Urteil des LAG Köln vom 06.09.2010

LArbG Köln (kündigung, antragsteller, einstweilige verfügung, vertrauensperson, unwirksamkeit der kündigung, arbeitsgericht, stellvertreter, fristlose kündigung, verfügung, zustimmung)

Landesarbeitsgericht Köln, 5 TaBVGa 7/10
Datum:
06.09.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
5.Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 TaBVGa 7/10
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 13 BVGa 31/10
Schlagworte:
Einstweilige Verfügung
Normen:
§ 96 Abs. 3 SGB IX
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Das Amt der Vertrauensperson der Schwerbehinderten endet
grundsätzlich mit dem Aus¬spruch einer außerordentlichen Kündigung,
es sei denn, die Kündigung ist offensichtlich rechtsunwirksam.
Tenor:
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Köln vom 01.06.2010
– 13 BVGa 31/10 wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
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I. Mit seinen Anträgen im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren begehrt
der Antragsteller, dem Antragsgegner aufzugeben, ihm zur Ausübung seines
Amtes als Vertrauensmann der Schwerbehinderten, den Zutritt zum Betrieb zu
gestatten, Zugang zum Dienstcomputer zu gewähren und ein Diensthandy zur
Verfügung zu stellen.
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Der Antragsteller ist am 11.04.1968 geboren, verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er
ist bei dem Antragsgegner seit dem 01.04.1998 als Gärtner beschäftigt. Hier war er
zunächst in Brauweiler und seit 2006 im rheinischen Freilichtmuseum in Mechernich
Kommern tätig. Er hat eine anerkannte Schwerbehinderung von 70 GdB.
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Seit dem 05.03.2004 ist der Antragsteller die für das Dezernat 9 – Kultur und Umwelt –
gewählte Vertrauensperson für schwerbehinderte Menschen. Erster Stellvertreter ist
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Herr H , zweiter Stellvertreter ist Herr P .
Aufgrund von Informationen, die der Antragsgegner und der Staatsanwaltschaft
anlässlich eines anderweitigen Ermittlungsverfahrens gegen andere Personen erhielt,
wirft der Antragsgegner dem Antragsteller vor, er habe heimlich vertrauliche Gespräche
mittels eines Tonaufnahmegeräts aufgezeichnet. Hierbei habe es sich um
Personalgespräche gehandelt, die die Versetzung des Antragstellers zum Gegenstand
gehabt hätten. Ferner habe er Kenntnis von heimlichen Aufzeichnungen dienstlicher
Gespräche durch einen Kollegen gehabt und dies weder den betroffenen Personen
noch den Vorgesetzten mitgeteilt. Der Antragsgegner wirft dem Antragsteller strafbares
Verhalten vor, zumindest bestehe der dringende Verdacht eines strafbaren Verhaltens.
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Aufgrund dieses Vorwurfs hat der Antragsgegner nach Zustimmung des
Integrationsamtes, das beim Antragsgegner angesiedelt ist, sowie nach Zustimmung
des Personalrats mit Schreiben vom 19.04.2010 die außerordentliche Kündigung des
Arbeitsverhältnisses erklärt.
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Die gegen diese außerordentliche Kündigung erhobene Kündigungsschutzklage hat
das Arbeitsgericht Bonn durch Urteil vom 30.06.2010 (Az.: 2 Ca 957/10 EU)
abgewiesen; dass diesbezügliche Berufungsverfahren ist vor dem Landesarbeitsgericht
anhängig.
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Der Antragsteller vertritt die Ansicht, die ausgesprochene Kündigung sei
rechtsunwirksam. Insbesondere fehle es an der notwendigen Zustimmung der
Schwerbehindertenvertretung zur Kündigung. Auch sei die Zustimmung des
Integrationsamtes zur Kündigung zu beanstanden, da der Antragsgegner aufgrund des
Umstandes, dass er selbst die Funktion des Integrationsamtes ausübe, sich selbst die
Zustimmung zur Kündigung des Antragstellers erteilt habe.
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Mit dem vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, bei Gericht
eingegangen am 29.04.2010, begehrt der Antragsteller den Zutritt zum Betrieb in seiner
Eigenschaft als Vertrauensperson der Schwerbehinderten, die Duldung entsprechender
Betriebsbegehungen, den Zugang zu Dienstcomputer und Computersystem sowie die
zur Verfügungsstellung eines Diensthandys.
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Erstinstanzlich hat der Antragsteller hierzu vorgebracht, zur Wahrnehmung seines
Amtes müsse ihm ungeachtet des Ausspruchs der Kündigung Zutritt zum Betrieb
gewährt und die dafür erforderliche Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden.
Andernfalls sei die ordentliche Wahrnehmung der Interessen der Schwerbehinderten
durch die Stellvertreter des Antragstellers nicht gewährleistet. Der erste Stellvertreter sei
erkrankt, der zweite Stellvertreter häufig abwesend.
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Durch Beschluss vom 01.06.2010 hat das Arbeitsgericht die Anträge des Antragstellers
zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht darauf abgestellt, das Amt des
Antragstellers als Vertrauensperson der Schwerbehinderten habe mit dem Ausspruch
der außerordentlichen Kündigung sein Ende gefunden. Gründe, die zu einer
offensichtlichen Unwirksamkeit der Kündigung führen könnten, lägen nicht vor, sodass
kein Verfügungsanspruch gegeben sei. Auch mangele es an einem Verfügungsgrund,
wobei auch zu berücksichtigen sei, dass die Kündigungsvorwürfe vom Antragsteller im
Kern inhaltlich eingeräumt würden und die Rechte der Schwerbehinderten im Betrieb
des Antragsgegners durch einen Stellvertreter des Antragstellers wahrgenommen
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werden könnten.
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller fristgerecht Beschwerde einlegen
begründen lassen.
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Zur Begründung bringt der Antragsteller vor, die ausgesprochene Kündigung sei aus
mehreren unabhängig voneinander bestehenden Gründen offensichtlich
rechtunwirksam. Dies ergebe sich bereits daraus, dass der Antragsgegner nicht
klargestellt habe, welche Art der Kündigung er zugrunde lege, insbesondere ob eine
Tatkündigung oder eine Verdachtskündigung gewollt gewesen sei. Zudem sei die
Kündigung verfristet, denn der Antragsgegner habe bereits am 18.03.2010 Kenntnis von
den Tonbandaufnahmen gehabt. Ferner sei die Beteiligung des Integrationsamtes
rechtlich zu beanstanden. Denn das Integrationsamt sei dem Antragsgegner
untergeordnet und in die Organisation des Antragsgegners integriert, sodass der
Antragsgegner als Arbeitgeber nicht gleichzeitig über die Zustimmung zur
außerordentlichen Kündigung nach § 91 SGB IX entscheiden könne. Bei der
Zustimmungsentscheidung hätte berücksichtigt werden müssen, dass die dem
Antragsteller vorgeworfenen Verstöße im Zusammenhang mit seiner Behinderung
stünden.
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Auch ein Verfügungsgrund liege vor. Denn Herr P als dritter stellvertretende
Vertrauensmann sei offenkundig schon aus zeitlichen Gründen nicht in der Lage, die
umfangreiche Tätigkeit als Vertrauensperson und damit die Interessen der
Schwerbehinderten im Dezernat 9 wahrzunehmen. Zudem werde der Antragsteller
regelmäßig von schwerbehinderten Menschen aus dem Dezernat 9 privat Zuhause
angerufen, die sich mit Fragen und Anregungen betreffend die Tätigkeit als
Vertrauensperson an ihn wenden würden.
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Der Antragsteller beantragt unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts
Köln vom 01.06.2010 – 13 BVGA 31/10 –
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1. dem Antragsgegner aufzugeben, Betriebsbegehungen zu dulden, die von Herrn K
in seiner Eigenschaft als Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung
allein und ohne von der Antragsgegnerin beigestellte Begleitpersonen dazu
durchgeführt werden, um von der Belegschaft für die Schwerbehindertentätigkeit
erforderliche Informationen zu erhalten.
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2. dem Antragsgegner aufzugeben, dem Antragsteller für die Wahrnehmung der
Tätigkeiten als Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung Zutritt zum
Betrieb zu gewähren.
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Dem Antragsgegner aufzugeben, dem Antragsteller zur Wahrnehmung seiner
Tätigkeiten als Vertrauensperson der der Schwerbehindertenvertretung des
Dezernates 9 des Landschaftsverbandes Rheinland Zugang zu dem
Dienstcomputer zu gewähren.
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3. dem Antragsgegner aufzugeben, die von ihm vorgenommene Sperrung zum LVR-
Computersystem aufzuheben und dem Antragsteller in seiner Eigenschaft als
Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung insoweit die
Computernutzung zu gestatten.
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4. dem Antragsgegner aufzugeben, dass dem Antragsteller zur Ausübung seines
Amtes überlassene Diensthandy zur Verfügung zu stellen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.
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Der Antragsgegner verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Das Amt des
Schwerbehindertenvertrauensmannes sei durch die außerordentliche Kündigung
beendet worden. Diese sei auch nicht offenkundig unwirksam. Ferner liege kein
Verfügungsgrund vor, da der Stellvertreter Herr P für die Aufgaben als Vertrauensperson
der Schwerbehinderten in jeder Weise geeignet sei. Wegen weiterer Einzelheiten des
Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze
Bezug genommen.
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II. Die zulässige, insbesondere statthafte und form- und fristgerecht eingelegte und
begründete Beschwerde hatte in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und mit
zutreffenden Gründen hat das Arbeitsgericht den Erlass einer einstweiligen
Verfügung abgelehnt. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts
wird in vollem Umfang Bezug genommen. Die seit der erstinstanzlichen
Entscheidung des Arbeitsgerichts hinzugekommenen Umstände unterstreichen
die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.
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1. Ein Verfügungsanspruch ist nicht gegeben.
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Die Amtstätigkeit der Vertrauensperson der Schwerbehinderten endet grundsätzlich mit
dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Der Schutz der Vertrauensperson der
Schwerbehinderten ist gemäß § 96 Abs. 3 SGB IX parallel zum Status des Betriebsrates
geschützt. Bei Betriebsratsmitgliedern ist grundsätzlich anerkannt, dass sie nach einer
außerordentlichen Kündigung nicht in der Lage sind, ihr Amt auszuüben. Zumindest ist
von einer zeitweiligen Verhinderung im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG auszugehen.
Das gewählte Ersatzmitglied tritt insoweit an die Stelle des Gekündigten (s. Fitting u. a.,
Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz 24. Auflage, § 24 BetrVG Randziffer 16 f.
mit umfangreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur; Buschmann in:
Däubler/Kittner/Klebe, Betriebsverfassungsgesetz § 24 Rn. 12 ff).
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Lediglich dann, wenn die ausgesprochene Kündigung offensichtlich rechtsunwirksam
ist, etwa dann, wenn die Kündigung ohne Zustimmung der Personalvertretung oder
ohne eine ersetzende arbeitsgerichtliche Entscheidung nach § 103 Abs. 2 BetrVG
ausgesprochen worden ist, kann eine einstweilige Verfügung zur Sicherung der
Amtstätigkeit in Betracht kommen (s. Fitting a. a. O. § 24 BetrVG Randziffer 17 mit
weiteren Nachweisen; Buschmann in: Däubler/Kittner/Klebe,
Betriebsverfassungsgesetz § 24 Rn. 15).
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Im vorliegenden Fall kann von einer offensichtlichen Unwirksamkeit der
ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung nicht ausgegangen werden. Dies gilt
schon deshalb, weil nach Verkündung der angegriffenen erstinstanzlichen
Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren am 30.06.2010 das
klageabweisende erstinstanzliche Urteil -2 Ca 957/10 – im Hauptsacheverfahren
verkündet worden ist. Mit diesem den Beteiligten bekannten Urteil, auf das verwiesen
wird, hat das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage des Klägers abgewiesen (2 Ca
957/10). Dabei hat das Arbeitsgericht im Hauptsacheverfahren alle vom Kläger geltend
gemachten Unwirksamkeitsgründe geprüft und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die
ausgesprochene Kündigung als rechtswirksam anzusehen ist.
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Selbst wenn man, wie die Antragstellerseite, hinsichtlich verschiedener
Unwirksamkeitsgründe anderer Auffassung sein mag, ist doch festzuhalten, dass das
Arbeitsgericht mit in jeder Hinsicht vertretbarer und nachvollziehbarer Argumentation die
ausgesprochene fristlose Kündigung für rechtswirksam erachtet hat. Vor diesem
Hintergrund kann jedenfalls nicht mehr davon gesprochen werden, dass die
ausgesprochene Kündigung offensichtlich für rechtsunwirksam sein könnte.
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2. Auch ein Verfügungsgrund liegt nicht vor. Zusätzlich zu den bereits vom
Arbeitsgericht zutreffend angeführten Gründen ist im Laufe des
Beschwerdeverfahrens hinzugekommen, dass der erste Stellvertreter des
Antragstellers als Vertrauensperson der Schwerbehinderten, Herr H , wieder
genesen ist und seinen Dienst wieder aufgenommen hat. Aus den in der
mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 06.09.2010
überreichten und mit den Beteiligten erörterten Unterlagen ist zudem ersichtlich,
dass Herr H die zur Ausübung seines Amtes als Vertrauensperson der
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Schwerbehinderten erforderliche Ausrüstung gefordert und erhalten hat. Die
Funktion der Amtstätigkeit der Vertrauensperson der Schwerbehinderten im
Dezernat 9 ist daher gesichert. Nicht zu ersetzende Nachteile dadurch, dass der
Antragsteller seine Amtstätigkeit nicht ausüben kann, sind angesichts dieses
Umstandes nicht ersichtlich.
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Es fehlt daher auch an einem Verfügungsanspruch.
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3. Aus den vorgenannten Gründen hatte der Antragsteller keinen Anspruch darauf,
Ausübung seiner Amtstätigkeit Zugang zum Betrieb, zu den betrieblichen
Einrichtungen, insbesondere dem Computersystem zu erhalten und Computer und
Handy zur Ausübung der Amtstätigkeit zur Verfügung gestellt zu bekommen. Zu
Recht hat das Arbeitsgericht die entsprechenden Anträge des Antragstellers
zurückgewiesen. Die Beschwerde musste erfolglos bleiben.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
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Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 92 Abs. 1 S. 3 ArbGG in Verbindung mit § 85 Abs.
2 ArbGG kein weiteres Rechtsmittel gegeben.
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Dr. Griese Spicker Janssen
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