Urteil des LAG Köln vom 13.07.2010

LArbG Köln (fristlose kündigung, arbeitnehmer, kündigung, ordentliche kündigung, betriebsrat, bag, freiwillige leistung, stichtag, mitarbeiter, unwirksamkeit der kündigung)

Landesarbeitsgericht Köln, 9 Sa 592/10
Datum:
13.07.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
9.Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 Sa 592/10
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bonn, 5 Ca 1634/09
Schlagworte:
Gesamtbetriebsvereinbarung - Betriebsübergang - Vertrauensschutz -
Kündigung
Normen:
Art. 20 Abs. 3 GG, § 50 BetrVG, § 77 Abs. 5 BetrVG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Nach dem Übergang nur eines von mehreren Betrieben bleiben die
Gesamtbetriebsvereinbarungen als Einzelbetriebsvereinbarungen in
dem übergegangenen Betrieb mit normativer Geltung bestehen.
2. Die (bloße) individualrechtliche Fortgeltung der Regelungen in den
Gesamtbetriebsvereinbarungen unter dem Gesichtspunkt des
Vertrauensschutzes ist auch dann nicht anzunehmen, wenn der
Betriebsübergang bereits im Jahr 1993 und damit vor dem
grundlegenden Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 18.9.2002 – 1
ABR 54/01 - stattgefunden hat.
3. Zur Auslegung einer in dem übergegangenen Betrieb zwischen
Arbeitgeberin und Betriebsrat abgeschlossenen Vereinbarung über die
individualrechtliche Fortgeltung der Regelungen in den
Gesamtbetriebsvereinbarungen.
4. An die fristlose Kündigung einer Betriebsvereinbarung über
Sozialleistungen aufgrund einer verschlechterten wirtschaftlichen Lage
der Arbeitgeberin sind strenge Anforderungen zu stellen. Insbesondere
hat die Arbeitgeberin auch darzulegen, welche freiwilligen
Sanierungsbeiträge ihre Gesellschafter zur Verbesserung der Liquidität
geleistet haben.
Tenor:
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Bonn vom 23. Dezember 2009
– AZ: 5 Ca 1634/09 wie folgt abgeändert:
a. Es wird festgestellt, dass der klagenden Partei für die Zeit bis zum 31.
Dezember 2009 alle Ansprüche aus der Sozialvereinbarung der L A für
Evom 11. September 1992 zustehen.
b. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des erstinstanzlichen und des zweitinstanzlichen
Verfahrens tragen die klagende Partei und die beklagte Partei je zur
Hälfte.
3. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin weiterhin Leistungen
aufgrund einer Gesamtbetriebsvereinbarung aus dem Jahr 1992 zu erbringen hat.
2
Die Klägerin ist seit dem 15. August 1983 bei der Beklagten bzw. deren
Rechtsvorgängerin im Betrieb Mechernich als Arbeitnehmerin beschäftigt aufgrund
eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 27. April 1983, in dem u. a. bestimmt ist, dass
für das Arbeitsverhältnis eine Sozialordnung in der Fassung vom 15. Dezember 1975
gilt. Die Klägerin erhielt die Leistungen nach der jeweils gültigen Fassung der Arbeits-
und Sozialvereinbarung.
3
In der von der damaligen Arbeitgeberin, der Lahmeyer AG, als
Gesamtbetriebsvereinbarung zuletzt abgeschlossenen Fassung vom 11. September
1992 sind zusätzlich zu den nach gesetzlichen und tariflichen Vorschriften bestehenden
Ansprüchen soziale Leistungen wie Geburtsbeihilfe, Heiratsbeihilfe,
Weihnachtsgeldaufstockung, Zulage, Zuschuss bei Notlage und Jubiläumszuwendung
geregelt. Zudem wird für den Anspruch auf Alters- und Hinterbliebenenversorgung auf
eine gesonderte Betriebsvereinbarung hingewiesen. In der Sozialvereinbarung ist
festgelegt, dass sie sowohl insgesamt als auch hinsichtlich einzelner Bestimmungen
durch schriftliche Erklärung mit vierteljährlicher Frist zum Ende eines Kalenderjahres
gekündigt werden kann.
4
In dem Betrieb M ist seit 1969 durchgängig ein Betriebsrat gebildet. Durch Vertrag vom
17. Dezember 1993 wurde der Betrieb M von der L A auf die P G übertragen mit der
Folge, dass die Arbeitsverhältnisse der beschäftigten Arbeitnehmer auf letztere
übergingen. Im Jahr 2000 wurde der Betrieb M abgespalten und von der neu
gegründeten T M übernommen mit der Folge eines erneuten Übergangs der
Arbeitsverhältnisse der beschäftigten Arbeitnehmer. Später firmierte die T M G zunächst
in die R M G und im Jahr 2005 in die D M G , die jetzige Beklagte, um.
5
Am 21. April 2005 schlossen die damalige R M G und der Betriebsrat folgende
Betriebsvereinbarung:
6
"Das Werk M gehörte bis zum 4. Oktober 1993 (Stichtag) zur L A , bei der eine
Sozialvereinbarung in Form einer Gesamtbetriebsvereinbarung vom 11. September
1992 galt. Mit Einbringungsvertrag vom 17. Dezember 1993 wurde der Betrieb in M
auf die P G übertragen. Die dortigen Arbeitsverhältnisse sind zum Stichtag auf die
P G übergegangen.
7
Alle bis zum Stichtag eingestellten Mitarbeiter haben gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2
BGB ihre Rechte und Pflichten aus dieser Betriebsvereinbarung individualrechtlich
behalten. Nach dem Stichtag eingestellte Mitarbeiter sind hingegen nicht in diese
Regelung einbezogen worden. Nach Auffassung aller Beteiligten – einschließlich
des Betriebsrates – sollte der Inhalt der Sozialvereinbarung im Sinne einer
Besitzstandwahrung nur für die bis zum Stichtag eingestellten Mitarbeiter gelten.
8
Der anstehende Desinvestitionsprozess gibt Anlass, dieses von Anfang an
bestehende gemeinsame Verständnis noch einmal zu dokumentieren und folgende
Vereinbarung zu treffen:
9
1. Die Betriebsparteien bekräftigen entsprechend des bisherigen allseitigen
Verständnisses, dass der Besitzstand der bis zum Stichtag eingestellten Mitarbeiter
durch § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB abgesichert ist. Für diese gilt entsprechend des von
Anfang an dokumentierten übereinstimmenden Verständnisses der
Betriebsparteien die Sozialvereinbarung vom 11. September 1992 weiterhin als
Inhalt ihrer Arbeitsverhältnisse individualrechtlich fort.
10
2. Die Sozialvereinbarung vom 11. September 1992 galt nur bei der L A . Sie findet
als Betriebsvereinbarung bei der R M keine Anwendung und wird vorsorglich
rückwirkend zum Stichtag aufgehoben. Nach dem 4. Oktober 1993 eingestellte
Mitarbeiter haben keine Ansprüche auf der Grundlage der genannten
Betriebsvereinbarung erworben."
11
Nachdem die Geschäftsführung der Beklagten am 20. Mai 2009 beschlossen hatte, die
Sozialvereinbarung vom 11. September 1992 zu kündigen, teilte sie mit Schreiben vom
20. Mai 2009 dem Betriebsrat Folgendes mit:
12
"… die dramatische wirtschaftliche Lage unserer Gesellschaft ist Ihnen bekannt.
Vor diesem Hintergrund haben wir mit Schreiben vom heutigen Tag die als Inhalt
zahlreicher Arbeitsverhältnisse der ehemaligen L -Mitarbeiter individualrechtlich
fortgeltende Sozialvereinbarung der L A für E vom 11. September 1992 gekündigt.
13
Aus Gründen der Vorsorge kündigen wir hiermit auch Ihnen gegenüber die
Sozialvereinbarung der L A für E vom 11. September 1992 außerordentlich fristlos,
hilfsweise fristgemäß mit Wirkung zum 31. Dezember 2009..."
14
Von den damals im Betrieb M tätigen ca. 500 Arbeitnehmern waren etwa 185 Mitarbeiter
bereits vor dem 4. Oktober 1993 eingetreten. Letzteren, darunter auch die Klägerin, teilte
die Beklagte mit Schreiben vom 26. Mai 2009 eine gleichlautend begründete
außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Sozialvereinbarung mit.
15
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage, die beim Arbeitsgericht
Bonn am 16. Juni 2009 eingegangen ist.
16
Sie macht geltend, die als Gesamtbetriebsvereinbarung abgeschlossene
Sozialvereinbarung vom 11. September 1992 habe nach dem Betriebsübergang zum
Stichtag 3. Oktober 1993 als Einzelbetriebsvereinbarung kollektivrechtlich für alle
Mitarbeiter im Betrieb fortgegolten, auch für die erst danach angestellten Arbeitnehmer.
Dagegen habe die Sozialvereinbarung nicht individualrechtlich über den
Auffangtatbestand des § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB allein für die bereits beim
Betriebsübergang bestehenden Arbeitsverhältnisse weiter Anwendung gefunden.
Allerdings sei die kollektivrechtliche Wirkung durch die ergänzende
Betriebsvereinbarung vom 21. April 2005 aufgehoben worden. Zugleich sei durch diese
spätere Betriebsvereinbarung im Wege eines Vertrags zugunsten Dritter gemäß § 328
BGB ein individualrechtlicher Anspruch auf Weitergewährung der Sozialleistungen für
die bereits vor dem 4. Oktober 1993 eingestellten Mitarbeiter begründet worden. Dahin
sei die Betriebsvereinbarung vom 21. April 2005 auszulegen. Die Beklagte habe damit
bezweckt, ihre finanzielle Belastung zu reduzieren, aber einen Besitzstand für die vor
dem Stichtag eingestellten Arbeitnehmer festzulegen. Sollte ein Vertrag zugunsten
dieser Arbeitnehmer nicht zu bejahen sein, so liege jedenfalls eine individualrechtlich
wirkende Gesamtzusage der Beklagten oder jedenfalls eine den Anspruch auf
Weitergewährung der Sozialleistungen begründende betriebliche Übung vor. Mit den
wirtschaftlichen Problemen der Beklagten könne die fristlose Kündigung der
Sozialvereinbarung gegenüber den anspruchsberechtigten Arbeitnehmern und dem
Betriebsrat nicht gerechtfertigt werden. Ausweislich eines vom Betriebsrat im März 2009
eingeholten Kurzgutachtens der I -I B -G aus S habe die Gefahr einer Insolvenz wegen
Überschuldung nicht bestanden. Zudem sei zu beanstanden, dass die Arbeitnehmer
erhebliche Beiträge zur Unternehmenssanierung geleistet hätten (Kurzarbeit-Null,
Verzicht auf tarifliches Urlaubsgeld 2009 und 2010, Verzicht auf tarifliches
Weihnachtsgeld 2010, Auflösung des tariflichen ERA-Anpassungsfonds zugunsten des
Betriebs statt zugunsten der Arbeitnehmer) und weitere Beiträge (wie Verzicht auf
Weihnachtsgeldaufstockung und Jubiläumszuwendung) hätten leisten sollen, aber die
Gesellschafter nicht ihrerseits auf jährliche Entnahmen in Höhe von EUR 400.000,00
verzichtet hätten.
17
Die Beklagte meint, die Betriebsparteien seien zutreffend bei Abschluss der
Betriebsvereinbarung vom 21. April 2005 davon ausgegangen, dass die Regelungen in
der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 11. September 1992 nach der Übernahme des
Betriebs M durch die P G nicht als Einzelbetriebsvereinbarung kollektivrechtlich,
sondern nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB individualrechtlich fortgegolten hätten, und zwar
nur für die am Stichtag 4. Oktober 1993 bereits beschäftigten Arbeitnehmer. Sie beruft
sich auf eine nicht näher begründete Ausführung in einem Urteil des 3. Senats des
Bundesarbeitsgerichts vom 29. Oktober 1985 - 3 AZR 485/83 -. Da erst seit dem
Beschluss des 1. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 18. September 2002 - 1 ABR
54/01 – die gegenteilige Rechtsauffassung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung
anerkannt sei, gelte zu ihren Gunsten Vertrauensschutz. Die Betriebsparteien hätten mit
der Betriebsvereinbarung vom 21. April 2005 diese Rechtsauffassung nur als
gemeinsames Verständnis wiedergegeben und keine rechtsbegründende Regelung
getroffen. Insbesondere hätten sie nicht einen Vertrag zugunsten der am Stichtag 4.
Oktober 1993 bereits angestellten Arbeitnehmer geschlossen.
18
Die Beklagte ist zudem der Ansicht, die gegenüber diesen Arbeitnehmern und
vorsorglich auch gegenüber dem Betriebsrat im Mai 2009 erklärte außerordentliche
Kündigung der Sozialvereinbarung sei wirksam. Es sei ihr aufgrund einer erheblichen
Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage nicht zuzumuten gewesen, bis zum Ablauf
19
der in der Sozialvereinbarung vorgesehenen Kündigungsfrist weiterhin die in der
Betriebsvereinbarung festgelegten freiwilligen sozialen Leistungen zu erbringen.
Zunächst habe sie im Februar 2009 beschlossen, dauerhaft 220 Arbeitsplätze
abzubauen, was aber am Widerstand der I M gescheitert sei, die eine Abänderung einer
tariflichen Beschäftigungssicherung abgelehnt habe. Es sei daraufhin mit dem
Betriebsrat Kurzarbeit (im Umfang von Kurzarbeit-Null) bis zum 31. Dezember 2010
vereinbart worden. Zudem sei mit der I M durch Ergänzungstarifvertrag vereinbart
worden, dass die Arbeitnehmer auf das tarifliche Urlaubsgeld 2009 und 2010 sowie auf
das Weihnachtsgeld 2010 verzichteten. Schon kurze Zeit danach habe sich
herausgestellt, dass mit diesen Maßnahmen die Insolvenzgefahr noch nicht habe
abgewendet werden können. Allein durch die Weihnachtsgeldlaufstockung im
November 2009 hätte sich eine finanzielle Belastung in Höhe von etwa EUR
200.000,00 ergeben. Hinzu wären Jubiläumszuwendungen in Höhe von EUR 40.000,00
gekommen. Nach der im Mai 2009 prognostizierten Entwicklung sei im November 2009
aber ein Liquiditätsbestand von nur noch EUR 248.450,00 zu erwarten gewesen. Es
habe kurzfristiger Handlungsbedarf bestanden, um eine Insolvenz wegen
Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Dagegen könne nicht eingewandt werden, dass ihre
Gesellschafter weiterhin eine sog. Management Fee in Höhe von EUR 400.000,00 pro
Jahr entnommen hätten, da es sich um eine sachlich begründete Verpflichtung
gehandelt habe und die Gesellschafter nicht zum Verzicht verpflichtet gewesen seien.
Auch die Verbesserung der Auftragslage in der zweiten Jahreshälfte 2009 habe nichts
an dem Liquiditätsengpass geändert, da sie zunächst Material für die Produktion habe
vorfinanzieren müssen. Zudem könnten die Auftraggeber aufgrund eigener
Liquiditätsprobleme nicht pünktlich zahlen.
Das Arbeitsgericht Bonn hat durch Urteil vom 23. Dezember 2009 dem Antrag der
Klägerin stattgegeben, festzustellen, dass die außerordentliche und hilfsweise
ordentlich ausgesprochene (Teil-) Kündigung der Beklagten vom 26. Mai 2009
unwirksam ist und der Klägerin insbesondere weiterhin – auch über den 31. Dezember
2009 hinaus – alle Ansprüche aus der Sozialvereinbarung der L A für E vom 11.
September 1992 zustehen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die
Gesamtbetriebsvereinbarung vom 11. September 1992 habe nach dem
Betriebsübergang auf die P G und auch nach dem weiteren Betriebsübergang auf die T
M G als Einzelbetriebsvereinbarung kollektivrechtlich weitergegolten. Allerdings sei
diese kollektivrechtliche Wirkung durch die Betriebsvereinbarung vom 21. April 2005 mit
Wirkung für alle Arbeitsverhältnisse aufgehoben worden. Zugleich habe die Beklagte
mit dem Betriebsrat zugunsten der bis zum 4. Oktober 1993 eingestellten Arbeitnehmer
vereinbart, dass diese künftig individualrechtlich Anspruch auf die in der
Betriebsvereinbarung vom 11. September 1992 festgelegten Sozialleistungen hätten.
Dies ergebe sich aus dem Wortlaut, dem Gesamtzusammenhang und dem Zweck der
Regelung. Die in der Sozialvereinbarung vom 11. September 1992 festgelegte
Kündigungsregelung sei in einen Widerrufvorbehalt umzudeuten, der aber mangels
konkreter Benennung der Widerrufgründe einer Angemessenheitskontrolle nach §§ 307,
308 BGB nicht standhalte. Damit bestehe weiterhin der Anspruch auf die
Sozialleistungen.
20
Das Urteil ist der Beklagten am 8. Januar 2010 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am
8. Februar 2010 Berufung einlegen und diese – nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis zum 6. April 2010 – am 6. April 2010 begründen lassen.
21
Die Beklagte beantragt,
22
das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 23. Dezember 2009 – 5 Ca
1634/09 EU – abzuändern und die Klage abzuweisen.
23
Die Klägerin beantragt,
24
die Berufung zurückzuweisen.
25
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt
verwiesen.
26
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
27
I.
28
Sie ist nach § 64 Abs. 2 b ArbGG statthaft und innerhalb der Fristen nach § 66 Abs. 1
ArbGG eingelegt und begründet worden.
29
II.
30
Durch die gegenüber dem Betriebsrat "vorsorglich" mit Schreiben vom 20. Mai 2009
erklärte Kündigung ist die kollektivrechtliche Geltung der als Einzelbetriebsvereinbarung
geltenden Sozialvereinbarung in der Fassung vom 11. September 1992 mit Wirkung
zum 31. Dezember 2009 beendet worden. Dagegen ist die außerordentliche Kündigung
dieser Sozialvereinbarung mangels eines wichtigen Grundes unwirksam.
Individualrechtlich hat die Sozialvereinbarung weder nach dem 4. Oktober 1993 noch
nach dem 21. April 2005 fortgegolten.
31
1. Die als Gesamtbetriebsvereinbarung abgeschlossene Sozialvereinbarung in der
Fassung vom 11. September 1992 hat nach dem Betriebsübergang zum Stichtag 4.
Oktober 1993 auf die P G in dem Werk M als Einzelbetriebsvereinbarung fortgegolten.
32
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts behalten
Gesamtbetriebsvereinbarungen, die in den Betrieben des abgebenden Unternehmens
gelten, in den übertragenen Teilen des Unternehmens ihren Status als Rechtsnormen
auch dann, wenn nur einer oder mehrere Betriebe übergehen. Das gilt jedenfalls dann,
wenn das andere Unternehmen bis dahin keinen Betrieb führte und die übertragenen
Betriebe ihre Identität bewahrt haben. Wird nur ein Betrieb übernommen, bleiben die
Gesamtbetriebsvereinbarungen als Einzelbetriebsvereinbarungen mit normativer
Geltung bestehen. Sie stehen damit auch einer inhaltlichen Änderung durch den neuen
Arbeitgeber und den im übertragenen Betrieb gebildeten Betriebsrat offen. Es bedarf
des Auffangtatbestandes des § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB nicht (vgl. BAG, Beschluss vom
18. September 2002 – 1 ABR 54/01 - ).
33
Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass nach diesen Grundsätzen die
Gesamtbetriebsvereinbarung nach dem Betriebsübergang kollektivrechtlich in dem
Werk Mechernich fortgegolten hat und nicht nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB (nur noch)
individualrechtlich fortgewirkt hat.
34
2. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann sie sich nicht mit Erfolg darauf berufen,
unter Vertrauensgesichtspunkten sei nur von einer individualrechtlichen Fortgeltung der
35
Bestimmungen in der Gesamtbetriebsvereinbarung nach dem Betriebsübergang
auszugehen.
Das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Prinzip der Beachtung
des Vertrauensschutzes für die von einer Rechtsprechungsänderung betroffenen
Arbeitgeber und/oder Arbeitnehmer setzt voraus, dass eine gefestigte Rechtsprechung
geändert wird. Zudem ist erforderlich, dass die von der Rückwirkung nachteilig
betroffene Partei auf die Weiterführung der bisherigen Rechtsprechung vertrauen durfte
und die Anwendung der geänderten Auffassung wegen ihrer Rechtsfolgen im Streitfall
oder der Wirkung auf andere vergleichbar gelagerte Rechtsbeziehungen auch unter
Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Prozessgegners eine unzumutbare
Härte bedeuten würde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2009 – 2 BvR 2044/07 –;
BAG, Beschluss vom 26. August 2009 – 4 AZR 285/08 - ).
36
Zutreffend hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass es bereits an einer gefestigten
Rechtsprechung fehlte. Wie das Bundesarbeitsgericht in dem grundlegenden Beschluss
vom 18. September 2002 – 1 ABR 54/01 – ausführt, hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt
das Bundesarbeitsgericht nicht mit der kollektivrechtlichen Fortgeltung einer
Gesamtbetriebsvereinbarung nach einem Betriebsübergang befasst. Allein der Hinweis
in einem einzigen Urteil vom 29. Oktober 1985 – 3 AZR 485/83 - auf eine einzelne
Literaturansicht ohne eigene Begründung durch das Bundesarbeitsgericht und ohne
eine Auseinandersetzung mit abweichenden Literaturansichten begründete keine
langjährig gefestigte Rechtsprechung (vgl. dazu: BAG, Urteil vom 26. August 2009 – 4
AZR 285/08 - ). Soweit die Beklagte im Übrigen anführt, sie und ihre
Betriebsvorgängerin hätten der gesetzlichen Bestimmung des § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB
schon vom Wortlaut her nicht nur die Bedeutung eines Auffangtatbestandes
beigemessen, handelt es sich um das von jeder Partei zu tragende Risiko eines
Rechtsirrtums. Im Übrigen hätte ihre Betriebsvorgängerin diese Rechtsansicht, die
offensichtlich auch der Betriebsrat teilte, zum Anlass nehmen können, bereits zum
Zeitpunkt des ersten Betriebsübergangs im Jahr 1993 eine ergänzende
Betriebsvereinbarung abzuschließen, die allerdings dann am
betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen gewesen wäre
(ständige Rechtsprechung des BAG, zuletzt: Beschluss vom 19. Januar 2010 – 3 ABR
19/08 - ).
37
3. An der kollektivrechtlichen Fortgeltung der Gesamtbetriebsvereinbarung als
Einzelbetriebsvereinbarung hat auch die Betriebsübernahme durch die neu gegründete
T M G nichts geändert, da auch bei diesem weiteren Betriebsübergang die Identität des
Betriebes erhalten blieb. Bei den späteren Änderungen handelte es sich nur um
Umfirmierungen dieses Betriebsübernehmens in R M G und danach in D M G .
38
4. An der ausschließlich kollektivrechtlichen Wirkung der Einzelbetriebsvereinbarung für
die bereits am 4. Oktober 1993 eingestellten Arbeitnehmer hat sich durch die am 21.
April 2005 getroffene Vereinbarung zwischen der damaligen R M G und dem Betriebsrat
nichts geändert.
39
a. In den beiden ersten Absätzen der Vereinbarung wird ausschließlich die Historie
geschildert und die gemeinsame unzutreffende Ansicht der Betriebsparteien
wiedergegeben, nur den bereits zum Stichtag 4. Oktober 1993 eingestellten
Arbeitnehmer stünden individualrechtlich nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB die Ansprüche
aus der Sozialvereinbarung vom 11. September 1992 zu. Auch in den weiteren
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Absätzen wird basierend auf der unzutreffenden Rechtsansicht ausgeführt,
entsprechend § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB sei der "Besitzstand" der bis zum Stichtag
eingestellten Mitarbeiter abgesichert, für sie gelte die Sozialvereinbarung
individualrechtlich fort. Durch die im letzten Absatz vereinbarte vorsorgliche
rückwirkende Aufhebung der Sozialvereinbarung zum 4. Oktober 1993 sollte erkennbar
der Ausschluss von Ansprüchen für die nach dem 4. Oktober 1993 eingestellten
Mitarbeiter klargestellt werden. Dieser Regelung lag die unzutreffende Ansicht
zugrunde, für die nach dem 4. Oktober 1993 eingestellten Mitarbeiter finde die
Sozialvereinbarung nach dem bei Betriebsübergängen geltenden Recht keine
Anwendung. Ihr sollte daher nur eine deklaratorische Bedeutung zukommen. Dagegen
bestand keine Absicht der Betriebsparteien, bestehende Ansprüche der nach dem 4.
Oktober 1993 eingestellten Mitarbeiter aufzuheben, geschweige denn rückwirkend bis
zum 4. Oktober 1993. Letzteres wäre ohnehin im Hinblick auf das verfassungsrechtliche
Rückwirkungsverbot nicht zulässig gewesen (vgl. dazu: Fitting, BetrVG, 24. Aufl., § 77
Rdn. 193).
b. Von den Betriebsparteien ist anderseits aber auch nicht zusätzlich zu der
kollektivrechtlichen Geltung der Sozialvereinbarung ein individualrechtlicher Anspruch
der Arbeitnehmer auf die Leistungen nach der Sozialvereinbarung begründet worden.
41
aa. Für die Annahme, dass der Betriebsrat die Vereinbarung vom 21. April 2005 in
Stellvertretung für die betroffenen Arbeitnehmer abgeschlossen hat, fehlt es an
jeglichem Anhaltspunkt. In der Regel wird der Betriebsrat als kollektives Organ und nicht
als rechtsgeschäftlicher Vertreter der einzelnen Arbeitnehmer tätig. Will er als
Stellvertreter der einzelnen Arbeitnehmer auftreten, so muss dies klar erkennbar sein
(vgl. BAG, Urteil vom 16. Februar 2010 - 3 AZR 995/08 - ).
42
bb. Die Klägerin hat entgegen ihrer Ansicht und der des Arbeitsgerichts auch nicht als
Dritte iSd. § 328 BGB unmittelbar Ansprüche erworben. Dabei kann offenbleiben, ob
den Betriebspartnern das Gestaltungsmittel des echten Vertrags zugunsten Dritter
überhaupt eröffnet ist (verneinend BAG, Urteil vom 9. Dezember 1997 – 1 ABR 319/97 -,
wonach der Betriebsrat eine auf die Erfüllung seiner Aufgaben begrenzte
Teilrechtsfähigkeit besitzt). Denn die Auslegung der Betriebsvereinbarung vom 21. April
2005 ergibt, dass die Arbeitnehmer nicht unmittelbar das Recht erwerben sollten, die
Leistung zu fordern. Auch hier gilt, dass im Zweifel davon auszugehen ist, dass der an
einer solchen Vereinbarung beteiligte Betriebsrat als kollektives Organ mit dem
Arbeitgeber verhandelt. Besondere Anhaltspunkte für einen Willen der Betriebsparteien
zu einer einzelvertraglichen Regelung bestehen nicht. Nach dem in der Vereinbarung
zum Ausdruck gebrachten gemeinsamen Verständnis sollte nur die nach den
gesetzlichen Bestimmungen geltende Rechtslage klargestellt werden. Damit sollte sich
für die Arbeitnehmer erkennbar die Grundlage ihrer Ansprüche nicht ändern (vgl. dazu
auch: BAG, Urteil vom 16. Februar 2010 – 3 AZR 995/08 - ).
43
5. Die kollektivrechtlich wirkende Betriebsvereinbarung ist nicht durch die von der
Beklagten mit Schreiben vom 20. Mai 2009 gegenüber dem Betriebsrat als
Vertragspartner zutreffend erklärte fristlose Kündigung beendet worden.
44
Eine Betriebsvereinbarung kann aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden, wenn
ihre Fortgeltung bis zum vereinbarten Ende oder zum Ablauf der ordentlichen
Kündigungsfrist einer Seite nicht zugemutet werden kann. Dabei sind an die Gründe für
die fristlose Kündigung strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BAG, Beschluss vom 19.
45
Juli 1957 – 1 AZR 420/54 – und Beschluss vom 28. April 1992 – 1 ABR 68/91 -; ErfK-
Kania, 8. Aufl., § 77 Rdn. 101; Fitting, a.a.O., § 77 Rdn. 151, HWK-Gaul,
Arbeitsrechtskommentar, 3. Aufl., § 77 Rdn. 36).
Die Beklagte hat schon nicht schlüssig dargetan, weshalb die Kündigung im Mai 2009
zwingend erforderlich schien, um eine Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit im
November 2009 abzuwenden. Sie konnte die weitere Auftragsentwicklung und die
Auswirkungen auf die Liquiditätslage abwarten, um ggf. im letzten Quartal 2009 die erst
im Weihnachtszeitraum fällige Aufstockung des Weihnachtsgeldes durch fristlose
Kündigung der Betriebsvereinbarung abzuwenden.
46
Entscheidend ist aber vor allem, dass die Arbeitnehmer bereits ganz erhebliche
Beiträge zur Verbesserung der Liquidität erbracht hatten durch Kurzarbeit-Null, Verzicht
auf tarifliches Urlaubsgeld 2009 und 2010, Verzicht auf tarifliches Weihnachtsgeld 2010
und Verzicht auf eine Auskehrung des verbliebenen Guthabens aus dem ERA-
Anpassungsfonds, wohingegen den Gesellschaftern der Beklagten Entnahmen in Höhe
von EUR 400.000,00 als Management Fee belassen wurden. Dass nicht nur von den
Arbeitnehmern, sondern auch von den Gesellschaftern freiwillige Sanierungsbeiträge
erwartet werden dürfen und davon sogar die Wirksamkeit von Änderungskündigungen
abhängig gemacht werden kann, hat das Bundesarbeitsgericht auch in jüngster Zeit
bestätigt (vgl. BAG, Urteil vom 10. September 2009 – 2 AZR 822/07 - ). Dabei hätte ein
nur teilweiser Verzicht auf die Management Fee bereits genügt, um das Einsparvolumen
zu erreichen, welches durch den Wegfall der Weihnachtsgeldaufstockung und der
Jubiläumszuwendungen mit insgesamt EUR 240.000,00 im Jahr 2009 erzielt werden
sollte.
47
6. Die Betriebsvereinbarung ist allerdings durch die gegenüber dem Betriebsrat
hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung mit Wirkung zum 31. Dezember 2009 beendet
worden.
48
a. Nach § 77 Abs. 5 BetrVG können Betriebsvereinbarungen mit einer Frist von drei
Monaten gekündigt werden, soweit nichts anderes vereinbart ist. Eine andere
Vereinbarung kann darin bestehen, dass die ordentliche Kündigung ausgeschlossen
wird (vgl. BAG, Beschluss vom 17. Januar 1995 – 1 ABR 29/94 - ).
49
In der Sozialvereinbarung vom 11. September 1992 ist unter Ziff. 9 vereinbart, dass sie
sowohl insgesamt als auch hinsichtlich einzelner Bestimmungen mit vierteljährlicher
Frist zum Ende eines Kalenderjahres gekündigt werden kann. Diese vertragliche
Kündigungsfrist hat die Beklagte mit der zum 31. Dezember 2009 erklärten Kündigung
vom 20. Mai 2009 gewahrt.
50
b. Die Kündigung der Sozialvereinbarung vom 11. September 1992 bedurfte keiner
sachlichen Gründe. Für eine Beschränkung der ordentlichen Kündigung von
Betriebsvereinbarungen gibt es im Betriebsverfassungsgesetz keine Anhaltspunkte.
Vielmehr sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
Betriebsvereinbarungen fristgerecht frei kündbar (vgl. z. B. BAG, Beschluss vom 17.
Januar 1995 – 1 ABR 29/94 – und Urteil vom 23. Mai 2007 – 10 AZR 29/07 - ).
51
c. Die Frage der Wirksamkeit der Kündigung ist nach der Rechtsprechung des Dritten
Senats des Bundesarbeitsgerichts von der Frage der Rechtsfolgen zu trennen. Bei
Betriebsvereinbarungen über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung soll nach
52
Auffassung dieses Senats eine bereits erworbene Anwartschaft von der
uneingeschränkt zulässigen Kündigung der Betriebsvereinbarung nicht mehr berührt
werden. Ob diese Grundsätze auch hinsichtlich einer bereits erworbenen Anwartschaft
auf freiwillige Sozialleistungen Anwendung finden, hat der Erste Senat in seinem
Beschluss vom 17. Januar 1995 – 1 ABR 29/94 – offengelassen. Es ergeben sich dann
allerdings (nur) Einzelansprüche der betroffenen Arbeitnehmer, die von einem Antrag
auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung der Betriebsvereinbarung und des
Fortbestandes aller Ansprüche aus dieser Betriebsvereinbarung nicht erfasst sind (vgl.
dazu: BAG, Beschluss vom 17. Januar 1995 – 1 ABR 29/94 - ). Dies gilt auch, soweit
sich bei einzelnen Arbeitnehmern aufgrund der Besonderheiten des Rechts der
Altersteilzeit Einzelansprüche ergeben. Angemerkt sei allerdings, dass sie sich während
der gesamten Dauer der Altersteilzeit in einem Teilzeitarbeitsverhältnis befinden, auch
bei einer Verteilung der Arbeitszeit nach dem Blockmodell, und grundsätzlich ein
sachlicher Grund besteht, Teilzeitarbeitnehmern das Arbeitsentgelt oder eine andere
teilbare geldwerte Leistung – wie eine jährliche Zuwendung – entsprechend ihrer
gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten verringerten Arbeitsleistung im
jeweiligen Bezugszeitraum anteilig zu kürzen oder ggf. wie bei Vollzeitbeschäftigten
auch in Wegfall zu bringen (vgl. dazu: BAG, Urteil vom 22. Oktober 2008 – 10 AZR
842/07 - ).
Im vorliegenden Fall ist von der Beklagten zugesichert worden, dass die Kündigung die
ohnehin in einer gesonderten Betriebsvereinbarung geregelten Ansprüche auf
betriebliche Altersversorgung nicht betrifft. Es ist nicht ersichtlich, dass ansonsten in
bereits entstandene Anwartschaften auf freiwillige Sozialleistungen eingegriffen wird.
Die auf das Kalenderjahr bezogene Weihnachtsvergütung ist für 2009 in vollem Umfang
zu gewähren. Ansprüche auf die anderen Leistungen wie Geburts- und Heiratsbeihilfe
sowie auf Jubiläumszuwendungen entstehen erst mit dem betreffenden Ereignis, ohne
dass zuvor eine Anwartschaft bzw. ein Besitzstand erworben wird (vgl. dazu: BAG, Urteil
26. September 2007 – 10 AZR 657/06 - ).
53
7. Der Betriebsvereinbarung kommt keine Nachwirkung nach dem 31. Dezember 2009
zu.
54
Kündigt der Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung über eine freiwillige Leistung, so
endet die normative Wirkung der kollektiven Regelung mit Ablauf der Kündigungsfrist.
Die Arbeitnehmer können dann keine Ansprüche mehr auf der Grundlage der
Betriebsvereinbarung erwerben. Dies gilt auch für teilmitbestimmte Leistungen, bei
denen der Betriebsrat nur hinsichtlich des Leistungsplans mitzubestimmen hat, der
Arbeitgeber hingegen frei ist in seiner Entscheidung, ob er überhaupt eine freiwillige
Leistung erbringen will. Da die Beklagte mit der Kündigung alle freiwilligen
Sozialleistungen nach der Sozialvereinbarung bis auf die ohnehin in einer gesonderten
Betriebsvereinbarung geregelten Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung entfallen
lassen will, kommt eine Nachwirkung auch unter dem Gesichtspunkt der Beteiligung des
Betriebsrats bei der Verteilung verbliebener Leistungen nicht in Betracht (vgl. dazu:
BAG, Beschluss vom 17. Januar 1995 – 1 ABR 29/94 - ).
55
Diese Rechtsfolgen ergeben sich allein aufgrund der gegenüber dem Betriebsrat
erklärten Kündigung der Sozialvereinbarung vom 11. September 1992. Dagegen sind
die gegenüber den Arbeitnehmern erklärten Kündigungen gegenstandslos, da sie nicht
Vertragspartei und damit auch nicht Adressat einer Kündigung der kollektivrechtlich
wirkenden Betriebsvereinbarung sind.
56
8. Die Klägerin hat auch nicht aufgrund einer von der Beklagten erteilten Gesamtzusage
oder aufgrund betrieblicher Übung Anspruch auf Fortgewährung der Sozialleistungen
über den 31. Dezember 2009 hinaus.
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a. Allein aus der tatsächlichen Gewährung von Leistungen kann nicht auf den für eine
Gesamtzusage erforderlichen Verpflichtungswillen des Arbeitgebers geschlossen
werden, wenn die Leistungen erkennbar erbracht werden, um Verpflichtungen aus einer
Betriebsvereinbarung oder nach gesetzlichen Bestimmungen zu erfüllen (vgl. BAG,
Urteil vom 28. Juni 2005 – 1 AZR 213/04 - ).
58
b. Die Beklagte hat die Sozialleistungen den vor dem 4. Oktober 1993 eingestellten
Arbeitnehmer nur gewährt, weil sie sich nach § 613 Abs. 1 S. 2 BGB für verpflichtet hielt,
als Individualrecht fortgeltende Ansprüche nach der Sozialvereinbarung zu erfüllen.
Besondere Umstände, aus denen sich ergeben würde, dass sie sich davon unabhängig
zu Sozialleistungen verpflichten wollte, liegen nicht vor. Insbesondere ergeben sie sich
auch nicht aus der mit dem Betriebsrat getroffenen Vereinbarung vom 21. April 2005.
Dies ist bereits ausgeführt worden.
59
c. Ebenso wenig folgt ein Anspruch nach den Grundsätzen zur betrieblichen Übung.
Wenn Leistungen erkennbar in Anwendung einer Betriebsvereinbarung und/oder
gesetzlichen Bestimmungen gewährt werden, ist für die Entstehung einer betrieblichen
Übung kein Raum (vgl. BAG, Urteil vom 28. Juni 2005 – 1 AZR 213/04 - ).
60
9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
61
Die Revision war nicht zuzulassen. Es handelt sich nicht um eine Entscheidung von
grundsätzlicher Bedeutung bei der sich Rechtsfragen stellen, die in der
höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht beantwortet sind.
62
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
63
Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
64
Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG
verwiesen.
65
Schwartz Tesch Müller
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