Urteil des LAG Hessen vom 05.11.2007

LAG Frankfurt: schichtdienst, begriff, muster, vertragliche arbeitszeit, schichtarbeit, form, dienstplan, fra, nacht, periode

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
17. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
17 Sa 39/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 133 BGB, § 157 BGB, § 1
TVG
Schichtdienst - Schichtzulage - regelmäßige Änderung des
täglichen Arbeitsbeginns
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Frankfurt am Main vom 10. Oktober 2006, Az.: 4 Ca 10676/05
abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.542,88 EUR (in Worten:
Eintausendfünfhundertzweiundvierzig und 88/100 Euro) brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus
207,18 EUR (in Worten: Zweihundertsieben und 18/100 Euro) seit 31.
Dezember 2002, 428,28 EUR (in Worten: Vierhundertachtundzwanzig
und 28/100 Euro) seit 31. Dezember 2003, 450,36 EUR (in Worten:
Vierhundertfünfzig und 36/100 Euro) seit 31. Dezember 2004 und aus
457,06 EUR (in Worten: Vierhundertsiebenundfünfzig und 06/100 Euro)
seit 03. Januar 2006 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/10 und die
Beklagte zu 9/10.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung einer tarifvertraglichen Schichtzulage.
Der Kläger ist bei der Beklagten aufgrund Arbeitsvertrages vom 23. Juli 1997
(Teilzeitarbeitsvertrag mit variabler Arbeitszeit zur Anpassung an den Arbeitsanfall,
Bl. 25 f d. A.) seit dem 01. August 1997 als Teilzeit-Hilfskraft im Betreuungsdienst
in der Abteilung FRA SX 13 beschäftigt.
Der Arbeitsvertrag, auf den im Übrigen wegen der Einzelheiten der getroffenen
Vereinbarungen verwiesen wird, lautet auszugsweise:
4. Arbeitszeit
(1) Herr A erbringt seine Arbeitsleistung entsprechend dem betrieblichen
Bedarf. Die Dauer der Arbeitszeit beträgt vom 01.08.1997 bis zum 31.12.1997 440
Stunden und ab 01.01.1998 1040 Stunden für den Zeitraum von 12 Monaten
(Jahresarbeitszeit). Die sich daraus ergebende wöchentliche bzw. monatliche
Arbeitszeit richtet sich nach der von Lufthansa abgeforderten Arbeitsleistung.
(2) Herr A ist zur Arbeitsleistung nur verpflichtet, wenn Lufthansa ihm die Lage
seiner Arbeitszeit jeweils mindestens vier Tage im voraus mitteilt.
(3) Die Inanspruchnahme der Arbeitsleistung wird sodann im Bedarfsfall jeweils
mindestens 4 aufeinanderfolgende Stunden täglich erfolgen.
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Gemäß Ziffer 2 des Arbeitsvertrages ergeben sich die gegenseitigen Rechte und
Pflichten u. a. aus den für die Beklagte geltenden Tarifverträgen. Der Kläger ist
außerdem tarifgebunden.
Protokollnotiz XI zum Manteltarifvertrag Nr. 14 für das Bodenpersonal der
Beklagten, der B sowie der Gesellschaften im "Tarifvertrag zur Erweiterung des
Geltungsbereiches" (G-TVG), gültig ab 01. Oktober 1992 in der überarbeiteten
Fassung vom 12. Mai 2005 lautet:
Für Mitarbeiter, die am 31.12.2004 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis
standen, gelten §§ 11, 22, 23 Abs. (3a), 31 und 32 Abs. (3) in der am 31.12.2004
geltenden Fassung fort. Für Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis nach dem
31.12.2004 bei einem Unternehmen im Geltungsbereich dieses Tarifvertrages
begründet wird oder erneut begründet wird, gelten die Regeln dieser Protokollnotiz
nicht.
§ 22 MTV Nr. 14 in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung lautet:
(1) Die im Schichtdienst beschäftigten Mitarbeiter erhalten eine Schichtzulage
gem. Anlage 1 des Vergütungstarifvertrages.
(2) Mitarbeiter, deren tägliche Grundarbeitszeit regelmäßig in der Zeit von
20.00 Uhr bis 6.00 Uhr beginnt und deren durchschnittliche monatliche
Grundarbeitszeit mehr als 70 % Nachtarbeitsanteil aufweist, erhalten neben dem
Nachtzuschlag (§ 23 Abs. (4)) eine Nachtzulage, deren Höhe sich aus Anlage 1
zum Vergütungstarifvertrag ergibt.
Der MTV Nr. 14 in der seit 01. Januar 2005 geltenden Fassung sieht keine
Schichtzulage mehr vor.
§ 8 MTV Nr. 14 lautet auszugsweise:
(1) Die Lage der täglichen Grundarbeitszeit (Beginn und Ende) wird im
Allgemeinen für einzelne Betriebsteile oder bestimmte Tätigkeiten durch
Dienstpläne festgelegt (Normaldienst).
(2) Die Lage der täglichen Grundarbeitszeit wird durch Schichtpläne geregelt,
wenn die betrieblichen Verhältnisse die Ableistung der Arbeit über einen
bestimmten Zeitraum (Schichtperiode) in Schichten erfordern und der tägliche
Arbeitsbeginn sich bei den Schichtabschnitten derselben Periode oder innerhalb
des Schichtabschnitts regelmäßig ändert (Schichtdienst).
...
Protokollnotiz IV zum Vergütungstarifvertrag Nr. 40 für das Bodenpersonal, gültig
ab 01. Januar 2003 (einschließlich des 1. Änderungs- und Ergänzungstarifvertrags
vom 12. Mai 2005) (in der Folge: VTV Nr. 40) lautet auszugsweise:
Für Mitarbeiter, die am 31.12.2004 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis
standen, gelten § 7 ... und Anlage I in der am 31.12.2004 geltenden Fassung fort.
Für Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31.12.2004 bei einem
Unternehmen im Geltungsbereich dieses Tarifvertrages begründet wird oder
erneut begründet wird, gelten die Regeln dieser Protokollnotiz nicht.
§ 7 VTV Nr. 40 in der am 31. Dezember 2004 geltenden Fassung lautet:
Die Höhe der Schicht- und Nachtzulage (§ 22 MTV) bestimmt sich nach der
Anlage I dieses Tarifvertrages.
Anlage I zum VTV Nr. 40 in der am 31. Dezember 2004 geltenden Fassung lautet
auszugsweise:
§ 1
(1) Beschäftigte im Schichtdienst (§ 8 Abs. (2) MTV) haben Anspruch auf die
Zahlung einer Schichtzulage gemäß § 22 Abs. (1) MTV, § 7 VTV, wenn sie nach
einem Schichtplan arbeiten, der mindestens 20 % Schichten (schichtplanmäßige
tägliche Arbeitszeit) aufweist, die ganz oder teilweise in die Zeit zwischen 21.00
Uhr bis 6.00 Uhr fallen.
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(2) Die Höhe der Schichtzulage beträgt 3,6 % der individuellen
Grundvergütung.
(3) Für tatsächlich geleistete Nacht- bzw. Sonntagsarbeitsstunden im Rahmen
von Schichtdienst werden daneben Nacht- bzw. Sonntagszuschläge gemäß § 23
MTV i.V.m. § 9 VTV gezahlt.
§ 2
(1) Die Schichtzulage wird gewährt, wenn an allen Arbeitstagen eines
Kalendermonats nach dem betreffenden Schichtplan gearbeitet wird, desgleichen
bei bezahltem Urlaub bzw. bezahlter zeitweiligen Arbeitsbefreiung gemäß §§ 12,
12a Abs (2), 27, 32 und 33 MTV sowie bei betrieblichen Lehrgängen und
praktischen Schulungen. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird die
Schichtzulage zeitanteilig gezahlt.
(2) Bei kurzfristigen Unterbrechungen bis zu 16 aufeinander folgenden
Kalendertagen im Kalendermonat, die der Beschäftigte nicht selbst zu vertreten
hat, wird die Schichtzulage weitergezahlt.
(3) Hinsichtlich der Zuschläge für Nacht- und Sonntagsarbeit werden die
Beschäftigten im Schichtdienst bei betrieblichen Lehrgängen und praktischen
Schulungen so gestellt, als hätten sie die für diesen Tag geschuldete
schichtplanmäßig vorgesehene Grundarbeitszeit erbracht.
Das Gleiche gilt bei kurzfristigen Unterbrechungen im Sinne des Abs. (2).
§ 3
Die Schichtzulage wird wie die Zeitzuschläge in dem auf den Schichtdienst
folgenden Monat zusammen mit der Monatsvergütung gezahlt.
Die in der Abteilung FRA SX 13 im Betreuungsdienst beschäftigten Arbeitnehmer
werden zu unterschiedlichen und wechselnden Arbeitszeiten eingesetzt. Zwischen
den Parteien besteht Streit darüber, ob auch die sog. Abruf-Mitarbeiter, damit
auch der Kläger, einen tarifvertraglichen Anspruch auf Zahlung einer Schichtzulage
haben, oder nur die von der Beklagten so bezeichneten Schichtdienst-Mitarbeiter.
Dass jedenfalls diese im Schichtdienst tätig sind, steht außer Streit.
Für diese sog. Schichtdienst-Mitarbeiter erstellt die Beklagte einen sog.
Schichtplan (beispielhaft Bl. 43 d. A.), der in der Regel nach einigen Jahren
überarbeitet und dem betrieblichen Bedarf angepasst wird. Auf der Grundlage
dieses Schichtplans wird für die diesem zugeordneten Arbeitnehmer ein
Jahresdienstplan (beispielhaft Bl. 44 d. A.) erstellt. Der Einsatz der sog.
Schichtdienst-Mitarbeiter erfolgt dann in der Regel nach diesem Jahresdienstplan.
Die sog. "Abruf-Mitarbeiter" können bis zum 15. eines Monats auf einem
Monatsrequestbogen ihren Wünsche angeben, an welchen Tagen und zu welchen
Zeiten sie im Folgemonat gerne arbeiten würden. Diese Mitarbeiter werden je nach
betrieblichem Bedarf und wenn möglich in Übereinstimmung mit ihren Wünschen
eingesetzt. Sie erhalten vier Tage vor Monatsbeginn einen Dienstplan mit vorläufig
festgelegten Arbeitszeiten. Lediglich zum Zwecke der Urlaubsplanung erhalten
diese Arbeitnehmer einen Jahresdienstplan (beispielhaft Bl. 47 d. A.).
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er erfülle die tarifvertraglichen
Voraussetzungen für die Zahlung einer Schichtzulage. Die Ableistung seiner
Arbeitszeit erfolge nach einem Monatsdienstplan, in dem jeder Mitarbeiter einer
bestimmten Schicht zugeordnet werde, wobei der tägliche Arbeitsbeginn immer
zwischen früh und spät wechsele.
Mit seiner am 22. Dezember 2005 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main
eingegangenen und der Beklagten am 03. Januar 2006 zugestellten Klage hat er
eine tarifvertragliche Schichtzulage für die Zeit vom 01. Januar 2002 bis 31.
Dezember 2005 geltend gemacht und zur Berechnung des geltend gemachten
Anspruchs auf eine Anlage "Forderungsaufstellung" (Bl. 6 d. A.) sowie die
eingereichten An- und Abwesenheitsübersichten (Bl. 59 f d. A.) verwiesen.
Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.715,53 € nebst Zinsen in Höhe von 5
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.715,53 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 379,83 € seit dem 01. Januar
2002, 428,28 € seit dem 31. Dezember 2003, 450,36 € seit dem 31. Dezember
2004 und 457,06 € seit dem 03. Januar 2006 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe kein tarifvertraglicher
Anspruch auf Zahlung einer Schichtzulage zu, da er als Abruf-Mitarbeiter nicht im
Tarifsinne im Schichtdienst beschäftigt sei. Der Kläger arbeite nicht nach einem
Schichtplan. Seine Arbeit werde flexibel an den Arbeitsanfall angepasst und erfolge
nicht nach einer Regel oder einem festen Muster. Seine Arbeitszeit ändere sich
auch nicht regelmäßig. Er sei keinem festen Plan unterworfen, könne damit flexibel
und unregelmäßig eingesetzt werden. Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass der
Einsatz der sog. Schichtdienstmitarbeiter aufgrund des erstellten Schichtplans und
der hierauf beruhenden Jahresdienstpläne einem bestimmten und sich
wiederholenden Muster folgt.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat die Klage durch am 10. Oktober 2006
verkündetes Urteil, Az. 4 Ca 10676/05, abgewiesen. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei kein Beschäftigter im Schichtdienst i.S.d. §
8 Abs. 2 MTV Nr. 14, da sich sein täglicher Arbeitsbeginn nicht regelmäßig ändere.
Zwar ändere sich auch bei den Dienstplänen der Abruf-Mitarbeiter der tägliche
Arbeitsbeginn dauernd. Es fehle aber am Merkmal der Regelmäßigkeit. Dieses
bedeute, einer bestimmten festen Ordnung folgend, die durch eine stete
Wiederkehr des gleichen gekennzeichnet sei. Den Dienstplänen der Abruf-
Mitarbeiter liege aber im Gegensatz zu den Schichtplänen der Schichtdienst-
Mitarbeiter kein festes Muster zugrunde, das gleich bleibend wiederkehre. Wegen
der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl.
119 bis 121 d. A.) verwiesen.
Gegen dieses ihm am 12. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09.
Januar 2007 Berufung eingelegt und diese nach aufgrund Antrags vom 12. Februar
2007 erfolgter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 12. März 2007 am
12. März 2007 begründet.
Er wiederholt und vertieft seinen Vortrag und hält an seiner Auffassung fest, er sei
Beschäftigter im Schichtdienst i.S.d. § 8 Abs. 2 MTV Nr. 14 i.V.m. § 1 Abs. 1 der
Anlage I zum VTV. Er wendet sich gegen die Auslegung des Arbeitsgerichts
insbesondere des Begriffs "regelmäßig" und meint, dieser erfordere keine Regel im
Sinne einer Änderung des Beginns des täglichen Arbeitsbeginns nach einem sich
wiederholenden und wiederkehrenden Muster.
Im Verhandlungstermin vom 05. November 2007 nahm er die Klage mit
Zustimmung der Beklagten in Höhe eines Teilbetrages von 172,65 € brutto nebst
anteiligen Zinsen – hierbei handelt es sich um die für die Monate Januar 2002 bis
Juni 2002 geltend gemachten Beträge – zurück,
so dass er nunmehr noch beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 10. Oktober 2006
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.542,88 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 207,18 € seit dem 31.
Dezember 2002, 428,28 € seit dem 31. Dezember 2003, 450,36 € seit dem 31.
Dezember 2004 und 457,06 seit dem 03. Januar 2006 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung
ihres Vortrags.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main
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Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main
vom 10. Oktober 2006, 4 Ca 10676/05, ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit. b
ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und
fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519,
520 Abs. 1 und 3 ZPO.
Sie ist auch, soweit nach Teilklagerücknahme noch über sie zu entscheiden,
begründet. Die Beklagte ist gemäß §§ 22 Abs. 1 MTV Nr. 14, 7 VTV Nr. 40, 1 Abs. 1
und 2 der Anlage I zum VTV – jeweils in der am 31. Dezember 2004 geltenden
Fassung – i.V.m. Protokollnotiz XI zum MTV Nr. 14, Protokollnotiz IV zum VTV Nr.
40 und § 8 Abs. 2 MTV Nr. 14 verpflichtet, dem Kläger für die Zeit von Juli 2002 bis
Dezember 2005 Schichtzulagen von insgesamt 1.542,88 € brutto zu zahlen.
Der Kläger leistet Schichtdienst.
Die Tarifvertragsparteien haben in § 8 Abs. 2 MTV Nr. 14 den Begriff des
Schichtdiensts bestimmt. Hiernach ist erforderlich, dass
– die betrieblichen Verhältnisse die Ableistung der Arbeit über einen bestimmten
Zeitraum – bezeichnet als Schichtperiode – in Schichten erfordern,
– die Lage der täglichen Grundarbeitszeit durch Schichtpläne geregelt wird und
– der tägliche Arbeitsbeginn sich bei den Schichtabschnitten derselben Periode
oder innerhalb des Schichtabschnittes regelmäßig ändert.
Damit kann wie beispielsweise auch im Rahmen von § 67 Nr. 34 BMT-G II
zunächst auf den
Begriff der Schichtarbeit in seiner allgemeinen arbeitsrechtlichen Bedeutung
abgestellt werden. Hiernach ist wesentlich, dass eine bestimmte Arbeitsaufgabe
über einen erheblich längeren Zeitraum als die tatsächliche Arbeitszeit eines
Arbeitnehmers hinaus erfüllt und daher von mehreren Arbeitnehmern (oder
Arbeitnehmergruppen) in einer geregelten zeitlichen Reihenfolge teilweise auch
außerhalb der allgemein üblichen Arbeitszeit erbracht wird. Bei der Schichtarbeit
arbeiten nicht sämtliche Beschäftigte eines Betriebs oder wie hier einer Abteilung
zur selben Zeit, sondern ein Teil arbeitet, während der andere Teil arbeitsfreie Zeit
hat
.
Diese Voraussetzung ist erfüllt. Im Bereich Betreuungsdienste der Abteilung FRA
SX 13 werden ganzjährig und jeden Tag Dienstleistungen erbracht, die täglich über
die vertragliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers hinausgehen und von sich
untereinander ablösenden Arbeitnehmern geleistet werden. Dies ist unstreitig. Zu
diesen Arbeitnehmern gehören nicht nur die sog. Schichtdienst-Mitarbeiter,
sondern auch die sog. Abruf-Mitarbeiter wie der Kläger.
Weitere Voraussetzung bereits des Begriffs der Schichtarbeit in seiner allgemeinen
arbeitsrechtlichen Bedeutung ist, dass sich der Teil der arbeitenden Arbeitnehmer
und der Teil, der arbeitsfreie Zeit hat, sich regelmäßig nach einem feststehenden
und überschaubaren Schichtplan ablösen, wobei eine übereinstimmende
Arbeitsaufgabe von untereinander austauschbaren Arbeitnehmern erfüllt werden
muss
.
Dem entspricht es, wenn § 8 Abs. 2 MTV Nr. 14 fordert, dass die Lage der
täglichen Grundarbeitszeit durch Schichtpläne geregelt wird.
Auch diese Voraussetzung ist erfüllt. Identische Aufgabenwahrnehmung im
Bereich Betreuung bei Austauschbarkeit steht außer Streit. Auch die Arbeitszeit
der Abruf-Mitarbeiter, damit auch die des Klägers, wird durch Schichtpläne
geregelt. Dass für die Abruf-Mitarbeiter kein Jahresdienstplan auf der Grundlage
eines zuvor von der Abteilung nach dem betrieblichen Bedarf erstellten
"Schichtplans" erstellt wird, ist nicht entscheidend. Der tarifvertragliche Begriff des
Schichtplans im Sinne des § 8 Abs. 2 MTV Nr. 14 beschränkt sich nicht auf einen
für die Dauer von mehreren Jahren erstellten Schichtplan, anhand dessen die
Beklagte für einen Teil der in der Abteilung Betreuungsdienste – nämlich die sog.
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Beklagte für einen Teil der in der Abteilung Betreuungsdienste – nämlich die sog.
Schichtdienst-Mitarbeiter – Jahresdienstpläne erstellt. Unter einem Schichtplan ist
vielmehr allgemein die zeitlich geregelte Reihenfolge zu verstehen, in der die über
die Arbeitszeit eines einzelnen Arbeitnehmers hinausgehende Arbeitsaufgabe
mehreren untereinander austauschbaren Arbeitnehmern übertragen wird und mit
der der Arbeitgeber die Arbeitsaufgabe, die für diese Arbeitsaufgabe eingesetzten
Arbeitnehmer und den zeitlichen Umfang ihres Einsatzes festlegt
. Dies erfolgt für die Abruf-Mitarbeiter durch die ihnen
jeweils für den Folgemonat übersandten Dienstpläne. Der Begriff des Schichtplans
erfordert nicht, dass bereits eine Regelung für die Dauer eines Jahres zu erfolgen
hat, unabhängig davon, ob Schichtperiode im Sinne des § 8 Abs. 2 MTV Nr. 14 das
Kalenderjahr ist oder nicht. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 8 Abs. 2 MTV Nr.
14. Auch hiernach ist nur erforderlich, dass die Lage der täglichen Grundarbeitszeit
geregelt wird. Gefordert wird nicht, dass dies bereits für einen Zeitabschnitt von
zumindest einem Jahr erfolgt.
Dass die Abruf-Mitarbeiter vor Erstellung ihrer Dienstpläne Wünsche äußern
können, an welchen Tagen und mit welchem Arbeitsbeginn sie im Folgemonat
arbeiten möchten, und dass diesen Wünschen nach Möglichkeit Rechnung
getragen wird, ist nicht entscheidend. Dies ändert nichts am Charakter der
Dienstpläne als Schichtplan. Es ist ohne Bedeutung, ob der Dienstplan vom
Arbeitgeber bestimmt wird oder vom Mitarbeiter selbst. Maßgebend ist allein dass
der Arbeitnehmer nach einem Dienstplan eingesetzt wird
, wobei als weitere Voraussetzung hinzukommen muss,
dass sich hierdurch der tägliche Arbeitsbeginn bei den Schichtabschnitten
derselben Periode oder innerhalb des Schichtabschnittes regelmäßig ändert.
Auch diese weitere Voraussetzung ist erfolgt. Offen bleiben kann, welche
Zeiträume mit den Begriffen "Schichtabschnitt" und "Schichtperiode" in § 8 Abs. 2
MTV Nr. 14 gemeint sind. Jedenfalls änderte sich der tägliche Arbeitsbeginn des
Klägers im Zeitraum Juli 2002 bis Dezember 2005 auch innerhalb eines jeden
Kalendermonats.
Hierin liegt auch eine regelmäßige Änderung im Sinne des § 8 Abs. 2 MTV Nr. 14.
Die Kammer folgt nicht der Auslegung des Arbeitsgerichts, wonach der Begriff
"regelmäßig" im Sinne "einer bestimmten Ordnung folgend, die durch eine stete
Wiederkehr des gleichen gekennzeichnet ist" auszulegen ist und die Wiederkehr
eines gleich bleibenden Musters des Schichtplans erfordert. Das Adjektiv
regelmäßig weist verschiedene Bedeutungen auf. Zum einen kann es in der Tat als
"nach einer bestimmten Regel (geschehend, verlaufend, eintretend)" bzw. als "in
gleichen Abständen (sich wiederholend)" zu verstehen sein. Zum anderen kann
ihm die Bedeutung "immer, gewohnheitsmäßig, gewöhnlich" zukommen
. In diesem
letztgenannten Sinn wird es von den Tarifvertragsparteien in § 8 Abs. 2 MTV Nr. 14
gebraucht. Mit dem Erfordernis der regelmäßigen Änderung des täglichen
Arbeitsbeginns fordern die Tarifvertragsparteien nicht, dass der jeweiligen
Änderung des täglichen Arbeitsbeginns ein feststehendes Muster zugrunde liegt,
das sich in feststehenden Rhythmen und damit zeitlich voraussehbar wiederholt.
Sie fordern vielmehr unabhängig vom Rhythmus der einzelnen Schichten und
einem zugrundeliegenden Muster ein Mindestmaß an Häufigkeit des Wechsels des
täglichen Arbeitsbeginns.
Es wird in diesem Zusammenhang nicht verkannt, dass das Bundesarbeitsgericht
den Begriff "regelmäßig" dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend auch bereits
als ein Geschehen verstanden hat, das nach einer bestimmten Ordnung in
gleichmäßigen Abständen und in gleichmäßiger Aufeinanderfolge wiederkehrt,
wobei es nicht auf den Rhythmus der Wiederholung ankomme, vielmehr
Schwankungen und Ausnahmen des Geschehensablaufs möglich seien.
Entscheidend sei die Gleichförmigkeit über eine bestimmte Zeit und damit eine
gewisse Stetigkeit und Dauer
. Diese auf die Begriffe der "regelmäßigen Arbeitszeit"
und der "regelmäßigen Arbeitsstelle" bezogene Auslegung ist in dieser Form
allerdings nicht auf den einer "regelmäßigen Änderung" zu übertragen. Nach § 8
Abs. 2 MTV Nr. 14 ist nur erforderlich, dass überhaupt sich der tägliche
Arbeitsbeginn innerhalb eines bestimmten Zeitraums (bei den Schichtabschnitten
oder innerhalb des Schichtabschnittes) regelmäßig ändert. Diese Voraussetzung
ist bereits erfüllt, wenn sich innerhalb des Zeitraums der tägliche Arbeitsbeginn
nur einmal ändert . § 8
Abs. 2 MTV Nr. 14 stellt dagegen nicht darauf ab, wie sich der Beginn der täglichen
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Abs. 2 MTV Nr. 14 stellt dagegen nicht darauf ab, wie sich der Beginn der täglichen
Arbeitszeit ändert und dass sich diese Änderung in künftigen Perioden
entsprechend wiederholt, fordert damit keine regelmäßige Form der Änderung des
Arbeitsbeginns, sondern nur, dass eine solche überhaupt regelmäßig stattfindet.
Auch die einmal monatlich erfolgende Änderung des Arbeitsbeginns, die keinem
bestimmten Muster folgt, ist damit eine regelmäßige Änderung des
Arbeitsbeginns, da sie immer bzw. gewöhnlich stattfindet, gleichgültig, wie sie im
Einzelnen ausgestaltet ist. Dem entspricht es, wenn das Bundesarbeitsgericht den
Begriff "ständig" im Zusammenhang mit dem Begriff des "ständigen
Schichtarbeiters" in anderen Tarifverträgen (hier: § 24 Abs. 2 BMT-G II) synonym
mit "sehr häufig", "fast ausschließlich", "dauernd" oder eben auch "regelmäßig"
verwendet
. Dem entspricht es ferner, wenn das Bundesarbeitsgericht
im Zusammenhang mit dem Erfordernis des "regelmäßigen" Austauschs der sich
bei Schichtarbeit ablösenden Arbeitnehmer den Begriff "regelmäßig" im Sinne von
"kontinuierlich, mit einer gewissen Dauer" verwendet
. Der Begriff der "Regelmäßigkeit" wird damit nicht durch den
Aspekt des Regelhaften, des sich wiederholenden festen Musters oder des bei
Kenntnis der Regel für die Zukunft Prognostizierbaren geprägt, sondern durch die
Intensität der Inanspruchnahme im Sinne von sehr häufig, immer oder gewöhnlich.
Diese Auslegung des Begriffs "regelmäßig" wird auch dem Sinn und Zweck der
Schichtzulage gerecht. Mit dieser sollen Erschwernisse abgegolten werden, die
dadurch entstehen, dass die Schichtarbeit erheblich auf den Lebensrhythmus
einwirkt und ihr Beginn oder ihr Ende außerhalb der allgemein üblichen Arbeits-
und Geschäftszeiten liegt . Hierbei
kommt es nicht auf ein sich nach bestimmten Regeln wiederholenden Muster der
Einsatzzeiten an. Die Erschwernis besteht nicht darin, dass der Arbeitnehmer
beispielsweise am 12. Februar eines Jahres weiß, dass er ab 29. Juli wieder in
demselben Rhythmus zur Schichtarbeit herangezogen wird. Die Erschwernis
besteht in der Einwirkung auf den Lebensrhythmus und der Intensität der
Heranziehung zu sich ändernden Arbeitszeiten dadurch, dass sich der Beginn der
Arbeitszeit gewöhnlich, immer oder eben "regelmäßig" ändert.
Der tägliche Arbeitsbeginn des Klägers hat sich in diesem Sinn regelmäßig
geändert. Dies folgt aus den von der Beklagten selbst erstellten An- und
Abwesenheitsübersichten (Bl. 59 f). Der Einsatz des Klägers erfolgte dabei auch
immer zu bestimmten Schichten, beispielsweise f4 (Beginn 6.30 Uhr), f1 (Beginn
5.30 Uhr), s6 (Beginn 15.00 Uhr, s3 (Beginn 13.45 Uhr), s1 (Beginn 13.45 Uhr), G1
(Beginn 10.00 Uhr), m2 (Beginn 9.45 Uhr) und f0 (Beginn 5.00 Uhr), wobei der
entsprechende Vortrag des Klägers von der Beklagten nicht bestritten wird und
sich die Existenz dieser Schichten aus dem von der Beklagten vorgelegten
beispielhaften Mitarbeiterdienstplan für Abruf-Mitarbeiter (Bl. 47) selbst ergibt.
Der Umstand, dass der Kläger aufgrund seines Arbeitsvertrages flexibel einsetzbar
ist, ändert an dieser Beurteilung nichts. Ob und inwieweit diese Flexibilität auch
dem Kläger zu Gute kommt, ist für die Entscheidung des Rechtsstreit ohne
Bedeutung. Unabhängig davon kommt diese Flexibilität der Abruf-Mitarbeiter, die
nach Erläuterung der Beklagten im Verhandlungstermin vom 05. November 2007
den überwiegenden Anteil der im Betreuungsdienst beschäftigten Arbeitnehmer
darstellen, jedenfalls auch der Beklagten in ihrer Einsatzplanung zu Gute und
ermöglicht ihr kurzfristige Reaktionen auf veränderte betriebliche Erfordernisse,
ggf. unter Einsparung der sog. VDS-Zuschläge wegen Schichtverlegung und
Abweichung von Jahresdienstplan. Soweit die Beklagte meint, bei den den Abruf-
Mitarbeitern übersandten Dienstplänen seien lediglich vorläufig Arbeitszeiten
festgelegt, die jedoch gemäß Ziffer 4 des Arbeitsvertrages jeweils bis vier Tage im
Voraus noch geändert werden könnten, kann dahinstehen, ob dies zutrifft. Solange
die Dienstpläne nicht geändert werden, ist nach ihnen zu verfahren und hat der
Arbeitnehmer die hierin ausgewiesenen Arbeitszeiten einzuhalten. Dass die
Arbeitszeiten des Klägers wiederum in dem hier im Streit stehenden Zeitraum
nach Übersendung der monatlichen Dienstpläne geändert wurden, behauptet die
Beklagte selbst nicht.
Die Höhe des dem Kläger zustehenden Anspruchs ist schlüssig dargelegt durch
Vorlage der Aufstellung "Forderung Schichtzulage" (Bl. 6 d. A.), aus der sich für die
einzelnen Monate zutreffend die Zahl und der prozentuale Anteil der Schichten
ergibt, die ganz oder teilweise in die Zeit zwischen 21.00 Uhr und 6.00 Uhr fallen,
in der rechnerisch zutreffend auf der Grundlage des jeweiligen Grundgehalts die
Schichtzulage von 3,6 % der jeweiligen individuellen Grundvergütung ermittelt ist
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Schichtzulage von 3,6 % der jeweiligen individuellen Grundvergütung ermittelt ist
und die in den tatsächlichen Angaben zu der Zahl der Dienste und den in die Zeit
von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr fallenden Schichten jedenfalls für den noch im Streit
stehenden Zeitraum von Juli 2002 bis Dezember 2005 durch die von der Beklagten
erstellten An- und Abwesenheitsschichten belegt wird.
Der Zinsanspruch ist begründet gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO.
Gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG ist die Revision zuzulassen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.