Urteil des LAG Köln vom 11.06.2008

LArbG Köln: fristlose kündigung, ärztliche untersuchung, wichtiger grund, arbeitsgericht, abmahnung, vertrauensarzt, persönlichkeitsstörung, kündigungsfrist, psychiatrie, behandlung

Landesarbeitsgericht Köln, 3 Sa 1505/07
Datum:
11.06.2008
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 Sa 1505/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 1 Ca 2731/07
Schlagworte:
Untersuchung durch Amtsarzt, Abmahnung, Kündigung
Normen:
§ 626 BGB, § 3 Abs. 5 TV-L, § 7 Abs. 2 BAT
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Die Weigerung des Arbeitnehmers, an einer nach § 3 Abs. 5 TV-L
zulässigerweise angeordneten ärztlichen Untersuchung mitzuwirken,
stellt die Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht dar, die bei
entsprechender Beharrlichkeit nach vorheriger einschlägiger
Abmahnung eine Kündigung rechtfertigen kann.
Tenor:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 11.10.2007 – 1 Ca 2731/07 – teilweise abgeändert und weiter
festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche
Kündigung vom 16.05.2007 mit sozialer Auslauffrist nicht zum
31.12.2007 beendet worden ist.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu ¼ und die
Beklagte zu ¾.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen verhaltensbedingten
Kündigung mit sozialer Auslauffrist sowie über die Verpflichtung der Klägerin
arbeitsmedizinische Untersuchungen durchführen zu lassen.
2
Die im April 1949 geborene Klägerin ist seit dem 31.01.1989 bei der Beklagten als
Fotolaborantin in Teilzeit mit einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt 1.500,00 €
3
beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung.
Die Klägerin war im Jahr 2002 an 76 Arbeitstagen, im Jahr 2003 an 66 Arbeitstagen, im
Jahr 2004 an 81 Arbeitstagen, im Jahr 2005 an 182 Arbeitstagen sowie im Jahr 2006 an
19o Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt.
4
Die Beklagte forderte die Klägerin mehrfach vergeblich auf, sich einer
vertrauensärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Den ersten, für den 16.11.2005
vorgesehenen Termin sagte die Klägerin am gleichen Tag schriftlich ab. Zum nächsten
Termin am 15.02.2006 erschien sie zwar, verweigerte jedoch die Untersuchung. Weitere
Untersuchungstermine am 08.11.2006 und 06.12.2006 lehnte die Klägerin jeweils ab
und blieb den Terminen fern.
5
Mit Schreiben vom 28.06.2007 forderte das Zentrum für Arbeitsmedizin die Klägerin auf,
am 09.03.2007 einen Untersuchungstermin wahrzunehmen. Zur Vorbereitung dieses
Termins lud die Beklagte die Klägerin am 07.03.2007 zu einem Personalgespräch mit
der Leiterin der Personalabteilung. Dieses Gespräch brach die Klägerin bereits zu
Beginn aufgrund psychischer Belastungen ab und wies gleichzeitig darauf hin, dass sie
keinesfalls zum Vertrauensarzt gehen könne. Seit dem Folgetag ist die Klägerin
dauerhaft arbeitsunfähig krank. Die für den 09.03.2007 vorgesehene Untersuchung
wurde nicht durchgeführt.
6
Mit ihrer am 30.03.2007 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrte die
Klägerin zunächst die Feststellung, dass sie nicht verpflichtet sei, arbeitsmedizinische
Untersuchungen durchführen zu lassen. Im Hinblick auf die von der Klägerin nicht
wahrgenommenen Untersuchungstermine mahnte die Beklagte die Klägerin mit
Schreiben vom 23.04.2007 wegen mehrfachen und hartnäckigen Verstoßes gegen die
Pflicht gemäß § 7 Abs. 2 BAT bzw. § 3 Abs. 5 TV-L ab. Am 07.05.2007 nahm die
Klägerin einen weiteren Untersuchungstermin nicht wahr.
7
Mit Schreiben vom 10.05.2007 hörte die Beklagte den Personalrat zur "fristlosen bzw.
hilfsweise außerordentlichen, personenbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist"
an. Der Personalrat stimmte der beabsichtigten Kündigung am 15.05.2007 zu. Mit
Schreiben vom 16.05.2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin
fristlos, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist zum 31.12.2007. Mit ihrer Klageerweiterung
vom 29.05.2007 wendet sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung.
8
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Sie hat
gemeint, sie sei nicht verpflichtet, sich einer arbeitsmedizinischen Untersuchung zu
unterziehen. Wie sich aus einem ärztlichen Gutachten vom 08.07.1998 ergebe, leide sie
unter einem psychischen Grundleiden. Dieses könne bei Stressbelastung insbesondere
am Arbeitsplatz zu psychischen Ausnahmesituationen führen. Die Anordnung von
vertrauensärztlichen Untersuchungen bringe sie in eine unauflösliche Konfliktlage.
9
Die Klägerin hat beantragt,
10
1. festzustellen, dass sie nicht verpflichtet ist, arbeitsmedizinische Untersuchungen
11
durchführen zu lassen;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose
Kündigung vom 16.05.2007 nicht beendet worden ist;
3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung mit sozialer
Auslauffrist nicht zum 31.12.2007 beendet worden ist.
12
Die Beklagte hat beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14
Sie hat geltend gemacht, die Klägerin sei nach § 2 Abs. 5 TV-L verpflichtet, sich einer
vertrauensärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Hierfür bestehe aufgrund der hohen
Fehlzeiten der Klägerin auch eine begründete Veranlassung. Die hartnäckige
Weigerung der Klägerin, sich untersuchen zu lassen, berechtige die Beklagte zur
außerordentlichen Kündigung. Eine nachvollziehbare Begründung für das Fernbleiben
von den Untersuchungen habe die Klägerin nicht gegeben.
15
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 11.10.2007 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis
der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 16.05.2007 nicht fristlos geendet
hat, sondern aufgrund der Auslauffrist mit dem 31.12.2007 ende. Die weitergehende
Klage hat es abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die
Klägerin habe mehrfach gegen ihre sich aus § 3 Abs. 5 TV-L ergebende Pflicht
verstoßen. Ein derartiges Verhalten sei "an sich" geeignet, eine außerordentliche
Kündigung nach erfolgter Abmahnung zu rechtfertigen. Die Klägerin könne sich auch
nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie wegen ihrer Erkrankung nicht in der Lage
gewesen sei, ihrer arbeitsvertraglichen Pflicht, sich einer vertrauensärztlichen
Untersuchung zu unterziehen, nachzukommen, denn die Klägerin habe nicht
hinreichend dargelegt, dass ihr die Pflichtverletzung nicht vorwerfbar sei. Schließlich hat
das Arbeitsgericht im Rahmen der Interessenabwägung die langjährige
Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter der Klägerin besonders berücksichtigt und
aus diesem Grund die fristlose Kündigung für unwirksam, die außerordentliche
Kündigung mit sozialer Auslauffrist allerdings für rechtwirksam erachtet. Mit derselben
Begründung hat es auch den weitergehenden Feststellungsantrag der Klägerin
abgewiesen.
16
Gegen dieses ihr am 09.11.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am Montag, den
10.12.2007, Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der
Begründungsfrist am 23.01.2008 begründet.
17
Die Klägerin rügt weiterhin, dass ihr schuldhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden
könne, denn sie sei gesundheitlich nicht in der Lage, sich einer Untersuchung durch den
Vertrauensarzt zu unterziehen. Hierzu beruft sie sich auf einen ärztlichen Befundbericht
des sie behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie vom 05.01.2008.
In diesem heißt es auszugsweise wie folgt:
18
"Die Krankheitssymptomatik von Frau I ist gekennzeichnet durch depressive
Verstimmungszustände, eine Antriebsminderung, Konzentrationsstörungen,
multiple Ängste mit sozialphobischen Anteilen sowie durch eine Anhedonie.
19
Weiter finden sich Schlafstörungen, Unruhezustände und multiple körperliche
Beschwerden im Sinne einer psychosomatischen Ausgestaltung. Die bei Frau
R vorliegende Persönlichkeitsstörung prägt das Verhalten der Betroffen in
erheblichem Ausmaß. (...)
Unter der durchgeführten Behandlung kam es nicht zu einer anhaltenden
psychischen Stabilisierung.
20
Insbesondere durch Konflikte am Arbeitsplatz und Auseinandersetzungen mit
dem Arbeitgeber, die von Frau Ritter als massiv belastend und unerträglich
erlebt wurden und die von Frau Ritter aufgrund der vorliegenden
Persönlichkeitsstörung und einer Wiederbelebung früher traumatisierender
Erlebnisse nicht realitätsadäquat wahrgenommen und bewältigt werden
konnten, kam es bei der Betroffenen zu Anpassungsstörungen, die mit
erheblichen somatischen Gesundheitsstörungen (Blutdruckerhöhungen,
Kreislaufdekompensation etc.) vergesellschaftet waren."
21
Die Klägerin beantragt,
22
das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 11.07.2007 – 1 Ca 2731/07 – teilweise
abzuändern und
23
1. festzustellen, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, arbeitsmedizinische
Untersuchungen durchführen zu lassen;
24
25
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung mit sozialer
Auslauffrist nicht zum 31.12.2007 beendet worden ist.
26
27
Die Beklagte beantragt,
28
die Berufung zurückzuweisen.
29
Die Beklagte meint weiterhin, die verweigerte Mitwirkung der Klägerin an der zu Recht
angeordneten vertrauensärztlichen Begutachtung gemäß § 3 Abs. 5 TV-L stelle einen
wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar, der jedenfalls die
streitgegenständliche außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist rechtfertige.
Die hartnäckige Weigerung der Klägerin, trotz vorausgegangener einschlägiger
Abmahnung, sich einer solchen Untersuchung zu unterziehen, stelle eine
schwerwiegende Verletzung ihrer vertraglichen Pflichten dar. Die Klägerin habe auch
zweitinstanzlich nicht schlüssig dargelegt, dass sie nicht schuldhaft gehandelt habe.
Auch nach dem ärztlichen Befundbericht sei nicht nachzuvollziehen, inwieweit es die
30
bescheinigte Krankheitssymptomatik der Klägerin unmöglich machen solle, sich
vertrauensärztlich untersuchen zu lassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst den zu den Akten gereichten Unterlagen sowie auf die
Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
31
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
32
I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und
frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1
ArbGG, 519, 520 ZPO).
33
II. Das Rechtsmittel hat in der Sache teilweise Erfolg. Die Kündigungsschutzklage der
Klägerin ist insgesamt, mithin also auch bezüglich der außerordentlichen Kündigung mit
sozialer Auslauffrist begründet. Die weitergehende Klage hat demgegenüber das
Arbeitsgericht zu Recht abgewiesen.
34
1. Die außerordentliche Kündigung der Klägerin vom 16.05.2007 ist auch
rechtsunwirksam, soweit sie mit sozialer Auslauffrist zum 31.12.2007 ausgesprochen
worden ist. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB für eine rechtwirksame
außerordentliche Kündigung liegen nicht vor.
35
a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund
außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem
Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter
Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des
Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Bei der außerordentlichen
Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers ist zu prüfen, ob dem
Arbeitgeber bei einem vergleichbaren ordentlichen kündbaren Arbeitnehmer dessen
Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist unzumutbar wäre (vgl.
BAG, Urteil vom 06.10.2005 – 2 AZR 362/04 – EzA § 626 BGB 2002, Nr. 14; BAG, Urteil
vom 29.03.2007 – 8 AZR 538/06 – EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 14, jeweils
mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Danach kommt eine
außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist nur dann in Betracht, wenn ein wichtiger
Grund zur Kündigung gerade darin zu sehen ist, dass wegen des tariflichen oder
einzelvertraglichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung der Arbeitgeber den
Arbeitnehmer notfalls bis zum Erreichen der Pensionsgrenze weiterbeschäftigen müsste
und ihm dies unzumutbar ist. Dies kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, bei denen
vermieden werden muss, dass der tarifliche oder einzelvertragliche Ausschluss der
ordentlichen Kündigung dem Arbeitgeber Unmögliches oder evident Unzumutbares
aufbürdet (vgl. BAG, Urteil vom 30.09.2004 – 8 AZR 462/03 – EzA § 613 a BGB 2002
Nr. 28). Dabei ist ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen. In erheblich weiterem
Umfang als bei einer ordentlichen Kündigung ist es dem Arbeitgeber bei einer
außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist gegenüber dem unkündbaren
Arbeitnehmer zumutbar, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu
vermeiden (BAG, Urteil vom 29.03.2007 – 8 AZR 538/06 – EzA § 626 BGB 2002
Unkündbarkeit Nr. 14; BAG, Urteil vom 05.02.1998 – 2 AZR 227/97 – EzA § 626 BGB
Unkündbarkeit Nr. 2).
36
Schließlich ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die
Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung anhand einer zweistufigen Prüfung
vorzunehmen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die
besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen
Kündigungsgrund darzustellen. Ist dies der Fall, bedarf es sodann der weiteren Prüfung,
ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten
Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile bis
zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG, Urteil
vom 27.04.2006 – 2 AZR 415/05 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 17 mit weiteren
Nachweisen aus der Rechtsprechung).
37
b) Ausgehend von diesen Rechtsprechungsgrundsätzen stellt das Verhalten der
Klägerin eine Pflichtverletzung dar, die an sich eine außerordentliche Kündigung nach §
626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen vermag. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend
ausgeführt.
38
Nach § 3 Abs. 5 TV-L ist der Arbeitgeber bei begründeter Veranlassung berechtigt,
Beschäftigte zu verpflichten, durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass sie zur
Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage sind. Diese
Untersuchung kann nach § 3 Abs. 5 S. 2 TV-L auch durch einen Amtsarzt erfolgen.
Diese Vorschrift ist inhaltlich vergleichbar mit § 7 Abs. 2 des Bundes-Angestellten-
Tarifvertrages (BAT), die den Arbeitgeber berechtigte, bei gegebener Veranlassung
durch einen Vertrauensarzt oder das Gesundheitsamt die Dienstfähigkeit des
Arbeitnehmers feststellen zu lassen (vgl. Breier/Dassau/Kiefer/Thivessen, TV-L, § 3 Rn.
137). Da die Rechtsprechung bereits früher an das Merkmal der "gegebenen
Veranlassung" in § 7 Abs. 2 BAT strenge Anforderungen gestellt hatte, hat sich die
Tariflage durch das in der tariflichen Neuregelung enthaltene Merkmal der "begründeten
Veranlassung" nicht wesentlich verändert. Die zur früheren Tariflage ergangene
Rechtsprechung kann damit weiterhin herangezogen werden. Danach stellt die
Weigerung des Arbeitnehmers, an der zulässigerweise angeordneten Untersuchung
mitzuwirken, die Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht dar, die bei
entsprechender Beharrlichkeit nach einschlägiger Abmahnung eine Kündigung, auch
eine außerordentliche Kündigung eines tariflich ordentlich nicht mehr kündbaren
Arbeitnehmers, rechtfertigen kann (BAG, Urteil vom 06.11.1997 – 2 AZR 801/96 – EzA §
626 BGB n. F. Nr. 171; BAG, Urteil vom 07.11.2002 – 2 AZR 475/01 – NZA 2003, 719,
720; LAG Köln, Urteil vom 17.03.2006 – 4 Sa 85/05 -; LAG Baden Württemberg, Urteil
vom 05.12.2001 – 2 Sa 63/01 -). Allerdings ist dabei immer auch zu berücksichtigen,
dass die ärztliche Untersuchung stets die Intimsphäre des Arbeitnehmers betrifft, die
durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt ist
(vgl. BAG, Urteil vom 06.11.1997 – 2 AZR 801/06 – a. a. O.).
39
Die Klägerin hat seit dem Jahr 2002 erhebliche Arbeitsunfähigkeitszeiten im Umfang
von 3 bis 4 Beschäftigungsmonaten in den Jahren 2002 bis 2004 und sodann
anschließend deutlich darüber hinausgehend im Umfang 182 und 190 Arbeitstagen pro
Jahr aufgewiesen. Dies hat für die Beklagte einen hinreichenden Anlass im Sinne der
tariflichen Bestimmungen dargestellt, eine amtsärztliche Untersuchung durchführen zu
lassen. Diesen Untersuchungen hat sich die Klägerin trotz mehrfach beklagtenseits
anberaumter Termine nachhaltig über einen Zeitraum von nahezu 1 ½ Jahren entzogen.
Den Versuch einen klärenden Personalgesprächs hat sie sofort abgebrochen.
Schließlich hat auch eine zwischenzeitliche Abmahnung die Klägerin nicht zur
Änderung ihres Verhaltens veranlassen können. Danach liegt insgesamt ein die
40
Beklagte "an sich" zur außerordentlichen Kündigung berechtigender Grund vor.
c) Gleichwohl ist die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung, auch soweit sie
mit sozialer Auslauffrist zum 31.12.2007 ausgesprochen worden ist, unwirksam. Dies
ergibt eine Abwägung der Einzelfallumstände.
41
Danach ist zugunsten der Klägerin insbesondere die durch den ärztlichen Befundbericht
ihres behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. H , vom
05.01.2008 belegte psychische Erkrankung zu berücksichtigen. Danach ist die Klägerin
bereits seit Oktober 1996 in ambulanter psychiatrisch-psychotherapeutischer
Behandlung, ohne dass es zu einer anhaltenden psychischen Stabilisierung ihres
Zustands gekommen ist. Vielmehr zeichnet sich die Krankheitssymptomatik der Klägerin
dadurch aus, dass sie in rezidivierend auftretende depressive Verstimmungszustände
gerät und dabei Konflikte am Arbeitsplatz und Auseinandersetzungen mit dem
Arbeitgeber als massiv belastend und unerträglich empfindet. Aufgrund der bei der
Klägerin vorliegenden Persönlichkeitsstörung vermag sie derartige Umstände nicht
realitätsadäquat wahrzunehmen und zu bewältigen. Letzteres wird durch ihre
Verhaltensweise eindrucksvoll bestätigt. Gerade auch das gescheiterte
Personalgespräch, das arbeitgeberseits in ruhiger Atmosphäre zur Vorbereitung auf den
anstehenden Untersuchungstermin geführt werden sollte, und das die Klägerin gleich zu
Gesprächsbeginn abgebrochen hat, macht deutlich, dass die Klägerin an
entsprechenden gravierenden Wahrnehmungsstörungen leidet. Dies bestätigt die
Schilderung der Beklagten, wonach die Klägerin gleich zu Gesprächsbeginn
hyperventilierend angegeben habe, einen Schlaganfall nahe zu sein und darauf
gedrängt habe, dass sie den Raum sofort wieder verlassen müsse und letztlich
fluchtartig die Örtlichkeit verlassen habe.
42
Insoweit ist weiter zu berücksichtigen, dass eine verhaltensbedingte Kündigung
regelmäßig ein steuer- und zurechenbares Verhalten sowie die Vorwerfbarkeit des
vertragswidrigen Verhaltens erfordert (vgl. KR-Griebeling, 8. Aufl., § 1 KSchG Rn. 267
und 395). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
Lediglich in besonderen Ausnahmefällen können auch schuldlose Pflichtverletzungen
des Arbeitnehmers einen wichtigen Grund zur verhaltensbedingten arbeitgeberseitigen
Kündigung darstellen (vgl. BAG, Urteil vom 21.01.1999 – 2 AZR 665/98 – NZA 1999,
863, 865 mit weiteren Nachweisen). Dies setzt jedoch voraus, dass ein besonders
gravierender Vertragsverstoß vorliegt, der gerade unter Prognosegesichtspunkten ein
sofortiges Handeln des Arbeitgebers fordert (vgl. BAG, a. a. O.).
43
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Anlass für eine
ausnahmsweise trotz fehlender oder jedenfalls nur eingeschränkter Einsichtsfähigkeit
der Klägerin auszusprechende außerordentliche Kündigung bestand hier nicht. Trotz
der Beharrlichkeit der Klägerin ist ein hinreichend gravierender Vertragsverstoß, der
eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnte, nicht vorhanden. Besondere
Beeinträchtigungen des Betriebsablaufs sind durch das vertragswidrige Verhalten der
Klägerin nicht eingetreten. Die Klägerin hat vielmehr seit dem Jahr 2005 wegen
durchgehender Arbeitsunfähigkeit in ganz überwiegendem Umfang nicht mehr
gearbeitet. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin belastete die Beklagte auch in finanzieller
Hinsicht allenfalls in ganz geringem Maße. Berücksichtigt man zudem die bisherige
Beschäftigungsdauer von mehr als 17 Jahren sowie das fortgeschrittene Lebensalter
der Klägerin, muss im Ergebnis das Auflösungsinteresse der Beklagten, das sich
letztlich nur auf die Beharrlichkeit des klägerischen Verhaltens stützen lässt,
44
zurücktreten. Dies gilt um so mehr, als aufgrund der erheblichen krankheitsbedingten
Fehlzeiten der Klägerin auf Seiten der Beklagten durchaus Anhaltspunkte für eine
personenbedingte Auflösung des Arbeitsverhältnisses bestehen. Insgesamt ist damit
allein aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles die streitgegenständliche
Kündigung rechtsunwirksam.
2. Der weitergehende, auf Feststellung gerichtete Antrag, dass die Klägerin nicht
verpflichtet ist, arbeitsmedizinische Untersuchungen durchführen zu lassen, ist
demgegenüber unbegründet. Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat,
ergibt sich dies unmittelbar aus der Kraft arbeitsvertraglicher Verweisung geltenden
tariflichen Bestimmung des § 3 Abs. 5 TV-L. Danach ist die Klägerin verpflichtet, bei
Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen, entsprechende Untersuchungen
durchzuführen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ihr dies in jedem Fall zukünftig
unzumutbar sein würde, sind von ihr nicht vorgetragen. Auch aus dem von ihr zuletzt
vorgelegtem ärztlichem Befundbericht ihres behandelnden Psychiaters und
Psychotherapeuten Dr. H ergibt sich nichts anderes. Dieser bestätigt lediglich eine
bestehende psychische Erkrankung der Klägerin, die zu Einschränkungen hinsichtlich
realitätsadäquater Wahrnehmungen führt. Dass die Klägerin deshalb generell von
amtsärztlichen Untersuchungen ausgenommen werden müsste, ist danach nicht
feststellbar.
45
3. Insgesamt war daher auf die Berufung der Klägerin das erstinstanzliche Urteil
teilweise abzuändern. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 92
Abs. 1 ZPO.
46
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen. Insbesondere ging es
nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.
47
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
48
Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf die Möglichkeit der
Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.
49
Dr. Kreitner Eubel Baur
50