Urteil des LAG Köln vom 26.07.2010
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Landesarbeitsgericht Köln, 5 Sa 485/10
Datum:
26.07.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
5.Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Sa 485/10
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Aachen, 2 Ca 3961/09
Schlagworte:
Betriebsrisiko bei Brand des Betriebes
Normen:
§ 615 Satz 3 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Das Betriebsrisiko bei einem Brand im Betrieb trägt nach § 615 Satz 3
BGB grundsätzlich der Arbeitgeber.
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Aachen vom 04.02.2010 – 2 Ca 3961/09 – wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über restliche Entgeltzahlung aus dem beendeten Arbeitsverhältnis
sowie über die Verpflichtung der Beklagten, Lohnabrechnungen sowie eine
Arbeitsbescheinigung zu erteilen.
2
Die Klägerin war bei der Beklagten, die in E das Restaurant "U " betrieb, seit dem
01.05.2009 zu einem monatlichen Nettolohn von zuletzt 165,00 € als Aushilfe auf Abruf
beschäftigt.
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In der Nacht vom 23.auf den 24.06.2009 brannte die Gaststätte vollständig ab.
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Mit Schreiben vom 22.07.2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgerecht
mit Ablauf des 31.08.2009. Entgelt leistete die Beklagte ab Juni 2009 nicht mehr.
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Mit der Klage verlangte die Klägerin Vergütung für die Monate Juni, Juli und August
2009 in Höhe von jeweils 165,00 €, insgesamt 495,00 €. Ferner begehrte sie die
Verurteilung der Beklagten, der Klägerin Lohnabrechnungen für die Kalendermonate
Juni, Juli und August 2009 zu erteilen sowie eine Arbeitsbescheinigung.
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Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und meint, sie sei aufgrund des Brandes
des Restaurants zu einer Lohnzahlung nicht verpflichtet. Lohnabrechnungen seien nicht
zu erteilen, da sich der auszuzahlende Betrag nicht ändere.
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Durch Urteil vom 04.02.2010 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Zur
Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Beklagte sei zur Entgeltfortzahlung
verpflichtet. Der Arbeitgeber habe, wie sich aus der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil vom 13.06.1990 – 2 AZR 635/89 - ) ergebe, dass
Risiko einer Zerstörung seines Betriebes durch Brand zu tragen. Der Anspruch auf
Lohnabrechnungen ergebe sich aus § 108 GewO, der Anspruch auf eine
Arbeitsbescheinigung folge aus § 109 Abs. 1 Satz 1 GewO.
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Gegen dieses Urteil hat die Beklage form- und fristgerecht Berufung einlegen und
begründen lassen.
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Zur Begründung bringt die Beklagte vor, sie sei aufgrund der Bestimmung des § 326
BGB von ihrer Leistungsverpflichtung infolge des Brandes der Gaststätte frei geworden.
Diese sei die einzige Betriebsstätte der Beklagten. Bei völliger Zerstörung der einzigen
Betriebsstätte entfalle die Vergütungsfortzahlungspflicht. Soweit die Klägerin Ansprüche
bis zum 24.06.2009 geltend mache, sei der klägerische Vortrag unsubstantiiert. Die
Beklagte verfüge aufgrund des Brandes nicht mehr über das Stundenbuch. Hingegen
sei es der Klägerin ohne weiteres möglich, die geleisteten Stunden zu rekonstruieren.
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Ein Anspruch auf Erteilung von Lohnabrechnungen für die Monate Juni bis August
bestehe entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht. Ein solcher Anspruch sei nur
dann gegeben, wenn sich in den Bezügen im Vergleich zum Vormonat Änderungen
ergeben hätten. Schließlich bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis für die Erteilung einer
Arbeitsbescheinigung.
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Die Klägerin müsse sich zudem gemäß § 615 Satz 3 BGB anrechnen lassen, was sie
durch anderweitige Verwendung ihrer Dienste zu erwerben böswillig unterlassen habe.
Eine Stelle als Aushilfskraft in einem Gastronomiebetrieb sei ohne besondere
Anstrengung an jedem Ort mehrfach möglich. Spätestens nach Erhalt der Kündigung
vom 06.07.2009 habe die Klägerin gewusst, dass sie nicht weiter beschäftigt werden
könne. Es sei ihr ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, sich sofort nach Erhalt
der Kündigung um eine anderweitige Beschäftigung im Gastronomiegewerbe zu
bemühen.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom 04.02.2010 – 2
Ca 3961/09 – die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.
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Die Klägerin macht geltend, es sei unstreitig, dass die Parteien ein Arbeitsverhältnis mit
einem monatlichen Verdienst von 165,00 € netto vereinbart hätte. Insoweit könne die
Beklagte jetzt nicht geltend machen, es sei nur ein Abrufarbeitsverhältnis mit einer
Monatsvergütung von bis zu 165,00 € pro Monat vereinbart gewesen.
17
Die Beklagte trage das Betriebsrisiko. Sie habe dies durch Abschluss einer
Betriebsunterbrechungsversicherung abfedern können, was jedoch offensichtlich nicht
geschehen sei.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist in der Sache nicht begründet. Zu Recht und
mit zutreffenden Erwägungen hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben.
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Auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe wird Bezug genommen. Im Hinblick auf
die Ausführungen in der Berufungsinstanz ist folgendes festzuhalten.
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1. Die Klägerin hat Anspruch auf die Vergütung für die Monate Juni bis August 2009.
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a. Der Anspruch folgt für die Zeit vom 01.bis 23.06.2009 aus § 611 BGB, für die Zeit ab
dem 24.06.2009 bis zum 31.08.2009 aus § 615 BGB.
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Dabei war die Klägerin nicht verpflichtet, für die Zeit vom 01.bis zum 23.06.2009 die
geleisteten Stunden im Einzelnen anzugeben. Denn die Parteien hatten einen
Nettolohn im Abrufarbeitsverhältnis von 165,00 € pro Monat festvereinbart. Soweit die
Beklagte in der Berufungsinstanz geltend macht, es sei eine Vereinbarung von bis zu
165,00 € netto pro Monat vereinbart worden, kann sie hiermit nicht gehört werden. Denn
erstinstanzlich war die Vereinbarung einer monatlichen Festvergütung von der
Beklagtenseite bereits zugestanden worden (Schriftsatz der Beklagten vom 26.01.2010,
Seite 2, Blatt 29 d. A.). Dementsprechend ist der Umstand, dass die Parteien eine feste
Vergütung vereinbart hatten, auch in den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils
aufgenommen worden. Einen dagegen gerichteten Tatbestandsberichtigungsantrag
binnen der nach § 320 Abs. 2 ZPO vorgesehenen Frist hat die Beklagte nicht gestellt.
Daher ist von der Richtigkeit der tatbestandlichen Feststellungen des Arbeitsgerichts
auszugehen.
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b. Für die Zeit ab dem 24.06.2009 bis zum 31.08.2009 ist der Vergütungsanspruch der
Klägerin nicht infolge des Brandes des Restaurants entfallen.
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Auf § 326 BGB kann sich die Beklagte nicht berufen. Denn insoweit stellt § 615 BGB die
Spezialregelung für das Arbeitsverhältnis dar. Dabei weist § 615 Satz 3 BGB
grundsätzlich dem Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls zu.
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Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil
vom 13.06.1990 – 2 AZR 635/89 - ) hat der Arbeitgeber das Risiko der Unmöglichkeit
der Arbeitsleistung zu tragen, soweit es um im Betrieb liegende Gründe geht. Dies gilt
nach der zitierten Rechtsprechung auch und gerade im Fall des Brandes, selbst wenn
dabei alle wesentlichen Betriebsteile zerstört werden. Mit dieser auch vom
Arbeitsgericht zitierten Entscheidung hat sich die Beklagte im gesamten
Berufungsrechtsstreit nicht auseinandergesetzt.
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Diese höchstrichterliche Rechtsprechung ist durch die Gesetzgebung anlässlich der im
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Jahre 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform bestätigt und bestärkt worden. Durch
die Einführung des § 615 Satz 3 BGB hat die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung
entwickelte Betriebsrisikolehre Eingang in den Gesetzestext gefunden. Nach den damit
gesetzgeberischen anerkannten Grundsätzen der Betriebsrisikolehre hat der
Arbeitgeber das Risiko der Unmöglichkeit der Arbeitsleistung aus im Betrieb liegenden
Gründen zu tragen und bleibt, sofern nicht durch Einzelvertrag oder
Kollektivvereinbarung eine andere Regelung getroffen ist, zur Entgeltfortzahlung
verpflichtet, auch wenn die Gründe auf betriebstechnischen Störungsursachen oder auf
einem Versagen der sachlichen oder persönlichen Mittel des Betriebes beruhen oder
sich für den Arbeitgeber als ein Fall höherer Gewalt darstellen, z. B. durch
Naturkatastrophen wie Erdbeben, Überschwemmungen oder Brände (ebenso die den
Parteien bekannte Urteile des Landesarbeitsgerichts in den Parallelfällen LAG Köln
Urteil vom 09.06.2010 – 9 Sa 408/10 – und LAG Köln Urteil vom 09.06.2010 – 9 Sa
256/10 - ).
Entgegen der Auffassung der Beklagten folgt aus der Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichts vom 28.09.1972 – 2 AZR 506/71 -, AP Nr. 15 zu § 615 BGB
Betriebsrisiko, nichts anderes. Denn das Bundesarbeitsgericht hat in jenem Urteil
festgestellt, dass eine Gefährdung des Fortbestandes des Betriebes nicht schon dann
vorliegt, wenn die Produktionsstätte durch einen Brand vollständig zerstört worden ist.
Dass es bei der Pflicht des Arbeitgebers zur Weiterzahlung der Vergütung in diesem
Fall zu einer Gefährdung des gesamten Unternehmens kommen würde, ist weder im
Detail vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass
die Existenz der Beklagten allein deshalb, weil die Klägerin noch eine relativ
geringfügige Lohnsumme von 495,00 € geltend macht, gefährdet wäre.
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Es fehlen jegliche Angaben über die finanziellen Verhältnisse des Unternehmens,
wobei auch die bereits erbrachten oder noch zu erwartenden Versicherungsleistungen
einzubeziehen wären. Dass in der Vergangenheit die Löhne aus den erwirtschafteten
Einnahmen gezahlt wurden, entspricht dem üblichen Geschäftsablauf bei normaler
Ertragslage. Es besagt aber nichts über die Eigenkapitalausstattung und die Rücklagen
sowie die Möglichkeit, die Belastungen während der Stilllegung durch Aufnahme von
Bankkrediten zu überbrücken. Es kommt hinzu, dass die Beklagte von vorneherein eine
Existenzgefährdung hätte ausschließen können, und zwar durch Bildung von
Rücklagen oder/und den Abschluss einer entsprechenden Versicherung. Eine solche
Risikovorsorge hätte auch deshalb nahe gelegen, als es nicht völlig unwahrscheinlich
ist, dass in einem Gaststättenbetrieb aufgrund nicht ausschließbarer Gefahrenquellen
ein Brand entstehen kann.
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Soweit die Beklagte darüber hinaus sich auf das von ihr angeführte Zitat im Erfurter
Kommentar beruft, ist festzuhalten, dass dort die Rechtsprechung, soweit sie eine
Ausnahme bei Existenzgefährdung zulassen will, ohnehin abgelehnt wird (siehe Erfurter
Kommentar/Preis, § 615 BGB, Randziffer 127).
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Die Beklagte kann schließlich nicht mit dem Argument gehört werden, die Klägerin habe
böswillig anderweitigen Erwerb unterlassen. Hierfür reicht der pauschale Vortrag der
Beklagten, die Klägerin habe leicht eine anderweitige Aushilfstätigkeit in einer
Gaststätte finden können, nicht aus. Konkrete Angaben dazu, ob konkret in der Nähe
des und in zumutbarer Entfernung eine entsprechende Stelle frei war, und ob dies der
Klägerin bekannt war, hat die Beklagte nicht vorgebracht.
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Der Zahlungsanspruch ist daher begründet.
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2. Begründet ist ferner der Anspruch auf Erteilung der entsprechenden
Lohnabrechnungen. Anspruchsgrundlage hierfür ist § 108 GewO. Auf die Vorschrift des
§ 108 Abs. 2 GewO kann sich die Beklagte nicht berufen. Nach dieser Vorschrift entfällt
die Verpflichtung zur Abrechnung, wenn sich die Angaben gegenüber der letzten
ordnungsgemäßen Abrechnung nicht geändert haben. Diese Vorschrift kommt dann zur
Anwendung, wenn der Arbeitgeber eine unveränderte Zahlungspflicht akzeptiert und
deshalb eine erneute Abrechnung Monat für Monat nicht erforderlich ist. Im vorliegenden
Fall hat die Beklagte jedoch jedenfalls in der Berufungsinstanz, eine solche
gleichmäßige Zahlungspflicht nicht akzeptiert. Die Beklagte hat vielmehr geltend
gemacht, es sei nur eine Vergütung von bis zu 165,00 € netto pro Monat verabredet
gewesen. Da die Beklagte durch dieses Vorbringen in Streit gestellt hat, dass sich die
Angaben gegenüber der vorangegangenen Abrechnung nicht geändert hätten, kann sie
sich auf § 108 Abs. 2 GewO nicht berufen und war daher zur Abrechnung parallel zum
Zahlungsantrag zu verurteilen.
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3. Begründet ist schließlich der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf eine
Arbeitsbescheinigung. Dieser Anspruch folgt aus § 109 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GewO. Ein
gesondertes Rechtsschutzbedürfnis ist für diesen Antrag nicht erforderlich, weil es sich
um einen gesetzlichen Anspruch handelt, der im Wege der Leistungsklage zu verfolgen
ist und weil jeder Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse daran hat, seine beruflichen
Tätigkeiten und Stationen dokumentiert zu wissen.
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4. Insgesamt hatte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg und musste mit der
Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden.
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Die Revision konnte nicht zugelassen werden, da die Rechtssache keine
rechtsgrundsätzliche Bedeutung hatte und auch kein Fall von Divergenz vorlag.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil ist kein weiteres Rechtsmittel gegeben.
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Hinsichtlich der Voraussetzungen einer Nichtzulassungsbeschwerde wird auf die in §
72 a ArbGG genannten Voraussetzungen hingewiesen.
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Dr. Griese Blatt Winthuis
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