Urteil des LAG Hessen vom 08.10.2008

LAG Frankfurt: beendigung, arbeitsgericht, vergleich, gebühr, quelle, anmerkung, zivilprozessrecht, immaterialgüterrecht, dokumentation, rechtsmittelbelehrung

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
13. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 Ta 313/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Vorbem 8 GKVerz, Nr 8211
Anm GKVerz, § 36 GKG 2004
(Gebührenprivilegierung - Ermäßigung der
Verfahrensgebühr - Beendigung des Rechtsstreits durch
mehrere Beendigungstatbestände)
Leitsatz
Wird ein Rechtsstreit durch Gebührenermäßigungstatbestände gemäß Teil 8 KV-GKG,
die teils vor und teils nach streitiger Verhandlung angefallen sind, vollständig beendet,
so ermäßigt sich die Verfahrensgebühr für den gesamten Rechtsstreit in analoger
Anwendung des Satzes 2 der Anmerkung zu Nr. 8211 KV-GKG auf das 0,4-fache.
Tenor
Auf die Beschwerde des Bezirksrevisors wird der Beschluss des Arbeitsgerichts
Wiesbaden vom 4. Juli 2008 abgeändert und die Beschwerde der Klägerin vom 5.
Mai 2008 gegen die Kostenrechnung des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 25. März
2008 – 10/8/9 Ca 1273/06 - zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Am 13. November 2006 erhob die Klägerin gegen den Beklagten eine Klage auf
Zahlung von 410.367,57 €. Am 25. Januar 2007 fand eine Güteverhandlung statt.
Das Arbeitsgericht gewährte dem Beklagten durch Beschluss vom 20. Juli 2007
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten. Am 16.
Oktober 2007 nahm die Klägerin die Klage in Höhe eines Betrages von 22.437,84 €
zurück. Am 23. Oktober 2007 wurde vor der Kammer verhandelt. Am 21. Februar
2008 wurde durch gerichtlichen Beschluss der Abschluss eines Vergleichs
festgestellt, mit dem der Beklagte sich verpflichtete, dem Kläger zur Abgeltung der
Klageforderung 163.299 € zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits wurden
gegeneinander aufgehoben.
Am 25. März 2008 stellte die Kostenbeamtin der Klägerin die Hälfte einer 0,4
fachen Verfahrensgebühr aus 410.367,57 € gemäß Nr. 8211 KV GKG in Höhe von
531,20 € in Rechnung.
Hiergegen legte die Klägerin am 5. Mai 2008 Erinnerung ein mit der Ansicht, die
Verfahrensgebühr käme nur aus den zurückgenommenen Teilbetrag von
22.437,84 € in Betracht. Dieser Erinnerung half die Kostenbeamtin am 7. Mai 2008
ebenso wenig ab wie der Bezirksrevisor am 15. Mai 2008. Das Arbeitsgericht half
der Erinnerung aber durch Beschluss vom 4. Juli 2008 ab und stellte fest, dass für
das Verfahren keine Gerichtsgebühren zu zahlen seien. Hiergegen wiederum legte
der Bezirksrevisor am 23. Juli 2008 Beschwerde ein. Dieser hat das Arbeitsgericht
am 25. Juli 2008 nicht abgeholfen und die Sache dem Hessischen
Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im Beschwerdeverfahren wird auf
den Akteninhalt im Übrigen verwiesen.
II.
Die Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den Kostenansatz ist gemäß § 66 Abs.
2 GKG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist der notwendige
Mindestbeschwerdewert von 200 € überschritten.
Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Beschwerde des Bezirksrevisors ist begründet. Zu Recht hat die
Kostenbeamtin die Verfahrensgebühr für die Klägerin auf 531,20 € festgesetzt.
Das Arbeitsgericht hat der Erinnerung der Klägerin vom 5. Mai 2008 zu Unrecht
abgeholfen.
Die Verfahrensgebühr entfällt entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht
schon deshalb vollends, weil der Rechtsstreit am 21. Februar 2008 durch einen
Vergleich beendet wurde. Nach der Vorbemerkung 8 zum Teil 8 des
Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG (Vorbem. 8 KV-GKG) entfällt
bei Beendigung des Verfahrens durch einen gerichtlichen Vergleich zwar die im
Rechtszug angefallene Gebühr. Dies gilt nach S. 2 der Vorbem. 8 KV-GKG aber
nicht, wenn der Vergleich - wie hier - nur einen "Teil des Streitgegenstandes"
betrifft (Teilvergleich). Eine vollständige Gebührenprivilegierung kommt also nur in
Betracht, wenn durch den Vergleich das gesamte Verfahren beendet wird (zu
ungenauen Wortwahl in S. 2 vergl. BAG vom 16. April 2008 - 4 AZR 1049/06 – und
Roloff, NZA 2007,900,908).
Die Verfahrensgebühr entfällt auch nicht gemäß Nr. 8210 Abs. 2 KV- GKG. Danach
wird keine Verfahrensgebühr erhoben, wenn das gesamte Verfahren ohne streitige
Verhandlung endet und kein Versäumnisurteil ergeht. Dies ist im vorliegenden Fall
nicht geschehen. Vor der streitigen Verhandlung am 23. Oktober 2007 ist die
Klage nur zum Teil zurückgenommen worden. Über den verbliebenen Rest wurde
streitig verhandelt.
Nach dem Wortlaut der Nr. 8211 KV-GKG kommt auch keine auf 0,4 reduzierte
Verfahrensgebühr in Betracht, denn diese Vorschrift stellt auf die Erledigung des
gesamten Verfahrens nach streitiger Verhandlung durch die im Einzelnen
aufgeführten Ermäßigungstatbestände ab. Hier ist aber ein Teil des Verfahrens
bereits vor streitiger Verhandlung beendet worden.
Der völlige Wegfall jeder Gebührenprivilegierung widerspräche jedoch Sinn und
Zweck der zitierten Vorschriften. Mit ihnen soll die Justiz von vermeidbarer Arbeit
entlastet werden, indem ein Anreiz gegeben wird, Rechtsstreite ohne besonderen
Arbeitsaufwand der Gerichte zu beenden (BT- Drucksache 12/6962, Seite 69; BAG
vom 16. April 2008 - 6 AZR 1049/06). Diese Entlastung der Gerichte tritt auch in
der vorliegenden Fallkonstellation ein. Für das Zusammentreffen mehrerer
Ermäßigungstatbestände lässt sich die Intention des Gesetzes auch S. 2 der Anm.
zu Nr. 8211 KV-GKG ablesen. Dort heißt es: Die Gebühr ermäßigt sich auch, wenn
mehrere Ermäßigungstatbestände erfüllt sind oder Ermäßigungstatbestände mit
einem Teilvergleich zusammentreffen.
Es wäre sinnwidrig, die vollständige Beendigung eines Rechtsstreits durch mehrere
der zitierten Beendigungstatbestände nur deshalb gebührenrechtlich nicht zu
privilegieren, weil ein Teil der Beendigungstatbestände vor und ein Teil nach
streitiger Verhandlung verwirklicht worden ist.
Eine Lösung dieses Problems mit Hilfe von § 36 GKG verbietet sich (so aber
Creutzfeldt, RdA 2004, 281,285; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rdz. 58). Nach dieser
Vorschrift sind für Handlungen, die einen Teil des Streitgegenstandes betreffen,
die Gebühren nur nach dem Wert dieses Teils zu berechnen. Es käme dann zu
einer differenzierten Gebührenrechnung je nach Ermäßigungstatbestand und dem
Zeitpunkt seines Eintritts.
Das Kostenverzeichnis geht § 36 GKG aber als speziellere Regelung vor. Es wäre
widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber in aller Genauigkeit der
Gebührentatbestände auf den Umstand abstellt, dass das gesamte Verfahren
durch eine privilegierte Handlung beendet wird, wenn dies durch § 36 GKG
konterkariert werden könnte (so auch LAG Baden-Württemberg vom 5. September
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konterkariert werden könnte (so auch LAG Baden-Württemberg vom 5. September
2005 - 3 Ta 136/05 –, Die Justiz 2007, 169, 171; Roloff, a.a.O.)
Eine sachgerechte Lösung bietet die analoge Anwendung des bereits zitierten
Satzes 2 der Anm. zu Nr. 8211 KV-GKG. Aus ihm lässt sich der Wille des Gesetzes
herleiten, jede Variante der vollständigen Beendigung eines Rechtsstreits durch
die Beendigungstatbestände aus Vorbem 8 und den Nummern 8210 und 8111 KV-
GKG gebührenrechtlich zu privilegieren.
Eine vollständige Gebührenprivilegierung erscheint in der vorliegenden
Fallgestaltung nach Ansicht der Beschwerdekammer allerdings systemwidrig, da
die Beendigung des Rechtsstreits erst nach streitiger Verhandlung erfolgt ist und
der danach abgeschlossene Teilvergleich über den Rest der Forderung als
Teilvergleich keine vollständig privilegierende Wirkung im Sinne der Vorbemerkung
8 KV-GKG hat. Damit kommt allein eine Gebührenreduzierung auf das 0,4-fache in
Betracht (im Ergebnis ebenso Bader/Nungeßer NZA 2007, 1200,1201).
Somit schuldet die Klägerin in analoger Anwendung der Nr. 8211 KV- GKG nach
Maßgabe der Kostenregelung aus dem abgeschlossenen Vergleich die Hälfte einer
0,4 fachen Verfahrensgebühr aus dem Gesamtstreitwert von 410.367,57 €. Dies
sind die in dem Kostenansatz vom 25. März 2008 ausgewiesenen 531,20 €.
Die Kostenentscheidung für das vorliegende Beschwerdeverfahren folgt aus § 66
Abs. 8 GKG. Danach ist das Beschwerdeverfahren gebührenfrei. Kosten werden
nicht erstattet.
Rechtsmittelbelehrung: Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 66 Abs. 4 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.