Urteil des LAG Köln vom 12.01.2010

LArbG Köln (kläger, bag, treu und glauben, arbeitnehmer, tätigkeit, arbeitsverhältnis, anlage, freie mitarbeit, freier mitarbeiter, mitarbeiter)

Landesarbeitsgericht Köln, 12 Sa 429/09
Datum:
12.01.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 Sa 429/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 15 Ca 4556/08
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts
Köln vom 24.11.2008 - 15 Ca 4556/08 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten - soweit für das Berufungsverfahren relevant - um den Status des
Klägers als Arbeitnehmer und die Frage, ob das Rechtsverhältnis zwischen den
Parteien durch Kündigung beendet worden ist. Soweit die Parteien weiter über
Entgeltansprüche des Klägers sowie Schadensersatzansprüche der Beklagten streiten,
sind diese erstinstanzlich noch nicht entschieden.
2
Der Kläger wurde vom 01.01.1986 bis zum 31.12.1997 von einer Schwestergesellschaft
der Beklagten, der IGmbH, mit vier befristet aneinandergereihten Verträgen beschäftigt.
In den Verträgen mit der IGmbH befanden sich zum Arbeitszeitkontingent Klauseln mit
einem Soll von mindestens 150 bis maximal 200 Stunden. Der Kläger war in diesem
Zeitraum - jedenfalls überwiegend - für die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die L
GmbH tätig. Ob diesbezüglich die Vordienstzeiten aus dem mit der ImbH bestehenden
Beschäftigungsverhältnis seit dem 01.10.1986 auf das zwischen den Parteien am
01.01.1998 begründete Beschäftigungsverhältnis anzurechnen sind, ist zwischen den
Parteien streitig.
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Seit dem 01.01.1998 war der Kläger sodann aufgrund eines "Auftrags" vom 23.10.1997
bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der L GmbH tätig. In dem Vertrag vom
23.10.1997 (Anlage K 1 = Bl. 8 ff. der Akte) heißt es u.a ebenfalls: "Die
Stundenleistungen sollen mindestens 150 bis max. 200 Stunden betragen."
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Der Klägers hatte - jedenfalls spätestens seit dem 1.1.1998 - folgende Aufgaben: die
projektbezogene und verantwortliche Steuerung der EDV-Aktivitäten einschließlich der
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Personaleinsatzplanung nach Absprache und Genehmigung, der Neuaufbau des
gesamten Vertriebssektors einschließlich Verwaltung der Vertrags-, Kunden- und
Artikelstammdaten einheitlich für die gesamte L und R-Gruppe, die Mitarbeit bei der
Wartung aller bestehenden Programme, die Einführung von Standardsoftware
einschließlich Mitarbeiterschulung, die Implementierung dieser Software bei
Übernahme von Unternehmen in die L-Gruppe, weitere organisatorische Einrichtungs-
und Unterstützungstätigkeiten und sonstige generelle Aufgaben im Zusammenhang mit
der EDV. Der Stundensatz war mit 99,-- DM zzgl. Mehrwertsteuer vereinbart; die
Zahlung erfolgte nach monatlicher Rechnungslegung.
Der Auftrag vom 23.10.1997 wurde mit Schreiben vom 16.12.1999 und mit Schreiben
vom 30.06.2000 verlängert. Weitere "Werkverträge" wurde am 17.01.2001 für den
Zeitraum 01.01.2001 bis 30.06.2003 (Anlage K 3 = Blatt 13 ff. der Akten) sowie am
07.02.2003 für den Zeitraum 01.07.2003 bis 30.06.2006 geschlossen (Anlage K 4 = Bl.
18 ff. der Akten). In den Werkverträgen fehlt eine Bezugnahme auf die vorbezeichnete
Soll-Monatsstundenleistung.
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Mit Schreiben vom 01.10.1996 wurde dem Kläger für eine ununterbrochene zehnjährige
Tätigkeit im Hause S gratuliert (Anlage K 8 = Bl. 27 der Akte). Mit Schreiben vom
28.10.1996 wurde der Kläger gebeten, "seine Mitarbeiter" über die Neuregelungen bei
der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu unterrichten. In einem Vermerk vom 15.03.1999
teilte der seinerzeitige Leiter der Abteilung Controlling den Geschäftsführern der
Beklagten u.a. bezüglich des Klägers mit "wir haben es mit normalen Arbeitnehmern zu
tun" (Anlage K 2 = Bl. 11-12 der Akte). Auf Veranlassung der Beklagten mit Schreiben
vom 14.05.1999 (Anlage K 28 und K 29 = Bl. 117 und 118) stellte der Kläger Anträge bei
den Sozialversicherungsträgern zur Klärung seines sozialversicherungsrechtlichen
Status. Die Krankenkasse teilte dem Kläger durch Bescheid vom 01.07.1999 (Anlage B
4 = Bl. 97 der Akte) mit, er sei kein Arbeitnehmer im sozialversicherungsrechtlichen
Sinne und habe die Vermutung erschüttert, dass ein Beschäftigungsverhältnis vorliege.
Mit Bescheid vom 14.06.1999 (Anlage B 5 = Bl. 98 f. der Akte) teilte die
Bundesversicherungsanstalt dem Kläger mit, er sei nicht versicherungspflichtig.
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Der Kläger war ferner in den Organigrammen der Beklagten als Abteilungsleiter
aufgeführt (Anlage K 4 = Bl. 24 und K 6 = Bl. 26 der Akte). In der Übersicht zur
Aufgabenverteilung Stand 23.02.2001 (Anlage K 6 = Blatt 25) heißt es: "Eintritt:
01.10.1986". In Schreiben der Beklagten aus den Jahren 2001 und 2004 wird der Kläger
als "Führungskraft", als "Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung" bzw. "Mitglied des
Management-Teams" bezeichnet (Anlagen K 26 und 27). Der Kläger wurde auf
Veranlassung der Beklagten arbeitsmedizinisch untersucht, führte eine Stempelkarte zur
Zeiterfassung, arbeitete im Büro der Beklagten mit deren Betriebsmitteln, war im
Urlaubsplan und auf den Telefonlisten aufgeführt, schloss mit der Beklagten eine
Zielvereinbarung ab und nahm an Jubiläumsfeiern teil. Bezahlten Urlaub oder
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erhielt er nicht.
8
Die Beklagte wurde als neue Gesellschaft der sogenannte L Gruppe im Jahre 2006
ausgegliedert. Es handelt sich um ein überregional tätiges Unternehmen, das sich mit
dem Vermieten von Wäsche für Gewerbetreibende befasst und ca. 1000 Mitarbeiter
beschäftigt. Das mit der L GmbH zu diesem Zeitpunkt bestehende Vertragsverhältnis
des Klägers wurde von der Beklagten, bei der ein Betriebsrat gewählt ist, übernommen.
Mit Schreiben vom 13.02.2006 (Anlage K 9 = Bl. 28) wurde dem Kläger von den
Geschäftsführern der Beklagten im Rahmen der gesellschaftlichen Ausgliederung
9
mitgeteilt:
"Für Sie und ihr jetziges Arbeitsverhältnis wird diese Ausgliederung keinerlei
Auswirkungen haben".
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Der Kläger war in den Jahren 1999 bis 2008 durchgehend zwischen 174 und 189
Stunden pro Monat für die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin tätig. In der EDV-
Abteilung wurden zuletzt neben dem Kläger weitere sechs Mitarbeiter beschäftigt. Zwei
dieser Personen werden von der Beklagten als sogenannte "freie Mitarbeiter"
bezeichnet.
11
Der Kläger erhob am 03.06.2008 Statusfeststellungsklage, zunächst beschränkt auf
Feststellung der Arbeitnehmerstellung seit dem 01.05.2008. Den Feststellungsantrag
erweiterte er mit am 19.09.2008 eingegangenem Antrag und begehrt seither die
Feststellung des Status ab dem 01.10.1986.
12
Mit zwei Schreiben vom 04.09.2008 - dem Kläger am 05.09.2008 zugegangen -
kündigte die Beklagte den "bestehenden Werkvertrag" außerordentlich und ordentlich
jeweils mit der Begründung, dass der Kläger seit dem 29.04.2008 arbeitsunfähig
erkrankt sei. Sie hörte am 04.09.2008 sodann den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu
einer außerordentlichen und einer hilfsweise ordentlichen Kündigung an (Anlage B 11
und B 12 = Blatt 253-254 der Akte). Der Betriebsrat erhob hiergegen Bedenken mit dem
Hinweis, dass er die negative Prognose nicht als gegeben und keine weiteren
betrieblichen und wirtschaftlichen Nachteile sehe (Anlage B 13 und B 14 = Blatt 255 und
256 der Akte). Mit Schreiben vom 10.09.2008 - dem Kläger am 11.09.2008 zugegangen
- kündigte die Beklagte fristlos und mit Schreiben vom 12.09.2008 - dem Kläger am
13.09.2008 zugegangen - ordentlich jeweils unter Hinweis auf die vorliegende
Statusklage "das Arbeitsverhältnis". Hiergegen richtet sich die Klageerweiterung vom
19.09.2008. Seit dem 15.12.2008 ist der Kläger wieder arbeitsfähig.
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Der Kläger hat vorgetragen, das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien bzw. den
Rechtsvorgängern sei von Beginn an als Arbeitsverhältnis geführt und gelebt worden. Er
sei weisungsgebunden und eingegliedert gewesen. Er habe an der Betriebsratswahl
teilgenommen. Urlaub habe er bei dem Bereichsleiter beantragen und genehmigen
lassen müssen, wie sich insbesondere aus der E-Mail vom 30.01.2008 (Anlage K 23)
oder dem Vermerk vom 02.02.1999 (Anlage K 24) ergebe. Ferner habe er zu den
Kernarbeitszeiten von 9 Uhr bis 16 Uhr im Betrieb anwesend sein müssen, um
insbesondere den Anwender-Support zu betreuen. Die Arbeitszeiten seien zunächst
durch Stempelkarte und später mittels eines EDV-Systems elektronisch aufgezeichnet
worden. Es sei weder gestattet noch möglich gewesen, von einem Home-Office zu
arbeiten. Außerdem habe er an den täglichen Besprechungen teilnehmen müssen.
Krankheit habe er seinem Vorgesetzten melden müssen. Die Controlling-Abteilung der
Beklagten habe selbst das Vertragsverhältnis als Arbeitsverhältnis qualifiziert.
Hinsichtlich der Kündigungen hat der Kläger die Betriebsratsanhörung und die
Sozialauswahl als fehlerhaft gerügt.
14
Der Kläger hat - soweit für das Berufungsverfahren relevant - beantragt,
15
1. festzustellen, dass der Kläger seit dem 01.10.1986 Arbeitnehmer der Beklagten ist;
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2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche
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Kündigung vom 05.09.2008 nicht aufgelöst worden ist;
3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche
Kündigung vom 05.09.2008 nicht aufgelöst worden ist;
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4. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche
Kündigung vom 11.09.2008 nicht aufgelöst worden ist;
19
5. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche
Kündigung vom 13.09.2008 nicht aufgelöst worden ist.
20
Die Beklagte hat beantragt,
21
die Klage abzuweisen.
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Sie hat vorgetragen, der Kläger sei nicht nur für einen Auftraggeber tätig, sondern für
alle Unternehmen der L Gruppe zuständig gewesen. Lediglich aus Gründen der
Vereinfachung sei gegenüber der L abgerechnet worden. Weisungsabhängigkeit habe
nicht bestanden. Seine Leitungsfunktion bezüglich der IT-Abteilung habe sich nur auf
die anderen freien Mitarbeiter bezogen. Die Teilnahme an der Betriebsratswahl hat sie
mit Nichtwissen bestritten. Die Herausnahme der Mindeststundenkontingente aus den
weiteren Verträgen sei erfolgt, weil der Umfang der Tätigkeit des Klägers nicht absehbar
gewesen sei. Der Kläger habe keinen Vorgesetzten, sondern lediglich einen
Ansprechpartner gehabt. Über die Urlaubspläne sei der Kläger nur informiert worden.
Die Rechtsmeinung des juristisch nicht geschulten Mitarbeiters im Vermerk von 1999
sei unerheblich und unrichtig. Der Kläger habe von den Sozialversicherungsträgern
entsprechende Bescheide erhalten, so dass ihm eine Berufung auf den
Arbeitnehmerstatus aus Treu und Glauben verwehrt sei.
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Den Betriebsrat habe sie zur außerordentlichen und ordentlichen Kündigung des
Arbeitsverhältnisses ordnungsgemäß unter Angabe der Kündigungsgründe und
Sozialdaten angehört. Die Kündigungen seien wegen der seit dem 29.04.2008
durchgehend bestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers und der aufgrund der
unabsehbaren Genesung bestehenden negativen Zukunftsprognose ausgesprochen
worden. Auch wenn die Tätigkeit des Klägers nur noch in geringerem Umfang als in der
Vergangenheit benötigt werde, könne man den Ausfall des Klägers nicht durch
Überstunden auffangen.
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Durch Teilurteil vom 24.11.2008 hat das Arbeitsgericht Köln die Klage mit den Anträgen
zu 1, 3, 4, 5 und 6 bezüglich der Statusfeststellung und bezüglich der Kündigungen
zugesprochen. Das Arbeitsgericht hat in seinen Entscheidungsgründen ausgeführt, der
Kläger sei Arbeitnehmer. Die Tätigkeit eines Abteilungsleiters werde typischerweise im
Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt. Die Leitungsfunktion binde den
Stelleninhaber notwendigerweise in die Organisation ein. Weder die Bezeichnung des
Vertrages noch die auf Veranlassung der Beklagten eingeholten Bescheide der
Sozialversicherungsträger stünden dieser Einordnung entgegen, zumal die damals
geltenden Regeln nicht mehr der aktuellen Rechtslage entsprächen. Die Kündigungen
hätten das Arbeitsverhältnis nicht beenden können, da eine krankheitsbedingte
Kündigung jedenfalls an der vorzunehmenden allgemeinen Interessenabwägung
scheitere. Sie scheine nach viermonatiger Arbeitsunfähigkeit übereilt. Er rügt die
fehlende Betriebsratsanhörung.
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Gegen das am 13.03.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30.03.2009 Berufung
eingelegt und diese am 13.05.2009 begründet.
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Mit ihrer gegen das Teilurteil gerichteten Berufung wiederholt die Beklagte zunächst ihre
Ansicht, der Kläger sei nicht hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsort weisungsgebunden
gewesen. Die Weisungsgebundenheit des Klägers habe sich ausschließlich aus der
Natur des Werkvertrages ergeben, in dessen Rahmen der Kläger seine Tätigkeit selbst
habe bestimmen können. Er sei weder in eine Hierarchie noch in einen Vertretungsplan
eingebunden gewesen und habe weder eine persönliche Leistungsverpflichtung
gehabt, noch einen Vorgesetzten, sondern lediglich einen Ansprechpartner. Seine
Direktionsbefugnis als Abteilungsleiter habe sich auf die Abteilung Programmierung, die
nur mit Freiberuflern besetzt sei, beschränkt und nicht auf die übrigen Mitarbeiter im
Bereich EDV-Support bezogen. Das Erfassen seiner Arbeitszeit habe nur der Kontrolle
der Richtigkeit der von ihm vorgenommenen Abrechnungen gedient. Eine
Genehmigung des Urlaubs sei nicht erforderlich gewesen. Seine Behauptung, es sei
ihm weder möglich noch gestattet, vom Home Office aus zu arbeiten, sei unzutreffend.
Der Kläger habe zudem nach eigenem Gutdünken über Weiterbildungsmaßnahmen
entschieden. Der Glückwunsch zur zehnjährigen Tätigkeit beziehe sich nur auf die freie
Tätigkeit im Hause S. Die Beklagte habe die letzten Verträge mit dem Kläger aufgrund
der sich aus der Überprüfung des sozialversicherungsrechtlichen Status ergebenden
Bescheide abgeschlossen. Ohne diese Bescheide hätte sie mit dem Kläger zu anderen
- niedrigeren - finanziellen Konditionen Arbeitsverträge abgeschlossen; hieran sei der
Kläger aber nicht interessiert gewesen.
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Die Beklagte rügt die Feststellung, das Arbeitsverhältnis würde bereits seit dem
01.10.1986 bestehen, obwohl der Kläger z.B. nach dem Werkvertrag vom 17.01.2001 für
fünf Unternehmen der L als EDV-Berater tätig gewesen sei. Eine unzulässige
Arbeitnehmerüberlassung im Konzern habe nicht vorgelegen, da kein dauerhafter
Einsatz bei ihr stattgefunden habe. Die IGmbH sei eine reine
Personalführungsgesellschaft ohne Gewinnerzielungsabsicht. Die Kündigungen seien
auch bei Unterstellung eines Arbeitsverhältnisses wegen negativer
Gesundheitsprognose gerechtfertigt, da der Kläger an einem Burn-Out-Syndrom
erkrankt sei.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 24.11.2008 - 15 Ca 4556/08
- die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er sei als Abteilungsleiter allen Mitarbeitern der EDV-Abteilung gegenüber
weisungsbefugt gewesen; entsprechend sähen die Organigramme auch keine
Differenzierung zwischen Arbeitnehmern der Abteilung und den beiden sogenannten
"freien Mitarbeitern" B und K vor. Als Abteilungsleiter habe er naturgemäß zwar keinen
fachlichen Vorgesetzten gehabt. Er habe aber direkt der Geschäftsführung und nach
Einführung einer zusätzlichen Hierarchieebene dem jeweiligen Bereichsleiter
unterstanden, von denen er auch hinsichtlich der Einführung von EDV inhaltliche
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Vorgaben erhalten habe. Alle anderen Abteilungsleiter der Beklagten seien
Arbeitnehmer. Ihm sei ein Arbeitsvertrag nie angeboten worden.
Nachdem er sich hinsichtlich der Anrechnung der Zeit seit dem 01.01.1986 zunächst auf
einen Teilbetriebsübergang von der IGmbH auf die Rechtsvorgängerin der Beklagten
berufen hatte, behauptet er nunmehr, seine Vertragsbeziehung habe aus Gründen der
Gewinnoptimierung mit der IGmbH bestanden, obwohl der damalige Geschäftsführer der
Beklagten auf die Einstellung eines eigenen EDV-Mitarbeiters gedrängt und den Kläger
selbst ausgewählt habe. Die IGmbH habe - vor allem im Bereich EDV - die
Dienstleistungen für den Konzern gebündelt und ihre Mitarbeiter an verschiedene
Konzernunternehmen verliehen. Er habe seine Tätigkeit von Anfang an nahezu
ausschließlich in gleicher Weise wie später auch für die Beklagte erbracht und nicht in
anderen Konzernunternehmen gearbeitet. Die von ihm der IGmbH in Rechnung
gestellten Beträge seien dann jeweils zum Jahresende mit prozentualen Aufschlägen
versehen worden, die im Endergebnis die gesamten Kosten der IGmbH sowie einen
zusätzlich von ihr erzielten Gewinn auf die Firmen der S-Gruppe umgelegt hätten.
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Wegen des weiteren Sachvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen sowie auf den Inhalt der Sitzungsprotokolle verwiesen.
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Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen R. Wegen
des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom
12.01.2010 verwiesen (Blatt 622 ff. der Akten).
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG)
und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6
Satz 1 ArbGG, § 520 ZPO).
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II. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
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Die Klage ist - soweit über sie durch Teilurteil vom 24.11.2008 entschieden wurde -
begründet. Daran hat sich auch nach der vom Berufungsgericht durchgeführten
Beweisaufnahme nichts geändert. Zwischen den Parteien hat ein Arbeitsverhältnis
bestanden, welches durch die streitbefangenen ordentlichen Kündigungen nicht
aufgelöst worden ist. Die Kündigungen sind mangels sozialer Rechtfertigung
unwirksam. Zugunsten des Klägers ist von einer Betriebszugehörigkeit seit dem
01.01.1986 auszugehen. Im Einzelnen gilt Folgendes:
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1. Die Klage ist mit dem Statusantrag zu 1 zulässig und begründet.
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a. Die Klage ist mit dem auf den Status gerichteten Feststellungsantrag zulässig. Das
Bundesarbeitsgericht hat die Klagen von Beschäftigten auf Feststellung, dass zwischen
den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht, in ständiger Rechtsprechung auch dann für
zulässig erklärt, wenn im Laufe des Statusprozesses bereits erkennbar wird, dass später
über einzelne Arbeitsbedingungen gestritten werden wird (BAG vom 24.06.1992 - 5
AZR 384/91 - und vom 09.07.1993 - 5 AZR 123/92 - AP Nr. 61, 66 zu § 611 BGB
Abhängigkeit; BAG vom 20.07.1994 - 5 AZR 169/93, AP Nr 26 zu § 256 ZPO 1977).
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b. Der Kläger ist - wie das Arbeitsgericht richtig erkannt hat - Arbeitnehmer.
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aa. Das Arbeitsverhältnis unterscheidet sich vom Rechtsverhältnis eines freien
Dienstnehmers oder Werkunternehmers durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit
bei der Erbringung der Dienst- oder Werkleistung. Arbeitnehmer ist, wer auf Grund eines
privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener,
fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (BAG vom
16.02.2000 - 5 AZB 71/99 -, BAGE 93, 310, 314 f. mwN). § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB enthält
insoweit eine über seinen unmittelbaren Anwendungsbereich hinausgehende
gesetzliche Wertung, die für die Abgrenzung einer selbständigen von einer
unselbständigen Tätigkeit bedeutsam ist. Hiernach ist selbständig, wer im Wesentlichen
seine Tätigkeit frei gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Fehlt es daran, so
liegt in der Regel ein Arbeitsverhältnis vor (ständige Rechtsprechung, z.B. BAG vom
27.03.1991 - 5 AZR 194/90, AP Nr. 53 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG vom
26.09.2002 - 5 AZB 19/01 -, BAGE 103, 20). Der hinreichende Grad persönlicher
Abhängigkeit zeigt sich nicht nur daran, dass der Beschäftigte einem Direktionsrecht
seines Vertragspartners unterliegt, welches Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer, Ort oder
sonstige Modalitäten der zu erbringenden Tätigkeit betreffen kann, sondern kann sich
auch aus einer sehr detaillierten und den Freiraum für die Erbringung der geschuldeten
Leistung stark einschränkenden rechtlichen Vertragsgestaltung oder tatsächlichen
Vertragsdurchführung ergeben. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit wird auch von
der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit bestimmt. Insoweit lassen sich abstrakte, für alle
Arbeitsverhältnisse geltende Kriterien nicht aufstellen. Manche Tätigkeiten können
sowohl im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als auch im Rahmen freier
Dienstverträge oder Werkverträge erbracht werden, andere regelmäßig nur im Rahmen
eines Arbeitsverhältnisses. Aus Art und Organisation der Tätigkeit kann auf das
Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses zu schließen sein. Für die Abgrenzung von
Bedeutung sind in erster Linie die tatsächlichen Umstände, unter denen die
Dienstleistung zu erbringen ist (BAG vom 22.04.1998 - 5 AZR 342/97 - BAGE 88, 263
mwN). Nicht wesentlich sind dagegen die Bezeichnung, die die Parteien ihrem
Rechtsverhältnis gegeben haben oder gar die von ihnen gewünschte Rechtsfolge. Der
jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Dieser wiederum
folgt aus den getroffenen Vereinbarungen und der tatsächlichen Durchführung des
Vertrags. Aus der praktischen Handhabung lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen,
von welchen Rechten und Pflichten die Parteien in Wirklichkeit ausgegangen sind (st.
Rspr., z.B. BAG vom 16.07.1997 - 5 AZR 312/96,
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EzA § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 61). Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung aller
maßgebenden Umstände des Einzelfalls.
45
bb. Die Gesamtbetrachtung des gelebten Vertragsverhältnisses führt zu einer
Einordnung des Klägers als Arbeitnehmer. Der Kläger wurde in mehreren Schreiben als
"Führungskraft", "Mitglied der erweiterten Geschäftsführung" bzw. "Mitglied des
Management-Teams" bezeichnet. Es ist schon äußerst fraglich, ob die von der
Beklagten bezeichnete Stellung im Rahmen eines freien Dienstvertrages oder
Werkvertrages erbracht werden kann. Führungskräfte sind nach üblicher Definition
Personen, die eine leitende Position im Unternehmen oder im Betrieb innehaben und in
der Regel mit Budget- und/oder Personalverantwortung ausgestattet sind. Es ist kaum
realisierbar, eine Führungsaufgabe, die den Stelleninhaber notwendigerweise in die
Organisation des Arbeitgebers einbindet, weisungsunabhängig auszuüben. Der Kläger
hatte zudem als Abteilungsleiter EDV gegenüber Mitarbeitern seiner Abteilung ein
Direktionsrecht auszuüben. Ein Abteilungsleiter, der gegenüber der Belegschaft im
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Auftrag des Arbeitgebers dessen Direktionsrecht auszuüben hat, ist im Zweifel auch
dessen Arbeitnehmer (so zum Betriebsleiter LAG Köln vom 24.08.1999 - 11 Ta 221/99,
ArbuR 200, 275). Ein Arbeitgeber kann grundsätzlich sein Direktionsrecht und damit den
Kern seiner Arbeitgeberfunktion nicht auf Dauer an Dritte abtreten, die nicht ihrerseits
seinem Direktionsrecht unterstehen. Das von der Rechtsvorgängerin der Beklagten
erstellte Organigramm "Zentrale M; 97" (Anlage K 7 = Blatt 26 der Akte) bestätigt dabei
von ihrem äußeren Aufbau nicht die Behauptung der Beklagten, der Kläger sei als Leiter
der Abteilung EDV nur den als freie Mitarbeiter behandelten Kollegen - die im
Organigramm ihrerseits auch nicht als freie Mitarbeiter aufgeführt sind - weisungsbefugt.
Vielmehr ist der Kläger dort eine Ebene unterhalb des Geschäftsführers L, auf einer
Ebene mit weiteren Abteilungsleitern, die ihrerseits Arbeitnehmer der Beklagten sind,
und oberhalb von vier namentlich aufgeführten Mitarbeitern seiner Abteilungen
aufgeführt.
Die umstrittene Frage, ob sich sein Direktionsrecht auf sämtliche Mitarbeiter seiner
Abteilung oder nur auf zwei "freie" Mitarbeiter bezog, kann dahinstehen. Aus der
weiteren praktischen Handhabung des Vertragsverhältnisses lassen sich ausreichend
Rückschlüsse auf den tatsächlichen Status des Klägers als Arbeitnehmer ziehen. Der
Kläger war in die betriebliche Organisation der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin
vollständig eingegliedert. Er war in den Jahren 1999 bis 2008 für die Beklagte bzw. ihre
Rechtsvorgängerin zwischen 174 und 189 Stunden pro Monat tätig. Bis zum Abschluss
des ersten Werkvertrages im Jahr 2001 war die monatliche Sollstundenzahl auch
vertraglich ausdrücklich mit 150 bis 200 Stunden festgeschrieben. Der Umfang seiner
Tätigkeit ließ damit weder vertraglich noch tatsächlich Spielraum für anderweitige
Beschäftigung auf dem freien Arbeitsmarkt, insbesondere außerhalb des Konzerns.
Soweit der Kläger innerhalb des Konzerns bei anderen Unternehmen unterstützend im
EDV-Bereich tätig war, geschah dies auf Veranlassung seiner jeweiligen
Vertragspartnerin und nicht auf Eigeninitiative hin. Seine Arbeitsleistung erbrachte der
Kläger ausschließlich persönlich. Gegen die theoretische Möglichkeit des Einsatzes von
Erfüllungsgehilfen spricht vielmehr auch die Manifestation seiner auf die Person
bezogenen Stellung durch das Namensschild am Büro, die persönliche Aufführung in
den Organigrammen und den in den Telefonlisten. Auch der Umstand, dass der Kläger
im Urlaubsplan aufgeführt und arbeitsmedizinisch untersucht wurde sowie an den
Unternehmensfeierlichkeiten teilnahm, spricht indiziell für den Arbeitnehmerstatus.
Ferner arbeitete der Kläger ausschließlich in den Räumlichkeiten der Beklagten, von
der er auch sämtliche Betriebsmittel zur Verfügung erhielt (vgl. nur die
Empfangsbestätigung vom 03.07.2001 Anlage K 25 = Blatt 114 der Akte). Zu seinem
von der Beklagten bestrittenen Vortrag, es sei ihm nicht erlaubt gewesen, die auch
außerhalb des Unternehmens durchzuführenden Tätigkeiten in seinem Home-Office
durchzuführen, passt auch, dass er - wie ein Arbeitnehmer der Beklagten - an der
Zeiterfassung mittels Stempelkarte bzw. später mittels EDV-Systems teilnehmen
musste. Desweiteren sind wesentliche Gestaltungsspielräume für den Kläger
hinsichtlich der Art der Tätigkeit nach den klaren Vorgaben in den vorgelegten Aufträgen
und Werkverträgen kaum möglich. Schließlich bestätigen die vom Kläger vorgelegten
Unterlagen, nämlich der Vermerk vom 02.02.1999 (Bl. 113) und die E-Mail vom
30.01.2008 (Bl. 112) die Behauptung des Klägers, er habe seinen Urlaub mit der
Beklagten besprechen und von ihr genehmigen lassen müssen
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Auch seine Vertragspartner haben das Vertragsverhältnis offensichtlich - jedenfalls teils
- als Arbeitsverhältnis begriffen. In der dem Kläger im Rahmen der gesellschaftlichen
Ausgliederung im Jahre 2006 erteilten Information heißt es "Für Sie und ihr jetziges
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Arbeitsverhältnis wird diese Ausgliederung keinerlei Auswirkungen haben". Auch
interne Erklärungen von Mitarbeitern der Beklagten zeigen zumindest auf, dass an dem
Status des Klägers Zweifel bestanden.
Demgegenüber ist die Entscheidung der D vom 01.07.1999 oder der Bescheid der BVA
vom 14.06.1999 für das Arbeitsgericht mangels gesetzlicher Vorschrift nicht bindend.
Sie sind auch nicht ausreichend aussagekräftig, um die angeführten Indizien zu
beseitigen. Die Bescheide wurden auf Veranlassung der Beklagten beantragt. Die 1999
maßgebliche - und heute nicht mehr gültige - Fassung des § 7 Abs. 4 SGB IV sah vor,
dass vermutet wird, dass eine Person gegen Arbeitsentgelt beschäftigt ist, wenn
mindestens zwei der dort genannten Merkmale vorliegen. Sie beruhten u.a. auf der
Vermutung, dass ein Mitarbeiter dann als selbständiger Unternehmer angesehen wird,
wenn er für mehrere Auftraggeber tätig ist. Dies war nach dem Vortrag der Parteien
dadurch der Fall, dass der Kläger auf Veranlassung seiner Vertragspartner vereinzelt
bei anderen Konzernunternehmen eingesetzt wurde. Die dort vorzunehmenden
Abwägungen sind - wie das Arbeitsgericht richtig erkannt hat - nicht auf die
arbeitsrechtliche Statusfrage übertragbar.
49
Die Wertung des Arbeitsgerichts ist somit nicht zu beanstanden.
50
c. Die Berufung auf den Arbeitnehmerstatus ist weder verwirkt noch
rechtsmissbräuchlich.
51
aa. Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob das Recht, sich auf den Bestand
eines Arbeitsverhältnisses zu berufen, verwirken kann (so BAG vom 30.01.1991 - 7 AZR
239/90- EzAÜG § 10 Fiktion Nr. 68; LAG Köln vom 06.07.2001 - 11 Sa 373/01; offen
gelassen BAG vom 24.05.2006
52
- 7 AZR 363/05 - und BAG 17.01.2007 - 7 AZR 23/06). Denn die Voraussetzungen für
die Verwirkung wären jedenfalls nicht erfüllt. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der
unzulässigen Rechtsausübung und soll dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit dienen. Es
ist nicht Zweck der Verwirkung, Schuldner, denen gegenüber Gläubiger ihre Rechte
längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu
befreien. Deshalb kann allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht
rechtfertigen. Es müssen vielmehr zu dem Zeitmoment besondere Umstände sowohl im
Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment),
die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben
unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar erscheinen zu lassen (BAG vom
17.02.1988 - 5 AZR 638/86,
53
AP BGB § 630 Nr. 17; BAG vom 25.04.2001 - 5 AZR 497/99 - AP BGB § 242
Verwirkung Nr. 46; BAG vom 19.03.2003 - 7 AZR 267/02 - AP AÜG § 13 Nr. 4).
54
Ob das Zeitmoment erfüllt ist, kann hier offenbleiben, da jedenfalls das erforderliche
Umstandsmoment nicht vorliegt. Der Neuabschluss weiterer freier Mitarbeiterverträge
schafft vorliegend keinen Vertrauenstatbestand, da dem Kläger keine Alternativen zu
einem freien Mitarbeiterverhältnis angeboten wurden. Die Beklagte hat zu dem
behaupteten Alternativangebot nicht substantiiert vorgetragen, obwohl der Kläger
bestritten hat, jemals einen Vertrag als Arbeitnehmer angeboten bekommen zu haben.
Es war daher davon auszugehen, dass die Beklagte bzw. die Rechtsvorgängerin der
Beklagten dem Kläger keine Wahl hinsichtlich des Vertragstypus gelassen hat, wollte er
55
die vertraglichen Beziehungen mit ihnen fortführen. Auch die vom Kläger 1999
beigebrachten Bescheide der Krankenkasse bzw. der Bundesversicherungsanstalt
führen nicht zu einem Vertrauenstatbestand. Sie erfolgten nicht auf Eigeninitiative des
Klägers hin, um seinen Status gegenüber der Beklagten zu beweisen, sondern wurden
auf ausdrückliche Veranlassung der Beklagten hin eingeholt.
bb. Die Berufung auf den Status ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom 11.12.1996
56
- 5 AZR 708/95 - AP BGB § 242 Unzulässige Rechtsausübung -
57
Verwirkung Nr. 36, BAG vom 11.12.1996 - 5 AZR 855/95 - BAGE 85, 11;
58
BAG vom 12.08.1999 - 2 AZR 632/98 - AP BGB § 242 Unzulässige Rechtsausübung -
Verwirkung Nr. 41) kann sich ein Beschäftigter gegenüber seinem Vertragspartner zwar
nicht darauf berufen, zu ihm in einem Arbeitsverhältnis zu stehen, wenn er sich hierbei
unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens rechtsmissbräuchlich
verhält. Wer durch seine Erklärung oder durch sein Verhalten bewusst oder unbewusst
eine Sach- oder Rechtslage geschaffen hat, auf die sich der andere Teil verlassen durfte
und verlassen hat, darf den anderen Teil in seinem Vertrauen nicht enttäuschen. Es
würde gegen Treu und Glauben verstoßen und das Vertrauen im Rechtsverkehr
untergraben, wenn es erlaubt wäre, sich nach Belieben mit seinen früheren Erklärungen
und seinem früheren Verhalten derart in Widerspruch zu setzen.
59
Eine Klageerhebung ist nach der Rechtsprechung des BAG aber nicht allein deswegen
rechtsmissbräuchlich, weil der Arbeitnehmer einen Vertrag über "freie Mitarbeit"
abgeschlossen und seiner vergütungsmäßigen Behandlung als freier Mitarbeiter nicht
widersprochen, sondern deren Vorteile entgegengenommen hat (BAG vom 04.12.2002 -
5 AZR 556/01 -, AP Nr. 1 zu § 333 ZPO). Die Rechtsordnung lässt widersprüchliches
Verhalten grundsätzlich zu (BGH vom 05.06.1997 - X ZR 73/95 - NJW 1997, 3377). Die
Parteien dürfen ihre Rechtsansichten im Rechtsstreit ändern. Jeder Partei steht es in der
Regel frei, sich auf die Nichtigkeit der von ihr abgegebenen Erklärung zu berufen (BGH
vom 07.04.1983 - IX ZR 24/82 - BGHZ 87, 169, 177) oder ein unter ihrer Beteiligung
zustande gekommenes Rechtsgeschäft anzugreifen (BGH vom 05. 12.1991 - IX ZR
271/90 - NJW 1992, 834). Widersprüchliches Verhalten ist erst dann
rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein schützenswerter
Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist, oder wenn andere besondere Umstände
die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BGH vom 09.05.1960 - III ZR
32/59 - BGHZ 32, 273; BGH vom 06.03.1985 - IVb ZR 7/84 - NJW 1985, 2589; BGH vom
20.03.1986 - III ZR 236/84 - NJW 1986, 2104; BGH vom 22.05.1985 - IVa ZR 153/83 -
BGHZ 94, 344). Unter Berücksichtigung von diesen vom BGH aufgestellten
Grundsätzen hat das BAG eine rechtsmissbräuchliche Berufung auf den
Arbeitnehmerstatus ausnahmsweise dann angenommen, wenn der Statuskläger eine
frühere Statusklage zurückgenommen, nach erfolgreicher Statusklage erneut ein freies
Mitarbeiterverhältnis vereinbart oder Angebote auf Abschluss eines Arbeitsvertrags
jahrelang ausdrücklich abgelehnt hatte. In diesen Fällen lagen ausdrückliche
statusbezogene Erklärungen vor, aus denen der Vertragspartner schließen durfte, der
Dienstverpflichtete werde sich nicht auf seine Arbeitnehmereigenschaft berufen (BAG
vom 11.12.1996 - 5 AZR 855/95 - und vom 12.08.1999 - 2 AZR 632/98). Regelmäßig
genügt es aber nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, der die erkennende Kammer
folgt, nicht, dass der Arbeitnehmer einen Vertrag über "freie Mitarbeit" abgeschlossen
60
und seiner vergütungsmäßigen Behandlung als freier Mitarbeiter nicht widersprochen,
sondern deren Vorteile entgegengenommen hat.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist ein Rechtsmissbrauch nicht festzustellen. Eine
Statusklage hat der Kläger in der Vergangenheit nicht erhoben. Angebote auf Abschluss
eines Arbeitsvertrages erfolgten seitens der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin
nicht. Auch die IGmbH beschäftigte lediglich "freie Mitarbeiter". Es sind keine früheren
ausdrücklich statusbezogenen Erklärungen des Klägers ersichtlich, aus denen die
Beklagte schließen durfte, der Kläger werde sich nicht auf seine
Arbeitnehmereigenschaft berufen.
61
d. Der Kläger ist seit 1986 Arbeitnehmer. Er wurde seit 1986 im Wege einer unerlaubten
gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung iSd. § 9 Nr. 1,
62
§ 10 Abs. 1, § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG der seinerzeitigen Arbeitgeberin I GmbH an die
Rechtsvorgängerin der Beklagten entliehen mit der Folge, dass nach der Fiktion des §
10 Abs. 1 S. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis als zustande gekommen gilt.
63
aa. Die IGmbH hat den Kläger der Rechtsvorgängerin der Beklagten iSd. § 1 Abs. 1
Satz 1 AÜG überlassen. Arbeitnehmerüberlassung iSd. AÜG ist gegeben, wenn ein
Arbeitgeber (Verleiher) einem anderen Unternehmen (Entleiher) Arbeitskräfte zur
Arbeitsleistung zur Verfügung stellt, die in den Betrieb des Entleihers eingegliedert sind
und ihre Arbeiten allein nach dessen Weisungen ausführen (vgl. BAG vom 06.08.2003 -
7 AZR 180/03, AP AÜG § 9 Nr. 6; BAG vom 18.01.1989 - 7 ABR 62/87 - AP AÜG § 14
Nr. 2). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die IGmbH hat mit dem Kläger, den sie
überwiegend der Rechtsvorgängerin der Beklagten überlassen hat, jeweils Verträge im
eigenen Namen abgeschlossen. Der Kläger unterlag nach dem von der Beklagten nicht
substantiiert bestritten Vortrag jedenfalls dem Weisungsrecht der L und wurde von
dieser wie ein eigener Arbeitnehmer eingesetzt. Der Kläger, der von der Entleiherin
persönlich für die von ihm dort ausgeübte Tätigkeit ausgesucht worden war, war dort in
gleichem Maße tätig wie später für die Beklagte. Er war insbesondere auch hinsichtlich
der vereinbarten Sollarbeitszeit in einem Umfang an die IGmbH gebunden, die
anderweitige Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt nicht zuließen. Die Beklagte ist dem
Vortrag des Klägers, weder die Umstände seiner Tätigkeit noch die Umstände der
Weisungsbefugnis hätten sich vor bzw. nach der Übernahme der vertraglichen
Beziehungen durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten verändert, nicht substantiiert
entgegengetreten.
64
bb. Das AÜG findet grundsätzlich auch auf eine konzernangehörige
Personalführungsgesellschaft Anwendung, soweit diese die Arbeitnehmer im eigenen
Namen einstellt, um sie - je nach Personalbedarf - anderen Konzernunternehmen zu
überlassen (Schüren/Hamann, AÜG, 4. Aufl., 2010, § 1 Rn. 516; Thüsing, AÜG, 2. Aufl.,
2008, § 1 Rz. 199; Boemke/Lembke, AÜG, 2. Aufl., 2005, § 1 Rz. 202). Die
Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, die das AÜG auf die Fälle
vorübergehender konzerninterner Arbeitnehmerüberlassung weitgehend für
unanwendbar erklärt, greift für solche Personalführungsgesellschaften nicht ein, wenn
die Überlassung der Arbeitnehmer an die anderen Konzernunternehmen nicht nur
vorübergehend erfolgt. Damit soll verhindert werden, dass durch die Einbeziehung
eines reinen Verleihunternehmens in einen Konzern die Überlassung von
Arbeitnehmern innerhalb eines Konzerns unbeschränkt zulässig wird.
Personalführungsgesellschaften, deren einziger Zweck die Einstellung und
65
Beschäftigung von Arbeitnehmern ist, um sie dauerhaft zu anderen
Konzernunternehmen zu entsenden, unterliegen deshalb den Bestimmungen des AÜG.
So liegt es hier, denn die IGmbH hat sieben bis acht freie Mitarbeiter beschäftigt, um
diese im Bereich EDV an verschiedene Konzernunternehmen zu entsenden. Entgegen
der Ansicht der Beklagten ist es unerheblich, dass der Kläger nicht nur bei der
Rechtsvorgängerin der Beklagten, sondern auch bei anderen Konzerngesellschaften
tätig war. Da nicht die Überlassung, sondern die Tätigkeit außerhalb des
Arbeitgeberunternehmens vorübergehend sein muss (BAG vom 20.04.2005 - 2 ABR
20/04, NZA 2005, 1006; Boemke/Lembke, AÜG, 2. Aufl., 2005, § 1 Rz. 202), macht ein
Einsatz bei mehr als einem anderen Konzernunternehmen die Überlassung nicht zu
einer "vorübergehenden" iSd. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG. Entscheidend ist allein, dass die
Beschäftigung des Klägers bei der IGmbH nicht vorgesehen war.
66
cc. Die Arbeitnehmerüberlassung war auch gewerbsmäßig. Der Betriff der
Gewerbsmäßigkeit wird dabei ganz allgemein im gewerberechtlichen Sinn verstanden
(Boemke/Lembke, AÜG, 2. Aufl., 2005, § 1 Rz.43). Unter gewerbsmäßig im Sinne des §
1 Abs. 1 AÜG ist jede nicht nur gelegentliche, sondern auf eine gewisse Dauer
angelegte und auf die Erzielung unmittelbarer oder mittelbarer wirtschaftlicher Vorteile
gerichtete selbständige Tätigkeit zu verstehen (BAG vom 15.06.1983 - 5 AZR 111/81,
AP Nr. 5 zu § 10 AÜG; BAG vom 21.03.1990 .- 7 AZR 198/89, NZA 1991, 269). Der
Umstand der selbständigen Tätigkeit im gewerberechtlichen Sinn liegt hier unstreitig
vor, da die IGmbH den Kläger auf eigene Rechnung und in eigenem Namen eingestellt
hat. Das Merkmal der Dauerhaftigkeit liegt ebenfalls vor; diesbezüglich wird auf die
Ausführungen unter bb. verwiesen. Das weitere entscheidende Kriterium für die
Gewerbsmäßigkeit ist die hier streitige Gewinnerzielungsabsicht. Gewinn ist jede
geldwerte Leistung, die der Verleiher über die Deckung seiner Kosten hinaus erzielt
(BAG vom 20.04.2005 - 2 ABR 20/04, NZA 2005, 1006; Boemke/Lembke, AÜG, 2. Aufl.,
2005, § 1 Rz.48). Für diese kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich ein Gewinn erzielt
wird (BAG vom 20.04.2005 - 2 ABR 20/04, NZA 2005, 1006; BAG vom 21.03.1990 - 7
AZR 198/89 - AP AÜG § 1 Nr. 15). Demzufolge handelt der Verleiher mit
Gewinnerzielungsabsicht, wenn er das Entgelt für die Überlassung des
Leiharbeitnehmers so bemisst, dass es die Kosten übersteigt.
67
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen R stand zur
Überzeugung der Kammer fest, dass die IGmbH mit entsprechender
Gewinnerzielungsabsicht gehandelt hat. Es bestand nach seiner glaubhaften Aussage,
die auf seinen Kenntnissen als Leiter des Finanz- und Rechnungswesens des
gesamten Konzerns im Zeitraum 1974 - 2000 beruht, die feste Anweisung an alle
Konzernunternehmen, in jedem Fall Gewinne zu erwirtschaften, um steuerlich keine
Probleme zu bekommen. Auf Nachfrage des Gerichts erläuterte der Zeuge, dass die
Anweisung der Gewinnerzielung im Zusammenhang mit dem steuerlichen Rechtsinstitut
der "verdeckten Gewinnausschüttung" erteilt wurde. Zu den Kosten der
Arbeitnehmerüberlassung gehören zwar nicht nur die Kosten der Beschäftigung als
Leiharbeitnehmer (Honorar, Aufwendungsersatz usw.), sondern auch die beim Verleiher
für die Arbeitnehmerüberlassung anfallenden Verwaltungskosten (Büromiete,
Büropersonal, Kosten für Buchführung und Führung der Personalakten, Telefon usw.)
sowie sonstige Betriebskosten. Nach der insoweit glaubhaften Aussage erfolgte der von
der IGmbH im Rahmen der Jahresabrechnung vorgenommene Aufschlag aber nicht nur
auf die reinen Personalkosten, sondern es wurden seiner Ermittlung auch die übrigen
Sachkosten zugrundegelegt. Nach seiner - auch durch Nachfrage des Gerichts von ihm
68
nicht infrage gestellten - Erinnerung rechnete die IGmbH regelmäßig mit 3 - 6 % Umlage
auf die Personal- und Sachkosten ab. Der Zeuge R hat sich gemessen an dem
Zeitablauf um konkrete Erinnerung bemüht. Er war offensichtlich bemüht, keine falschen
Informationen zu erteilen und schilderte glaubhaft sowohl die an alle
Konzernunternehmen gegebene Anweisung, in jedem Fall Gewinne zu erzielen und
dass seine lange Karriere im S-Konzern als Leiter des Finanz- und Rechnungsweisen
u.a. dem Umstand der tatsächlichen Realisierung dieser Vorgabe zu verdanken ist.
Nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen lässt
die im Streitfall von den Konzernunternehmen an die IPSGbmH zu zahlende 3 - 6 %ige
Umlage auf die Personal- und Sachkosten auf eine Gewinnerzielungsabsicht schließen.
Damit wurde durch die Jahresendabrechnungen ein Überschuss der Erträge gegenüber
den Aufwendungen angestrebt. Dies ist für eine Gewinnerzielungsabsicht ausreichend.
69
2. Die Klage ist mit den Feststellungsanträgen zu 2-4 begründet.
70
a. Die Kündigungen der "Werkverträge" vom 04.09.2008 sind unwirksam. Dabei kann
dahinstehen, ob die ordentliche und die außerordentliche Kündigung der Werkverträge
überhaupt als Kündigung eines Arbeitsverhältnisses zu verstehen sind. Jedenfalls
erfolgte - obwohl der Kläger Arbeitnehmer ist - keine vorherige Anhörung des bei der
Beklagten bestehenden Betriebsrats, so dass die Kündigungen bereits gem. § 102
BetrVG unwirksam sind. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger als leitender Angestellter
gem. § 5 Abs. 3 BetrVG aus dem Kreis der vom Betriebsrat vertretenen Belegschaft
herausfällt, liegen nicht vor.
71
b. Dahinstehen kann, ob auch die Kündigungen des Arbeitsverhältnisses vom
11.09.2009 und vom 12.09.2009 bereits wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung gem.
§ 102 BetrVG unwirksam sind. In den Betriebsratsanhörungen fehlen Angaben zu den
pauschalen Behauptungen der mit den krankheitsbedingten Fehlzeiten verbundenen
betrieblichen und wirtschaftlichen Folgen. Die Kündigungen vom 11.09.2009 und vom
12.09.2009 sind jedenfalls nicht gem. § 1 Abs. 2 KSchG bzw. gem. § 626 BGB
gerechtfertigt.
72
aa. Auf das Arbeitsverhältnis ist das Kündigungsschutzgesetz anwendbar,
73
§§ 1, 4, 23 KSchG.
74
bb. Die Kündigungen sind nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG bzw. § 626 BGB durch einen
personenbedingten Grund gerechtfertigt. Dahinstehen kann bereits, ob eine
langandauernde Erkrankung als wichtiger Grund im Sinne des
75
§ 626 BGB geeignet sein kann. Die Beklagte hat die von ihr in Bezug genommene
Begründung der Kündigung mit dem Vorliegen einer lang anhaltenden Erkrankung des
Klägers bereits nicht hinreichend dargetan.
76
Die grundsätzlichen Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung hat das
BAG in ständiger Rechtsprechung dargelegt (statt vieler BAG vom 19.04.2007 - 2 AZR
239/06, AP Nr 45 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Danach ist eine dreistufige Prüfung
vorzunehmen. Die Kündigung ist im Falle lang anhaltender Krankheit sozial
gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG), wenn eine negative Prognose hinsichtlich der
voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt - erste Stufe -, eine darauf
77
beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist - zweite
Stufe - und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen
zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen -
dritte Stufe - (st. Rspr. des BAG, z.B. BAG vom 12.04.2002 - 2 AZR 148/01 - BAGE 101,
39; BAG vom 29.04.1999 - 2 AZR 431/98 - BAGE 91, 271; BAG vom 21.02.1992 - 2 AZR
399/91 - AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 30). Bei krankheitsbedingter dauernder
Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne weiteres von einer erheblichen
Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Die Ungewissheit der
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht einer krankheitsbedingten dauernden
Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen
Prognose nicht gerechnet werden kann (BAG vom 12.04.2002 - 2 AZR 148/01 - aaO).
Fraglich ist schon, ob die Beklagte im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung aufgrund
der objektiven Anhaltspunkte von einer negativen Gesundheitsprognose ausgehen
durfte. Die Dauer der bis dahin bestehenden Arbeitsunfähigkeit von etwas über vier
Monaten allein sagt noch nichts darüber aus, ob der Arbeitnehmer auch in Zukunft auf
nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig krank sein wird. Ihr kann aber unter Umständen eine
gewisse Indizwirkung entnommen werden (vgl. BAG vom 12.04.2002 - 2 AZR 148/01,
NZA 2002, 1081; BAG vom 25.11.1982 - 2 AZR 140/81, BAGE 40, 361).
78
Jedenfalls aber konnte die Beklagte die für den Ausspruch einer Kündigung wegen
langanhaltender Erkrankung erforderliche betriebliche Beeinträchtigungen nicht allein
daraus herleiten, dass in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen - günstigen -
Prognose hinsichtlich der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers nicht
gerechnet werden konnte. so dass die Ungewissheit hierüber einer krankheitsbedingten
dauernden Leistungsunfähigkeit gleichsteht. Anhaltspunkte dafür, dass die
Leistungsfähigkeit des Klägers nicht in absehbarer Zeit wiederhergestellt würde, lagen
nämlich nicht vor und lassen sich auch nicht allein aus der Diagnose Burn-Out-Syndrom
schließen. Unter einem Burn-Out-Syndrom versteht man umgangssprachlich einen
Zustand emotionaler Erschöpfung mit reduzierter Leistungsfähigkeit. Es ist weder
gerichtsbekannt noch substantiiert behauptet, dass diese Erkrankung beim Kläger
unheilbar wäre bzw. ein leistungsfähiger Zustand - in absehbarer Zeit - nicht mehr
hergestellt werden könne. Die Beeinträchtigung konkret festzustellender erheblicher
betrieblicher oder wirtschaftlicher Interessen hat die Beklagte als die hierfür darlegungs-
und beweispflichtige Partei (§ 1 Abs. 2 S. 4 KSchG) nicht substantiiert vorgetragen.
79
III. Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren folgt aus § 97 ZPO. Die
Kostenentscheidung für die 1. Instanz bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
80
IV. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs.
2 ArbGG liegen nicht vor, da die Rechtssache auf den Umständen des Einzelfalles
beruht und die entscheidungserheblichen Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt sind.
81