkapitäns.
Tenor:
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts vom
25.06.2009 – 12 Ca 469/09 – abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, der Erhöhung der Arbeitszeit des Klägers
von derzeit 75 % auf eine tarifliche Vollzeitstelle ab dem 01.01.2009
zuzustimmen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über eine Erhöhung der Arbeitszeit des Klägers von 75 % auf 100
%.
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Der Kläger ist seit dem 05.05.1990 bei der Beklagten, die ein Linienflugunternehmen
betreibt, als Flugzeugführer (Kapitän) beschäftigt. Die bei der Beklagten geltenden
tarifvertraglichen Bestimmungen finden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das
Arbeitsverhältnis Anwendung. Die Parteien schlossen am 15.11.2007 einen
unbefristeten Teilzeitvertrag über 75 % der tariflichen Vollarbeitszeit. Im August 2008
begehrte der Kläger die unbefristete Aufstockung seiner Arbeitszeit auf 100 %. Mit
Schreiben vom 27.10.2008 lehnte
Wechsel in ein unbefristetes Vollarbeitsverhältnis "aus betrieblichen Gründen" wegen
"der derzeit ungewissen Flottenentwicklung und der damit zusammenhängenden
Auswirkungen auf unsere Personalkapazitäten" ab. Zugleich bot sie dem Kläger an,
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befristet für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2009 Vollzeit zu fliegen. Der Kläger
unterschrieb die diesem Schreiben beigefügte Vereinbarung nicht. Seit dem 01.01.2009
fliegt er als Kapitän in Vollzeit für die Beklagte. Das Arbeitsgericht hat die auf
Zustimmung der Erhöhung seiner Arbeitszeit von derzeit 75 % auf eine tarifliche
Vollzeitstelle ab dem 01.01.2009 gerichtete Klage abgewiesen. Auf das Urteil (Bl. 75 bis
82 d. A.) wird verwiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des
Klägers, der weiter der Auffassung ist, die Voraussetzungen einer Aufstockung seiner
Arbeitszeit nach § 9 TzBfG, seien erfüllt. Seine Beschäftigung auf einem
Vollzeitarbeitsplatz seit dem 01.01.2009 zeige, dass ein freier Arbeitsplatz vorhanden
sei. Die Befristung des Vollzeitarbeitsverhältnisses sei unzulässig, da sie ihn
unangemessen benachteilige.
Der Kläger beantragt,
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das Urteil abzuändern und nach seinem erstinstanzlichen Schlussantrag zu
erkennen.
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Mit Schriftsatz vom 25.11.2009 beantragt der Kläger darüber hinaus hilfsweise,
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festzustellen, dass zwischen den Parteien über den 31.12.2009 hinaus ein
unbefristetes Arbeitsverhältnis mit einer Arbeitsverpflichtung in Höhe der
tariflichen Vollzeitarbeitszeit besteht.
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Hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, der Erhöhung der Arbeitszeit des
Klägers von 75 % auf eine tarifliche Vollzeitstelle ab 01.01.2010 zuzustimmen.
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Dazu trägt der Kläger vor: Er habe notgedrungen im Oktober 2009 erneut einen Antrag
auf unbefristete Erhöhung der Arbeitszeit ab dem 01.01.2010 gestellt. Dieser sei von der
Beklagten mit Schreiben vom 12.10.2009 abgelehnt worden. Am 09.10.2009 habe die
Beklagte jedoch insgesamt vier Vollzeitkapitänsstellen für die A -F intern
ausgeschrieben.
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Die Beklagte beantragt die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und vertritt weiter die Auffassung, aus der
vollen Beschäftigung des Klägers seit dem 01.01.2009 ergebe sich nicht, dass die
Beklagte einen freien Arbeitsplatz habe besetzen wollen. Die Befristungskontrolle
scheitere bereits daran, dass zwischen den Parteien kein befristeter Arbeitsvertrag
zustande gekommen sei. In der mündlichen Verhandlung erklärt die Beklagte zu den
vom Kläger mit Schriftsatz vom 25.11.2009 vorgetragenen internen
Stellenausschreibungen, dass es sich dabei lediglich um Versetzungen, nicht jedoch
um freie Arbeitsplätze handele. Im Übrigen hat
vom 25.11.2009 in der mündlichen Verhandlung Schriftsatznachlass beantragt.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des
angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die
eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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I. Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die Klage ist mit dem
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Hauptantrag begründet. Der Rechtsstreit war entscheidungsreif, da es auf den
Klägerschriftsatz vom 25.11.2009 für die Entscheidung nicht ankommt.
1. Die Beklagte ist verpflichtet, der vom Kläger begehrten Erhöhung seiner Arbeitszeit
von 75 % auf eine tarifliche Vollzeitstelle ab dem 01.01.2009 zuzustimmen. Der
Anspruch des Klägers auf Verlängerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit
ergibt sich aus § 9 TzBfG.
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a. Nach § 9 TzBfG hat der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, der ihm
den Wunsch nach einer Verlängerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit
angezeigt hat, bei der Besetzung eines entsprechenden freien Arbeitsplatzes bei
gleicher Eignung bevorzugt zu berücksichtigen, es sei denn, dass dringende
betriebliche Gründe oder Arbeitszeitwünsche anderer Teilzeitbeschäftigter
Arbeitnehmer entgegenstehen.
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b. § 9 TzBfG gewährt einen Rechtsanspruch auf eine verlängerte Arbeitszeit (vgl. dazu
BAG 15.08.2006 – 9 AZR 8/06). Der Arbeitgeber muss danach ein verfügbares
Zeitkontingent grundsätzlich einem Teilzeitarbeitnehmer mit einem fortbestehenden
Grundarbeitsverhältnis antragen, wenn dieser die unbefristete Erhöhung seiner
Grundarbeitszeit geltend gemacht hat. Voraussetzung für einen Anspruch auf Erhöhung
der Arbeitszeit nach § 9 TzBfG ist stets das Vorhandensein verfügbarer
Beschäftigungskapazitäten ("freier Arbeitsplatz"). Dabei unterliegt es der
unternehmerischen Entscheidung, ob der Arbeitgeber Aufgaben durch freie Mitarbeiter
oder durch Arbeitnehmer erfüllen lässt, sofern er sich dabei durch plausible
wirtschaftliche oder unternehmenspolitische Überlegungen leiten lässt (BAG 02.09.2009
– 7 AZR 233/08).
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c. Die allgemeinen Voraussetzungen des Erhöhungsanspruchs sind erfüllt,
insbesondere gehört der Kläger als Teilzeitbeschäftigter (75 %) zum Kreis der
Anspruchsberechtigten. Er hat seinen Verlängerungswunsch auf 100 % gegenüber der
Beklagten im August 2008 angezeigt. Zu Recht hat das Arbeitsgericht darüber hinaus
festgestellt, dass der Anspruch des Klägers nicht an der Frist des § 8 Abs. 6 TzBfG
scheitert und auch nicht wegen §§ 5 Abs. 1 Satz 1, 2, 3 Abs. 4 BV TZ ausscheidet. Auf
die zutreffende Begründung wird in vollem Umfang Bezug genommen.
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d. Bei der Beklagten war am 01.01.2009 auch ein entsprechender freier Arbeitsplatz
vorhanden.
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aa. Tatbestandsvoraussetzung des § 9 TzBfG ist über den Wortlaut hinaus, dass ein
aktuell zu besetzender freier Arbeitsplatz vorhanden ist. Denn aus der Systematik des
Gesetzes ergibt sich das Erfordernis eines eingerichteten Arbeitsplatzes. Der
Arbeitgeber als der für das unternehmerische Risiko Verantwortliche, ist berechtigt, den
Betrieb nach seinen Vorstellungen zu organisieren. Dazu gehört grundsätzlich auch die
Entscheidung, mit welcher Zahl von Arbeitnehmern auf welchen Arbeitsplätzen das
Arbeitsvolumen erledigt werden soll (BAG 15.08.2006 – 9 AZR 8/06).
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bb. Ein solcher freier und nach dem Willen der Beklagten zu besetzender Arbeitsplatz
war vorhanden. Denn die Beklagte hat den Kläger ab dem 01.01.2009 auf einem
Vollzeitarbeitsplatz eingesetzt. Die Beklagte wollte mit dem Kläger über seine
Vollzeitbeschäftigung auch einen Arbeitsvertrag abschließen, wie sich aus ihrem
Schreiben vom 27.10.2008 ergibt.
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cc. Dem Vorhandensein dieses "freien Arbeitsplatzes" steht nicht entgegen, dass die
Beklagte dem Kläger lediglich ein befristetes Aufstockungsangebot gemacht hat.
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1) Denn die unternehmerische Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers ist nicht
unbeschränkt. So hat das Bundesarbeitsgericht es nicht der unternehmerischen
Entscheidung des Arbeitgebers überlassen, ob er generell nur Teilzeitstellen oder nur
Vollzeitstellen einrichtet, sondern hierfür das Vorliegen arbeitsplatzbezogener
Gesichtspunkte unerlässlich angesehen (BAG 15.08.2006 – 9 AZR 8/06). Im Falle der
Befristung einer Arbeitszeiterhöhung darf das unternehmerische Risiko nicht einseitig
auf den Arbeitnehmer verlagert werden. Die Ungewissheit über den künftigen
Arbeitskräftebedarf allein reicht nicht aus, die Befristung von Arbeitszeiterhöhungen zu
rechtfertigen. Denn diese Ungewissheit gehört zum unternehmerischen Risiko, das nicht
auf die Arbeitnehmer verlagert werden kann(BAG 02.09.2009 – 7 AZR 233/08 – m.w.N.;
im Anschluss an die ständige Rechtsprechung des BAG zu der bis 31.12.2001
geltenden Rechtslage, vgl. etwa BAG 14.01.2004 – 7 AZR 213/03)
.
auch für die nach §§ 307 ff. BGB vorzunehmende Inhaltskontrolle arbeitsvertraglicher
Vereinbarungen (BAG 12.01.2005 – 5 AZR 364/04).
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2) Nach diesen Grundsätzen kann sich die Beklagte nicht auf die Befristung des
Vollarbeitszeitverhältnisses des Klägers 01.01.2009 bis 31.12.2009 berufen. Denn sie
begründet dies nur mit der "derzeit ungewissen Flottenentwicklung und den damit
zusammenhängenden Auswirkungen auf unsere Personalkapazität". Allein diese
Ungewissheit über den künftigen Arbeitskräftebedarf rechtfertigt die Befristung der
Arbeitszeiterhöhung jedoch gerade nicht.
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dd. Bei diesem freien Vollzeitarbeitsplatz handelt es sich auch um einen
"entsprechenden" iSd § 9 TzBfG. D.h. er muss dem Arbeitsplatz entsprechen, auf dem
der Arbeitnehmer, der den Verlängerungswunsch angezeigt hat, seine vertraglich
geschuldete Tätigkeit ausübt (BAG 08.05.2007 – 9 AZR 874/06). Dies ist hier der Fall,
da der Kläger die von ihm vertraglich geschuldete Tätigkeit eines Flugkapitäns ausübt.
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e. Dringende betriebliche Gründe oder Arbeitszeitwünsche anderer teilzeitbeschäftigter
Arbeitnehmer iSd § 9 TzBfG, die der unbefristeten Besetzung der Vollzeitstelle mit dem
Kläger entgegenstehen, hat die Beklagte nicht vorgetragen.
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2. Für den Fall, dass man
dass ab 01.01.2009 kein freier Arbeitsplatz vorhanden war, wäre jedenfalls dem
Hilfsantrag des Klägers auf Erhöhung der Arbeitszeit ab 01.01.2010 auf eine tarifliche
Vollzeitstelle stattzugeben. Denn die Beklagte hatte - ausweislich der von dem Kläger
vorgelegten Stellenausschreibungen für vier Kapitäne/innen - den Willen diese
(unbefristeten) Vollzeitstellen zu besetzen. Dabei handelt es sich auch um "freie"
Arbeitsplätze. Denn sie wurden von der Beklagten ausgeschrieben, also neu besetzt.
Der Neubesetzung steht nicht entgegen, dass es sich dabei um eine "interne
Stellenausschreibung" gehandelt hat. Dies führt lediglich dazu, dass die "freie Stelle"
nicht aufgrund einer Einstellung, sondern einer Versetzung (neu) besetzt wird.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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III. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Auf die Möglichkeit der
Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.
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Dr. von Ascheraden Erhard Lengenfelder
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