Urteil des LAG Hessen vom 05.02.2007
LAG Frankfurt: chemische industrie, bonus, vergütung, arbeitsgericht, rechtshängigkeit, fälligkeit, erfüllung, rückzahlung, vorauszahlung, kongruenz
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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
7. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7/8 Sa 88/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 TVG, § 611 Abs 1 BGB, §
812 Abs 1 BGB
(Altersteilzeit - Überzahlung - falsche Auszahlung eines
sog. "Außendienstbonus" in der Arbeitsphase -
Rückforderungsanspruch - tarifvertragliche Ausschlussfrist)
Leitsatz
Zahlt ein Arbeitgeber während der Arbeitsphase eines Altersteilzeitverhältnisses statt
50% die volle variable Vergütung ("Außendienstbonus"), so kann er dem
entsprechenden Anspruch für die Freistellungsphase die dolo-petit-Einrede im Hinblick
auf seinen Bereicherungsanspruch entgegenhalten. Dabei ist jedoch eine
gegebenenfalls einschlägige tarifvertragliche Ausschlussfrist zu beachten.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 06.
Dezember 2005 – 2 Ca 417/05 – teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.729,78 EUR (in Worten:
Sechstausendsiebenhundertneunundzwanzig und 78/100 Euro) brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 691,72 EUR (in
Worten: Sechshunderteinundneunzig und 72/100 Euro) seit dem 28. Juli 2005 und
aus jeweils 355,18 EUR (in Worten: Dreihundertfünfundfünfzig und 18/100 Euro)
seit dem 01. August 2005, 01. September 2005, 01. Oktober 2005, 01. November
2005, 01. Dezember 2005, 01. Januar 2006, 01. Februar 2006, 01. März 2006, 01.
April 2006, 01. Mai 2006, 01. Juni 2006, 01. Juli 2006, 01. August 2006, 01.
September 2006, 01. Oktober 2006, 01. November 2006 und 01. Dezember 2006
zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 55 %, die Beklagte zu 45 % zu
tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe des dem Kläger während der
Freistellungsphase der Altersteilzeit zu zahlenden Außendienstbonus.
Der Kläger war seit dem 01. Dezember 1976 als Außendienstmitarbeiter der
Beklagten beschäftigt und erhielt einen Außendienstbonus nach der
Betriebsvereinbarung vom 22. Mai 2000, wegen dessen Inhalt auf Bl. 83 - 88 d.A.
Bezug genommen wird. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die
Chemische Industrie Hessen kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung.
Am 02. Juni 2003 unterzeichneten die Parteien eine Altersteilzeitvereinbarung
(ATZV), deren § 4 die Vergütungszahlung regelt. Darunter befindet sich folgende
Vereinbarung:
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1. Für die Dauer der Altersteilzeitarbeit werden Ihr monatliches Arbeitsentgelt,
die vermögenswirksamen Leistungen, das tarifliche Urlaubsgeld und die
Jahresleistung auf 50% derjenigen Beträge reduziert, die Sie ohne Eintritt in die
Altersteilzeit erhalten hätten.
Etwaige in der Arbeitsphase in unterschiedlicher Höhe anfallende variable
Entgeltbestandteile werden in der Freistellungsphase mit dem in der Arbeitsphase
erzielten Durchschnitt zugrunde gelegt. Für die Leistungszulage gilt
entsprechendes (Durchschnitts-Prozentsatz). Dies gilt auch für den
Außendienstbonus.
Der Kläger erhielt während der aktiven Phase der Altersteilzeit vom 01. Juni 2003
bis 28. Februar 2005 variable, nicht reduzierte Außendienstboni in Höhe von
insgesamt 14.917,60 €. Wegen der Zahlungen im Einzelnen wird auf die vom
Kläger angefertigte Aufstellung (Bl. 15 d.A.) sowie die entsprechenden
Vergütungsabrechnungen (Bl. 16 - 58 d.A.) verwiesen. Zuletzt erhielt der Kläger für
den Monat Februar 2005 einen Bonus in Höhe von 729,00 € brutto.
Während der passiven Phase vom 01. März 2005 bis zum 30. November 2006
zahlte die Beklagte dem Kläger keinen Außendienstbonus. Dies monierte der
Kläger mit Schreiben vom 06. Mai 2005 (Bl. 59 d.A.). Die Beklagte antwortete mit
Schreiben vom 12. Mai 2005. Darin schrieb sie u.a.:
„Leider ist es nun bei Ihnen zu einer in der Arbeitsphase falschen Auszahlung
des Außendienstbonus gekommen. Sie haben in der gesamten Arbeitsphase nicht
den um 50% reduzierten Betrag, sondern den jeweils erzielten Außendienstbonus
zu 100% ausgezahlt bekommen. Die Summe des gesamten in der Arbeitsphase
ausgezahlten Entgelts ist dann um die 40% aufgestockt worden, weshalb auch der
Außendienstbonus bereits um die vorgesehenen 40% aufgestockt wurde. Zu
diesem Versehen konnte es kommen, da in der Vergangenheit bei
Altersteilzeitverträgen regelmäßig der Bonus in der Arbeitsphase zu 100% und
dafür in der Freistellungsphase gar nicht mehr ausgezahlt wurde.
Um nun nicht die gesamte Zeit der Arbeitsphase zurückrechnen zu müssen,
möchten wir Ihnen deshalb vorschlagen, es bei den bereits ausgezahlten Boni zu
belassen und dafür auf die Auszahlungen während der Freistellungsphase in voller
Höhe zu verzichten. Anderenfalls werden wir gezwungen sein, die gesamten
Entgeltabrechnungen, beginnend mit dem ersten Monat Ihrer Altersteilzeit, zu
korrigieren.“
Wegen des gesamten Wortlauts dieses Schreibens wird auf Bl. 60 f d.A. verwiesen.
Die von der Beklagten gewünschte Einwilligung in die vorgeschlagene Regelung
erteilte der Kläger nicht.
Mit seiner am 27. Juli 2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten am
28. Juli 2005 zugestellten Klage macht der Kläger seinen Anspruch auf Zahlung
des ungekürzten Außendienstbonus in Höhe von monatlich 710,36 € brutto
entsprechend der in der Arbeitsphase bezogenen Durchschnittshöhe auch
während der Freistellungsphase geltend. Er hat die Auffassung vertreten, ein
solcher Anspruch folge aus § 4 Nr. 1 ATZV. Dessen erster Absatz zähle
abschließend auf, welche Leistungen auf 50% gekürzt werden. Der
Außendienstbonus zähle nicht hierzu, vielmehr werde dieser im zweiten Absatz
separat erwähnt.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.551,80 € brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der
Klage zu zahlen,2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab August 2005 bis
einschließlich November 2006 zusätzlich zu seinem Altersteilzeitentgelt 710,36 €
zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung geäußert, das variable Entgelt einschließlich des Bonus sei
Teil des gem. § 4 Nr. 1 Abs. 1 ATZV um 50% zu kürzenden Entgelts. Jede andere
Regelung stelle die in Altersteilzeit befindlichen Arbeitnehmer ohne Rechtsgrund
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Regelung stelle die in Altersteilzeit befindlichen Arbeitnehmer ohne Rechtsgrund
besser als andere Arbeitnehmer. Im Übrigen regele die Betriebsvereinbarung vom
22. Mai 2000, dass der Bonus nur dann gezahlt wird, wenn Leistungen erbracht
werden. Dies sei in der Freistellungsphase nicht mehr der Fall.
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 06. Dezember 2005 (Bl. 96 - 98
d.A.) abgewiesen. Es hat dies damit begründet, dass die Reduzierung auf 50%
auch für den Außendienstbonus gelte, der Teil des monatlichen Entgelts sei. Dies
folge sowohl aus dem allgemeinen Verständnis, wonach die Provision - eine solche
stelle der Außendienstbonus letztendlich dar - Gehaltsbestandteil sei, als auch aus
§ 3 (1) der einschlägigen Bonus-Betriebsvereinbarung. Aus der im Zuge der
Einführung des Bonussystems erfolgten Reduzierung des Basisgehalts werde
deutlich, dass der Bonus Teil des monatlichen Entgelts der Außendienstmitarbeiter
sei. Auch aus der Altersteilzeitvereinbarung folge kein Anspruch des Klägers, da §
4 Nr. 1 Abs. 2 keine Ausnahmeregelung, sondern nur die Berechnungsvorschrift
für den variablen Gehaltsbestandteil darstelle. Die Regelung stelle klar, dass der
Außendienstbonus während der Freistellungsphase nicht monatlichen
Schwankungen unterliege, sondern verstetigt in Höhe des Durchschnitts gezahlt
werden solle. Schließlich hat das Arbeitsgericht seine Klageabweisung auch
hinsichtlich der reduzierten Zahlung während der Freistellungsphase damit
begründet, dass die Beklagte durch Zahlung des ungekürzten Bonus in der
Arbeitsphase ihre Zahlungspflicht für die gesamte Altersteilzeit bereits erfüllt
habe.
Gegen dieses Urteil vom 06. Dezember 2005, auf dessen Inhalt zur weiteren
Sachdarstellung Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung des Klägers.
Der Kläger meint weiterhin, er habe während der gesamten Altersteilzeit Anspruch
auf den ungekürzten Außendienstbonus. Zum Einen habe das Arbeitsgericht die
vorherigen Verhandlungen, die schließlich zur Altersteilzeitvereinbarung vom 02.
Juni 2003 führten, nicht hinreichend berücksichtigt. Der Kläger habe nämlich
zunächst eine Vertragslaufzeit vom 01. Juli 2002 bis zum 30. Juni 2007 beantragt,
während die Beklagte eine kürzere Laufzeit wünschte. Erst nach Vorlage mehrerer
Entwürfe, die der Kläger abgelehnt habe, und zahlreicher Telefongespräche sei es
zu dem endgültigen Vertrag mit einer Laufzeit von 42 Monaten gekommen. Dabei
sei die Fortzahlung des durchschnittlichen Außendienstbonus auch in der
Freistellungsphase für den Kläger wesentliche Voraussetzung für das
Zustandekommen des Vertrags mit der relativ kurzen Laufzeit gewesen.
Der entsprechende Anspruch folge aus § 4 Nr. 1 Abs. 2 ATZV, in dem die Parteien
eindeutig geregelt hätten, dass in der Freistellungsphase die variablen
Entgeltbestandteile in Höhe des in der Arbeitsphase erzielten Durchschnitts zu
zahlen seien. Für diese Auslegung spreche auch die Aufforderung des
Vorgesetzten des Klägers, er solle in der Arbeitsphase einen hohen Umsatz
erwirtschaften, damit er in der Freistellungsphase einen höheren Bonus bekomme.
Jedenfalls könne der Kläger aber die Hälfte des Durchschnitts verlangen. Die
Beklagte habe in der Arbeitsphase nicht etwa Ansprüche für die Freistellungsphase
erfüllt, vielmehr den Anspruch des Klägers auf den ungekürzten
Außendienstbonus. Andere Abmachungen seien nicht getroffen worden. Für den
Fall, dass von einer Überzahlung während der Arbeitsphase ausgegangen werde,
müsse auf einen etwaigen Rückforderungsanspruch der Beklagten die
Ausschlussfrist des § 17 Abs. 2 MTV angewandt werden. Danach könne die
Beklagte angesichts ihres Schreibens vom 12. Mai 2005 nur noch die Zahlung für
den Monat Februar 2005 zurückfordern. Eine unzulässige Rechtsausübung liege in
der Berufung auf die Ausschlussklausel nicht vor.
Mit seinem Schriftsatz vom 21. November 2006 (Bl. 170 - 172 d.A.) hat der Kläger
die Klage im Hinblick auf den Ablauf der Altersteilzeit am 30. November 2006
umgestellt.
Der Kläger beantragt nunmehr,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 02. Dezember 2005 - 2 Ca 417/05 -
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 14.916,36 € nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit der Klage aus 3.551,80 € sowie Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 710,36 € monatlich für die Zeit vom
01. September 2005 bis zum 01. Dezember 2006 zu zahlen,
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hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 7.458,78 € brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.775,90 € seit
Rechtshängigkeit der Klage sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz aus 355,18 € monatlich für die Zeit vom 01. September 2005 bis 01.
Dezember 2006 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung
ihres erstinstanzlichen Vortrags. Insbesondere hält sie den Anspruch auf Zahlung
von 50% des durchschnittlichen Außendienstbonus für bereits erfüllt. Für die
Erfüllung einer Forderung reiche die reale Leistungsbewirkung aus. Eine subjektive
Komponente sei nicht erforderlich gewesen. Jedenfalls finde die Ausschlussklausel
des § 17 MTV keine Anwendung, da dies zu einer unzulässigen Rechtsausübung
seitens des Klägers führen würde. Der Schluss liege nahe, dass der Kläger das
Versehen der Beklagten ausgenutzt habe, um seine finanzielle Situation
aufzubessern.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die Berufungsbegründung vom
21. Februar 2006 (Bl. 112 - 116), die Berufungsbeantwortung vom 27. April 2007
(Bl. 143 - 150 d.A.) sowie die Schriftsätze des Klägers vom 21. November 2006 (Bl.
170 - 172 d.A.) und 05. Januar 2007 (Bl. 180 d.A.) sowie der Beklagten vom 07.
Dezember 2006 (Bl. 176f d.A.), vom 12. Januar 2007 (Bl. 190 - 194 d.A.) und vom
15. Januar 2007 (Bl. 197f d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte, form- und
fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers ist zulässig.
II.
Die Berufung ist jedoch in der Sache nur teilweise begründet.
1. Soweit der Kläger einen 50% des in der Arbeitsphase durchschnittlich
bezogenen Außendienstbonus übersteigenden Anspruch für die Freistellungsphase
geltend macht, hat das Arbeitsgericht die Klage zu Recht abgewiesen.
Das Berufungsgericht schließt sich dem angefochtenen Urteil insofern im Ergebnis
und in der Begründung an (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Der Inhalt der
Berufungsbegründung gibt lediglich Anlass zu folgenden Ergänzungen:
Wenn der Kläger zur Begründung seines Anspruchs auf die Verhandlungen
hinweist, die er mit der Beklagten vor Abschluss des Altersteilzeitvertrags führte,
so bleiben diese unerheblich, denn der Kläger hat er auch in der Berufungsinstanz
nicht substanziiert vorgetragen, dass die Frage der ungekürzten Bonuszahlung
überhaupt Inhalt der Verhandlungen war und wann er wem gegenüber die Zahlung
des ungekürzten Bonus zur Bedingung für den Abschluss des Altersteilzeitvertrags
gemacht hat. Jedenfalls hat ein solcher Vorbehalt keinen Eingang in den
Vertragstext gefunden, von dessen Vollständigkeit regelmäßig ausgegangen
werden kann. Ein etwaiger Motivirrtum des Klägers im Zusammenhang mit dem
Abschluss des Vertrags muss unbeachtlich bleiben.
Auch aus der vom Kläger vorgetragenen Äußerung seines Vorgesetzten, er solle in
der Arbeitsphase hohen Umsatz erwirtschaften, folgt keine vom Arbeitsgericht
abweichende Auslegung des § 4 Nr. 1 ATZV, denn diese Aussage trifft in jedem
Falle zu. Auch bei einer um 50% reduzierten Bonuszahlung erhöht sich der
während der Freistellungsphase monatlich zu zahlende Betrag, wenn der Kläger
während der Arbeitsphase einen möglichst hohen Bonus erwirtschaftet, denn
dadurch erhöht sich auch der Durchschnittsbetrag als für die Bemessung des
Bonus in der Freistellungsphase maßgebliche Größe.
2. Die Klage auf monatliche Zahlung eines Betrags, der 50% des während der
Arbeitsphase erwirtschafteten Bonus entspricht, ist zulässig und für die
Freistellungsphase überwiegend begründet.
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a) Die Klageänderung durch den Antrag gem. Schriftsatz vom 21. November 2006
ist ohne weiteres zulässig. Da inzwischen auch die Freistellungsphase der
Altersteilzeit beendet ist, ist die Umstellung des Klageantrags auf Zahlung eines
einheitlichen Gesamtbetrags sachdienlich.
b) Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger für die gesamte Dauer der Altersteilzeit
50% des monatlichen Arbeitsentgelts einschließlich Außendienstbonus zu zahlen.
Dieser Zahlungsanspruch des Klägers folgt unmittelbar aus § 4 Nr. 1 ATZV, wobei
sich die Höhe des Außendienstbonus in der Freistellungsphase nach dem 2.
Absatz dieser Regelung berechnet, sich also auf 50% dessen beläuft, was der
Kläger in der Arbeitsphase durchschnittlich als Außendienstbonus erhalten hat. Da
der Kläger während der Arbeitsphase insgesamt für 21 Monate 14.917,60 €
erhalten hat, entspricht dies einem monatlichen Durchschnittsbetrag von 710,36
€. Hiervon die Hälfte, mithin 355,18 € kann der Kläger als monatliche Leistung für
die Dauer der Freistellungsphase beanspruchen.
Dem steht die Regelung in § 5 Abs. 1 der Betriebsvereinbarung über den
Außendienstbonus nicht entgegen, die eine Bonuszahlung ohne Arbeitsleistung
ausschließt. Denn gegenüber dieser kollektivrechtlichen Regelung stellt die
einzelvertragliche Vereinbarung in § 4 Nr. 1 ATZV die günstigere dar.
c) Dieser Anspruch ist entgegen der Feststellungen des Arbeitsgerichts durch die
Zahlungen der Beklagten während der Arbeitsphase nicht erfüllt.
Zwar gilt für die Erfüllung eines Zahlungsanspruchs nach § 362 BGB nach ganz
herrschender Meinung, der sich auch das Bundesarbeitsgericht angeschlossen hat
(vgl. BAG Urteil vom 03.03.1993 - 5 AZR 132/92) die Theorie der realen
Leistungsbewirkung. Danach tritt die Erfüllungswirkung regelmäßig als objektive
Folge der Leistungsbewirkung ein, ohne dass weitere Umstände hinzutreten
müssen. Voraussetzung ist lediglich, dass die Leistung einem bestimmten
Schuldverhältnis zugeordnet werden kann. Dazu reicht aus, dass die bewirkte
Leistung die allein geschuldete ist und daneben keine andere, gleichartige Schuld
besteht, auf welche die Leistung daneben oder statt dessen erbracht worden sein
könnte. Es genügt zur Erfüllung die Kongruenz der erbrachten mit der
geschuldeten Leistung, also die reale Bewirkung der Leistung, soweit diese dem
geschuldeten Leistungserfolg entspricht (juris-PK-BGB/Kerwer § 362 Rn 20). Auch
nach dieser Theorie ist aber im Falle der Vorauszahlung, d.h. der Zahlung vor
Entstehen oder Fälligkeit einer Schuld eine Zweckbestimmung erforderlich (juris-
PK-BGB/Kerwer § 362 Rn 23, 32 m.w.N.; Palandt/Heinrichs § 362 Rn 10). In diesen
Fällen führt der spätere Eintritt der Fälligkeit nur dann zum sofortigen Erlöschen
der Schuld, wenn dies dem ausdrücklich erklärten Willen der Parteien entspricht.
Im vorliegenden Falle liegt unstreitig weder eine übereinstimmende Erklärung der
Parteien hinsichtlich einer solchen zweckbestimmten Vorauszahlung noch eine
einseitige, vom Kläger stillschweigend hingenommene Zweckbestimmung im
Hinblick auf die Erfüllung einer später fällig werdenden Schuld bei der Zahlung
durch die Beklagte vor. Eine solche Zweckbestimmung kann auch keinesfalls den
weiteren Umständen des Einzelfalles konkludent entnommen werden, vielmehr hat
die Beklagte nach ihrer eigenen Erklärung im Schreiben vom 12. Mai 2005 jeweils
versehentlich zu viel gezahlt. An diese Erklärung muss sich die Beklagte binden
lassen. Eine nachträgliche Änderung des Zahlungszwecks ist nicht möglich.
Im Übrigen hat die Beklagte sogar noch in ihrem Schriftsatz vom 12. Januar 2007
damit argumentiert, der Kläger habe „das Versehen der Beklagten bei der
Auszahlung des Bonus“ ausnutzen wollen. Ein solches „Versehen“ steht dem
Gedanken einer zweckgerichteten Vorauszahlung im Hinblick auf eine später fällige
Schuld entgegen.
Darüber hinaus fehlt es auch an einer Kongruenz der Leistung mit der Schuld,
denn nach der vertraglichen Vereinbarung in § 4 Nr. 1 ATZV hätte die Beklagte
während der Freistellungsphase jeweils monatlich 50% des vorher gezahlten
Durchschnittsbonus zahlen müssen, also jeweils gleich hohe Beträge in jedem
Monat. Die Zahlungen während der Arbeitsphase erfolgten jedoch in wechselnder
Höhe entsprechend den getätigten Umsätzen. Dass dadurch jeweils bereits im
Voraus ein Teil des späteren Durchschnittsanspruchs getilgt werden sollte, lässt
sich der realen Zahlung nicht ohne Weiteres entnehmen.
d) Andererseits hat die Beklagte dem Kläger gegenüber einen
Rückzahlungsanspruch in Höhe von 50% der in der Arbeitsphase gezahlten
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Rückzahlungsanspruch in Höhe von 50% der in der Arbeitsphase gezahlten
Außendienstboni, denn in dieser Höhe ist der Kläger wegen der versehentlich in
voller Höhe geleisteten Zahlungen ungerechtfertigt bereichert, § 812 BGB. Nach
den Feststellungen unter II. 1. dieses Urteils hat der Kläger aus § 4 Nr. 1 ATZV
während der gesamten Dauer der Altersteilzeit nur einen Anspruch auf 50% der
erwirtschafteten Außendienstboni.
Diesen Bereicherungsanspruch kann die Beklagte dem Zahlungsanspruch des
Klägers als so genannte dolo-petit-Einrede entgegen halten. Danach kann kein
Gläubiger vom Schuldner eine Leistung fordern, die er sofort zurückzuzahlen
verpflichtet ist.
Für den Rückzahlungsanspruch der Beklagten ist allerdings die Ausschlussklausel
gem. § 17 Abs. 2 des Manteltarifvertrags für die Chemische Industrie vom 24. Juni
1992 (MTV) zu beachten, dessen Bestimmungen gem. § 15 des Tarifvertrags zur
Förderung der Altersteilzeit in der Chemischen Industrie vom 17. Juli 1996 auch im
Altersteilzeitarbeitsverhältnis gelten. Danach müssen die Ansprüche beider Seiten
aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach
Fälligkeit geltend gemacht werden. Nach Ablauf dieser Frist ist die
Geltendmachung ausdrücklich ausgeschlossen.
Auch Ansprüche des Arbeitgebers auf Rückzahlung überzahlter Vergütung sind
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und unterliegen der Ausschlussfrist.
Berechnet der Arbeitgeber die Vergütung fehlerhaft, obwohl ihm die maßgeblichen
Berechnungsgrundlagen bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen,
entsteht sein Rückzahlungsanspruch bei überzahlter Vergütung im Zeitpunkt der
Überzahlung und wird auch zugleich fällig (BAG 19. Februar 2004 - 6 AZR 664/02 -
AP BAT-O § 70 Nr. 3 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 174, zu I 4 b aa der
Gründe) . Auf die Kenntnis des Arbeitgebers von seinem Rückzahlungsanspruch
kommt es in einem solchen Fall nicht an. Sind dem Arbeitgeber die Grundlagen
der Berechnung bekannt, fallen Fehler bei der Berechnung der Vergütung
regelmäßig in seine Sphäre, weil sie von ihm eher durch Kontrollmaßnahmen
entdeckt werden können als vom Empfänger der Leistung (st. Rspr., BAG 19.
Februar 2004 - 6 AZR 664/02 - aaO, zu I 4 b aa der Gründe; 1. Juni 1995 - 6 AZR
912/94 - BAGE 80, 144 , 149; 16. November 1989 - 6AZR 114/88 - BAGE 63, 246 ,
253; 10. März 2005 - 6 AZR 217/04). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der
Arbeitgeber die Überzahlung nicht erkennen kann, weil die Fehler bei der
Berechnung der Vergütung in die Sphäre des Arbeitnehmers fallen. Teilt dieser
Änderungen in seinen persönlichen Verhältnissen, die sich auf die Höhe der
Vergütung auswirken, dem Arbeitgeber nicht mit, wird der Rückzahlungsanspruch
erst dann fällig, wenn der Arbeitgeber von den rechtsbegründenden Tatsachen
Kenntnis erlangt (BAG 10. März 2005 - 6 AZR 217/04 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt
hier jedoch keinesfalls vor, denn es lag allein in der Sphäre der Beklagten, den
Bonus auf der Grundlage der monatlichen Umsätze des Klägers und unter
Anwendung der Kürzungsregel des § 4 Nr. 1 ATZV richtig zu berechnen und
auszuzahlen.
Dies führt im vorliegenden Fall dazu, dass der Rückzahlungsanspruch der
Beklagten in Höhe von 50% des ausgezahlten Bonus jeweils sofort mit der
Auszahlung fällig wurde und innerhalb von drei Monaten hätte geltend gemacht
werden müssen, damit er nicht unwiderruflich verfällt.
Da die Beklagte im vorliegenden Fall erstmalig mit ihrem Schreiben vom 12. Mai
2005 (Bl. 60f d.A.) ihren Anspruch auf Rückzahlung geltend gemacht hat, indem
sie ankündigte, sie müsse im Falle, dass der Kläger sich nicht mit der
vorgeschlagenen Regelung einverstanden erklärte, alle Entgeltabrechnungen für
den Zeitraum der Altersteilzeit korrigieren, erstreckt sich der Dreimonatszeitraum
rückwirkend nur noch auf die Zahlung für den Monat Februar 2005, für den dem
Kläger ein Außendienstbonus von 729,00 € gezahlt wurde. Die Beklagte kann auch
die Rückzahlung dieses Betrags in voller Höhe, nicht etwa nur in Höhe von 50%
hieraus verlangen, da ihr Rückzahlungsanspruch insgesamt diesen Betrag weit
übersteigt.
Dass sich der Kläger hier auf die Anwendung der Ausschlussklausel gem. § 17 Abs.
2 MTV beruft, stellt auch entgegen der Auffassung der Beklagten keinen
Rechtsmissbrauch dar. Denn der Kläger hat weder aktiv dazu beigetragen, dass
die Beklagte daran gehindert wurde, die Überzahlung zu erkennen und ihren
Rückzahlungsanspruch geltend zu machen, noch hat er es pflichtwidrig
unterlassen, der Beklagten Umstände mitzuteilen, auf Grund derer sie erst in die
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unterlassen, der Beklagten Umstände mitzuteilen, auf Grund derer sie erst in die
Lage versetzt worden wäre, die Überzahlung zu erkennen. Vielmehr vertrat der
Kläger ja gerade von Anfang an die auf einer falschen Auslegung der
Altersteilzeitvereinbarung beruhende Rechtsauffassung, er habe während der
gesamten Dauer der Altersteilzeit einen Anspruch auf Zahlung des vollen
Außendienstbonus. Er hatte daher zu keiner Zeit Anlass, die Beklagte auf eine
vermeintliche Überzahlung hinzuweisen. In dieser Fallgestaltung war es allein
Sache der Beklagten, ihre eigene Zahlungspraxis anhand der vertraglichen
Grundlagen zu überprüfen und ggf. zuviel gezahlte Vergütung unverzüglich
zurückzufordern.
e) Unter diesen Voraussetzungen ergibt sich folgende Berechnung des noch
offenen Zahlungsanspruchs des Klägers:
Für die Dauer der Freistellungsphase hat der Kläger einen Zahlungsanspruch in
Höhe von 21 Monaten à 355,18 €, also insgesamt 7.458,78 €. Hiervon abzuziehen
ist wegen des nicht ausgeschlossenen Rückzahlungsanspruchs der Beklagten der
im Februar 2005 gezahlte Bonusbetrag in Höhe von 729,00 €, so dass sich ein
noch zu zahlender Rest in Höhe von 6.729,78 € ergibt. In dieser Höhe war die
Beklagte zur Zahlung an den Kläger zu verurteilen.
f) Soweit der Kläger Zinsen ab Rechtshängigkeit fordert, ergibt sich sein Anspruch
aus § 291 BGB, allerdings nicht aus einem Betrag von 1.775,90 €, wie der Kläger in
seinem Hilfsantrag begehrt, sondern lediglich aus einem Betrag von 691,72 €, der
sich wie folgt errechnet:
Wegen des Rückforderungsanspruchs der Beklagten in Höhe von 729,00 € entfällt
der Bonuszahlungsanspruch des Klägers für die Monate März und April 2005. Auf
die Forderung für den Monat Mai 2005 verbleibt daraus ein noch anzurechnender
Rest von 18,64 €, sodass der Kläger für diesen Monat noch 336,54 € mit der
Fälligkeit am 01. Juni 2005 verlangen kann. Da die Klage der Beklagten am 28. Juli
2005 zugestellt wurde, kann der Kläger Prozesszinsen für diesen Betrag zuzüglich
des am 01. Juli 2005 fälligen Bonus für den Monat Juni in Höhe von 355,18 €
fordern. Die Addition der beiden Beträge ergibt 691,72 €.
Im Übrigen kann der Kläger Zinsen auf die monatlich fälligen Bonuszahlungen
gem. § 286 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 und § 288 BGB fordern.
III.
Die Kosten des Rechtsstreits waren zwischen den Parteien im Verhältnis des
Obsiegens und Unterliegens zu teilen, § 92 ZPO.
Für die Zulassung des Rechtsmittels der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG
bestand keine gesetzlich begründbare Veranlassung.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.