Urteil des LAG Hessen vom 19.11.2008

LAG Frankfurt: schweigen, auflage, vertretung, vertreter, post, telekommunikation, rechtsschutzversicherung, korrespondenz, verzinsung, beendigung

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
13. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 Ta 322/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 91 Abs 1 ZPO, § 91 Abs 2
ZPO, Nr 3201 RVG-VV
(Kostenfestsetzung - Beauftragung eines Rechtsanwalts
bei nur "fristwahrend" eingelegtem Rechtsmittel -
Stillhalteabkommen)
Leitsatz
Auch bei einem zunächst nur "fristwahrend" eingelegten Rechtsmittel darf der
Rechtsmittelgegner sofort einen Anwalt zu seiner Vertretung beauftragen, ohne gegen
die Grundsätze des § 91 ZPO zu verstoßen.
Dies gilt nicht, wenn die Parteien ein sogenanntes "Stillhalteabkommen" geschlossen
haben. Bloßes Schweigen auf eine entsprechende Bitte des Rechtsmittelführers reicht
dazu nicht.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss
des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 12. Juni 2008 - 11 Ca 111/07 - aufgehoben.
Der Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten vom 30. April 2008 wird
zurückgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte aus
einem Beschwerdewert von 320,30 € zu tragen. Gerichtskosten werden nicht
erhoben.
Gründe
I.
Nach erstinstanzlichem Prozessverlust legte der Kläger beim erkennenden Gericht
am 18. Februar 2008 Berufung ein (Az: 5 Sa 250/08). Mit Schreiben vom 19.
Februar 2008 bat die Klägervertreterin den Vertreter der Beklagten, sich
einstweilen nicht im Berufungsverfahren zu bestellen, da noch nicht feststehe, ob
die Berufung durchgeführt wird. Der Beklagtenvertreter legitimierte sich deshalb
kollegialiter nicht beim erkennenden Gericht, führte aber wegen der eingelegten
Berufung Korrespondenz mit der Beklagten und deren Rechtsschutzversicherung.
Am 18. März 2008 beantragte die Klägervertreterin die Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist um einen Monat. Am 19. März 2008 bat sie den
Beklagtenvertreter telefonisch um eine entsprechende Verlängerung der
"Stillhaltevereinbarung", die nach unbestrittenem Vortrag auch von dem
Beklagtenvertreter gewährt wurde.
Am 18. April 2008 nahm der Kläger sodann die Berufung zurück. Entsprechend
wurden ihm durch Beschluss vom 22. April 2008 die Kosten der Berufung auferlegt.
Am 30. April 2008 beantragte die Beklagte die Kostenfestsetzung gegen den
Kläger wie folgt:
Gegenstandswert: 4.279,74 €
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Gegenstandswert: 4.279,74 €
Berufung, vorzeitige Beendigung des Auftrags § 13, Nr. 3201, 3200 VV RVG1,1
Pauschale für Post und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG
Gesamtbetrag
Zugleich wurde Verzinsung seit Antragseingang (2. Mai 2008) beantragt.
Durch Beschluss vom 12. Juni 2008 erließ der Rechtspfleger beim Arbeitsgericht
den begehrten Kostenfestsetzungsbeschluss nach Antrag. Nach Zustellung dieses
Beschlusses am 20. Juni 2008 legte der Kläger, eingegangen am 1. Juli 2008,
sofortige Beschwerde ein mit Ansicht, zwischen den Parteien sei ein sogenanntes
"Stillhalteabkommen" zu Stande gekommen, das eine Kostenfestsetzung gegen
ihn verbiete.
Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde am 30. Juli 2008 nicht abgeholfen
und die Sache dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Beschwerdeverfahren wird auf
den Akteninhalt im Übrigen verwiesen.
II.
Die sofortige Beschwerde des Klägers ist gemäß den §§ 104 Abs. 3, 567 Abs. 2
ZPO; 11 Abs. 1 RPflegerG; 78 ArbGG statthaft, der Beschwerdewert von mehr als
200,00 EUR ist erreicht. Auch im Übrigen ist die Beschwerde zulässig,
insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt.
Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (§ 572 Abs. 1
ZPO).
Die sofortige Beschwerde ist begründet.
Die Beklagte kann von dem Kläger nicht die Erstattung der begehrten Kosten
verlangen. Der Rechtspfleger hat dem Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten zu
Unrecht entsprochen.
Nach dem Gesetz (§ 91 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) hat die unterliegende Partei die
Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Diese Pflicht reicht so weit, wie die Kosten zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig
waren. Es entspricht höchstrichterlicher Rechtsansicht, dass der Berufungsgegner,
selbst wenn ein Rechtsmittel ausdrücklich nur „fristwahrend“ eingelegt wurde,
grundsätzlich sofort einen Anwalt mit seiner Vertretung im Berufungsverfahren
beauftragen kann, ohne gegen die Grundsätze des § 91 ZPO zu verstoßen (BAG
vom 14. November 2007, NJW 2008, 1340; BGH v. 17. Dezember 2002 – X ZB 9/02
–, JurBüro 2003, 257; BAG v. 16. Juli 2003 – 2 AZB 50/02 –, NZA 2003, 1293). Dem
folgt die erkennende Kammer seit langem (vgl. Kammerbeschlüsse. v. 20. Oktober
2003 – 13 Ta 387/03 und 13 Ta 388/03 -, vom 30. Oktober 2003 -13 Ta397/03-,
vom 29. März 2004 - 13 Ta 61/04 –, vom 17. Juni 2004 – 13 Ta 197/04 –; vom 4.
Oktober 2005 – 13 Ta 339/05 –, vom 15. März 2006 - 13 Ta 80/0 - und vom 10.
April 2007 - 13Ta 70/07 -; ebenso auch LAG Berlin vom 20. August 2003, - 17 Ta
6060/03 -, MDR 2004, 58; KG vom 9. Mai 2005 -1 W 20/05- JurBüro 2005, 418; LAG
Düsseldorf vom 8. November 2006 -16 Ta 596/05- MDR 2006,659; vgl. auch:
Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 91 Randziffer 13, Stichwort „Berufung“
m.w.N.). Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO gehören zu den erstattungsfähigen
Kosten die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der
obsiegenden Partei. Daraus ist zu entnehmen, dass eine Partei im Prozess einen
Rechtsanwalt zu Hilfe nehmen darf und die dadurch entstandenen Kosten auch
erstattungsfähig sind. Eine Einschränkung dieses Grundsatzes für die Fälle, in
denen ein Rechtsmittel nur vorsorglich eingelegt wird, ist im Gesetz nicht
ausdrücklich vorgesehen.
Eine derartige Einschränkung lässt sich auch § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht
entnehmen. Es muss genügen, dass der Rechtsmittelgegner anwaltlichen Rat in
einer als risikobehaftet empfundenen Situation für erforderlich halten darf (BAG
und BGH, a.a.O.).
Diese Grundsätze gelten jedoch dann nicht, wenn die Parteien ein sogenanntes
Stillhalteabkommen geschlossen haben, also eine Vereinbarung, nach der sich der
Vertreter des Berufungsbeklagten so lange nicht zu den Akten der zweiten Instanz
legitimieren soll, bis sich der Berufungskläger darüber klar geworden ist, ob er die
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legitimieren soll, bis sich der Berufungskläger darüber klar geworden ist, ob er die
Berufung tatsächlich durchführen will oder nicht. Auch hierüber besteht
weitgehende Einigkeit (vgl.Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-
Rabe/Mayer/Burhoff, RVG, 18. Auflage 2008, Nr. 3200 VV Randziffer 67 m. w. N.;
Baumbach/Hartmann, ZPO, 66. Auflage 2008, § 91 Randziffer 160; KG vom 09. Mai
2005 a.a.O.; OLG Zweibrücken vom 12. November 2001 - 4 W 60/01 -, zitiert nach
Juris; Sächsisches LAG vom 04. April 2000 - 9 Sa 64/00 -, zitiert nach Juris; OLG
Karlsruhe vom 28. April 1999, NJW - RR 2000, 512; OLG Karlsruhe vom 02. Juni
1998 - 3 W 29/98-, zitiert nach Juris; OLG Düsseldorf vom 09. Februar 1995, NJW -
RR 1996, 54). Streit herrscht allenfalls insoweit noch über die Frage, ob das
Schweigen des Rechtsmittelbeklagten auf eine entsprechende „Stillhaltebitte“
schon bindend wirkt oder nicht (vgl. dazu Gerold/Schmidt/…/, a. a. O., Randziffer 70
m. w. N. und OLG Düsseldorf, a.a.O.). Dies ist mit der h.M. abzulehnen (ebenso z.
B. BGH vom 9. Oktober 2003, NJW 2004, 73; LAG Thüringen AGS 2001, 286;
Gerold/Schmidt/…/, a.a.O.; a. A. OLG Bamberg AGS 2000, 170; BayVGH JurBüro
1994, 349). Allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre folgend kann in bloßem
Schweigen auf ein Angebot keine Zustimmung erkannt werden.
Hier hat der Beklagtenvertreter der Stillhaltebitte der Klägervertreterin aber
ausdrücklich zugestimmt. In dem von der Klägervertreterin vorgelegten Schreiben
des Beklagtenvertreters vom 29. Mai 2008 wird eingeräumt, dass man sich
wunschgemäß nicht beim erkennenden Gericht gestellt habe. Nach
unbestrittenem Vortrag der Klägervertreterin hat der Beklagtenvertreter am 19.
März 2008 auch telefonisch der Verlängerung der Stillhaltevereinbarung aus
Anlass der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zugestimmt. Damit
bestand eine wirksame Stillhaltevereinbarung bis zum 18. April 2008, dem Datum
der Berufungsrücknahme.
Eine Kostenfestsetzung zulasten des Klägers kommt deshalb nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung für die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 97 Abs. 1
ZPO. Danach hat die Beklagte als Unterlegene die entsprechenden Kosten zu
tragen. Die Entscheidung über die Gerichtskosten folgt aus Nr. 8614 der Anlage 1
zu § 34 GKG.
Rechtsmittelbelehrung: Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78
Satz 2 i. V. m. § 72 Abs. 2 ArbGG) ist nicht ersichtlich. Damit ist dieser Beschluss
unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.