Urteil des LAG Köln vom 03.09.2004

LArbG Köln (Grobe Fahrlässigkeit, Aufrechnung, Systematische Auslegung, Tarifvertrag, Quittung, Fälligkeit, Dokumentation, Ware, Aushändigung, Handwerk)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Schlagworte:
Normen:
Sachgebiet:
Leitsätze:
Tenor:
Aktenzeichen:
Landesarbeitsgericht Köln, 4 (9) Sa 1338/03
03.09.2004
Landesarbeitsgericht Köln
4. Kammer
Urteil
4 (9) Sa 1338/03
Arbeitsgericht Siegburg, 2 Ca 1841/03
- Auslegung einer vertraglichen Ausschlussklausel - Aufrechnung und
zweistufige Ausschlussklausel - Abgrenzung grober von normaler
Fahrlässigkeit
§ 305 c BGB
Arbeitsrecht
kein Leitsatz
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des
Arbeitsgerichts Siegburg vom 22.10.2003 - 2 Ca
1841/03 G - teilweise abgeändert und wie folgt neu
gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
714 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen
über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB
seit dem 22.01.2003 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Widerklage wird abgewiesen.
3. Von den erstinstanzlichen Kosten hat der
Kläger 10 % und hat die Beklagte 90 % zu
tragen. Von den zweitinstanzlichen Kosten
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haben der Kläger 13 % und die Beklagte
87 % zu tragen.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 62 Abs. 2 ArbGG abgesehen.)
Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hatte
in der Sache teilweise Erfolg.
I.
von 1.884,18 EUR nebst Zinsen nicht zu. Denn der Anspruch ist verfallen.
Der Arbeitsvertrag enthält folgende Ausschlussfrist:
Soweit eine tarifliche Ausschlussfrist nicht besteht bzw. nicht zur Anwendung kommt,
verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem
Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht binnen zwei Monaten nach
Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht werden. Lehnt
die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen
nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von
zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.
1. Die Ausschlussfrist bedarf zunächst der Auslegung hinsichtlich ihres
Anwendungsbereichs. Sie soll gelten "soweit eine tarifliche Ausschlussfrist nicht besteht
bzw. nicht zur Anwendung kommt." Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach § 1 Nr. 3 des
Arbeitsvertrages für das Arbeitsverhältnis die "für das Kraftfahrzeug-Handwerk jeweils
gültigen tariflichen Bestimmungen (Lohn-, Gehalts-, Rahmen- bzw. Manteltarifvertrag etc.)"
gelten. Eine tarifliche Ausschlussfrist besteht im Rahmen Tarifvertrag für das Handwerk.
Sie beträgt grundsätzlich drei Monate ab Fälligkeit für die schriftliche Geltendmachung.
Eine zweite Stufe ist im Gegensatz zu der Vereinbarung in § 7 des Arbeitsvertrages nicht
vorgesehen.
Es kommt daher darauf an, was unter "nicht zur Anwendung kommt" zu verstehen ist.
Der Wortlaut lässt mehrere Auslegungen zu. Z. B. kann er bedeuten, dass eine
(bestehende) tarifliche Ausschlussfrist für das konkrete Arbeitsverhältnis nicht gilt, weil der
Tarifvertrag nicht vereinbart ist, zum anderen könnte er bedeuten, dass die in § 7 geregelte
spezielle Ausschlussfrist immer dann gelten soll, wenn der Tarifvertrag nicht kraft
Tarifbindung oder sonst normativ gilt (so wird der Begriffes der "anzuwendenden"
Tarifverträge in § 2 Abs. 1 Nr. 10 NachwG von ErfK/Preis, § 2 NachwG, Rn. 24 ausgelegt).
Schließlich könnte er bedeuten, dass die tarifliche Norm eine konkrete Forderung der
Reichweite nach nicht erfasst.
Die erste Auslegung liegt deshalb jedenfalls nicht nahe, weil derselbe Arbeitsvertrag in § 1
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Ziffer 3 ausdrücklich vorsieht, dass ein Tarifvertrag vereinbart wird.
Für die zweite Auslegungsvariante spricht, dass aus der Sicht des Verwenders
(Arbeitgeber), der in aller Regel der Schuldner von Zahlungsansprüchen ist, es
interessengerecht ist, die relativ strenge Ausschlussfrist von zwei Monaten nach Fälligkeit
mit zusätzlicher Klagefrist von zwei Monaten immer dann anzuwenden, wenn dieses für ihn
auf Grund fehlender Tarifbindung beider Seiten oder fehlender Allgemeinverbindlichkeit
des Tarifvertrages möglich ist.
Es lässt sich jedenfalls weder aus der Vertragsurkunde noch aus sonstigen
Begleitumständen ableiten, dass nicht diese zweite Auslegungsvariante, sondern
ausschließlich eine der beiden anderen Auslegungsvarianten gemeint ist.
Damit ist für die Ansprüche des Arbeitgebers nach der heute in § 305 c) BGB
niedergelegten sog. Unklarheitenregelung, die indes für vom Arbeitgeber verwendete
Arbeitsvertragsformulare auch schon zuvor galt (vgl. z.B. BAB 16. 10 1991 - 5 AZR 35/91 -
AP Nr. 1 zu § 19 BErzGG; BAG 17. 11. 1998 - 9 AZR 548/97), im Zweifel die Auslegung zu
Lasten des Verwenders, das heißt hier der Beklagten zu wählen.
Danach ist davon auszugehen, dass die Ausschlussklausel in § 7 immer dann gilt, wenn
der Tarifvertrag nicht normativ zur Anwendung kommt, das heißt bei fehlender Tarifbindung
bzw. fehlender Allgemeinverbindlichkeit.
1. Die Beklagte hat ihre Ansprüche zwar mit dem Schreiben vom 02.12.2002 (Blatt 57 d.
A.) schriftlich geltend gemacht. Der Kläger hat diese Ansprüche indes mit Schriftsatz vom
09.12.2002 abgelehnt. Die Beklagte hat aber nicht innerhalb von zwei Monaten nach der
Ablehnung den Widerklageanspruch erhoben. Vielmehr wurde der Widerklageanspruch
erst mit Schriftsatz der Beklagten vom 19.05.2003, der am selben Tag beim Arbeitsgericht
Siegburg einging, rechtshängig. In diesem Zeitpunkt waren die Ansprüche bereits verfallen.
II.
noch zu entscheiden ist, zwar nicht verfallen (der Kläger hat sie mit Schreiben vom
06.01.2003, Blatt 68 d. A. geltend gemacht und am 14.02.2003 Klage erhoben), sie waren
aber unbegründet.
1. Die Beklagte hat durch den in der Abrechnung ausgewiesenen Einbehalt die
Aufrechnung erklärt. Sie hatte den Anspruch - wie gesagt - bereits zuvor mit Schreiben vom
02.12.2002 schriftlich geltend gemacht. Im Zeitpunkt der Aufrechnung lief die Frist für die
gerichtliche Geltendmachung noch. Die Beklagte war auch nicht durch die
Ausschlussklausel an einer Aufrechnung gehindert. Zwar kann eine Aufrechnung nicht mit
bereits verfallenen Ansprüchen erklärt werden. Im Zeitpunkt der Erklärung der Aufrechnung
indes war die Forderung noch nicht verfallen, die zweite Stufe der Ausschlussfrist lief noch.
Die Beklagte war auch nicht etwa gehalten, zusätzlich zu der Aufrechnung - soweit die
Aufrechnung ansonsten insbesondere wegen der Pfändungsfreigrenzen wirksam war -
noch Klage zu erheben. Das ergibt eine systematische Auslegung der vorliegenden
Klausel. Eine Klage mit einer bereits durch Aufrechnung erloschenen Forderung wäre
nämlich von vornherein zur Erfolgsaussicht verurteilt, da die Forderung mit der
Aufrechnung untergeht. Die Klausel enthält auch kein Aufrechnungsverbot.
1. In Höhe der zweitinstanzlich noch streitigen Restlohnforderung des Klägers aus dem
Monat Dezember 2002 in Höhe von 286,00 EUR aber war der Schadensersatzanspruch
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der Beklagten begründet.
Dafür bedarf es nicht mehr der Feststellung, ob dem Kläger grobe Fahrlässigkeit
vorzuwerfen ist. Der Kläger räumt selbst ein, mit normaler Fahrlässigkeit gehandelt zu
haben (Schriftsatz vom 23.01.2004, Blatt 137 d. A.). Er geht damit ersichtlich selbst davon
aus, dass auch dann, wenn sein Berufungsvorbringen im Tatsächlichen richtig ist, normale
Fahrlässigkeit bleibt. Diese Auffassung teilt die Kammer.
Soweit der Kläger meint, es liege "eine Unterbrechung des Kausalverlaufs" dadurch vor,
dass eine ordnungsgemäße Dokumentation der Rückgabe der Gegenstände durch den
entladenden Lkw-Führer nicht vorgenommen sei, weil sonst über die ihm ausgehändigte
Quittung die Person zu bezeichnen wäre, der er die Ware übergeben habe, so übersieht
der Kläger, dass ihm gerade der Vorwurf zu machen ist, nicht dafür Sorge getragen zu
haben, dass der Fahrer durch Aushändigung ordnungsgemäßer Ladepapiere oder sonst
veranlasst wurde, die Übergabe der Retouren nachweisbar zu dokumentieren. Der Kläger
war Filialleiter. Er wies nach seinem eigenen Vorbringen selbst den Fahrer an, die
Retouren zu laden. Er hätte in diesem Augenblick dafür sorgen müssen, dass - wie es im
Übrigen der ihm bekannten Vereinbarung mit Herrn W von der "VZ" entsprach - die Waren
gegen Quittung diesem selbst oder den Herren R oder P ausgehändigt wurden.
Soweit der Kläger weiter ausführt, "alternativ hierzu bestände die Möglichkeit, dass die
Ware nach wie vor im Vertriebszentrum befindlich, jedoch dort nicht auffindbar ist", so
entlastet auch dieses ihn nicht. Die Beklagte kann auf Grund der fehlenden Quittung nicht
beweisen, dass die Ware angekommen oder vorhanden ist. Sie hat damit keine Chance,
den von ihr vereinbarten Preis erstattet zu erhalten. Damit ist der Schaden eingetreten.
Schließlich verbleibt jedenfalls normale Fahrlässigkeit auch dann, wenn der Kläger den
streitigen Anruf des Herrn M am 19.11.2002 erhalten hat und wenn Herr M dem Kläger
mitgeteilt hat, es sei ein Lkw unterwegs, dem könne er Rücklieferungen mitgeben - so die
Erklärung des Klägers persönlich laut Protokoll vom 30.03.2004, Seite 2, (Blatt 140 d. A.).
Selbst dann, wenn zu dieser Zeit keine andere Rücklieferung angestanden hätte und der
Kläger dies auf die Gitterbox beziehen musste, verbleibt doch, dass der Kläger nicht dafür
Sorge trug, dass dem Fahrer durch Mitgabe von Frachtpapieren oder sonst aufgegeben
wurde, die Ablieferung der Waren bei den drei genannten Herren zu dokumentieren.
Schließlich kann auch das in der zweiten Instanz erstmalig gebrachte Bestreiten des
Klägers dahinstehen, dass die Beklagte auf Grund der Vereinbarung mit dem "VZ" den
vollen Preis von 3.578,18 EUR erzielen konnte. Selbst dann, wenn sie der vom Kläger
angegebenen Wertminderung um 15 % nur einen entsprechend geringeren Kaufpreis hätte
erzielen können (der Kläger bestreitet im Übrigen die Vereinbarung mit dem VZ nicht), ist
bei der Beklagten ein Schaden von rund 3.000,00 EUR verblieben.
Zur Schadensquotelung gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z. B.
BAG 18.04.2002 - 8 AZR 348/01 - NJW 2003, 277, 379): Bei normaler Fahrlässigkeit hat
der Arbeitnehmer den Schaden anteilig zu tragen. Ob und ggf. in welchem Umfang er zum
Ersatz verpflichtet ist, richtet sich im Rahmen einer Abwägung der Gesamtumstände,
insbesondere von Schadensanlass und Schadensfolgen, nach Billigkeits- und
Zumutbarkeitsgesichtspunkten. Primär ist auf den Grad des dem Arbeitnehmer zur Last
fallenden Verschuldens, die Art der Arbeit, die Höhe des Schadens, die Versicherbarkeit
des Risikos, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Höhe seines
Arbeitsentgelts sowie persönliche Umstände des Arbeitnehmers, wie etwa die Dauer der
Betriebszugehörigkeit, sein Lebensalter, seine Familienverhältnisse sowie das bisherige
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Verhalten des Arbeitnehmers abzustellen.
Das Tatsachenvorbringen des Klägers unterstellt, verbleibt es bei normaler Fahrlässigkeit.
Auch dann, wenn der Kläger durch eine Reihe von zwölfstündigen Arbeitstagen erschöpft
war, gehörte es angesichts der dem Kläger erkennbaren Risiken des Abhandenkommens
gerade von Retourenware, die außerhalb der normalen Dokumentation geliefert wird, zu
den Aufgaben des Klägers, für die Dokumentation des Empfangs der Waren bei den drei
genannten Herren zu sorgen. Hinzu kommt, dass dem Kläger die Absprache zwischen
Herrn H und Herrn W , die gerade wegen dieses Risikos getroffen worden war, bekannt
war. Eine Versicherbarkeit des Risikos hat keine der Parteien vorgetragen. Was die
Stellung des Klägers im Betrieb anbelangt, so ist davon auszugehen, dass er als Filialleiter
Verantwortung trug. Auch sein Arbeitsentgelt war jedenfalls angemessen hoch. Die
Betriebszugehörigkeit war kurz. Nach Lebensalter und Familienverhältnissen muss davon
ausgegangen werden, dass es dem Kläger nicht unzumutbar belastet, einen Teil an dem
Schaden zu tragen. Alles in allem ist nach Auffassung der Kammer daher davon
auszugehen, dass selbst dann, wenn der Anruf des Herrn M so wie vom Kläger dargestellt,
erfolgte, der Kläger etwa ein Drittel des Schadens zu tragen gehabt hätte. Dieses
überschreitet den zur Aufrechnung verwendbaren und verwendeten Anteil der
Lohnforderungen des Klägers aus Dezember in Höhe von 286,00 EUR, über den
zweitinstanzlich allein noch zu entscheiden ist, -und umfasste auch noch den von der
Beklagten gegenüber der Januar-Gehaltsforderung aufgerechneten Betrag, den der Kläger
ersichtlich gerichtlich nicht geltend gemacht hat.
IV.
Kammer erfassten Aussagen des Zeugen M nicht an, so hat die jetzt zuständige Kammer
von der Durchführung der Beweisaufnahme abgesehen.
Nur ergänzend sei deshalb darauf hingewiesen dass die Kammer erhebliche Zweifel hatte,
ob grobe Fahrlässigkeit bejaht werden könnte, wenn die klägerischen Behauptungen
hinsichtlich des Zeugen M nicht zuträfen.
Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten
Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was jedem hätte
einleuchten müssen. Im Gegensatz zum rein objektiven Maßstab bei einfacher
Fahrlässigkeit sind auch subjektive Umstände zu berücksichtigen (vgl. BAG 18.04.2002 - 8
AZR 348/03 - NJW 2003, 379).
Der Kläger hat im Verfahren vorgetragen, dass er durch eine Reihe von zwölfstündigen
Arbeitstagen erschöpft gewesen sei und bis zum 18.12. auch aus Zeitmangel noch nicht
dazu gekommen sei, den Transport der Gitterboxen zu organisieren. Die Beklagte hat
dieses nicht, jedenfalls nicht substantiiert bestritten. In der Position eines Filialleiters
kommen typischerweise Entscheidung vor, die in kurzer Zeit neben zahlreichen anderen
Aufmerksamkeitsbereichen getroffen werden müssen. Wenn der Kläger in dieser Situation,
nachdem die Rücksendung der Gitterbox bereits überfällig war einem zur Abholung von
Rücklieferungen bei der Filiale vorbeigeschickten Lkw die Retouren mitgab und dabei die
Weisung vergaß, die Retouren einem der drei genannten Herren gegen Aushändigung
einer Quittung persönlich zu übergeben, so spricht vieles dafür, dass ein
Augenblicksversagen vorlag und nur normale Fahrlässigkeit (vgl. auch BGH 08.02.1989
NJW 1989, 1354).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen dieses Urteil findet kein Rechtsmittel statt. Auf die Möglichkeit der
Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird verwiesen.
(Dr. Backhaus) (Bechtold-Bönders) (Beißel)