Urteil des LAG Köln vom 24.07.2003
LArbG Köln: wirtschaftliche einheit, betriebsübergang, kinderbetreuung, jugendhilfe, konzept, betriebsmittel, arbeitsorganisation, zusage, arbeitsgericht, gebäude
Landesarbeitsgericht Köln, 10 Sa 86/03
Datum:
24.07.2003
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 Sa 86/03
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 6 Ca 566/02
Schlagworte:
Betriebsübergang, Schülerbetreuung
Normen:
§ 613 a BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Zur Frage eines Betriebsübergangs beim Wechsel des Trägers einer
Schülerbetreuung an einer Grundschule
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 07.11.2002
verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln - 6 Ca
566/02 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens
zu tragen, der Nebenintervenient die Kosten der Neben-
intervention.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
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Die Parteien streiten um die Frage, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin auf Grund
eines Betriebsübergangs auf den Beklagten übergegangen ist.
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Die Klägerin war beim Schulförderungsverein der Grundschule G -Di e.V. auf der Basis
von monatlich 325,00 Euro im Rahmen der "Schülerbetreuung von 8:00 Uhr bis 13:00
Uhr" tätig. Neben der Klägerin war noch eine weitere geringfügig beschäftigte
Mitarbeiterin und zwei weitere Mitarbeiterinnen mit Arbeitszeiten zwischen 19,5 und 25
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Stunden in der Woche beschäftigt.
Der Schulförderungsverein, der in zweiter Instanz nach Streitverkündung durch die
Klägerin aufseiten der Klägerin dem Rechtsstreit beigetreten ist, ist ein gemeinnütziger
Verein, der die Aufgaben der Schülerbetreuung zunächst mit übernommen hatte, dann
aber nicht mehr weiterführen wollte und mit Ende des Schuljahres 2000/2001
aufgegeben hat.
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Die um die weitere Sicherstellung des Projekts bemühte Schulleitung konnte den
Beklagten für die Weiterführung der Schülerbetreuung ab Beginn des Schuljahres
2001/2002 gewinnen. Bei dem Beklagten handelt es sich um einen Träger der freien
Jugendhilfe. Durch Informationsschriften und einen Elternabend warb er für das Projekt
der Kinderbetreuung und stellte sein Konzept vor (Anlage K 3 zum Schriftsatz der
Klägerin vom 11.02.2003, Blatt 95 d. A.). Die Betreuung der Kinder erfolgt auf der
Grundlage von Betreuungsverträgen mit den Eltern für jeweils ein Jahr. Auf
Stellenanzeige in der "Wochenpost" vom 27.06.2001 und Bewerbung stellte der
Beklagte zwei Mitarbeiterinnen für die Schülerbetreuung ein. Es handelt sich dabei um
zwei Mitarbeiterinnen, die zuvor in einem Teilzeitbeschäftigungsverhältnis "halbtags"
bei dem Schulförderungsverein beschäftigt waren. Mit Schreiben vom 18.09.2001 hat
die Klägerin gegenüber dem Beklagten den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses
geltend gemacht mit der Begründung, es liege ein Betriebsübergang vor.
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Die Klägerin hat beantragt,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und dem
Schulförderungsverein G -Di e.V. auf den Beklagten übergegangen ist.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der
Klägerin. Sie trägt vor, die Betreuung und Beaufsichtigung der Grundschüler sei nach
den Sommerferien im Jahre 2001 auf den Beklagten übergegangen. Auf Grund der
Betreuungsmaßnahme habe sich ein "Kundenstamm" entwickelt. Diese "wirtschaftliche
Einheit Kinderbetreuung" habe nach dem Übergang ihre Identität bewahrt. Sie
behauptet, die Kinderbetreuung werde von dem Beklagten mit Hilfe derselben
Einrichtungsgegenstände sowie denselben Spiel-, Bastel-, Arbeits-, Lehr- und
Lernmaterialien durchgeführt. Der Betriebsübergang beruhe auf einer vertraglichen
Abrede. Weiter behauptet die Klägerin, der Vorsitzende des Beklagten habe ihr die
Weiterbeschäftigung zugesichert mit den Worten: "Sie werden als freie Mitarbeiter auf
Honorarbasis eingestellt, Sie müssen sich dann selbst versichern. Sie erhalten 25,00
DM pro Stunde."
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Die Klägerin beantragt,
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das angefochtene Urteil abzuändern und festzustellen, dass das
Arbeitsverhältnis zwischen ihr und dem Streithelfer auf den Beklagten
übergegangen ist.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er macht geltend, es gäbe überhaupt keine Vereinbarung zwischen dem Streithelfer und
dem Beklagten. Er verfüge über ein eigenes Konzept und eigene Schulungen, in denen
er seine Mitarbeiter/innen anleite und weiterbilde. Auf das Know-how der
Mitarbeiterinnen des Streithelfers sei er nicht angewiesen gewesen. Vielmehr hätten
sich auch die beiden Mitarbeiterinnen, die neu eingestellt worden seien, der bei ihm
üblichen Schulung unterziehen müssen, damit sie gerade das bei ihm erforderliche
Know-how erhalten. Als Träger der freien Jugendhilfe sei er mit dem
Schulförderungsverein, bei dem es sich im Wesentlichen um einen sog.
Geldsammelverein handele, nicht zu vergleichen. Er habe auch keine Gegenstände und
Arbeitsmaterialien vom Streithelfer übernommen. Mehr als die beiden eingestellten
Mitarbeiterinnen habe er nicht benötigt. Die Betreuungsmaßnahme für das Schuljahr
2001/2002 sei auch lediglich mit zwei Kräften durchgeführt worden.
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Der Streithelfer schließt sich dem Antrag der Klägerin an und trägt vor, es könne
dahinstehen, ob ein Betriebsübergang stattgefunden habe. Er behauptet, der Beklagte
habe der Klägerin im Januar 2001 "zugesichert", diese zumindest zu den bisherigen
vertraglichen Konditionen in ein "entsprechendes" Anstellungsverhältnis zu
übernehmen.
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Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die in beiden Instanzen
gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.
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I.
Betriebsübergang auf den Beklagten übergegangen.
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1. Ein Betriebsübergang setzt die Wahrung der Identität der betreffenden
wirtschaftlichen Einheit voraus. Der Begriff Einheit bezieht sich auf eine
organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur auf Dauer angelegten
Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der
Prüfung, ob eine Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden
Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören als
Teilaspekte der Gesamtwürdigung namentlich die Art des betreffenden
Unternehmens oder Betriebes, der etwaige Übergang der materiellen
Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen
Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der
Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der
Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten
und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Eine Einheit darf
allerdings nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Die Identität der Einheit
ergibt sich auch aus anderen Merkmalen wie ihrem Personal, ihren
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Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und ggf. den
ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln (BAG, Urteil vom 26.08.1999 - 8 AZR
718/98 -).
1. Es kann dahinstehen, ob von einer "wirtschaftlichen" Einheit und einer auf Dauer
angelegten Ausübung einer "wirtschaftlichen Tätigkeit" gesprochen werden kann,
wenn sich wie vorliegend zwei gemeinnützige Vereine in der Aufgabe der
Kinderbetreuung ablösen und damit keine wirtschaftlichen Zwecke verfolgen.
Nach den vorstehenden Grundsätzen scheitert ein Übergang eines Betriebes oder
Betriebsteils "Kinderbetreuung" jedenfalls daran, dass es sich lediglich um eine
Funktionsnachfolge handelt.
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Bei der Herausarbeitung dessen, um welche wirtschaftliche Einheit es geht und ob
diese unter Wahrung ihrer Identität auf einen "Erwerber" übergeht, kann noch am
ehesten an Fallgestaltungen aus dem Dienstleistungsbereich angeknüpft werden. Für
diese sind nicht die sächlichen Betriebsmittel wie Maschinen, Einrichtungsgegenstände,
Gebäude etc. prägend, sondern es stehen meistens immaterielle Betriebsmittel wie etwa
ein Kundenstamm und das "Know-how" ebenso wie die Einführung des Unternehmens
auf dem Markt im Vordergrund. Der Beklagte hat vom Streithelfer keinen
"Kundenstamm" übernommen. Sämtliche Betreuungsverträge mit den Eltern oder
Erziehungsberechtigten der Kinder, die in der Regel auf ein Schuljahr befristet sind,
wurden auf Grund eigener Werbemaßnahmen des Beklagten abgeschlossen. Nach der
Erklärung des Vorsitzenden des Streithelfers, Herrn S , im Termin der
Berufungsverhandlung vom 27.03.2003 gab es auch keine rechtsgeschäftlichen
Vereinbarungen zwischen dem Beklagten und dem Streithelfer. Insbesondere wurden
früher benutzte Einrichtungs- und Arbeitsmittel nicht vom Streithelfer an den Beklagten
übertragen, sondern entsprechend der Satzung des Streithelfers an die Schule
herausgegeben. Nach der Erklärung des Vorsitzenden des Streithelfers war die
Betreuungsaufgabe für den Förderungsverein, der sonst mit anderen Aufgaben befasst
ist, zu aufwendig geworden. Die Schulleitung bat daher den Beklagten zur Fortführung
der Betreuungsaufgabe im neuen Schuljahr.
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Da es für die Schülerbetreuung im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft und
das "Know-how" ankommt, kann zwar auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die
durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine wirtschaftliche Einheit
darstellen. Die Wahrung der Identität ist anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber
nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und
Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei
dieser Tätigkeit eingesetzt hatte. Es hängt von der Struktur eines Betriebes oder
Betriebsteils ab, welcher nach Zahl und Sachkunde zu bestimmende Teil der
Belegschaft übernommen werden muss, um von der Übernahme einer bestehenden
Arbeitsorganisation ausgehen zu können (BAG, Urteil vom 11.12.1997 - 8 AZR 729/96 -
).
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Der Beklagte hat von den vier beim Streithelfer beschäftigten Arbeitnehmern zwei
Arbeitskräfte weiterbeschäftigt, die bislang den größten Teil des Arbeitsvolumens
abdeckten. Nicht weiterbeschäftigt wurden die beiden geringfügig beschäftigten
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Arbeitnehmer, zu denen auch die Klägerin gehört. Weitere Arbeitnehmer hat der
Beklagte für die Betreuungsaufgaben nicht eingesetzt. Dies kann zwar ein starkes Indiz
für eine Betriebsübernahme im Sinne des § 613 a BGB sein. Andererseits ist aber zu
berücksichtigen, dass der Beklagte mit der Klägerin nicht die Kraft weiterbeschäftigt hat,
die nach eigenem Vorbringen auf Grund ihrer langjährigen Tätigkeit in der
Schülerbetreuung über besondere Erfahrungen in diesem Bereich verfügt. Der Beklagte
hat auch nicht einfach eine bestehende Arbeitsorganisation des Streithelfers unter
Wahrung ihrer Identität übernommen. Die beiden für die Betreuungsaufgabe
erforderlichen Stellen hat er durch Zeitungsannonce öffentlich ausgeschrieben. Vor
allem verfügt der bereits im Betreuungswesen engagierte Beklagte über ein eigenes
Konzept mit Schulungen, die die Mitarbeiter/innen durchlaufen müssen.
Dementsprechend wurden auch die vom Beklagten eingestellten beiden ehemaligen
Mitarbeiterinnen des Streithelfers nach den Vorgabekriterien des
Jugendamtes/Landschaftsverbandes geschult. Es ist ein wesentlich zu
berücksichtigender Umstand, dass sich der Beklagte keine bestehende Organisation
zunutze gemacht hat, sondern nach eigenen Kriterien die Betreuung und pädagogische
Leitung der Betreuungsgruppe organisiert hat. Dies erschließt sich auch vor dem
Hintergrund, dass es sich bei dem Beklagten anders als bei dem bloßen
Schulförderungsverein des Streithelfers um einen Träger der freien Jugendhilfe handelt,
dessen Tätigkeit der Qualitätskontrolle des Staates unterliegt und nicht an Weisungen
der Schulleitung gebunden ist.
II.
wenn die Behauptung der Klägerin zuträfe, dass der Beklagte ihr zunächst gesagt habe,
dass sie als freie Mitarbeiterin auf Honorarbasis eingestellt werde. Die Klägerin begehrt
nach ihrem Antrag die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses auf Grund
Betriebsübergangs. Der Antrag ist weder auf ein freies Mitarbeiterverhältnis gerichtet
noch auf einen durch behauptete Zusage begründeten Anspruch auf Abschluss eines
entsprechenden Vertrags. Gleiches gilt für die Behauptung des Streithelfers, abgesehen
davon, dass seine erst im letzten Termin der mündlichen Verhandlung am 24.07.2003
behauptete "Zusage" der Übernahme in ein "entsprechendes Anstellungsverhältnis"
unsubstantiiert ist
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III.
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IV.
der Nichtzulassungsbeschwerde unter den Voraussetzungen des § 72 a ArbGG wird
verwiesen.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
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Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben.
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(Schroeder) (Tesch)
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