Urteil des LAG Köln vom 01.04.2009

LArbG Köln: gewerkschaft, juristische person, sozialplan, arbeitsgericht, abfindungsbetrag, gesellschafter, gleichbehandlung, unternehmen, unterzeichnung, gruppenbildung

Landesarbeitsgericht Köln, 9 Sa 1020/08
Datum:
01.04.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 Sa 1020/08
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 17 Ca 9895/07
Schlagworte:
Sozialplan - Abfindung - Stichtagregelung - Gleichbehandlung
Normen:
Art. 3 Abs. 1 GG, § 75 Abs. 1 BetrVG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Zur Wirksamkeit einer Regelung in einem Tarifsozialplan und einer
Gesamtbetriebsvereinbarung, wonach Arbeitnehmer, die vor Abschluss
der Verhandlungen zwischen Arbeitgeberin und Gewerkschaft sowie
Gesamtbetriebsrat über einen Sozialplan das Arbeitsverhältnis bereits
gekündigt hatten, keine Abfindung erhalten.
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 15.05.2008 – 17 Ca 9895/07 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über einen Abfindungsanspruch aus einem Sozialplan, nachdem
der Kläger mit Schreiben vom 26. September 2007 das Arbeitsverhältnis fristgerecht
zum 31. März 2008 gekündigt hatte.
2
Der Kläger, geboren am 11. Juni 1961, war bei der Beklagten in deren Betrieb in K seit
dem 1. September 1992 als Wirtschaftsinformatiker in der Organisationseinheit 4
Verkaufsprozesse beschäftigt zu einem Jahresbruttogehalt von zuletzt EUR 68.915,28.
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Mit Schreiben vom 4. Dezember 2006 und 11. Dezember 2006 unterrichtete die
Beklagte ihre Mitarbeiter darüber, ihre Gesellschafter hätten im Rahmen eines Konzepts
zur Standortkonsolidierung endgültig und bindend beschlossen, die Standorte D , K , M
und K bis Ende des dritten Quartals/Anfang des vierten Quartals 2008 zu schließen. In
den nächsten vier Wochen würden die Zielstandorte für jeden einzelnen Mitarbeiter
anhand der bislang von ihm verrichteten Aufgaben festgelegt. Bis Ende Januar 2007
werde der Betriebsrat umfassend unterrichtet, so dass ab Anfang Februar 2007 mit ihm
zügig verhandelt werden könne.
4
Nach einer vertraulichen Informationsschrift vom 31. Januar 2007 sollten alle 11
Mitarbeiter der Organisationseinheit 4 von K nach M versetzt werden. Dies teilte der
Vorgesetzte des Klägers auch den Mitarbeitern dieser Organisationseinheit mit einer
Mail am 22. Februar 2007 mit.
5
Andererseits unterrichte die Gewerkschaft ver.di die Mitarbeiter mit einer Mitteilung vom
12. Februar 2007 darüber, sie fordere in Übereinstimmung mit dem Gesamtbetriebsrat
von der Beklagten den Abschluss eines Firmentarifvertrages zum Standortkonzept. Ihr
gehe es nicht darum, die Folgen des Standortkonzepts für die Beschäftigten
abzumildern, sondern die Arbeitsplätze an den bestehenden Standorten zu erhalten.
Die Geschäftsleitung der Beklagten solle den Beschluss über die Schließung von
bestimmten Standorten zurücknehmen.
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Mit weiteren 15 Informationsschriften unterrichtete die Beklagte in den Monaten April
2007 bis September 2007 die Mitarbeiter über die Verhandlungen über die geplante
Standortkonsolidierung mit Vertretern des Gesamtbetriebsrats und der Gewerkschaft
ver.di, wobei sie zum Ausdruck brachte, der Beschluss ihrer Gesellschafter habe
unverändert Gültigkeit, sie wolle beschleunigt über die Umsetzung mit dem
Gesamtbetriebsrat und auch der Gewerkschaft ver.di, die Streikaktionen durchführe, ein
Ergebnis erzielen.
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In der Informationsschrift vom 6. September 2007 führte sie aus, in der einberufenen
Einigungsstelle sei das Scheitern eines einvernehmlichen Interessenausgleichs
festgestellt worden. Nunmehr habe sie die Möglichkeit, die Standortkonsolidierung zum
30. September 2008 umzusetzen. Es sei mit dem Gesamtbetriebsrat und der
Gewerkschaft ver.di abgestimmt worden, einen Sozialplan bzw. einen Tarifsozialplan zu
vereinbaren. Gegenstand der Verhandlungen würden Regelungen über wirtschaftliche
Ausgleichsleistungen (Mobilitätshilfen, Fahrgeldzuschuss, Abfindungen etc.) und
Umsetzungsregelungen sein. Sollten die Verhandlungen nicht bis Ende September
2007 abgeschlossen sein, sei ein Schlichtungsverfahren geplant. Vorsorglich sei eine
Verhandlung vor der Einigungsstelle auf den 15. Oktober 2007 festgelegt worden.
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Mit der Informationsschrift vom 13. September 2007 unterrichtete die Beklagte die
Mitarbeiter darüber, sie werde in die Verhandlungen Absprachen aus den
Sondierungsgesprächen einbringen über Erleichterungen für die betroffenen Mitarbeiter
und die Einrichtung von Kontingentarbeitsplätzen (Telearbeitsplätze, Flextime-
Arbeitsplätze und eine befristete Weiterbeschäftigung in K ).
9
Nach Einleitung eines Schlichtungsverfahrens schloss die Beklagte mit der
Gewerkschaft ver.di am 18. Oktober 2007 einen Tarifsozialplan Standortkonsolidierung,
in dem u. a. festgelegt wurde, dass die Beklagte einrichtete: 80 unbefristete und 40 auf
Dauer von drei Jahren befristete Telearbeitsplätze mit einer Arbeitsverpflichtung von vier
Tagen pro Woche zuhause und von einem Tag pro Woche an einem zugewiesenen
Standort, 70 Flextime-Arbeitsplätze für die Dauer von 4,25 Jahren mit einer
Arbeitsverpflichtung von zwei Tagen pro Woche zuhause und von drei Tagen an einem
zugewiesenen Standort sowie 250 für die Dauer von zwei Jahren befristete
Arbeitsplätze mit einer auf 80 % reduzierten Arbeitszeit bei einer Vergütungsreduzierung
um 10 %. Nach Ablauf der zwei Jahre hat der von der 80/90-Regelung betroffene
Arbeitnehmer das Recht, zurück in ein Vollzeitbeschäftigungsverhältnis oder in ein
dauerhaftes Teilzeitarbeitsverhältnis (4 Arbeitstage) mit 80 % Vergütung zu wechseln.
10
Über die Auswahl der Arbeitnehmer für diese Arbeitsplätze hatte eine
Findungskommission nach festgelegten Auswahlkriterien zu entscheiden. Danach
konnten die betroffenen Arbeitnehmer bis zum 11. Januar 2008 erklären, ob sie das
ihnen unterbreitete Vertragsangebot annahmen. Andernfalls war die Beklagte
berechtigt, ab dem 1. Februar 2008 Änderungskündigungen bzw.
Versetzungsanordnungen auszusprechen. Arbeitnehmer, die an einem neuen Standort
arbeiten mussten, erhielten Mobilitätshilfen, Umzugsunterstützung und
Fahrtkostenerstattung.
11
Unter Ziff. 7 des Tarifsozialplans ist bestimmt:
12
"Arbeitnehmer – mit Ausnahme der Auszubildenden -, deren Arbeitsverhältnis im
Rahmen der Umsetzung der Standortkonsolidierung betriebsbedingt beendet wird (z. B.
durch Aufhebungsvertag, Abwicklungsvertrag oder Kündigung), erhalten eine Abfindung
für den Verlust des Arbeitsplatzes gemäß nachstehender Regelungen:
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7.1 Arbeitnehmer der betroffenen Standorte K , D , M und K , deren Arbeitsverhältnis
aufgrund eines im Zeitraum vom 15.10.2007 bis zum 30.9.2008 aus betriebsbedingten
Gründen abgeschlossenen Aufhebungsvertrages und/oder aufgrund einer im Zeitraum
vom 15.10.2007 bis zum 30.9.2008 vom Arbeitgeber ausgesprochenen
betriebsbedingten Änderungskündigung oder vom Arbeitnehmer ausgesprochenen
Eigenkündigung beendet wird, erhalten eine Abfindung nach den Regelungen dieses
Tarifsozialplans; der Arbeitgeber wird jedem betroffenen Arbeitnehmer auf dessen
Verlangen den Abschluss eines Aufhebungsvertrages unter Vereinbarung einer
Abfindung nach den Regelungen dieses Tarifsozialplans und unter Einhaltung der
maßgeblichen Kündigungsfristen anbieten.
14
7.2 Arbeitnehmer der betroffenen Standorte K -D , M und K , deren Arbeitsverhältnis
aufgrund eines im Zeitraum vom 1.10.2008 bis zum 30.9.2009 aus betriebsbedingten
Gründen abgeschlossenen Aufhebungsvertrages und/oder aufgrund einer im Zeitraum
vom 1.10.2008 bis zum 30.9.2009 vom Arbeitgeber ausgesprochenen betriebsbedingten
Änderungskündigung beendet wird, erhalten eine Abfindung nach den Regelungen
dieses Tarifsozialplans; in diesem Zeitraum begründet die Eigenkündigung des
Arbeitnehmers keinen Abfindungsanspruch.
15
7.3 Die Abfindung ermittelt sich nach der Formel
16
a) Berechnungsformel:
17
Lebensalter x Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsvergütung
18
38
19
……."
20
Am 18. Oktober 2007 stimmten der Gesamtbetriebsrat und die örtlichen Betriebsräte
dem abgeschlossenen Tarifsozialplan zu und traten der Vereinbarung bei.
21
Am 18. Oktober 2007 schlossen zudem die Beklagte und die Gewerkschaft ver.di eine
freiwillige Tarifvereinbarung im Hinblick auf die Bereitschaft der Beklagten, die im
22
Tarifsozialplan vorgesehene Abfindung für solche Arbeitnehmer zu erhöhen, die bis
zum 30. September 2008 eine Aufhebungs-/Abwicklungsvereinbarung zwecks
Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten trafen. Danach erhielten
Arbeitnehmer, die eine solche Vereinbarung bis zum 31. März 2008 abschlossen, einen
um EUR 20.000,00 erhöhten Abfindungsbetrag. Arbeitnehmer, die bis zum 30.
September 2008 eine solche Vereinbarung abschlossen, erhielten einen um EUR
10.000,00 erhöhten Abfindungsbetrag.
Mit der vorliegenden Klage, die am 27. November 2007 beim Arbeitsgericht Köln
eingegangen ist, verlangt der Kläger von der Beklagten Zahlung von EUR 133.649,75
brutto als Abfindung.
23
Er hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe ihm nach dem Tarifsozialplan einen
Abfindungsbetrag in Höhe von EUR 113.649,75 zu zahlen, den sie nach der freiwilligen
Tarifvereinbarung noch um EUR 20.000,00 zu erhöhen habe, also insgesamt EUR
133.649,75. Der Anspruch bestehe gemäß dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3
Abs. 1 GG und dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach
§ 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG, da die Herausnahme der Arbeitnehmer, die vor dem 15.
Oktober 2007 ihr Arbeitsverhältnis im Zusammenhang mit der Betriebsänderung
gekündigt hätten, sachwidrig sei. Er habe bei Ausspruch seiner Eigenkündigung davon
ausgehen müssen, dass der Standort K geschlossen werde, zumal am 4. September
2007 in der Einigungsstelle das Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen
festgestellt worden sei. Es sei sachwidrig, in dem Sozialplan vom 18. Oktober 2007
rückwirkend nur die Arbeitnehmer zu begünstigen, die bis zum 15. Oktober 2007 selbst
gekündigt hätten.
24
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Ausschluss der Arbeitnehmer, die vor dem
15. Oktober 2007 selbst gekündigt hätten, sei rechtswirksam.
25
Das Arbeitsgericht Köln hat durch Urteil vom 15. Mai 2008 die Klage abgewiesen und
zur Begründung ausgeführt, die Stichtagregelung in dem Tarifsozialplan sei sachgemäß
und damit rechtswirksam.
26
Das Urteil ist dem Kläger am 28. Juli 2008 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 25.
August 2008 Berufung einlegen und diese – nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis zum 29. Oktober 2008 – am 23. Oktober 2008 begründen
lassen.
27
Er verweist auf die Informationen, die er ab Dezember 2006 bis zum Ausspruch seiner
Eigenkündigung am 26. September 2007 von der Arbeitgeberin und seinem
Vorgesetzten über die Schließung des Standorts K und die Verlagerung der
Organisationseinheit 4 von K nach M erhalten hat. Danach habe für ihn festgestanden,
dass sein Arbeitsplatz im K Betrieb der Beklagten wegfallen werde. Ein Wechsel nach
M sei für ihn aus familiären Gründen nicht in Betracht gekommen. Für die
Organisationseinheit 4 habe es auch nach dem Tarifsozialplan vom 18. Oktober 2007
keinen vorübergehenden Fortbestand in K gegeben. Er habe gekündigt, nachdem er
eine andere Beschäftigungsmöglichkeit für die Zeit ab dem 1. April 2008 gefunden
habe. Die im Tarifsozialplan erfolgte Festlegung auf den 15. Oktober 2007 als Stichtag
für Abfindungsansprüche bei Eigenkündigungen sei nicht sachlich gerechtfertigt.
Ausweislich der freiwilligen Tarifvereinbarung habe auf Seiten der Beklagten ein
Interesse daran bestanden, möglichst viele Arbeitsverhältnisse an den betroffenen
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Standorten K , D , M und K zu beenden.
Der Kläger beantragt,
29
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 15. Mai 2008 – 17 Ca
9895/07 – die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 133.649,75 brutto zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
32
Sie verteidigt mit Rechtsausführungen das erstinstanzliche Urteil.
33
In ihrem Unternehmen seien aufgrund einer Gesamtbetriebsvereinbarung vom 5. Juni
2001 betriebsbedingte Beendigungskündigungen bis zum 31. Dezember 2011
ausgeschlossen gewesen, so dass gegenüber dem Kläger allenfalls eine
Änderungskündigung habe ausgesprochen werden können.
34
Der Stichtag 15. Oktober 2007 sei gewählt worden, weil zu diesem Zeitpunkt die
Verhandlungen über den Tarifsozialplan und damit auch über das
Tarifsozialplanvolumen abgeschlossen gewesen seien und die konkrete Umsetzung der
Standortkonsolidierung bekannt geworden sei. Aufgrund von Verzögerungen durch die
Tarifkommission sei es erst am 18. Oktober 2007 zur Unterzeichnung des
Tarifsozialplans gekommen. Durch die Einrichtung von Kontigentarbeitsplätzen gemäß
dem Tarifsozialplan habe nahezu der Hälfte der Mitarbeiter eine
Beschäftigungsmöglichkeit angeboten werden können, die nicht mit einem
Wohnortwechsel verbunden gewesen sei. Nach seinen Sozialpunkten sei der Kläger für
ein Angebot, auf einem Kontigentarbeitsplatz in K beschäftigt zu werden, in Frage
gekommen.
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Die Tarifvertragsparteien seien davon ausgegangen, dass die Arbeitnehmer, die bereits
vorher das Arbeitsverhältnis gekündigt hätten, eine Folgebeschäftigung erlangt oder
jedenfalls in Aussicht hätten. Demgegenüber hätten sie die ab dem Stichtag
ausgesprochenen Eigenkündigungen der Arbeitnehmer als direkte Reaktion auf die
konkrete Umsetzung der Standortkonsolidierung durch den Tarifsozialplan eingeordnet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt
verwiesen.
37
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
38
I. Die Berufung ist zulässig.
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Sie ist nach § 64 Abs. 2 b ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen nach § 66
Abs. 1 S. 1, 5 ArbGG eingelegt und begründet.
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II. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
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Zu Recht hat das Arbeitsgericht Köln einen Anspruch des Klägers auf Zahlung der
Abfindung nach dem Tarifsozialplan vom 18. Oktober 2007 und auf Zahlung eines
Erhöhungsbetrages nach der freiwilligen Tarifvereinbarung vom 18. Oktober 2007
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verneint.
1. Nach Abschnitt III Ziff. 7.1 des Tarifsozialplans vom 18. Oktober 2007, der gleichzeitig
als Gesamtbetriebsvereinbarung vom 18. Oktober 2007 auch auf die nicht
tarifgebundenen Arbeitnehmer Anwendung findet, haben Mitarbeiter des Standortes K ,
deren Arbeitsverhältnis im Rahmen der Umsetzung der Standortkonsolidierung
aufgrund einer im Zeitraum vom 15. Oktober 2007 bis zum 30. September 2008
ausgesprochenen betriebsbedingten Änderungskündigung, eines betriebsbedingten
Aufhebungsvertrages oder einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers beendet wird,
einen Abfindungsanspruch nach Maßgabe des Tarifsozialplans. Die Beklagte hat jedem
betroffenen Arbeitnehmer auf dessen Verlangen den Abschluss eines
Aufhebungsvertrages unter Vereinbarung der Abfindung und unter Einhaltung der
Kündigungsfrist anzubieten.
43
Nach dieser Regelung hat der Kläger, der nach Abschnitt I Ziff. 1 unter den persönlichen
Geltungsbereich des Tarifsozialplans und der Gesamtbetriebsvereinbarung fällt, keinen
Abfindungsanspruch, da er vor dem Stichtag 15. Oktober 2007 das Arbeitsverhältnis im
Hinblick auf die von ihm angenommene Verlagerung seines Arbeitsplatzes im Zuge der
Betriebsänderung selbst gekündigt hatte.
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2. Rechtliche Bedenken gegen die Wirksamkeit der in dem Tarifsozialplan und der
Gesamtbetriebsvereinbarung enthaltenen Stichtagregelung bestehen nicht.
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a. Stichtagregelungen in nach dem Betriebsverfassungsgesetz vereinbarten
Sozialplänen dürfen nicht gegen den in § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG normierten
Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen.
46
aa. Dabei ist zu beachten, dass die Betriebsparteien nach der Rechtsprechung des
zuständigen Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts bei der Aufstellung von
Sozialplänen einen weiten Ermessensspielraum haben, inwieweit sie die Nachteile
einer Betriebsänderung für die betroffenen Arbeitnehmer ausgleichen oder mildern
wollen. Sie können im Rahmen ihres Ermessens nach der Vermeidbarkeit der Nachteile
unterscheiden und sind nicht gehalten, alle denkbaren Nachteile zu entschädigen. Sie
haben allerdings den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG zu
beachten, dem wiederum der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde
liegt. Er zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren
Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung
auszuschließen. Maßgeblich für das Vorliegen eines die Bildung unterschiedlicher
Gruppen rechtfertigenden Sachgrunds ist vor allem der mit der Regelung verfolgte
Zweck (vgl. BAG, Urteil vom 19. Februar 2008 – 1 AZR 1004/06 –).
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bb. Stichtagregelungen kommen häufig in Sozialplänen vor und sind grundsätzlich
zulässig. Meist dienen sie der Rechtssicherheit. Die mit ihnen bisweilen verbundenen
Härten müssen hingenommen werden, wenn die Wahl des Zeitpunkts am gegebenen
Sachverhalt orientiert und somit sachlich vertretbar ist und das auch auf die zwischen
den Gruppen gezogenen Grenzen zutrifft. Insbesondere sind sie sachlich gerechtfertigt,
wenn sie dem Zweck dienen, die Leistungen auf diejenigen Arbeitnehmer zu
beschränken, die von der Betriebsänderung betroffen sind und durch diese Nachteile zu
besorgen haben (vgl. zuletzt: BAG, Urteil vom 19. Februar 2008 – 1 AZR 1004/06 –).
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b. Hiernach verstößt die mit Abschnitt III Ziff. 7 des Sozialplans verbundene
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Gruppenbildung nicht gegen § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG.
aa. Zunächst ist festzustellen, dass die Stichtagregelung unabhängig davon gilt, ob das
Arbeitsverhältnis durch betriebsbedingte (Änderungs-)kündigung der Beklagten, durch
betriebsbedingten Aufhebungsvertrag oder durch Eigenkündigung des Arbeitnehmers
erfolgt. Die Betriebsparteien haben beachtet, dass nicht auf die Beendigungsform
abgestellt werden darf (vgl. BAG, Urteil vom 30. November 1994 – 10 AZR 578/93 –,
Urteil vom 13. Februar 2007 – 1 AZR 163/06 -, zuletzt: Urteil vom 20. Mai 2008 – 1 AZR
203/07 –).
50
bb. Die Differenzierung zwischen Arbeitnehmern, die ihr Arbeitsverhältnis vor dem 15.
Oktober 2007 selbst gekündigt haben, und denjenigen, die danach kündigen, ist nach
dem Zweck des Sozialplans sachlich begründet.
51
Die Betriebsparteien können eine typisierende Beurteilung dahin vornehmen, dass
Arbeitnehmern, die vorzeitig, also zu einem früheren Zeitpunkt als durch die
Betriebsänderung geboten, selbst kündigen, keine oder sehr viel geringere
wirtschaftliche Nachteile drohen als den anderen Arbeitnehmern. Dem steht nicht
entgegen, dass auch Arbeitnehmer, die einen neuen Arbeitsplatz gefunden haben,
wirtschaftliche Nachteile erleiden können. Es liegt im Ermessen der Betriebsparteien,
inwieweit sie auch diese Nachteile ausgleichen wollen (vgl. BAG, Urteil vom 13.
Februar 2007 – 1 AZR 163/06 – und vom 15. Mai 2007 – 1 AZR 370/06 –).
52
Die Kündigung des Klägers erfolgte vorzeitig.
53
Ab Dezember 2006 hatte die Beklagte in ihren Informationsschriften stets ausgeführt,
der Betrieb K werde im Zuge der Standortkonsolidierung bis zum 30. September 2008
geschlossen. Auch in dem Tarifsozialplan vom 18. Oktober 2007 und der freiwilligen
Tarifvereinbarung vom 18. Oktober 2007 wird dieser Umsetzungszeitpunkt genannt.
Dies stand nicht im Widerspruch zu der Regelung in der freiwilligen Tarifvereinbarung,
wonach sich die Abfindung erhöhte für Arbeitnehmer, die bis zum 31. März 2008 bzw.
30. September 2008 einen Aufhebungs- bzw. Abwicklungsvertrag mit der Beklagten
abschlossen. Mit dieser Regelung, die auf den Zeitpunkt des Abschlusses des
Vertrages abstellt, sollte nicht der Zeitpunkt der Betriebsänderung vorverlagert werden,
sondern ein Anreiz für eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses
geschaffen werden, die gemäß Abschnitt III Ziff. 7.1 des Tarifsozialplans jedem
betroffenen Arbeitnehmer auf dessen Verlangen anzubieten war.
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Welche Auswirkungen die Standortkonsolidierung auf den Arbeitsplatz des Klägers und
der anderen in K beschäftigten Arbeitnehmer haben würde, stand zudem am 26.
September 2007 abschließend noch nicht fest.
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Zwar hatte die Beklagte stets bekundet, sie werde an ihrem Konzept der
Standortkonsolidierung festhalten. Andererseits hatte sie bis zuletzt zum Ausdruck
gebracht, über das "wie", also die Umsetzung, wolle sie verhandeln, und zwar sowohl
mit dem Gesamtbetriebsrat als auch mit der Gewerkschaft ver.di, die für einen Erhalt
aller Arbeitsplätze an den bisherigen Standorten eintrat. Mit ihrer Mitarbeiterinformation
vom 6. September 2007 hatte die Beklagte insbesondere auf Regelungen über
wirtschaftliche Ausgleichsleistungen wie Mobilitätshilfen und Fahrgeldzuschüsse bei
einem Standortwechsel hingewiesen. Zudem hatte sie noch mit ihrer
Mitarbeiterinformation vom 13. September 2007 erklärt, sie werde nach den bereits mit
56
den Arbeitnehmervertretungen geführten Sondierungsgesprächen als Erleichterung für
die Arbeitnehmer die Einrichtung von Kontingentarbeitsplätzen (Telearbeitsplätze,
Flextime-Arbeitsplätze und befristete Weiterbeschäftigung in K ) in die Verhandlungen
einbringen.
Angesichts dessen war es nicht ermessensfehlerhaft, den Abschluss der
Verhandlungen über den Tarifsozialplan am 15. Oktober 2007 als Stichtag für
abfindungsrelevante Beendigungserklärungen festzulegen.
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Jede Sozialplanregelung muss Bestimmungen darüber treffen, welche Arbeitnehmer
Abfindungen beim Verlust des Arbeitsplatzes erhalten sollen. Sie kann alle
Arbeitnehmer einbeziehen, die schon auf die ersten Anzeichen einer möglichen
Betriebsschließung hin ihr Arbeitsverhältnis selbst kündigen, muss dies aber nicht.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass regelmäßig nur ein begrenztes Sozialplanvolumen
für die Verteilung zur Verfügung steht. So hat das Bundesarbeitsgericht bereits in der
Vergangenheit eine Regelung, wonach als Stichtag der Tag galt, an dem der gebotene
Versuch eines Interessenausgleichs endgültig gescheitert war, als sachlich vernünftig
und rechtlich nicht zu beanstanden angesehen (vgl. dazu: BAG, Urteil vom 30.
November 1994 – 10 AZR 578/93 –).
58
Der im vorliegenden Fall gewählte Stichtag lag zwar nach dem endgültigen Scheitern
des Interessenausgleichs am 4. September 2007. Jedoch hatte die Beklagte mit der
Unterrichtung über das Scheitern des Interessenausgleichs gleichzeitig Verhandlungen
mit dem Gesamtbetriebsrat und der Gewerkschaft ver.di über die Umsetzung des
Konzepts zur Schließung des Betriebes K angekündigt und mitgeteilt, sie werde bereits
in Sondierungsgesprächen abgestimmte Kontingentarbeitsplätze mit dauerhaften und
befristeten Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in die Verhandlungen einbringen. Es
handelte sich dabei um Regelungen über das "wie", die auch Inhalt eines vereinbarten
Interessenausgleichs sein können (vgl. Fitting, BetrVG, 24. Aufl., §§ 112, 112 a BetrVG
Rdn. 13). Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass erst mit dem Abschluss dieser
Verhandlungen am 15. Oktober 2007 endgültig beurteilt werden konnte, wer aufgrund
der Betriebsänderung oder aus anderen Gründen das Unternehmen verließ. Es kam nur
noch zu einer Teilschließung des Betriebes in K . Nahezu der Hälfte der Mitarbeiter
konnte eine Weiterbeschäftigung auf Kontingentarbeitsplätzen angeboten werden,
womit regelmäßig ein Wohnwortwechsel vermieden wurde.
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Es ist auch nicht zu beanstanden, dass als Stichtag der Tag festgelegt wurde, an dem
die Verhandlungen abgeschlossen wurden. Auch wenn die Unterzeichnung des
Tarifsozialplans erst am 18. Oktober 2007 erfolgte, so war doch davon auszugehen,
dass ab dem 15. Oktober 2007 das Verhandlungsergebnis in der Belegschaft bekannt
wurde.
60
Nach alledem stellt die Stichtagregelung keinen Verstoß gegen § 75 Abs. 1 BetrVG dar.
61
c. Soweit ein Arbeitnehmer – wie der Kläger - aufgrund seiner Tarifbindung unmittelbar
Ansprüche aus dem Tarifsozialplan herleiten kann, ergibt sich kein anderes Ergebnis.
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Zwar haben auch die Tarifvertragsparteien beim Abschluss von Tarifverträgen den
allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten (vgl. BAG, Urteil vom 27.
Mai 2004 – 6 AZR 129/03 – und Urteil vom 24. April 2007 – 1 AZR 252/06 –).
63
Jedoch ist der Ausschluss der Arbeitnehmer von Abfindungsansprüchen, die aufgrund
einer vor dem 15. Oktober 2007 abgegebenen Beendigungserklärung ausscheiden,
nach den vorstehenden Ausführungen als sachlich gerechtfertigt anzusehen.
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3. Da die freiwillige Tarifvereinbarung vom 18. Oktober 2007 nur den nach dem
Tarifsozialplan bestehenden Abfindungsanspruch für den Fall einer einvernehmlichen
Regelung bis zum 30. September 2008 erhöhen soll, also das Bestehen eines
Abfindungsanspruchs nach dem Tarifsozialplan voraussetzt, hat der Kläger auch keinen
Abfindungsanspruch nach dieser Zusatzregelung.
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Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge nach § 97 ZPO zurückzuweisen.
66
Die Revision war zuzulassen. Der Rechtsstreit ist von grundsätzlicher Bedeutung für
Stichtagregelungen in Tarifsozialplänen und/oder Sozialplänen.
67
R e c h t s mi t t e l b e l e h r u n g :
68
Gegen dieses Urteil kann von
69
R E V I S I O N
70
eingelegt werden.
71
Die Revision muss
innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
72
Bundesarbeitsgericht
73
Hugo-Preuß-Platz 1
74
99084 Erfurt
75
Fax: 0361 2636 2000
76
eingelegt werden.
77
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
78
Die Revisionsschrift
muss
Bevollmächtigte
79
1. Rechtsanwälte,
80
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse
mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
81
3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in
Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich
die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser Organisation oder
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eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung
entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der
Bevollmächtigten haftet.
In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
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Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
84
* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Schwartz Spicker Preckel
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