Urteil des LAG Köln vom 22.07.2004
LArbG Köln (kündigung, arbeitnehmer, verkauf, zeitpunkt, vergütung, tätigkeit, bag, arbeitgeber, grund, zumutbarkeit)
Landesarbeitsgericht Köln, 5 (9) Sa 417/04
Datum:
22.07.2004
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 (9) Sa 417/04
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 20 Ca 11795/03
Schlagworte:
Ultima-ratio-Prinzip, freier Arbeitsplatz, betriebsbedingte Kündigung
Normen:
§ 1 KSchG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Der Arbeitgeber kann zur Vermeidung einer betriebsbedingten
Beendigungskündigung verpflichtet sein, dem Arbeitnehmer einen freien
anderen Arbeitsplatz anzubieten, auch wenn die Vergütung für diesen
Arbeitsplatz erheblich geringer ist als die bisherige Vergütung des
Arbeitnehmers. Dies kommt insbesondere dann in Frage, wenn der
Arbeitnehmer nach einer Kündigung voraussichtlich auf dem
Arbeitsmarkt langfristig nicht zu vermitteln ist.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeits-
gerichts Köln vom 03.03.2004 - 20 Ca 11795/03 - wird
kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die nach dem Beschwerdewert an sich statthafte Berufung der Beklagten ist in
gesetzlicher Form und Frist eingelegt und begründet worden, sie ist somit zulässig. Sie
hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der
Kündigungsschutzklage im Ergebnis zu Recht stattgegeben.
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Es kann offen bleiben, ob die Hauptbegründung des Arbeitsgerichts zutrifft, dass die
Beklagte keine nachvollziehbaren betriebsbedingten Gründe für den Wegfall des
Arbeitsplatzes der Klägerin und damit für eine soziale Rechtfertigung der Kündigung der
Beklagten vorgetragen hat, § 1 Abs. 2 KSchG.
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Die Entscheidung ist jedenfalls deshalb im Ergebnis zutreffend, weil die Kündigung
wegen einer bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit unwirksam war. Es gab
unmittelbar vor der Kündigung der Klägerin einen freien Arbeitsplatz im Verkauf,
welchen die Beklagte der Klägerin zur Vermeidung der Kündigung hätte anbieten
müssen.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Kündigung wegen
Verstoßes gegen das Ultima-ratio-Prinzip auch dann unwirksam, wenn eine beiden
Parteien zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem freien, vergleichbaren
Arbeitsplatz besteht. Diese Verpflichtung des Arbeitgebers besteht auch in Bezug auf
einen freien Arbeitsplatz zu geänderten und schlechteren Bedingungen. Nach der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Kündigung dann, wenn dem
Arbeitnehmer ein mögliches und zumutbares Änderungsangebot nicht unterbreitet
worden ist, die Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer einem vor der
Kündigung gemachten entsprechenden Vorschlag zumindest unter Vorbehalt
zugestimmt hätte, was der Arbeitnehmer im Kündigungsprozess vortragen muss (BAG
vom 27.09.1984 - 2 AZR 62/83 - = AP Nr. 8 zu § 2 KSchG 1989).
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Vorliegend war die dem Arbeitnehmer G im Bereich des Verkaufs angebotene
Beschäftigung jedenfalls für die Arbeitgeberin zumutbar im Sinne der zitierten
Rechtsprechung. Das Bundesarbeitsgericht hat in der zitierten Entscheidung (unter B I 3
c) aa) der Gründe) die Zumutbarkeit aus der Sicht des Arbeitnehmers davon abhängig
gemacht, dass dieser über die für die Weiterbeschäftigung auf einem anderen
Arbeitsplatz objektiv erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt. Die Tätigkeit
muss für ihn nach den sonstigen Voraussetzungen für ihre Ausübung sowie nach ihrem
sozialen und wirtschaftlichen Status vom Standpunkt eines objektiv urteilenden
Arbeitgebers gesehen in Betracht kommen. Dabei hat das Bundesarbeitsgericht
angenommen, dass Unzumutbarkeit (aus Sicht des Arbeitnehmers) insbesondere dann
vorliegen kann, wenn die neue Tätigkeit eine erheblich geringere Qualifikation erfordert
und auch entsprechend niedriger vergütet wird als die bisher ausgeübte, wobei als
Anhaltspunkt für die Zumutbarkeit einer anderweitigen Beschäftigung die Kriterien
dienen sollen, nach denen gemäß § 103 Abs. 1 Nr. 2 a AFG und der hierzu erlassenen
Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit die Zumutbarkeit einer
Weiterbeschäftigung beurteilt wird, zu deren Übernahme ein Arbeitsloser bereit sein
muss, um der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stehen.
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Wendet man diese vom Bundesarbeitsgericht für maßgeblich gehaltenen
Gesichtspunkte auf den vorliegenden Fall an, so ist zunächst festzustellen, dass die
Klägerin entgegen der Auffassung der Beklagten über die für die Tätigkeit im Verkauf
erforderlichen fundierten kaufmännischen Kenntnisse - auf Grund der von ihr
absolvierten kaufmännischen Ausbildung und jahrelangen Berufserfahrung - verfügt.
Nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Klägerin verfügt diese über das weitere
für das Anforderungsprofil erforderliche gewandte und sichere Auftreten gegenüber
Kunden sowie über gute und ausbaufähige Englischkenntnisse in Wort und Schrift. Der
von der Beklagten unter anderem für maßgeblich gehaltene Gesichtspunkt, dass die
Klägerin über keine Berufserfahrung im Verkauf verfügt, kann schon deshalb nicht
durchschlagen, weil nach dem ebenfalls unbestritten gebliebenen Vortrag der Klägerin
der Arbeitnehmer G , mit dem die Stelle im Verkauf besetzt worden ist, bisher im
Wesentlichen mit Lohnabrechnungen und damit auch nicht mit Verkaufstätigkeiten
beschäftigt gewesen ist. Darüber hinaus hat die Klägerin substantiiert im Einzelnen
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dargelegt, dass sie selbst bereits im Verkauf tätig war, etwa zu Zeiten des
Geschäftsführers H wiederholt im Verkauf ausgeholfen und Urlaubs- und
Krankheitsvertretungen übernommen hat und gerade wegen ihrer Erfahrungen des
persönlichen Kontaktes zu den Kunden seinerzeit in der Lage gewesen sei, den
Konkursverwalter bei der Erhaltung des Unternehmens zu unterstützen. Wenn die
Beklagte - als die für die Kündigungsgründe darlegungs- und beweispflichtige Partei -
diesen Vortrag der Klägerin substantiiert hätte bestreiten wollen, hätte sie schon unter
Beweisantritt darlegen müssen, dass sie nicht - auch nicht zu Zeiten des
Geschäftsführers H - im Verkauf tätig gewesen ist. Das hat die Beklagte nicht getan.
Ein wesentlicher Gesichtspunkt für die möglicherweise bestehende Unzumutbarkeit
einer Beschäftigung der Klägerin, die bisher als Leiterin der Buchhaltung/Personal tätig
war und monatlich durchschnittlich 4.600,00 EUR verdiente, könnte demgegenüber das
erheblich geringere Bruttomonatsentgelt eines Sachbearbeiters im Verkauf sein,
welches nach dem Vortrag der Beklagten ca. 2.600,00 EUR beträgt. Berücksichtigt man
jedoch, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Kündigung 55 Jahre alt war und kaum
Chancen gehabt hätte, auf dem freien Arbeitsmarkt, in eine Stelle mit einer
vergleichbaren Vergütung wie bisher vermittelt zu werden, so kann die erheblich
geringere Vergütung allein nicht für die Beurteilung der Zumutbarkeitsfrage
auschlaggebend sein. Nach dem Vortrag der Klägerin (im Schriftsatz vom 05.02.2004,
Blatt 4) wäre sie auf Grund ihrer geringen Chancen auf dem freien Arbeitmarkt bereit
gewesen, jede kaufmännische Tätigkeit im Unternehmen der Beklagten auszuführen
und auch den von Herrn G besetzten Arbeitsplatz zu übernehmen. Es kommt hinzu,
dass - im Zeitpunkt der Kündigung bereits absehbar - die vom BAG für maßgeblich
gehaltenen Zumutbarkeitsregelungen für eine Weiterbeschäftigung des Arbeitslosen bei
der Arbeitsvermittlung, drastisch verschärft wurden bzw. werden sollten ("Hartz IV"). Aus
diesem Grund hält die Kammer - unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts - ein Eingehen der Klägerin auf ein Änderungsangebot, welches
zu der erheblichen Vergütungsminderung wie im vorliegenden Fall führt, nicht für
unzumutbar, weil die Klägerin im Falle einer Arbeitslosigkeit ab dem 30.04.2004 unter
Umständen noch erheblich größere Einkommensnachteile bei einer späteren
Vermittlung in eine andere Stelle hätte hinnehmen müssen.
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Unabhängig davon erscheint es problematisch, ob an den Zumutbarkeitsüberlegungen
des Bundesarbeitsgerichts hinsichtlich des Änderungsangebots überhaupt festgehalten
werden sollte. Wie Stahlhacke/Preis (Kündigung und Kündigungsschutz im
Arbeitsverhältnis, 7. Auflage, Rdnr. 639a) zutreffend darlegen, kann nur der
Arbeitnehmer selbst entscheiden, ob er sich geänderte Arbeitsbedingungen zumuten
will. Richtiger erscheint es daher, den Arbeitgeber für verpflichtet zu halten, bei
Bestehen einer geeigneten Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu schlechteren
Bedingungen dem Arbeitnehmer eine Änderungskündigung - statt einer
Beendigungskündigung auszusprechen. Der Arbeitnehmer mag sodann entscheiden,
ob er das Änderungsangebot zumindest unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG annimmt
(vgl. LAG Köln v. 20.1.2003 - 6 Sa 645/03 zu einem Fall, in dem ebenfalls die
Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers zu einer um etwa die Hälfte
reduzierten Vergütung möglich war).
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Die Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Berücksichtigung der
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf dem Arbeitsplatz, den sie dem Arbeitnehmer G
zum 01.09.2003 übertragen hat, scheitert auch nicht daran, dass zum Zeitpunkt der
Kündigung der Klägerin am 29.09.2003 dieser Arbeitsplatz bereits besetzt war. Nach
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ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur vorgezogenen
Stellenbesetzung vor dem Hintergrund sich abzeichnender betriebsbedingter
Kündigungen muss der Arbeitgeber einem davon betroffenen Arbeitnehmer die
Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz anbieten, sobald er damit rechnen
muss, dass für ihn - wie vorliegend die Klägerin - der Arbeitsplatz wegfallen wird. Die
Berufung auf das Fehlen einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ist dem Arbeitgeber in
einem solchen Fall aus dem in § 162 Abs. 1 und 2 BGB normierten Rechtsgedanken
verwehrt, weil er diesen Zustand selbst treuwidrig herbeigeführt hat (vgl. BAG vom
06.12.2001 - 2 AZR 695/00 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 115; BAG
vom 25.04.2002 - 2 AZR 260/01 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 121).
Vorliegend war für die Beklagte bereits zum Zeitpunkt des mit dem Betriebsrat
abgeschlossenen Interessenausgleichs am 26.08.2003 einerseits absehbar, dass den
in der Abteilung Buchhaltung/Personal tätigen Mitarbeitern wegen der Verteilung der
dort wahrgenommenen Aufgaben auf andere Werke der Beklagten und des dadurch
bedingten Wegfalls aller Arbeitsplätze in der Personalabteilung/Buchhaltung gekündigt
werden musste (vgl. § 1, 2 des Interessenausgleichs). Andererseits heißt es in § 1 (am
Ende), dass ein Mitarbeiter aus diesen Abteilungen in der Abteilung Verkauf
weiterbeschäftigt wird, womit offenbar der Arbeitnehmer G gemeint ist. Damit war zum
Zeitpunkt des Interessenausgleichs sowohl der Wegfall des Arbeitsplatzes der Klägerin
als auch die bestehende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Verkauf für die Beklagte
erkennbar. Durch die Besetzung des Arbeitsplatzes im Verkauf mit dem Arbeitnehmer G
ab 01.09.2003 konnte sie sich nicht von der Verpflichtung befreien, der Klägerin diesen
Arbeitsplatz anzubieten. Es bedarf keiner näheren Darlegung, dass die Klägerin im
Hinblick auf ihre Sozialdaten erheblich schutzwürdiger war als der Arbeitnehmer
Gebauer und ihr daher vorrangig der freie Arbeitsplatz angeboten werden musste, Auf
Grund ihrer Betriebszugehörigkeit von 28 Jahren im Zeitpunkt der Kündigung und des
Alters von 55 Jahren war sie in allen relevanten Sozialdaten gegenüber dem
Arbeitnehmer G vorzuziehen, der eine Betriebszugehörigkeit von nur 2 Jahren (ab 2001)
und ein Alter von 35 Jahren im Zeitpunkt der Kündigung aufwies.
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Nach alle dem musste die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO
zurückgewiesen werden.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
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Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf die
Nichtzulassungsbeschwerde als Rechtsbehelf, § 72 a ArbGG, wird hingewiesen.
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(Rietschel) (Gerresheim) (Kastner)
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