Urteil des LAG Köln vom 28.08.2001

LArbG Köln: fristlose kündigung, arbeitsgericht, widerklage, personalausschuss, betriebsrat, neues vorbringen, anschlussberufung, geschäftsführer, geschäftsführung, vertrauensschutz

Landesarbeitsgericht Köln, 13 Sa 19/01
Datum:
28.08.2001
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 Sa 19/01
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 11 (18) Ca 8569/99
Schlagworte:
Zustimmung nach § 103 BetrVG durch Personalausschuss,
Vertrauensschutz des Arbeitge-bers bei unwirksamer Zustimmung des
Betriebsrates; Aufrechnung Brutto- gegen Nettofor-derung;
deklaratorisches Schuldanerkenntnis; Berufung auf tarifliche
Ausschlussfristen bei Anerkenntnis der Forderung.
Normen:
§§ 103 BetrVG, 119, 123, 133, 157, 389, 611 BGB, 3 Abs. 1 EFZG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Der Betriebsrat darf seine Zustimmungsbefugnis gemäß § 103 BetrVG
wegen der Bedeutung des Verfahrens nicht auf einen
Personalausschuss übertragen. 2. Die Kündigung eines
Betriebsratsmitglieds nur mit Zustimmung des Personal-ausschusses ist
unwirksam. 3. Der Arbeitgeber kann sich bei Kenntnis der Zustimmung
durch den Personal-ausschuss nicht auf Vertrauensschutz berufen.
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten
gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 28.09.2000 - 11 (18) Ca
8569/99 - werden zurückgewiesen. 2. Der Kläger hat die Kosten der
Berufung und die Beklagte die Kosten der Anschlussberufung zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung der Beklagten,
Vergütungsansprüche des Klägers sowie über einen im Wege der Widerklage geltend
gemachten Schadensersatzanspruch der Beklagten.
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Der Kläger ist seit dem Jahre 1979 bei der Beklagten mit einem monatlichen
Bruttoverdienst von zuletzt 5.000,00 DM beschäftigt. Er ist Mitglied des bei der
Beklagten bestehenden Betriebsrates. Sein Einsatzgebiet war zuletzt die K M . Er hatte
unter anderem dafür zu sorgen, dass die Reinigung und Müllentsorgung der einzelnen
Messestände ordnungsgemäß funktionierte. Darüber hinaus gehörte es zu seinen
Aufgaben, sicherzustellen, dass die Reinigungsarbeiten an den Messeständen
ordnungsgemäß abgerechnet und die vereinnahmten Beträge an die Geschäftsführung
weitergereicht wurden.
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In der zweiten Jahreshälfte 1999 verlangte der Geschäftsführer B vom Kläger die
Einzahlung höherer Geldbeträge als in dessen Barbestand vorhanden waren. Der
Kläger spiegelte der Geschäftsführung vor, er könne derzeit nicht über die begehrten
Geldbeträge verfügen, weil er das Geld bei der D Bank angelegt habe. Als Ende
September 1999 wieder Geld von ihm verlangt wurde, gab er an, er habe ca. 200.000
DM bei der D B in F auf das Konto eines Herrn W eingezahlt. Er bestätigte dies
gegenüber der Beklagten mit einem handschriftlich gefertigten und von ihm am
30.09.1999 unterschriebenen Vermerk (Blatt 108 d. A.). Der weitere Geschäftsführer D L
vereinbarte daraufhin mit dem Kläger für den nächsten Tag, den 01.10.1999, morgens
um 9:00 Uhr, ein Treffen im Büro, um dann gemeinsam nach F zu fahren und das Geld
abzuholen. Der Kläger erschien zum vereinbarten Termin nicht, sondern hinterlegte in
der Nacht vom 30.09. auf den 01.10.1999 eine handschriftliche Notiz an den
Geschäftsführer B , die wie folgt lautet:
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Es gibt keine Steuerfahndung, es gibt keine D B , es gibt kein . Ich habe mich verzockt
und die Firma 177.000,00 DM verloren. Es tut mir leid.
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Ich bringe alles wieder in Ordnung. F Achten Sie aufs Konto, das Geld werde ich wieder
drauf tun. (Blatt 109 d. A.)
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Nachdem die Geschäftsführung am frühen Morgen des 01.10.1999 von dieser Notiz des
Klägers Kenntnis genommen hatte, rief der Geschäftsführer B den
Betriebsratsvorsitzenden - den Bruder des Klägers - in sein Büro, informierte ihn über
den gesamten Sachverhalt und legte ihm insbesondere die vom Kläger gefertigten
handschriftlichen Vermerke vor. Gleichzeitig teilte er mit, dass beabsichtigt sei, dem
Kläger fristlos zu kündigen. Kurze Zeit später tagte der Personalausschuss des
Betriebsrats und stimmte der außerordentlichen Kündigung des Klägers zu. Hierüber
unterrichtete der Betriebsratsvorsitzende noch am Vormittag des 01.10.1999 die
Geschäftsführung, die daraufhin gegenüber dem Kläger die fristlose Kündigung
aussprach. Ab dem 01.10.1999 war der Kläger bis zum 31.07.2000 ohne Unterbrechung
arbeitsunfähig krank.
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Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 05.10.1999 widerrief der Kläger alle
von ihm zuvor abgegebenen Erklärungen und erklärte die Anfechtung dieser
Willenserklärungen, da er sich nicht bewusst gewesen sei, was er getan habe (Blatt 63,
64 d. A.).
8
Der Kläger hat bestritten, Geld unterschlagen zu haben. Vielmehr habe er sämtliche
Einnahmen, die nicht zur Begleichung von Aushilfslöhnen verwendet worden seien,
ordnungsgemäß an die Beklagte weitergegeben. Er habe die von den Mitarbeitern
eingenommenen Beträge nie kontrolliert. Hiervon habe die Beklagte Kenntnis gehabt.
Außerdem habe neben ihm auch der Mitarbeiter D einen Safeschlüssel gehabt.
9
Der Kläger hat darüber hinaus die ordnungsgemäße Beteiligung und Zustimmung des
Betriebsrats bestritten. Vor Ausspruch der Kündigung sei keine Betriebsratssitzung
erfolgt.
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Schließlich hat er die Ansicht vertreten, der Beklagten stünden keine Gegenansprüche
zu. Diese beruhten auf Phantasiezahlen. Außerdem seien die möglichen Ansprüche
tariflich verfallen.
11
Der Kläger hat, soweit für die Berufung noch von Bedeutung, beantragt,
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1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien seit dem Jahre 1979 bestehende
Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung vom 01.10.1999 beendet
worden ist;
2. die Beklagte zu verurteilen, für den Monat Oktober 1999 an den Kläger 5.100,00
DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 01.11.1999 zu zahlen;
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.100,00 DM brutto abzüglich von der
Krankenkasse gezahlter 1.618,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 01.12.1999 zu
zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen;
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widerklagend hat er beantragt,
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den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte 200.008,58 DM nebst 4 % Zinsen seit
Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Widerklage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit
dem Kläger sei ihr nicht zumutbar, nachdem dieser eingeräumt habe, 177.000,00 DM
veruntreut bzw. unterschlagen zu haben. Vergütungsansprüche stünden ihm nicht zu.
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Den widerklagend geltend gemachten Schadensersatzanspruch hat die Beklagte unter
Berücksichtigung der an die Aushilfskräfte gezahlten Löhne aus den Gesamteinnahmen
des Klägers bei elf Messen im Jahr 1999 in Höhe von 320.297,19 DM errechnet.
Hiervon habe der Kläger lediglich 120.288,61 DM an die Beklagte abgeführt.
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Das Arbeitsgericht hat zur Anhörung des Betriebsrats Beweis erhoben durch
Vernehmung des Zeugen H P . Wegen des Beweisbeschlusses und des Ergebnisses
der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 31.08.2000 (Blatt 237 f. d. A.)
verwiesen.
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Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 28.09.2000 der Klage in vollem Umfang und
der Widerklage in Höhe von 177.000,00 DM stattgegeben. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt, dass die außerordentliche Kündigung mangels wirksamer
Betriebsratszustimmung unwirksam sei. Die Widerklage sei in Höhe des vom Kläger in
einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis eingeräumten Umfangs von 177.000,00
DM begründet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe
Blatt 51 f. d. A. verwiesen.
23
Der Kläger hat gegen das ihm am 12.12.2000 zugestellte Urteil am 04.01.2001 Berufung
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eingelegt und diese am 29.01.2001 begründet. Die Beklagte hat gegen das ihr am
04.12.2000 zugestellte Urteil am 22.02.2001 Anschlussberufung eingelegt.
Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, der Beklagten stehe ein
Schadensersatzanspruch in Höhe von 177.000,00 DM nicht zu. Er behauptet dazu, dass
allein die Beklagte die Zahl von 177.000,00 DM ins Spiel gebracht habe. Am
Nachmittag des 30.09.1999 sei ihm gegenüber von der Beklagten erklärt worden, dass
ein Betrag in dieser Höhe fehlen würde. In seinem handschriftlichen Vermerk habe er
lediglich diese Zahl wiederholt. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass der Kläger für
das Fehlen des Geldes verantwortlich sei. Im Übrigen sei der Anspruch verfallen. Der
Arbeitsvertrag nehme unter Ziffer 15 Bezug auf die Tarifverträge des
Gebäudereinigerhandwerks.
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Der Kläger beantragt,
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unter teilweiser Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 28.09.2000 - 11(18)
Ca. 8.569/99 - wird die Widerklage abgewiesen.
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Die Beklagte beantragt,
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1. die Berufung zurückzuweisen.
2. Das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 28.09.2000 - 11(18) Ca 8.569/99 - in den
Ziffern 1., 3. und 4. abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Anschlussberufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, die außerordentliche Kündigung sei wirksam, da der
Betriebsrat der Kündigung durch seinen Personalausschuss wirksam zugestimmt habe.
Im Übrigen verteidigt die Beklagte das angefochtene Urteil hinsichtlich der Widerklage.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgetragenen Schriftsätze sowie die
überreichten Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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1. Die Berufung des Klägers ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2
ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66
Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 518, 519 ZPO). Die Anschlussberufung ist
ebenfalls zulässig (§ 521 Abs. 1 ZPO).
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1. Die Rechtsmittel haben jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat
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zu Recht der Klage und der Widerklage im erkannten Umfang stattgegeben.
1. Die fristlose Kündigung der Beklagten vom 01.10.1999 ist wegen fehlender
Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG rechtsunwirksam. Der
Kläger ist Mitglied des Betriebsrates. Demnach bedurfte seine Kündigung gemäß
§ 103 Abs. 1 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats.
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1. Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine wirksame
Zustimmung des Betriebsrats nicht vorliegt, da die Zustimmung lediglich durch den
Personalausschuss und nicht durch den gesamten Betriebsrat erfolgt ist. Für die
Zustimmung zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist aber immer ein
Beschluss des Betriebsrates erforderlich und ein Beschluss eines
Personalausschusses nicht ausreichend.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten, ist diese Frage höchstrichterlich noch nicht
entschieden. Die von ihr genannten Entscheidungen, die Beschlüsse des
Bundesarbeitsgerichts vom 01.06.1976 (- 1 ABR 99/74 - AP Nr.1 zu § 28 BetrVG 1972)
und vom 20.10.1993 ( - 7 ABR 26/93 - AP Nr.4 zu § 28 BetrVG 1972) befassen sich nicht
mit der Übertragung der Zustimmungsbefugnis zur außerordentlichen Kündigung eines
Betriebsratsmitglied auf einen Betriebsratsausschuss. Vielmehr geht es in dem
Beschluss vom 01.06.1976(um die grundsätzliche Befugnis des Betriebsrats, die
Ausübung der Beteiligungsrechte bei personellen Einzelmaßnahmen einem
besonderen Personalausschuss zur selbstständigen Erledigung zu übertragen. Der
Beschluss vom 20.10.1993 betrifft die Übertragung von Mitbestimmungsrechten aus §
87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auf eine paritätische Technologie-Kommission.
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Das Bundesarbeitsgericht geht dabei von dem Grundsatz aus, dass die Entscheidung
des Betriebsrats, welche Aufgaben er an weitere oder gemeinsame Ausschüsse
überträgt, keiner Zweckmäßigkeits-, sondern nur einer Rechtskontrolle unterliegt. Neben
den ausdrücklich normierten Einschränkungen der Aufgabenübertragung hat der
Betriebsrat lediglich die allgemeine Schranke des Rechtsmissbrauch zu beachten. Der
Betriebsrat darf sich nicht aller wesentlichen Befugnisse dadurch entäußern, dass er
seine Aufgaben weitgehend auf Ausschüsse überträgt. Er muss als Gesamtorgan in
einem Kernbereich der gesetzlichen Befugnisse zuständig bleiben. Dabei ist nicht auf
einen einzelnen Mitbestimmungstatbestand, sondern auf den Aufgabenbereich des
Betriebsrats abzustellen (BAG 01. Juni 1976 aaO; 20.10.1993 aaO)
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Demnach war der Betriebsrat vorliegend zwar grundsätzlich berechtigt, die Ausübung
seiner Beteiligungsrechte bei personellen Angelegenheiten auf einen
Personalausschuss zu übertragen. Er durfte jedoch die Zustimmungsbefugnis gemäß §
103 BetrVG wegen der Bedeutung dieses Verfahrens nicht auf den Personalausschuss
delegieren. Denn die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds betrifft die
Zusammensetzung des Gesamtorgans und damit in den Kernbereich der Amtsführung
des Betriebsrats ein. Wegen der weiteren Begründung wird auf die zutreffenden und
eingehend begründeten Rechtsausführungen des Arbeitsgerichts verwiesen.
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1. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Zustimmungsmangel nicht
deshalb unerheblich ist, weil er aus der Sphäre des Betriebsrats stammt.
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Die Grundsätze, die das Bundesarbeitsgericht für die Berücksichtigung der Mängel beim
Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG entwickelt hat (Sphärentheorie), sind auf das
Zustimmungsverfahren des § 103 BetrVG nicht übertragbar, da die erforderliche
Zustimmung zur Kündigung einen wirksamen Beschluss voraussetzt (BAG 23.08.1984,
NZA 1985, 254 f.). Daran fehlt es jedoch, wie bereits ausgeführt, vorliegend.
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Die Beklagte kann sich gegenüber dem nichtigen Zustimmungsbeschluss auch nicht auf
die Grundsätze des Vertrauensschutzes zu Gunsten des Arbeitgebers berufen.
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Danach darf der Arbeitgeber zwar grundsätzlich auf die Wirksamkeit eines
Zustimmungsbeschlusses nach § 103 BetrVG vertrauen, wenn ihm der
Betriebsratsvorsitzende oder sein Vertreter mitteilt, der Betriebsrat habe die beantragte
Zustimmung erteilt. Dies gilt aber dann nicht, wenn der Arbeitgeber die Tatsachen kennt
oder kennen muss, aus denen die Unwirksamkeit des Beschlusses folgt (BAG aaO).
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Vorliegend hat das Arbeitsgericht auf Grund der Beweisaufnahme festgestellt, dass den
Geschäftsführern der Beklagten gleichzeitig mit der mündlich übermittelten Zustimmung
auch das Sitzungsprotokoll des Personalausschusses übergeben worden ist. Damit
wusste die Beklagte, dass nicht der Betriebsrat, sondern nur der Personalausschuss
des Betriebsrats der Kündigung zugestimmt hatte. Sie hatte somit Kenntnis von den die
Unwirksamkeit des Zustimmungsbeschlusses begründenden Tatsachen. Entgegen der
Auffassung der Beklagten kommt es demgegenüber nicht darauf an, ob die Beklagte
Zweifel an der rechtlichen Wirksamkeit dieses Beschlusses gehabt hat. Denn auf
Vertrauensschutz kann sich der Arbeitgeber nicht berufen, wenn ihm die Tatsachen
bekannt sind oder bekannt sein müssen, aus denen sich die Unwirksamkeit des
Beschlusses ergibt, er diese aber rechtlich falsch bewertet (BAG aaO).
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II. 1. Der seit dem 1.10.1999 arbeitsunfähige Kläger hat auf Grund des fortbestehenden
Arbeitsverhältnisses für die Monate Oktober und November 1999 Anspruch gegen die
Beklagte gemäß § 3 Abs. 1 EFZG iVm § 611 BGB iVm dem Arbeitsvertrag der Parteien
auf 10.200,00 DM brutto Entgeltfortzahlung im Rahmen des sechswöchigen
gesetzlichen Entgeltfortzahlungszeitraums. In Abzug zu bringen ist der von der
Krankenkasse für die zweite Hälfte des Monats November 1999 an den Kläger
geleistete Betrag von 1618,-DM netto.
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2. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die von der Beklagten erklärte Aufrechnung nicht
durchgreifen lassen. Die zuerkannten Klageforderungen sind nicht durch die von der
Beklagten im Prozess anfangs erklärte Aufrechnungserklärung gemäß § 389 BGB
erloschen. Selbst wenn die beklagte ihre Aufrechnungserklärung noch aufrechterhalten
sollte, obwohl sie die von ihr behaupteten Gegenforderungen in vollem Umfang zum
Gegenstand der Widerklage gemacht hat, so ist die Aufrechnungserklärung, wie das
Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, unzulässig. Denn sie ist zu unbestimmt, da sie
nicht erkennen lässt, in welchem Umfang die Bruttolohnansprüche des Klägers
erloschen sein sollen.
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Erfolgt die Aufrechnungserklärung mit einer Nettoforderung gegenüber einer
ungleichartigen Bruttolohnforderung, so obliegt dem Aufrechnenden die genaue
Spezifizierung der sich aufrechenbar gegenüberstehenden Forderungen (LAG Köln
23.8.1989 LAGE § 7 BurlG Nr.19). Der Arbeitgeber kann nur gegenüber der
Nettolohnforderung aufrechnen (ErfK/Preis, 2.Aufl.,§ 611 BGB Rz 661). Die Beklagte hat
aber auch in der Berufungsinstanz nicht dargelegt, in welchem Umfang sich die
zuerkannten Klageforderungen und ihre Gegenforderungen aufrechenbar gegenüber
gestanden haben sollen, denn sie hat nicht einmal dargelegt, welche Nettobeträge den
zuerkannten Klageforderungen entsprechen.
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3. Der Zinsanspruch ergibt sich unter Verzugsgesichtspunkten aus den §§ 284 ff. BGB.
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III. Das Arbeitsgericht hat der Widerklage der Beklagten zu Recht mit zutreffender
Begründung in Höhe von 177.000,00 DM stattgegeben.
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1. Der Kläger hat mit seiner Erklärung vom 30.09.1999 (Blatt 109 d. A.) ein
deklaratorisches Schuldanerkenntnis abgegeben. Auf die ausführliche
Begründung des Arbeitsgerichts zur Auslegung und rechtlichen Einordnung dieser
Erklärung wird Bezug genommen.
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Die Berufung des Klägers enthält dazu kein neues Vorbringen. Soweit er vorträgt, er
bestreite die Höhe des Schadens, die Zahl von 177.000,00 DM sei von der Beklagten
ins Spiel gebracht worden, ändert dies nichts. Der Kläger hat wörtlich erklärt: " Ich habe
mich verzockt und die Firma 177.000,00 DM verloren ... Ich bringe alles wieder in
Ordnung ... Das Geld werde ich wieder drauf tun." Die Auslegung dieser Erklärung
gemäß §§ 133, 157 BGB ergibt bereits nach dem unmissverständlichen Wortlaut, dass
der Kläger damit eine Schuld gegenüber der Beklagten in dieser Höhe anerkennen
wollte. Die Einwendung des Klägers, ein Schadensersatzanspruch in dieser Höhe
bestehe nicht und sei von der Beklagten nicht substantiiert dargelegt,ist damit
ausgeschlossen.
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1. Der Wirksamkeit dieses Schuldanerkenntnisses steht auch nicht - wie das
Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat - der Widerruf bzw. die
Anfechtungserklärung des Klägers vom 05.10.1999 entgegen. Für ein einseitiges
Widerrufsrecht besteht keine Rechtsgrundlage. Der Anfechtung fehlt es an einem
Anfechtungsgrund. Der Kläger hat insoweit lediglich vorgetragen, dass auf ihm ein
massiver Druck gelastet habe und er sich nicht bewusst gewesen sei, was er
getan habe. Daraus ergibt sich jedoch kein gesetzlicher Anfechtungsgrund, da
weder die Voraussetzungen eines Irrtums gemäß § 119 BGB noch die einer
arglistigen Täuschung oder widerrechtlichen Drohung im Sinne von § 123 BGB
dargelegt sind.
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1. Die Schadensersatzforderung der Beklagten ist auch nicht verfallen.
a) Zwar finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien auf Grund der Inbezugnahme in B
Zif.15 des Arbeitsvertrages vom 03.07.1989 die Tarifverträge für das Gebäudereiniger-
Handwerk und damit die tariflich geregelten Ausschlussfristen Anwendung. Es kann
dahinstehen, ob damit auf den Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten im
Gebäudereiniger-Handwerk oder, was im Hinblick auf die Angestelltentätigkeit des
Klägers naheliegender ist, auf den Rahmentarifvertrag für Angestellte im
Gebäudereiniger- Handwerk in Nordrhein-Westfalen Bezug genommen wird. Denn die
Ausschlussfristen beider Tarifverträge (§ 23 RTV gewerblich; § 16 RTV Angestellte)
sind gleichlautend.
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b) Der Kläger kann sich jedoch, worauf das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen hat,
wegen seines Schuldanerkenntnisses nicht auf die tariflichen Verfallfristen berufen.
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Ausschlussfristen sollen der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden dienen. Der
Schuldner soll sich darauf verlassen können, nach Ablauf der tariflichen Verfallfristen
nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Umgekehrt soll der Gläubiger
angehalten werden, innerhalb kurzer Fristen die Begründetheit und die
Erfolgsaussichten seiner Ansprüche zu prüfen (BAG 08.08.1979 AP Nr. 67 zu § 4 TVG
Ausschlussfristen; 10.10.1991 - 5 AZR 382/90 - n. v.). Das Bundesarbeitsgericht hat in
der genannten Entscheidung vom 10.10.1991 eine Berufung auf die Verfallfristen im
Falle der Erteilung einer Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers abgelehnt. Es hat
zur Begründung ausgeführt, dass darin ein Anerkenntnis der Arbeitnehmerforderungen
liege und die Friedensfunktion einer tariflichen Ausschlussfrist gewahrt ist, wenn der
Schuldner von sich aus die Ansprüche klarstellt (aaO. Entscheidungsgründe II. 2. b).
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Erst recht kann sich vorliegend der Kläger, der seine Schuld in einem deklaratorischen
Schuldanerkenntnis anerkannt hat, nicht auf die tariflichen Verfallfristen berufen. Die
Beklagte konnte nach dem Anerkenntnis des Klägers, das mit den Worten endet: "Ich
bringe alles wieder in Ordnung ... Das Geld werde ich wieder drauf tun." , davon
ausgehen, dass der Kläger den Schaden ausgleichen wollte. Andererseits musste der
Kläger damit rechnen, dass die Beklagte für den Fall, dass er entgegen seiner
Ankündigung im Anerkenntnis keinen Schadensausgleich vornehmen würde, ihre
Ansprüche außergerichtlich und ggf. gerichtlich geltend machen würde.
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Daran ändert sich entgegen der Auffassung des Klägers auch dadurch nichts, dass der
Kläger mit Schreiben vom 02.10.1999 seine Erklärungen widerrufen und angefochten
hat. Denn wie bereits ausgeführt beseitigt weder der Widerruf noch die Anfechtung die
Wirksamkeit des Schuldanerkenntnisses des Klägers. Wenn aber eine Forderung wie
hier anerkannt worden ist, ist der Gläubiger nicht verpflichtet, diese zur Wahrung von
Ausschlussfristen geltend zu machen für den Fall, dass der Schuldner diese Forderung
später bestreitet (BAG 21.4.1993 AP Nr.124 zu § 4 TVG Ausschlussfristen).
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1. Der Zinsanspruch folgt aus Verzugsgründen gemäß §§ 288, 291 ZPO.
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1. Die Berufung wie die Anschlussberufung waren daher mit der Kostenfolge aus §
97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung
zuzulassen.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil kann von dem Kläger und der Beklagten Revision eingelegt
werden.
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Die Revision muss innerhalb einer Notfrist (eine Notfrist ist unabänderlich und kann
nicht verlängert werden) von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich
beim Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuss-Platz 1, 99084 Erfurt eingelegt werden. Die
Revision ist gleichzeitig oder innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung schriftlich zu
begründen. Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei
einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterschrieben sein.
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(Dr. von Ascheraden) (Hartwig) (Fiegler)
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