Urteil des LAG Köln vom 07.03.2002
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Landesarbeitsgericht Köln, 10 Sa 1270/01
Datum:
07.03.2002
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 Sa 1270/01
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 17 Ca 1536/01
Schlagworte:
Ausschlussfrist, Nachweisgesetz
Normen:
§ 2 I Nr. 10 NachwG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Für die Anwendung einer tariflichen Verfallklausel reicht es aus, wenn
im Arbeitsvertrag auf die Geltung der "tariflichen Bestimmungen in ihrer
jeweils gültigen Fassung", die die Ausschlussfrist enthalten,
hingewiesen wird, wenn über die Einschlägigkeit des konkreten
Tarifvertrages kein Streit besteht. 2. Die Ausschlussfrist muss weder
selbst in den Arbeitsvertrag aufgenommen noch ausdrücklich darauf
hingewiesen werden, dass der in Bezug genommene Tarifvertrag eine
Ausschlussfrist enthält (insoweit wie BAG vom 23.01.2002 - 4 AZR
56/01 -).
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 12.07.2001 verkündete Urteil
des Arbeitsgerichts Köln - 17 Ca 1536/01 - wird kostenpflichtig
zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Die Parteien streiten über restliche Ansprüche aus einem Sozialplan, insbesondere
darüber, ob etwaige Ansprüche verfallen sind. Das Arbeitsgericht hat die Klage
abgewiesen, weil eine etwaige Mehrforderung des Klägers nach § 22 des Einheitlichen
Manteltarifvertrages für die Brauereien im Land Nordrhein-Westfalen verfallen sei.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine Klage auf Zahlung von
weiteren 43.301,68 DM nebst Zinsen weiterverfolgt. Der Kläger macht geltend, die
Neuberechnung seines Anspruchs aus Ziffer 4.4 des Sozialplans habe er erst auf Grund
der letzten Nachberechnung der Beklagten vom 23.07.1999 vornehmen können, da er
erst ab diesem Zeitpunkt in der Lage gewesen sei, seine noch ausstehenden Ansprüche
zu überblicken. Erstmals mit Schreiben vom 02.11.2000 und sodann mit der
vorliegenden Klage vom 13.02.2001 hat der Kläger die streitgegenständlichen
43.301,68 DM geltend gemacht. Er vertritt die Auffassung, der Anspruch sei weder
verjährt noch verwirkt. Wegen § 2 Abs. 1 des Nachweisgesetzes könne sich die
Beklagte auf die sechsmonatige Verfallfrist des einschlägigen Tarifvertrages nicht
berufen, denn die Verfallklausel sei nicht ausdrücklich in den Arbeitsvertrag
aufgenommen worden. Außerdem habe die Beklagte gegen ihre Pflicht verstoßen, den
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Tarifvertrag im Betrieb auszulegen (§ 8 TVG). Schließlich erfasse die Verfallklausel
auch keine Sozialplanansprüche. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des
angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die
eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Die Klage ist unbegründet, denn der geltend gemachte weitere Anspruch des
Klägers aus dem Sozialplan ist jedenfalls verfallen.
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1. Zunächst ist festzustellen, dass über den hier geltend gemachten
Nachzahlungsanspruch nicht bereits durch das Urteil des LAG Köln vom
29.06.2000 - 5 Sa 644/00 - rechtskräftig entschieden ist. Den
Nachzahlungsanspruch im Vorprozess hat der Kläger zwar nicht ausdrücklich als
Teilforderung geltend gemacht. Gleichwohl sind damit weitere
Nachzahlungsforderungen wie vorliegend nicht ausgeschlossen, weil sich die
Rechtskraft des Vorprozesses nur auf den konkreten Zahlungsantrag bezieht.
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1. Auf den Anspruch findet § 22 des Einheitlichen Manteltarifvertrages für die
Brauerein im Land Nordrhein-Westfalen (MTV) Anwendung. Nach dieser
Bestimmung gelten Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis als verwirkt, wenn sie
nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten seit Fälligkeit des Anspruchs
geltend gemacht werden. Dies ist hier nicht geschehen.
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1. Auf das Arbeitsverhältnis findet der MTV als einschlägiger Tarifvertrag gemäß
arbeitsvertraglicher Vereinbarung vom 22.11.1982 (Blatt 50 - 51 d. A.) Anwendung.
Nach dem Vertrag vom 22.11.1982 gelten für das Dienstverhältnis "die tariflichen
Bestimmungen in ihrer jeweils gültigen Fassung". Darüber hinaus finden die
Tarifbestimmungen kraft betrieblicher Übung bei der Beklagten Anwendung.
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1. Der geltend gemachte Anspruch wird von der Verfallklausel des § 22 MTV erfasst.
Der Nachzahlungsanspruch beruht nach dem Vorbringen des Klägers auf einer
Individualabrede aus dem Jahre 1995, nach der sich die Höhe des dem Kläger
aus dem Sozialplan zustehenden Anspruchs nicht nach der seinerzeit für ihn
geltenden Steuerklasse I berechnen, sondern dass die Steuerklasse III/1 zu
Grunde gelegt werden sollte. Nach der Darstellung des Klägers sollte ihm dadurch
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ein zusätzlicher Anreiz zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis gegeben
werden. Die Steuerklasse III/1 habe auch für die Schlussabrechnung über den
Abfindungsfehlbetrag gelten sollen, den der Kläger mit der vorliegenden Klage
beansprucht. Bei diesem individual-rechtlich begründeten Anspruch, den die
Beklagte bestreitet, handelt es sich um einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis
im Sinne des § 22 MTV. Aber auch als Sozialplananspruch nach Ziffer 4.4 des
Sozialplans wird er von der tariflichen Verfallklausel erfasst.
Erfasst eine tarifliche Ausschlussfrist wie hier allgemein Ansprüche aus dem
Arbeitsverhältnis, so gilt sie auch für einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung oder
sonstigen Entschädigungsleistung aus einem Sozialplan wegen der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses (BAG, Urteil vom 19.01.1999 - 1 AZR 606/98 - II 2 b bb d. G. sowie
BAG, Urteil vom 30.11.1994 - 10 AZR 79/94 -). Zu Unrecht beruft sich der Kläger auf das
Urteil des BAG vom 03.04.1990 - 1 AZR 131/89 - EzA Nr. 94 § 4 TVG
Ausschlussfristen). Zum einen handelte es sich in dem damals entschiedenen Fall um
Ansprüche auf fortlaufende Zahlungen, die nach einem Sozialplan zusätzlich zur
Sozialversicherungsrente und zur Betriebsrente zu entrichten waren. Zum anderen
stellte das BAG in diesem Fall entscheidend darauf ab, dass der damalige Kläger alles
Erforderliche getan hatte, um seinen Anspruch innerhalb der Ausschlussfrist geltend zu
machen.
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1. Ein etwaiger Nachzahlungsanspruch ist nach § 22 MTV verfallen, weil dem Kläger
selbst nach seinem Vorbringen spätestens ab 23.07.1999 die Neuberechnung
möglich war und er die ihm eventuell noch zustehenden Ansprüche überblicken
konnte. Gleichwohl hat er erstmals mit Schreiben vom 02.11.2000 und der
vorliegenden Klage vom 13.02.2001 den streitgegenständlichen Anspruch geltend
gemacht. Der Beklagten ist es nicht verwehrt, sich auf den tariflichen Verfall zu
berufen.
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1. Ob die Beklagte ihrer Pflicht, den Tarifvertrag im Betrieb auszulegen (§ 8 TVG)
hinreichend nachgekommen ist, kann dahinstehen. Auch wenn dies nicht der Fall
gewesen sein sollte, kann dem Kläger die Ausschlussfrist entgegengehalten
werden; er hat auch keinen Schadensersatzanspruch (BAG, Urteil vom 23.01.2002
- 4 AZR 56/01 -).
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1. Der Beklagten kann auch nicht entgegengehalten werden, sie habe im
Arbeitsvertrag nicht gesondert auf die Ausschlussfrist hingewiesen. Eine Kammer
des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein hat zwar in dem von dem Kläger
erwähnten Urteil vom 08.02.2000 (1 Sa 563/99) angenommen, dass Verfallfristen
eine wesentliche Vertragsbedingung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 des
Nachweisgesetzes darstellten und der Arbeitgeber solche Fristen ausdrücklich in
den Nachweis aufnehmen müsse. Unterbleibe ein solcher Nachweis, soll dies die
Folge haben, dass der Arbeitgeber sich nach Treu und Glauben auf den Ablauf
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der Verfallfrist nicht berufen kann.
Dieser Auffassung, der schon die 4. Kammer des LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom
31.05.2001 - 4 Sa 417/00 -) nicht gefolgt ist, ist vereinzelt geblieben (vgl. nur LAG
Bremen, Urteil vom 09.11.2000 - 4 Sa 138/00 - Revision wurde zurückgenommen, LAG
Niedersachsen, Urteil vom 07.12.2000 - 10 Sa 1505/00 - Revision wurde
zurückgewiesen). Auch die erkennende Berufungskammer vermag der Entscheidung
der 1. Kammer des LAG Schleswig-Holstein nicht zu folgen.
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Zum einen ist es bereits zweifelhaft, ob tarifvertragliche Verfallfristen
Vertragsbedingungen im Sinne des § 2 Abs. 1 des Nachweisgesetzes sind, die vom
Schutzzweck der Nachweisnormen umfasst sind. Zu Recht weist Feldgen (NachwG
1995 Rz 128) darauf hin, dass Ausschlussfristen weder in den europäischen noch in
den innerstaatlichen Bestimmungen ausdrücklich erwähnt sind und dass ein Hinweis
auf sie insbesondere nicht im Zusammenhang mit der in § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 NachwG
geregelten Auszahlung des Arbeitsentgelts gefordert wird. Mit der tarifvertraglichen
Festlegung von Ausschlussfristen werden nicht Bedingungen aufgestellt, unter denen
die Arbeitnehmer Leistungen zu erbringen haben, sondern Beschränkungen normiert,
die im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens bei der Durchsetzung von
bereits entstandenen Ansprüchen zu beachten sind. Für tarifliche Regelungen, die für
das Arbeitsverhältnis gelten, hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG
lediglich einen "in allgemeiner Form gehaltenen Hinweis" verlangt. Das konnte dem
Gesetzgeber als ausreichend erscheinen, weil Kollektivverträge meist komplexe und in
sich geschlossene Regelungswerke darstellen, die - nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10
NachwG - weder in ihrem Volltext noch in einzelnen Regelungselementen in den
Nachweis aufgenommen werden sollen. Der Gesetzgeber hat ausschließlich für die in §
2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 - 9 NachwG genannten einzelnen Vertragsbedingungen eine
Niederlegung im Nachweis verlangt, wobei der Arbeitgeber sogar diese Angaben
wiederum durch einen - allerdings besonderen - Verweis auf kollektive Regelungen in
einfacher Form ersetzen darf (§ 2 Abs. 3 NachwG). Da tarifliche oder sonstige
kollektivrechtliche Ausschlussfristen gerade nicht vom Sonderkatalog des Satz 2 erfasst
sind, ist anzunehmen, dass es ausreicht, den Arbeitnehmer auf ihre Geltung - wie auch
auf die Geltung anderer kollektivrechtlicher Normen - lediglich mittelbar im Rahmen des
allgemeinen Hinweises nach Satz 2 Nr. 10 NachwG aufmerksam zu machen (LAG Köln,
Urteil vom 06.12.2000 - 3 Sa 1077/00 -). Dem Nachweisgesetz ist daher genüge getan,
wenn gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 dieses Gesetzes auf die Anwendbarkeit des
einschlägigen Tarifvertrages, der die Ausschlussfrist enthält, hingewiesen wird (BAG,
Urteil vom 23.01.2002 - 4 AZR 56/01 -). So liegt der Fall auch hier. Der Hinweis auf die
Geltung der tariflichen Bestimmungen im Arbeitsvertrag ist ausreichend. Die
Einschlägigkeit des MTV, der auch die Verfallklausel enthält, ist zwischen den Parteien
nicht im Streit.
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1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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1. Für die Zulassung der Revision besteht nach der bereits zitierten Entscheidung
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des BAG vom 23.01.2002 kein gesetzlicher Grund. Auf die Möglichkeit der
Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.
Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben.
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