Urteil des LAG Hessen vom 21.10.2005

LAG Frankfurt: bedürftige partei, arbeitsgericht, mutwilligkeit, kündigung, einfluss, zivilprozessrecht, vergütung, quelle, kopie, zugang

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
2. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ta 353/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 114 ZPO, § 615 BGB, § 23
Abs 1 S 1 RVG
(Prozesskostenhilfe - Mutwilligkeit - uneigentlicher
Klageantrag - Annahmeverzug)
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts
Hanau vom 12. Mai 2005 - 2 Ca 39/05 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Beschwerdegebühr zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin arbeitete seit dem 1. August 1998 bei dem beklagten Land auf der
Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 11. September 1998, wegen
dessen Inhalts auf die Kopie Bl. 7 f. d.A. Bezug genommen wird, als Mitarbeiterin
der Y-stelle der ehemaligen .. in .. zu einer monatlichen Bruttovergütung von
zuletzt € 2.571,67. Das beklagte Land kündigte mit Schreiben vom 29. Dezember
2004 das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit Auslauffrist zum 15. Februar 2005
(Bl. 10 d.A.).
Mit Schriftsatz vom 21. Januar 2005 hat die Klägerin wegen dieser Kündigung
Kündigungsschutzklage erhoben, die sie mit Schriftsatz vom 12. April 2005 um
eine Zahlungsklage in Höhe von € 11.572,52 brutto nebst Zinsen wegen offener
Vergütung für die Monate Februar bis Juni 2005 erweitert hat. Die Klägerin hat für
ihre gesamte Klage durch Antrag vom 12. April 2005 Prozesskostenhilfe beantragt
unter Beifügung einer Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse nebst beigefügter Anlagen (Bl. (B) 10-(B) 24 d.A.).
Das Arbeitsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 12. Mai 2005 -
zugestellt am 17. Mai 2005 - Prozesskostenhilfe beschränkt auf die
Kündigungsschutzklage bewilligt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf
die Beschlussgründe (Bl. (B) 25 d.A.) Bezug genommen. Die Klägerin hat mit
einem am 30. Mai 2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige
Beschwerde eingelegt, der das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 18. Juli 2005
nicht abgeholfen hat. Wegen der Begründung der Beschwerde wird auf Bl. (B) 32 f.
d.A. Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässig. Sie ist
insbesondere auch binnen der gesetzlichen Frist von einem Monat (§ 127 Abs. 2 S.
3 ZPO) eingelegt worden.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis
zutreffend Prozesskostenhilfe nur beschränkt bewilligt.
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Gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 114 ZPO setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussichten
bietet, nicht mutwillig erscheint und ein ordnungsgemäßer Antrag vorliegt (§ 117
Abs. 1 ZPO).
Zweck der Prozesskostenhilfe ist es, die bedürftige Partei beim Zugang zum
gerichtlichen Rechtsschutz und im Rechtsstreit, soweit es die hierfür erforderlichen
Mittel betrifft, einer vermögenden Partei gleichzustellen. Die Prozesskostenhilfe
zielt jedoch nicht darauf ab, dem Bedürftigen auf Kosten der Allgemeinheit eine
Prozessführung zu ermöglichen, von der eine vermögende Partei bei vernünftiger
Einschätzung der Sach- und Rechtslage und der gegebenen prozessualen
Möglichkeiten absehen würde. Eine Rechtsverfolgung ist danach mutwillig, wenn
eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise
verfolgen würde. Mutwilligkeit liegt deshalb vor, wenn mit Rücksicht auf die für die
Betreibung des Anspruchs bestehenden Aussichten eine nicht Prozesskostenhilfe
beanspruchende Partei von einer Prozessführung absehen, von zwei
gleichwertigen prozessualen Wegen denjenigen beschreiten würde, von dem sie
von vornherein annehmen muss, er sei der für sie kostengünstigere oder nur
einen Teil des Anspruchs geltend machen würde (vgl. BGH vom 10. März 2005 - XII
ZB 20/04, NJW 2005, 1497; MüKomm-ZPO, § 114 Rn 58; Zöller, ZPO, 25. Aufl., §
114 Rn 30).
Im Hinblick auf die Möglichkeit, einen bedingten (uneigentlichen) Klageantrag
stellen zu können, der unter Beachtung von §§ 39, 45 GKG, 23 Abs. 1 RVG Einfluss
auf die Gegenstandswertfestsetzung und damit auf die Gebührenfolge nur für den
Fall auslöst, dass über ihn eine Entscheidung ergeht, würde eine verständige Partei
in einem Kündigungsschutzprozess weitergehende, vom Ergebnis der
Kündigungsschutzklage abhängige Anträge auf Weiterbeschäftigung oder
Annahmeverzug nicht als unbedingte Anträge stellen, da sie kostengünstiger das
gleiche Prozessziel erreichen kann (vgl. LAG Berlin vom 10. Mai 2005 - 17 Ta
849/05, EzA-SD 2005, Nr. 13, 15; Hess. LAG vom 27. Juli 2004 - 2 Sa 347/04; Hess.
LAG vom 19. Juni 2001 - 9 Ta 159/01; LAG Düsseldorf vom 17. Mai 1989 - 14 Ta
52/89, LAGE § 114 ZPO Nr. 16; a.A. für den Annahmeverzugsanspruch Hess. LAG
vom 16. Februar 2005 - 16 Ta 13/05, juris). Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie das
Beschwerdegericht annimmt - bei einem echten und uneigentlichen Hilfsantrag
auch für die Berechnung der Anwaltsgebühren davon auszugehen ist, dass dem
Anwalt höhere Gebühren im Hinblick auf § 23 RVG Abs. 1 S. 1 (vormals § 8 Abs. 1
BRAGO) nicht zustehen, wenn über den uneigentlichen Antrag keine Entscheidung
ergeht (so LAG Berlin vom 3. März 2004 - 17 Ta (Kost) 6138/03, NZA-RR 2004,
374; LAG Bremen vom 30. Juli 2001 - 1 Ta 51/01; LAGE § 19 GKG Nr. 18; Hess. LAG
vom 23. April 1999 - 15/6 Ta 28/98, NZA 1999, 434; a.A. GK-ArbGG § 12 Rn 186
m.w.H.).
Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabs hat das Arbeitsgericht richtiger
Weise für den Zahlungsantrag keine Prozesskostenhilfe bewilligt. Die umstrittene
Frage der Bemessung des Streitwerts einer Kündigungsschutzklage verbunden mit
einer Zahlungsklage auf Annahmeverzug kann keinen Einfluss auf die Bewertung
der Mutwilligkeit im Sinne von § 114 ZPO entsprechend den oben stehenden
Ausführungen haben (a.A. Hess. LAG vom 16. Februar 2005 a.a.O.). Ob das
beklagte Land nach Ablauf der sozialen Auslauffrist für seine außerordentliche
Kündigung hinaus aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs nach § 615 BGB
der Klägerin gegenüber Zahlung schuldet, hängt allein vom Ausgang des
Kündigungsrechtsstreits ab. Eine Partei, die -weil ihr keine Prozesskostenhilfe
bewilligt werden kann - ihre erstinstanzlichen Anwaltskosten unter Beachtung von §
12 a Abs. 1 S. 1 ArbGG unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits selbst zu
tragen hat, würde Zahlungsansprüche, die unmittelbar vom Ausgang des
Kündigungsschutzverfahrens abhängen und ihre Rechtsgrundlage in § 615 BGB
haben, nur im Wege eines bedingten, uneigentlichen Anspruchs gerichtlich geltend
machen. Die Vorgehensweise der Klägerin, die ihre Zahlungsklage insgesamt
unbedingt erhoben hat, ist daher mutwillig, soweit sie sich auf den Anspruch auf
Annahmeverzug infolge einer rechtsunwirksamen außerordentlichen Kündigung
bezieht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt gemäß §§ 78 S. 2, 72 Abs. 2 Ziff. 1
sowie Ziff. 2 ArbGG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.