Urteil des LAG Köln vom 06.09.2005

LArbG Köln: darstellung des sachverhaltes, betriebsrat, mitbestimmungsrecht, anschlussbeschwerde, sozialplan, arbeitsgericht, zahl, geschäftsführung, rechtsschutzinteresse, bestandteil

Landesarbeitsgericht Köln, 4 TaBV 41/05
Datum:
06.09.2005
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 TaBV 41/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bonn, 5 BV 52/05
Schlagworte:
Einsetzung einer Einigungsstelle
Normen:
§§ 76, 87 BetrVG, § 98 ArbGG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Die Einigungsstelle ist entgegen in der Literatur vertretenen Ansicht (z.b.
Germelmann/Matthes/Prütting/ Müller - Glöge, ArbGG, 5. Auflage § 98
Rn. 12) nicht ohne weiteres offensichtlich unzuständig, wenn von einem
Mitbestimmungsrecht bereits durch Abschluss einer
Betriebsvereinbarung Gebrauch gemacht wurde und diese weder
gekündigt noch für unwirksam erklärt ist.
Tenor:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Bonn vom 15.06.2005
– 5 BV 52/05 – wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss
des Arbeitsgerichts Bonn dahingehend ergänzt, dass die Zahl der von
jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf drei festgesetzt wird.
G r ü n d e :
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(Von der Darstellung des Sachverhaltes wird entsprechend § 69 Abs. 2 ArbGG
abgesehen.)
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Die zulässig, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde des
Antragsgegners hat in der Sache keinen Erfolg. Erfolg hatte dagegen die
Anschlussbeschwerde.
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A. Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Vorsitzenden der Einigungsstelle bestellt, weil
die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig ist.
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Offensichtliche Unzuständigkeit – das hat das Arbeitsgericht ebenfalls zu Recht
ausgeführt – ist nur dann gegeben, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das
Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der
fraglichen Angelegenheit unter keinem denkbaren rechtlichem Gesichtspunkt in
Betracht kommt.
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Dass es sich bei dem Regelungsgegenstand grundsätzlich um einen solchen handelt,
für die ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 S. 2 und 3 BetrVG besteht, ist
zwischen den Beteiligten unstreitig. Streit besteht allein über die Frage, ob das
Mitbestimmungsrecht wegen der bestehenden Betriebsvereinbarungen ausgeschlossen
ist und ob deshalb offensichtlich Unzuständigkeit gegeben ist, weil der Betriebsrat sich
nicht ausreichend informiert sieht. Aus beiden Gründen ist offensichtliche
Unzuständigkeit nicht gegeben:
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I. Der Antragsgegner beruft sich auf die auch im angefochtenen Beschluss
wiedergegebene Auffassung von Müller-Glöge (Germelmann/Matthes/Prütting, § 98
ArbGG Rn. 12), der ausführt, offensichtlich sei dann kein Mitbestimmungsrecht gegeben,
wenn von einem Mitbestimmungsrecht bereits durch Abschluss einer
Betriebsvereinbarung Gebrauch gemacht worden sei, solange diese nicht gekündigt
und für unwirksam erklärt sei. Diese Auffassung wird nicht weiter begründet. Es wird als
Beleg lediglich die Entscheidung des LAG Düsseldorf (Kammer Köln) vom 09.09.1977
EzA § 76 BetrVG 1972 Nr. 16 angegeben.
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1. Diese Entscheidung beruht indes auf einer Begründung, die die Kammer nicht teilt
und die auch nicht der Rechtsprechung des BAG entspricht. Das LAG hat seinerzeit
seine Entscheidung so begründet: Solange ein einmal zustande gekommener
Sozialplan in Kraft sei, könne der Betriebsrat nicht über eine neue Einigungsstelle einen
neuen Sozialplan erreichen. Das habe nämlich die kaum zu vertretende Folge, dass
zwei Sozialpläne vorhanden seien, von denen zunächst niemand wisse, welcher
rechtswirksam sei. Denn die neue Einigungsstelle könne zwar einen Sozialplan
erstellen, aber nicht darüber entscheiden, ob der alte Sozialplan rechtswirksam sei und
auch geblieben sei. Diese Entscheidung obliege allein den Arbeitsgerichten.
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Dieser Auffassung steht entgegen, dass eine Betriebsvereinbarung – auch ein
Sozialplan – eine Norm ist und für Normen der Grundsatz gilt, dass die jüngere Norm
die ältere ablöst. So entspricht es auch ganz herrschender Auffassung, dass eine
Betriebsvereinbarung mit dem Inkrafttreten einer neuen Betriebsvereinbarung über den
selben Gegenstand endet (BAG, 10.08.1994, AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG 1972; Fitting
BetrVG § 77 Rn. 143; Richardi BetrVG § 77 Rn. 180). Gleiches gilt, wenn eine neue
Betriebsvereinbarung nur teilweise die Regelungen der älteren ersetzt. Dann treten
diese älteren insoweit außer Kraft (Fitting a. a. O. m. N. zur Rechtsprechung des BAG).
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Eine solche Ablösung kann unter Umständen auch über die Einigungsstelle erzwungen
werden. So hat das BAG z. B. gerade auch im Falle eines Sozialplanes, bei dem sich
ein Betriebspartner auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berief, ausdrücklich
ausgeführt, dass dann, wenn der andere Betriebspartner eine Anpassung verweigere
und es nicht zu einem Einvernehmen über eine solche komme, die Einigungsstelle
angerufen werden könne, die verbindlich entscheide (BAG, 10.08.1994 – 10 ABR 61/93
-). Gleiches hat das BAG im Falle der verschlechternden Ablösung einer
Pensionsordnung entschieden und der Einigungsstelle ausdrücklich auch die
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Zuständigkeit dann zugewiesen, wenn die Betriebsparteien über den Wegfall der
Geschäftsgrundlage streiten (BAG, 23.09.1997 – 3 ABR 85/96 -).
Es ist deshalb bereits von Ausgangpunkt her die kategorische Auffassung nicht richtig,
dass eine bestehende, ungekündigte Betriebsvereinbarung stets zu einer
Unzuständigkeit einer Einigungsstelle über denselben Regelungsgegenstand führe.
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2. Davon abgesehen aber teilt die Kammer die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass die
beiden Betriebsvereinbarungen im vorliegenden Fall den Regelungsgegenstand nicht
abschließend regeln. Sie regeln nämlich gerade nicht die materielle Frage, wann und
unter welchen Umständen der Betriebsrats seine Zustimmung verweigern darf.
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Offensichtlich ist der Betriebsrat der Auffassung, dass gegen seine
Zustimmungsverweigerung in keinem Fall die Einigungsstelle angerufen werden kann.
§ 87 Abs. 2 BetrVG weist aber die Zuständigkeit zur Entscheidung dann, wenn eine
Einigung in einer Angelegenheit nach Abs. 1 nicht zustande kommt, die Zustimmung
des Betriebsrats also verweigert wird, der Einigungsstelle und – anders als es z. B. in §
99 BetrVG der Fall ist - nicht dem Arbeitsgericht zu. Die Auffassung des Betriebsrats
würde dazu führen, dass auch bei willkürlicher Zustimmungsverweigerung der
Arbeitgeber keine Chance hätte, diese zu ersetzen.
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Sofern der Betriebsrat aus dem Ausnahmecharakter außerordentlicher Bereitschaften
(Ziffer 7.1 der Betriebsvereinbarung über die Regelung von Bereitschaften) und der
Regelung in Ziffer 3.4 dieser Betriebsvereinbarung folgern will, die
Betriebsvereinbarung habe "abschließenden Charakter" – offenbar in dem Sinne, dass
die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats nie korrigiert werden könne –, so geben
diese Ziffern eine solche weitgehende – im übrigen verfassungsrechtlich bedenkliche
Regelung – nicht her. Dass der Arbeitgeber durch geeignete Maßnahmen dafür sorgen
soll, außerordentliche Bereitschaften nicht zum Bestandteil der normalen
Arbeitsplanung werden zu lassen, besagt nichts uzu die Frage der Korrigierbarkeit der
Zustimmungsverweigerung. Auch die Beispiele für außerordentliche Bereitschaften in
Ziffer 3.4 geben dafür nichts her. Ebenso aber lässt die Regelung in Ziffer 5 der
Betriebsvereinbarung über die Durchführung von Arbeiten an Wochenenden und
Feiertagen, dass ein erneuter Antrag der Geschäftsführung auf Zustimmung eines
bereits abgelehnten Einsatzes nicht zulässig sei, einen Ausschluss der Einigungsstelle
mit der für die "Offensichtlichkeit" des § 98 ArbGG notwendigen Eindeutigkeit nicht
erkennen. Zum einen nämlich ist dieser letzte Satz eingeschränkt ("Es sei denn, dass
sich neue Gründe für die Notwendigkeit der Durchführung des Arbeitseinsatzes...
ergeben haben."), andererseits geht es im vorliegenden Fall auch nicht um einen
"erneuten Antrag", sondern darum, ob der Betriebsrat seine Zustimmung zu dem ersten
Antrag zu Recht verweigert hat.
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II. Die Einigungsstelle ist auch nicht deshalb offensichtlich unzuständig, weil der
Betriebsrat sich noch nicht ausreichend informiert sieht und in dem Schreiben vom
21.04.2005 (Bl. 35 d. A.) um Information darüber gebeten hat, welche konkreten
Aufgaben im Rahmen der jeweiligen Bereitschaften anfallen, warum die Aufgaben nicht
in der Woche erledigt werden können und ob die betroffenen Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen über die geplanten Aktionen informiert sind und deren Einverständnis
eingeholt worden ist. Sofern die Einigungsstelle die Klärung dieser Fragen für
notwendig hält, wird sie entsprechende Ermittlungen anstellen müssen. An der
Zuständigkeit der Einigungsstelle ändert dieses jedoch nichts.
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B. Die Anschlussbeschwerde hatte Erfolg. Die Anschlussbeschwerde ist im
Beschlussverfahren zulässig (vgl. statt vieler Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-
Glöge, § 89 ArBGG, Rn. 32 ff. m. N. zur Rechtsprechung des BAG). Die
Anschlussbeschwerde ist an keine Frist gebunden, da eine Frist für die
Beschwerdeerwiderung im Gegensatz zur Berufungserwiderung im Gesetz nicht
geregelt ist.
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Die Anschlussbeschwerde war auch begründet. Der Betreibsrat hat gegen die vom
Arbeitgeber begehrte Zahl der Beisitzer keine substantiierten Einwendungen erhoben.
Der Betriebsrat bestreitet aber die Zuständigkeit der Einigungsstelle insgesamt, so dass
der Arbeitgeber ein Rechtsschutzinteresse an der Festsetzung der Zahl der Beisitzer
hat, damit alle wesentlichen Voraussetzungen für das Zusammentreten der
Einigungsstelle geregelt sind.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g :
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Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
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(Dr. Backhaus)
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