Urteil des LAG Köln vom 26.11.2009

LArbG Köln (kläger, kündigung, ordentliche kündigung, wichtiger grund, arbeitsunfähigkeit, verlängerung der frist, arbeitsverhältnis, erkrankung, arbeitsgericht, abmahnung)

Landesarbeitsgericht Köln, 7 Sa 714/09
Datum:
26.11.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
7.Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Sa 714/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 10 Ca 9238/08
Schlagworte:
Außerordentliche Kündigung; tarifvertraglich unkündbarer Arbeitnehmer;
außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist; Nachweis- und
Meldepflichten im Krankheitsfall; Nebenpflichtverletzung
Normen:
§ 5 EFZG; § 626 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Grundsätzlich können auch Verstöße gegen die in § 5 EFZG
begründeten Nachweis- und Meldepflichten im Krankheitsfall geeignet
sein, eine außerordentliche Kündigung i. S. v. § 626 BGB zu
rechtfertigen. Dies setzt jedoch regelmäßig - neben einschlägigen
Abmahnungen - besondere Umstände des Einzelfalls voraus.
2. Im Bereich der verhaltensbedingten Kündigung kommt gegenüber
einem tarifvertraglich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer der
Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist
regelmäßig nur dann in Betracht, wenn auch eine außerordentliche
Kündigung ohne soziale Auslauffrist rechtswirksam wäre.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 14.05.2009 in Sachen
10 Ca 9238/08 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen arbeitgeberseitigen
Kündigung vom 24.10.2008, die hilfsweise auch mit sozialer Auslauffrist zum
30.06.2009 ausgesprochen wurde.
2
Der am 02.07.1967 geborene Kläger ist geschieden und für ein Kind
unterhaltsberechtigt. Er befand sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem
Berufungsgericht in Privat-Insolvenz.
3
Seit dem 12.11.1990 steht der Kläger in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten als
Müllwerker. Er verdient ca. 2.400,00 € brutto monatlich. Auf das Arbeitsverhältnis ist der
TVöD-VKA anwendbar. Nach § 34 Abs.2 TVöD ist das Arbeitsverhältnis des Klägers
nur noch aus wichtigem Grund kündbar.
4
Die Beklagte hat über die Melde- und Nachweispflichten, die ihre Arbeitnehmer im Falle
einer Erkrankung einzuhalten haben, ein Merkblatt entwickelt, welches dem Kläger am
27.04.2001 in deutscher und türkischer Sprache ausgehändigt wurde (Bl. 64 f. d. A.). In
diesem Merkblatt heißt es u. a.:
5
"1. Bei Erkrankungen habe ich meinen Arbeitgeber rechtzeitig vor Arbeitsbeginn
zu unterrichten. Das bedeutet, wenn meine Arbeit z. B. um 06:00 Uhr beginnt,
muss ich bis spätestens 06:00 Uhr meinen Arbeitgeber unterrichtet haben….
6
Dauert die Erkrankung länger als drei Kalendertage, habe ich meinem
Arbeitgeber spätestens am darauffolgenden allgemeinen Arbeitstag eine
Dienst- oder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes einzureichen, aus
der der Beginn und die voraussichtliche Dauer der Erkrankung hervorgehen.
7
Ich bin verpflichtet, mich am letzten Tag der bisher gemeldeten Dienst- oder
Arbeitsunfähigkeit bei meinem Arbeitgeber zu melden und mitzuteilen, ob ich
weiterhin krank bin oder am nächsten Arbeitstag meine Arbeit wieder aufnehme.
8
......
9
3. Ist in der von mir eingereichten Dienst- bzw.
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die voraussichtliche Dauer der Erkrankung
angegeben und dauert die Erkrankung länger, habe ich meinen Arbeitgeber
unverzüglich über die Fortdauer der Erkrankung zu unterrichten (s. Ziff. 1 S. 1)
und unverzüglich ein Anschlussattest vorzulegen.... " (Bl. 64 d. A.)
10
Am 22.01.2007 erhielt der Kläger von der Beklagten eine schriftliche Ermahnung (Bl. 60
d. A.). Hierin wird beanstandet, dass der Kläger sich bei einer am 05.01.2007
beginnenden Arbeitsunfähigkeitszeit nicht bis zum Arbeitsbeginn um 06:00 Uhr
gemeldet habe, sondern erst um 06:15 Uhr.
11
Der Kläger hat hierzu behauptet, die telefonische Krankmeldung sei um 06:05 Uhr
erfolgt. Er habe versucht, vor Dienstbeginn bei der Beklagten anzurufen, jedoch sei zu
diesem Zeitpunkt noch niemand ans Telefon gegangen.
12
Am 17.09.2007 erhielt der Kläger eine weitere schriftliche Ermahnung (Bl. 61 f. d. A.).
Diese bezieht sich darauf, dass der Kläger nach einer vom 30.08. bis 09.09.2007
andauernden Arbeitsunfähigkeitsperiode am 10.09.2007 wieder zur Arbeit erschienen
sei, ohne der Beklagten vorher seine Genesung mitgeteilt zu haben.
13
Der Kläger hat hierzu vorgetragen, er habe am Vortag einen Kollegen gebeten,
14
Bescheid zu sagen, was dieser jedoch vergessen habe.
Am 24.01.2008 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung (Bl. 66 f. d. A.). Hierin
wirft die Beklagte dem Kläger vor, eine zunächst für die Zeit vom 09.01. bis 13.01.2008
attestierte Arbeitsunfähigkeit am ersten Tag der Erkrankung erst 45 Minuten nach
Arbeitsbeginn gemeldet zu haben. Sodann habe der Kläger zwar rechtzeitig angezeigt,
dass er auch über den 13.01.2008 hinaus arbeitsunfähig sei. In der dann vorgelegten
weiteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei der 14.01.2008 jedoch ausgespart.
15
Der Kläger hat eingewandt, am 09.01.2008 sei er derart krank gewesen, dass er sich
nicht früher, als geschehen, habe melden können. Soweit das nachfolgende ärztliche
Attest den 14.01.2008 ausspare, handele es sich lediglich um einen Schreibfehler des
Arztes.
16
Mit Datum vom 25.07.2008 erteilte die Beklagte dem Kläger eine weitere Abmahnung
(Bl. 69 f. d. A.). Der Kläger war am Samstag/Sonntag, den 28.06./29.06.2008 zur Arbeit
eingeteilt. Am Samstag, den 28.06.2008 wurde der Kläger von seinem Vorgesetzten
nach Hause geschickt, nachdem er diesem mitgeteilt hatte, dass es ihm nicht gut gehe
und er nicht in der Lage sei, die Arbeit aufzunehmen. Die Beklagte moniert in der
Abmahnung, dass der Kläger am 30.06.2008 seinen – genehmigten – Urlaub angetreten
habe, ohne sie weiter über seinen Gesundheitszustand in Kenntnis zu setzen und ohne
ein ärztliches Attest über die Fehlzeit eingereicht zu haben.
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Der Kläger hat eingewandt, am Samstag/Sonntag sei kein Arzt für ihn erreichbar
gewesen, der ihn hätte arbeitsunfähig schreiben können. Außerdem sei dem von ihm
unterzeichneten Merkblatt zu entnehmen, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
erst nach dreitägiger Krankheit vorzulegen sei.
18
Weiter behauptet die Beklagte, unter dem 09.10.2008 habe sie dem Kläger eine
"allerletzte Abmahnung" (Bl. 71 f. d. A.) erteilt und ihm diese am Folgetag per Boten
zukommen lassen (vgl. Bl. 73 d. A.). Hierhin hält die Beklagte dem Kläger vor, er sei
zunächst bis zum 21.09.2008 arbeitsunfähig gewesen. Deshalb habe er am 22.09.2008
pünktlich die Arbeit aufnehmen müssen, womit der Betriebshof auch gerechnet habe.
Entgegen dieser Erwartung sei er aber um 06:00 Uhr nicht zum Dienst erschienen,
sondern habe sich erst um 08:35 Uhr bei einem Gruppenleiter erneut krank gemeldet.
19
Der Kläger behauptet, diese Abmahnung nicht erhalten zu haben.
20
Für die Folgezeit hatte der Kläger eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt, die ihm
Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 12.10.2008 attestiert hatte. Am Morgen des
13.10.2008 meldete sich der Kläger gegen 05:45 Uhr, also rechtzeitig vor
Schichtbeginn, bei der Beklagten und teilte dieser mit, dass er weiterhin krank sei und
nochmals den Arzt aufsuchen müsse. Die an diesem Tage ausgestellte ärztliche
Anschlussarbeitsunfähigkeitsbescheinigung erhielt die Beklagte nach eigenem
Bekunden erst am 16.10.2008 per Post. Ansonsten hatte sich der Kläger bis dahin nicht
mehr bei der Beklagten gemeldet.
21
Der Kläger hat hierzu erklärt, aus seiner Mitteilung vom Morgen des 13.10.2008 habe
die Beklagte ohne Weiteres entnehmen können, dass er krankheitsbedingt auch am
Folgetag nicht zur Arbeit werde erscheinen können. Er habe ausdrücklich daraufhin
gewiesen, dass damit nicht zu rechnen sei. Im Übrigen habe er die
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Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 13.10.2008 noch an diesem Tage zur Post
gegeben, so dass er mit einem Zugang bei der Beklagten am 14.10.2008 habe rechnen
können.
Mit Schreiben vom 24.10.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers
außerordentlich und fristlos, hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum
30.6.2009. Am 14.11.2008 erhob der Kläger die vorliegende Kündigungsschutzklage.
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Der Kläger, welcher außerdem behauptet hatte, bei der Beklagten als Springer in der
Straßenreinigung tätig zu sein, hat beantragt,
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung
der Beklagten vom 24.10.2008 aufgelöst wird;
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2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Kündigungsschutzverfahrens als Springer in der Straßenreinigung weiter zu
beschäftigen.
27
28
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
30
Mit Urteil vom 14.05.2009 hat die 10. Kammer des Arbeitsgerichts Köln festgestellt, dass
das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 24.10.2008 nicht aufgelöst
worden ist bzw. aufgelöst werden wird. Den Weiterbeschäftigungsantrag hat das
Arbeitsgericht mit der Begründung abgewiesen, der Kläger sei für seine Behauptung,
als Springer tätig zu sein, beweisfällig geblieben. Auf Tatbestand und
Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils wird Bezug genommen.
31
Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 03.06.2009 zugestellt. Die
Beklagte hat hiergegen am 15.06.2009 Berufung einlegen und diese – nach
Verlängerung der Frist bis zum 03.09.2009 – am 02.09.2009 begründen lassen.
32
Die Beklagte und Berufungsklägerin meint, das Arbeitsgericht sei bei seiner
Entscheidung zwar von einem zutreffenden rechtlichen Kontext ausgegangen. Es habe
aber den tatsächlichen Sachverhalt unzureichend gewürdigt und sei so zu dem falschen
Schluss gelangt, dass die immerhin in den letzten zwei Jahren nahezu bei jeder
Arbeitsunfähigkeit gezeigten Verstöße des Klägers gegen die Nachweis- und
Meldepflichten dennoch nicht so gravierend seien, als dass sie auch nur eine
außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist rechtfertigen könnten. Dabei habe
das Arbeitsgericht unzutreffend angenommen, der Kläger sei nicht unbelehrbar.
33
Die Beklagte setzt sich sodann nochmals im Einzelnen mit den von ihr vorgetragenen
Verstößen des Klägers gegen seine Melde- und Nachweispflichten im Krankheitsfall,
die zu den streitigen Ermahnungen, Abmahnungen und schließlich zur Kündigung
geführt hatten, auseinander.
34
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 14.05.2009, 10 Ca 9238/08,
abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Der Kläger und Berufungsbeklagte verteidigt die Entscheidungsgründe des
arbeitsgerichtlichen Urteils.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom
14.05.2009 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und
wurde nach Maßgabe der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und
begründet.
41
II. Die Berufung der Beklagten musste jedoch erfolglos bleiben. Das Arbeitsgericht hat
zutreffend erkannt, dass die streitige Kündigung der Beklagten vom 24.10.2008 als
außerordentliche Kündigung – ohne oder mit sozialer Auslauffrist – rechtsunwirksam ist
und das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat.
42
Die gegen das arbeitsgerichtliche Urteil gerichtete Berufung der Beklagten leidet
teilweise an inneren Widersprüchen und ist insgesamt nicht geeignet, die begehrte
Rechtsfolge einer vollständigen Klageabweisung zu rechtfertigen. Aus der Sicht der
mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht gilt zusammenfassend und die
Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils ergänzend das Folgende:
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1. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 24.10.2008 ist rechtsunwirksam,
da es an einem wichtigen Grund zu ihrer Rechtfertigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB
fehlt.
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a. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB, der zur Auflösung eines
Arbeitsverhältnisses durch außerordentliche Kündigung berechtigt, liegt nur vor, wenn
Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer es dem Kündigenden unter Berücksichtigung
aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile
nicht zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der
maßgeblichen Kündigungsfrist fortzusetzen.
45
b. Zwar können grundsätzlich auch Verstöße gegen die in § 5 EFZG begründeten
Nachweis- und Meldepflichten im Krankheitsfall geeignet sein, eine außerordentliche
Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen. Bei Verstößen gegen die
Nachweis- und Meldepflichten im Krankheitsfall handelt es sich allerdings um
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Verletzungen von Nebenpflichten des Arbeitsvertrages, denen typischerweise im
Vergleich zu der Verletzung von Hauptpflichten oder von Störungen der
Vertrauensgrundlage des Arbeitsverhältnisses ein minderschweres Gewicht zukommt.
Besondere Umstände des Einzelfalls, die vorliegend ausnahmsweise eine
außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könnten, sind nicht
ersichtlich.
aa. Vordergründig kann die Beklagte darauf hinweisen, dass der Kläger im Vorfeld der
streitigen Kündigung vom 24.10.2008 zweimal einschlägig schriftlich ermahnt und
dreimal abgemahnt worden ist. Dabei unterstellt das Berufungsgericht zugunsten der
Beklagten, dass der Kläger auch das als "allerletzte Abmahnung" überschriebene
Schreiben vom 09.10.2008 am 10.10.2008 tatsächlich erhalten hat, wofür die von der
Beklagten vorgelegte schriftliche Bestätigung des mit der Zustellung beauftragten Boten
(Bl. 73 d. A.) spricht.
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bb. An einem wichtigen Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen
Kündigung fehlt es aber schon deshalb, weil der Kläger
nach
Zugang der dritten Abmahnung vom 09.10.2008 entgegen der Darstellung der
Beklagten
kein weiteres vorwerfbares einschlägiges Fehlverhalten
das Arbeitsgericht, sondern die Beklagte selbst würdigt dabei den unstreitigen
Sachverhalt rechtlich unzutreffend:
48
(1) Dem Kläger war zunächst bis einschließlich 12.10.2008 ärztlicherseits
Arbeitsunfähigkeit attestiert worden. Der Kläger war nun gehalten, die Beklagte
rechtzeitig vor Schichtbeginn vom 13.10.2008 darüber in Kenntnis zu setzen, ob seine
Arbeitsunfähigkeit weiter fortbesteht oder ob er am 13.10.2008 die Arbeit wieder
aufnehmen kann. Dies ergibt sich so auch aus Ziffer 1 Abs. 3 des dem Kläger am
27.04.2001 ausgehändigten Merkblattes der Beklagten über das Verhalten bei
Erkrankungen.
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(2) Seine Pflicht, die Beklagte vor Schichtbeginn vom 13.10.2008 darüber zu
informieren, ob seine Arbeitsunfähigkeit beendet ist oder fortbesteht, hat der Kläger
unstreitig erfüllt. Die Beklagte selbst trägt vor, dass der Kläger sich am 13.10.2008 vor
Schichtbeginn mit ihr in Verbindung gesetzt und sie darüber informiert hat, dass er
weiterhin krank sei und nochmals den Arzt aufsuchen müsse. Damit war die Beklagte
über den Fortbestand der Erkrankung informiert und konnte nicht damit rechnen, dass
der Kläger am 14.10.2008 bzw. den Folgetagen die Arbeit wieder aufnehmen werde.
50
(3) Dies gilt um so mehr, als der Kläger sich, ohne dass die Beklagte dem entgegen
getreten wäre, dahin eingelassen hat, dass er schon bei dem Gespräch am 13.10.2008
um 05:45 Uhr darauf hingewiesen habe, dass mit einem Wiedererscheinen am Folgetag
nicht gerechnet werden könne.
51
(4) Zudem hat sich der Kläger auch nicht etwa für den 14.10.2008 wieder gesund
gemeldet, was er aber für den Fall seiner Wiedergenesung dem Merkblatt der Beklagten
vom 27.04.2001 zufolge hätte tun müssen.
52
(5) Zwar hätte der Kläger zur Klarstellung der Verhältnisse gut daran getan, der
Beklagten
nach
mitzuteilen, wie lange seine Arbeitsunfähigkeit nach damaligem Sachstand fortbestehen
werde, statt sich nur darauf zu verlassen, dass die Beklagte diese Information der am
53
werde, statt sich nur darauf zu verlassen, dass die Beklagte diese Information der am
13.10.2008 zur Post gegebenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung werde entnehmen
können.
(6) Eine entsprechende Mitteilung
nach
zu haben, kann dem Kläger aber nicht vorwerfbar als Kündigungsgrund entgegen
gehalten werden. Auch aus dem von der Beklagten verfassten und dem Kläger unter
dem 27.04.2001 überlassenen Merkblatt über das Verhalten bei Erkrankungen ergibt
sich nicht, schon gar nicht mit der nötigen Klarheit, dass der Kläger mehr hätte tun
müssen, als am ersten Tag nach Ablauf der bisher ärztlicherseits attestierten
Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen,
dass
Arbeitgeber unverzüglich die Anschlussarbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu
übermitteln.
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(7) Selbst aus dem Wortlaut von § 5 Abs. 1 EFZG ergibt sich nicht ohne Weiteres eine
weitergehende Verpflichtung des Arbeitnehmers. Während nämlich in § 5 Abs. 1 S. 1
EFZG im Hinblick auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeitsperiode die Verpflichtung
aufgenommen ist, "dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche
Dauer unverzüglich mitzuteilen", heißt es in § 5 Abs. 1 S. 4 EFZG für den Fall der
Verlängerung einer bereits bestehenden Arbeitsunfähigkeit lediglich: "Dauert die
Arbeitsunfähigkeit länger als in der Bescheinigung angegeben, ist der Arbeitnehmer
verpflichtet, eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen." Unabhängig davon räumt
die Beklagte selbst ein, dass der Kläger "ohne Kenntnis des
Entgeltfortzahlungsgesetzes nicht wissen musste, dass er am 13.10.2008 nach seinem
Arztbesuch die Beklagte noch einmal über das Ergebnis dieses Arztbesuches
hinsichtlich seiner Arbeitsunfähigkeit informieren musste."
55
(8) Wenn die Beklagte dann aber in ihrer Argumentation in der Berufungsinstanz einen
Unterschied konstruieren will zwischen
dieser
erachteten Pflicht, sich vor Beginn der Schicht vom 14.10.2008 nochmals bei ihr zu
melden, so ist dies nicht verständlich. Es geht vielmehr einheitlich um dasselbe
Problem, nämlich darum, ob der Arbeitnehmer bei Verlängerung einer zuvor bereits
attestierten Arbeitsunfähigkeitsperiode mehr tun muss, als am ersten Tag nach der
bisher bescheinigten Krankheitszeit den Fortbestand der Erkrankung mitzuteilen und die
Folge-AU unverzüglich zu übermitteln.
56
(9) Der Kläger hat die Folge-AU für die Zeit ab dem 13.10.2008 auch unverzüglich, d. h.
ohne schuldhaftes Zögern an die Beklagte übermittelt. Der Kläger hat angegeben, er
habe die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch am 13.10.2008 zur Post gegeben.
Dann durfte er aber ohne Weiteres damit rechnen, dass die
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Zweifel am Folgetage, spätestens aber am
übernächsten Tag bei der Beklagten eingehen würde. Die Verpflichtung zur
unverzüglichen Übermittlung der (Anschluss-) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
schließt die Benutzung des Postweges nicht aus. Erforderlich ist nur, dass der Postweg
selbst unverzüglich beschritten wird. Dies ist hier nach der unwiderlegten Einlassung
des Klägers der Fall. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger die
Anschlussarbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 13.10.2008 tatsächlich am 13.10.2008
auf den Postweg gegeben hat. Gegenteiliges hat die Beklagte weder darlegen noch
beweisen können.
57
(10) Anders als im Schadensersatzrecht hat der Kündigende im Kündigungsschutzrecht
58
etwaige Rechtfertigungsgründe aus dem Verteidigungsvorbringen des Gekündigten
seinerseits beweiskräftig zu widerlegen. Erforderlich ist nach den Grundsätzen der
abgestuften Darlegungs- und Beweislast nur, dass der Gekündigte sich substantiiert zu
seiner Verteidigung einlässt (nahezu allgemeine Meinung, vgl. BAG AP § 543 ZPO Nr.
13; BAG AP Nr. 76 und 97 zu § 626 BGB; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und
Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, Rz. 620; Erfurter-Kommentar/Müller-Glöge, §
626 BGB Rz. 235).
cc. Fehlt es somit nach der von der Beklagten behaupteten letzten Abmahnung
überhaupt an einem weiteren als Kündigungsgrund geeigneten Sachverhalt, so liegt
schon gar nicht ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB vor, der eine
außerordentliche fristlose Kündigung vom 24.10.2008 rechtfertigen könnte.
59
2. Aus dem Vorstehenden ergibt sich sinngemäß zugleich, dass auch die hilfsweise
erklärte außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist das Arbeitsverhältnis nicht
rechtswirksam auflösen konnte. Auch eine solche Kündigung kommt von vornherein
nicht in Betracht, wenn es nach der letzten von der Beklagten behaupteten
einschlägigen Abmahnung überhaupt an einer vorwerfbaren rechtswidrigen
Arbeitsvertragsverletzung fehlt.
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3. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht erhebliche Bedenken grundsätzlicher Art,
ob für die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist bei verhaltensbedingten
Kündigungen überhaupt ein Anwendungsbereich eröffnet ist.
61
a. Der Sonderkündigungsschutz, den die Tarifvertragsparteien älteren Arbeitnehmern
mit langer Betriebszugehörigkeit dadurch verschaffen wollen, dass tarifvertraglich der
Ausspruch einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen
wird, würde unterlaufen, wenn über die Konstruktion der außerordentlichen Kündigung
mit sozialer Auslauffrist die Möglichkeit des Ausspruchs einer ordentlichen Kündigung
durch die Hintertür wieder eingeführt würde.
62
b. Dabei ist nicht zu verkennen, dass das Bundesarbeitsgericht auch gegenüber
tarifvertraglich nur noch außerordentlich kündbaren Arbeitnehmern für bestimmte
Ausnahmekonstellationen den Ausspruch außerordentlicher Kündigung mit sozialer
Auslauffrist zugelassen hat.
63
aa. Die zugelassenen Ausnahmen beschränken sich jedoch auf besondere
Konstellationen, einerseits bei der betriebsbedingten Kündigung, andererseits bei der
personen- bzw. krankheitsbedingten Kündigung (BAG NZA 2002, 963; BAG NZA 2005,
1289; BAG AP § 626 BGB Nr.143 und Nr.148; BAG AP § 626 BGB Krankheit Nr.7, Nr.11
und Nr.13; LAG Köln v. 1.6.2005, 3 Sa 2778/00; Erfurter Kommentar/Müller-Glöge, § 626
BGB Rdnr. 88, 108f.; APS/Dörner, § 626 BGB Rdnr.66) .
64
bb. Diese beiden Kündigungstypen sind grundsätzlich nur als ordentliche Kündigungen
anerkannt. Würde man daher bei Arbeitnehmern, die aufgrund tarifvertraglicher
Vorschriften nicht mehr durch ordentliche Kündigung gekündigt werden können,
betriebsbedingte und/oder krankheitsbedingte Kündigungen ausnahmslos nicht mehr
zulassen, so könnten Konstellationen entstehen, bei denen der Arbeitgeber über viele
Jahre hinweg an einem inhaltlich vollkommen sinnentleerten Arbeitsverhältnis
festgehalten würde.
65
cc. Dies wäre bei der betriebsbedingten Kündigung z.B. dann der Fall, wenn der
Arbeitgeber seine gesamte unternehmerische Tätigkeit nachweislich ersatzlos
eingestellt hat.
66
dd. Bei der krankheitsbedingten Kündigung spricht das Bundesarbeitsgericht von einem
"sinnentleerten" Arbeitsverhältnis, wenn die Prognose gerechtfertigt ist, dass der
Arbeitnehmer aufgrund seiner gesundheitlichen Situation die arbeitsvertraglich
geschuldeten Tätigkeiten entweder gar nicht mehr oder nur noch in einem so
marginalen Umfang wird erfüllen können, dass von einem auch nur ansatzweise
angemessenen Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht mehr die
Rede sein kann.
67
c. Im Bereich der verhaltensbedingten Kündigungen besteht von vornherein kein
Anlass, derartige Ausnahmekonstellationen anzunehmen; denn die verhaltensbedingte
Kündigung kommt typischerweise sowohl als außerordentliche wie auch als ordentliche
Kündigung vor.
68
aa. Man kann die verhaltensbedingte Kündigung einerseits geradezu als Prototyp einer
außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB bezeichnen.
69
bb. Ob im Einzelfall eine ordentliche oder eine außerordentliche verhaltensbedingte
Kündigung in Betracht kommt, hängt andererseits insbesondere vom Gewicht des
Arbeitsvertragsverstosses im Einzelfall ab.
70
cc. Bei der Beurteilung sind nach § 626 Abs. 1 BGB stets die Umstände des Einzelfalls
zu berücksichtigen. Im Rahmen einer Interessenabwägung spielen die Dauer der
Betriebszugehörigkeit und das Alter des Arbeitnehmers eine erhebliche Rolle. Wenn die
Tarifvertragsparteien in Anbetracht dieser allgemein bekannten Rahmenbedingungen
für ältere Arbeitnehmer mit langer Betriebszugehörigkeit die ordentliche Kündigung
ausschließen, so wollen sie damit für den Bereich der verhaltensbedingten
Kündigungen festlegen, dass nur noch Arbeitsvertragsverstöße von herausgehobenem
Gewicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen können.
71
d. Würde man, wie die Beklagte es für richtig hält, gegenüber tarifvertraglich ordentlich
unkündbaren Arbeitnehmern eine außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung mit
sozialer Auslauffrist zulassen, bei der die Anforderungen an die Kündigungsgründe
sogar hinter denen einer normalen ordentlichen Kündigung zurückblieben, würde die
Intention der Tarifvertragsparteien geradezu in ihr Gegenteil verkehrt.
Bezeichnenderweise hält das Bundesarbeitsgericht es zu Recht für geboten, in den von
ihm auf den Gebieten der betriebsbedingten und personenbedingten Kündigung
anerkannten Ausnahmekonstellationen an eine außerordentliche Kündigung mit
sozialer Auslauffrist erheblich schärfere Anforderungen an den Kündigungsgrund zu
stellen, als bei einer vergleichbaren ordentlichen Kündigung.
72
4. Darüber hinaus hat das Arbeitsgericht Köln aber auch zu Recht angenommen, dass
in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falles auch eine ordentliche
arbeitgeberseitige Kündigung, wenn sie denn zu Lasten des Klägers möglich gewesen
wäre, nicht als sozial gerechtfertigt hätte anerkannt werden können, weil die
Interessenabwägung zugunsten des Klägers ausfallen müsste.
73
a. Dabei unterstellt das Arbeitsgericht sogar zugunsten der Beklagten, dass in dem
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Verhalten des Klägers nach dem 12.10.2008 sogar noch eine arbeitsvertragliche
Nebenpflichtverletzung gesehen werden könnte, der aber in Anbetracht der Umstände,
aus denen heraus das Berufungsgericht eine vorwerfbare Pflichtverletzung gänzlich
verneint, nur ein verhältnismäßig geringes Gewicht zukommen könnte.
b. Völlig zutreffend ist das Arbeitsgericht dabei davon ausgegangen, dass auch das
Verhalten, was die Beklagte im Vorfeld der Kündigungen zum Anlass für schriftliche
Ermahnungen oder Abmahnungen des Klägers genommen hat, soweit es überhaupt
beweiskräftig feststeht, nicht dazu angetan ist, den Kläger als einen verstockten und
unbelehrbaren Vertragspflichtverletzer dastehen zu lassen.
75
aa. So handelte es sich bei dem Fall der schriftlichen Ermahnung vom 22.01.2007 um
eine, wenn überhaupt gegebene, so doch nur ganz geringfügige Vertragsverletzung.
76
bb. Im Fall der schriftlichen Ermahnung vom 17.09.2007 hat der Kläger zwar eine von
der Beklagten legitimer Weise für ihren Betrieb aufgestellte Ordnungsregel verletzt, die
sich aber weder aus dem Gesetz ergibt, noch im Arbeitsleben als allgemein üblich
bezeichnet werden kann.
77
cc. Die Abmahnung vom 25.07.2008 muss sogar als unberechtigt angesehen werden,
soweit die Beklagte dem Kläger darin vorwirft, für den 28.06.2008 keine
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beigebracht zu haben. Aus dem Merkblatt der
Beklagten von 27.04.2001 geht die Notwendigkeit, eine
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beizubringen, nur für den Fall hervor, dass die
Erkrankung länger als drei Kalendertage dauert. Warum für den 28.06.2008 etwas
anderes gelten sollte und warum der Kläger dies hätte wissen müssen, hat die Beklagte
jedenfalls im vorliegenden Verfahren nicht näher vorgetragen.
78
dd. In den Fällen der im Zweifel als berechtigt anzusehenden Abmahnungen vom
24.01.2008 und vom 09.10.2008 hat der Kläger sich zwar verspätet gemeldet, was die
Beklagte zu Recht beanstandet, aber immerhin überhaupt eine Anstrengung
unternommen, der Beklagten am ersten Tag der (weiteren) Arbeitsunfähigkeit Bescheid
zu geben.
79
c. Zweifellos hat die Beklagte ein berechtigtes Interesse daran, dass die von ihr
aufgestellten Regeln über die Melde- und Nachweispflichten im Krankheitsfall
eingehalten werden, weil sonst die Betriebsorganisation beeinträchtigt wird.
80
d. Zweifellos wird der Kläger sein diesbezügliches Verhalten in Zukunft auch
verbessern müssen.
81
e. Dennoch ergibt sich jedenfalls bisher nicht das Bild eines keiner Belehrung
zugänglichen oder gar vorsätzlich pflichtwidrig handelnden Arbeitnehmers.
82
f. Infolge all dessen hat das Arbeitsgericht zutreffend konstatiert, dass der Beklagten im
Zeitpunkt des Ausspruchs der hier zur Entscheidung stehenden Kündigung eine
Weiterbeschäftigung des Klägers auch dann zumutbar gewesen wäre, wenn die
ordentliche Kündigung nicht tarifvertraglich ausgeschlossen worden wäre.
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Demnach konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
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III. Die vorliegende Entscheidung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Ein
gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt demnach nicht vor.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
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Gegen diese Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben.
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Dr. Czinczoll Engels Heller
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