Urteil des LAG Hessen vom 08.10.2010

LAG Frankfurt: einstweilige verfügung, versetzung, schutzwürdiges interesse, arbeitsgericht, arbeitsbedingungen, erlass, hauptsache, beschäftigungspflicht, meinung, kontrolle

1
2
3
4
5
Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
3. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 SaGa 496/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 611 Abs 1 BGB, § 242 BGB,
Art 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, §
106 GewO
Einstweilige Verfügung - Rechtmäßigkeit einer Umsetzung
Leitsatz
Streiten die Parteien im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahren um einen
Beschäftigungsanspruch des Verfügungsklägers und wurde diesem zuvor eine
Versetzung ausgesprochen, so ist der für den Erlass einer Befriedigungsverfügung
erforderliche Eilgrund dann gegeben, wenn der Verfügungskläger hierfür überwiegende
schutzwürdige Interessen, wie z.B. den unwiderbringlichen Verlust von
Spezialkenntnissen oder einen Reputationsschaden, geltend machen kann und die
Versetzung nicht offensichtlich unwirksam ist.
Tenor
Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Frankfurt am Main vom 10. März 2010 – 17 Ga 42/10 – wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens um die
Rechtmäßigkeit einer Umsetzung.
Die am A geborene Verfügungsklägerin ist verheiratet und einem Kind gegenüber
unterhaltspflichtig. Die Verfügungsbeklagte ist eine Körperschaft des öffentlichen
Rechts, die die Aufgabe der Sicherstellung der ambulanten medizinischen
Versorgung hat. Sie unterhält zurzeit eine Landesstelle in B sowie sechs
Bezirksstelle und eine Abrechnungsstelle in Hessen. Ein Personalrat ist gebildet.
Auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 31. August 1994 ist die
Verfügungsklägerin bei der Verfügungsbeklagten seit 01. März 1994 tätig. Gemäß
dem Arbeitsvertrag war sie als Sachbearbeiterin in der Abteilung Prüfwesen
eingestellt. Die Eingruppierung erfolgte in die Vergütungsgruppe VI b BAT. Der
Arbeitsvertrag enthielt des Weiteren einen Verweis auf den
Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 und auf die den BAT
ergänzenden, ändernden oder an seine Stelle tretenden Vorschriften. Bezüglich
der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrags wird ergänzend Bezug genommen
auf Bl. 10 bis 12 d.A. Zuletzt erfolgte die Vergütung nach der Vergütungsgruppe
BAT V b. Das Bruttoentgelt betrug 3.200 €.
Die Verfügungsklägerin war in der Landesstelle B damit befasst, die Sitzungen des
Widerspruchsausschuss vorzubereiten. Sie hatte auch zur Aufgabe, eine
Empfehlung für die Sitzung vorzubereiten, und fertigte danach nach Weisung des
Ausschusses den Widerspruchsbescheid, der sodann dem Ausschussvorsitzenden
zur Unterschrift vorgelegt wurde.
Die Verfügungsbeklagte traf die unternehmerische Entscheidung einer
umfassenden Restrukturierung. Insbesondere sollte die Abrechnungsprüfung, die
bislang in allen Bezirksstellen durchgeführt wurde, in B zentralisiert werden. Die
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
bislang in allen Bezirksstellen durchgeführt wurde, in B zentralisiert werden. Die
Bezirksstellen C und D sowie die Abrechnungsstelle in E sollten geschlossen
werden. Mit dem Gesamtpersonalrat vereinbarte sie am 13.10.2009 ein
Umstrukturierungskonzept. Hinsichtlich der Einzelheiten dieses Konzepts wird
verwiesen auf Bl. 139 bis 144 d.A.
In der Zeit vom 19. März 2009 bis 07. Januar 2010 befand sich die
Verfügungsklägerin in Elternzeit.
Nach Wiederkehr aus der Elternzeit beantragt die Verfügungsklägerin am 19.
Januar 2010 Urlaub in der Zeit vom 24. Februar bis 09. April 2010. Der
Urlaubsantrag wurde am 18. Februar 2010 abschlägig beschieden. Danach war sie
arbeitsunfähig erkrankt.
Bereits mit Schreiben vom 11. Februar 2010 (Bl. 14 d.A.), zugegangen am 13.
Februar 2010, teilte die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin Folgendes
mit:
„Wie Ihnen bereits bekannt ist, wird die F derzeit umstrukturiert. Mit dem
Gesamtpersonalrat wurde ein Umstrukturierungskonzept vereinbart, das im
Intranet G einsehbar ist. Ihr Arbeitsplatz ist auch von der Umstrukturierung
betroffen.
Wir setzen Sie mit Wirkung ab dem 13.02.2010 innerhalb der Dienststelle B gemäß
§ 3 Abs. 2 lit. a) Sätze 1 und 3 des Umstrukturierungskonzeptes um. Sie werden
zukünftig im Bereich Qualitätssicherung II als Sachbearbeiterin tätig sein. Ihre
bisherige Vergütungsgruppe bleibt unverändert.“
Die Verfügungsklägerin nahm auf dem neuen Arbeitsplatz ihren Dienst nicht auf,
weshalb die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 23. Februar 2010 eine
Abmahnung erteilte (Bl. 16 und 17 d.A.).
Mit weiterem Schreiben vom 11. Mai 2010 wurde sie aufgefordert, nach
Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit sich bei ihrer Vorgesetzten, Frau H, zu
melden. Ihr wurde ferner mitgeteilt, dass sich ihr zukünftiger Arbeitsplatz im
Zimmer 13.01 im 13. Stock in der I in B befindet (Bl. 282 d.A.).
Mit Ihrem bei dem Arbeitsgericht am 02. März 2010 eingegangenen Antrag
begehrt die Verfügungsklägerin die Weiterbeschäftigung in dem Bereich
„Vorbereitung der Sitzung des Beschwerdeausschusses“.
Die Verfügungsklägerin hat die Ansicht vertreten, dass die vorgenommene
„Umsetzung“ in die Abteilung Qualitätssicherung nicht vom Direktionsrecht der
Arbeitgeberin gedeckt sei. Es handele sich nicht um eine gleichwertige, sondern
um eine geringerwertige Tätigkeit. Ihre Umsetzung sei auch ermessensfehlerhaft
und willkürlich. Die Tätigkeit im Widerspruchsausschuss sei nach wie vor zu
besetzen und es seien viele neue Arbeitnehmer in ihren alten Arbeitsbereich
versetzt worden. Herr J habe zu ihr gesagt, sie sei ein Unruhestifter und dass er sie
aus der Abteilung raus haben wollte. Sie hat ferner die Meinung vertreten, dass
der Personalrat hätte beteiligt werden müssen. Schließlich sei auch ein Eilgrund
anzunehmen, denn ihr drohe bei längerer Fortdauer der Abwesenheit aus ihrem
alten Arbeitsumfeld der Verlust von Spezialkenntnissen. Sie habe jeden Montag an
Abteilungsbesprechungen teilgenommen, anlässlich derer rechtliche Neuerungen,
wie z.B. Sozialgerichtsurteile, besprochen wurden. Es sei ihr als Nicht-Juristin auch
nicht möglich, sich diese Kenntnisse anderweitig in ihrer Freizeit anzueignen.
Die Verfügungsklägerin hat zuletzt beantragt,
die Verfügungsbeklagte zu verurteilen, sie bei Meidung eines vom Gericht
festzusetzenden Zwangsgeldes nicht unter 25.000 € bis zur Entscheidung im
Hauptsacheverfahren zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als
Arbeitnehmerin in dem Bereich „Vorbereitung der Sitzungen des
Beschwerdeausschusses“ zu beschäftigen.
Die Verfügungsbeklagte hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass sie eine Umsetzung und keine Versetzung
im tarifrechtlichen Sinne vorgenommen habe. Diese Umsetzung habe sie kraft des
weiten im öffentlichen Dienst bestehenden Direktionsrechts auch aussprechen
20
21
22
23
24
25
26
27
28
weiten im öffentlichen Dienst bestehenden Direktionsrechts auch aussprechen
dürfen. Die neue Tätigkeit in der Abteilung Prüfwesen entspreche auch der
Vergütungsgruppe BAT V b, es handele sich also um eine gleichwertige Tätigkeit.
Das Direktionsrecht sei auch nicht rechtsmissbräuchlich ausgeübt worden. Der
gesamte Umstrukturierungsprozess habe auch die Abteilung Prüfwesen betroffen.
Es fehle auch am Eilgrund, denn der Verfügungsklägerin sei es hier zumutbar, das
Hauptsacheverfahren abzuwarten. Sie habe aufgrund der Elternzeit keine
Spezialkenntnisse verloren, dann könne sie auch eine Entscheidung in der
Hauptsache noch abwarten. Sie könne sich auch privat auf dem Laufendem
halten. Schließlich meint sie, dass der Personalrat im vorliegenden Fall nicht zu
beteiligen gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 10. März 2010 den Antrag zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es an einem Eilgrund fehle. Der
behauptete Verlust einer beruflichen Qualifikation könne nicht nachvollzogen
werden. Zudem sei auch der Personalrat nicht zu beteiligen gewesen. Hinsichtlich
der näheren Einzelheiten des Urteils wird verwiesen auf Bl. 183 bis 189 d.A.
Dieses Urteil ist der Verfügungsklägerin am 29. März 2010 zugestellt worden. Mit
bei Gericht am 01. April 2010 eingegangenem Schreiben hat sie Berufung
eingelegt. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 29. Juni
2010 ist die Berufung mit an diesem Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz
begründet worden.
Die Verfügungsklägerin vertieft und wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie
meint, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht den Eilgrund verneint. Sie behauptet,
dass sie extra wegen des Erhalts ihrer Spezialkenntnisse die Elternzeit früher
unterbrochen habe. Das Arbeitsgericht habe angenommen, dass nur, weil jemand
Elternzeit genommen habe, sie kein Recht mehr haben solle, anschließend in dem
Beruf tätig zu werden. Damit würden elementare Grundrechte verletzt. Das
Arbeitsgericht Frankfurt brauche, anders als in anderen Bundesländern,
offensichtlich sehr lange, um das Hauptsacheverfahren zu terminieren, woraus
sich gleichfalls eine besondere Eilbedürftigkeit ergebe. Gerade wegen häufig
wechselnden Verordnungen im Gesundheitsbereich sei sie dringend darauf
angewiesen, ihr Fachwissen stets auf dem Laufenden zu halten. Die Versetzung
sei auch willkürlich und ohne Angaben von Gründen erfolgt. Sie habe gar nicht
gewusst, wie ihr neuer Arbeitsplatz aussehen soll, denn die Zielstelle sei gar nicht
benannt gewesen. Eine Versetzung in einen anderen Bereich sei nach 16 Jahren
nicht möglich, sondern nur auf Grundlage einer Änderungskündigung. Schließlich
meint sie weiterhin, dass der Personalrat hätte beteiligt werden müssen. Eine
Umsetzung kenne § 1 TVöD gar nicht, so dass allenfalls eine Versetzung im Raum
stünde.
Die Verfügungsklägerin beantragt,
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 10. März 2010, Az.: 17 Ga
42/10, abzuändern;
2. die Verfügungsbeklagte zu verurteilen, sie bei Meidung eines vom Gericht
festzusetzenden Zwangsgeldes nicht unter 25.000 € bis zur Entscheidung im
Hauptsacheverfahren zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als
Arbeitnehmerin in dem Be reich „Vorbereitung der Sitzungen des
Beschwerdeausschusses“ zu beschäftigen.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Elternzeit und der
Umsetzung nicht gegeben sei. Das Umstrukturierungskonzept fiele nur gerade in
die Zeit, in der die Verfügungsklägerin aus der Elternzeit zurückkam. Es läge keine
Ungleichbehandlung vor, die Verfügungsklägerin werde wie alle von der
Umstrukturierung betroffenen Arbeitnehmer behandelt. Nicht richtig sei, dass sie
extra früher ihre Elternzeit abgebrochen hat, um sich ihr juristisches Fachwissen zu
erhalten. Richtig sei vielmehr, dass sie von Anfang an nur den Zeitraum bis zum
07. Januar 2010 als Elternzeit beantragt habe. Sie habe durch die Elternzeit in Kauf
genommen, dass sich ihr Wissen zumindest vermindert, auch habe sie durch den
Urlaubsantrag gezeigt, dass es ihr offenbar doch nicht so dringlich um den Erhalt
von Fachwissen gehe. Nicht richtig sei, dass die neue Stelle nicht hinreichend
präzisiert worden sei. Dem Schreiben vom 11. Februar 2010 sei die erläuternde
29
30
31
32
33
34
35
36
37
präzisiert worden sei. Dem Schreiben vom 11. Februar 2010 sei die erläuternde
Mitteilung vom 12. Mai 2010 nachgefolgt. Schließlich läge auch eine Um- und keine
Versetzung vor. Der TVöD finde hier keine Anwendung. Die Umsetzung sei im
öffentlichen Dienst jedenfalls seit langem anerkannt.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des erst- und zweitinstanzlichen Vorbringens
beider Parteien wird ergänzend Bezug genommen auf sämtliche gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
I. Die Berufung ist zulässig.
Das Rechtsmittel begegnet hinsichtlich des Beschwerdewertes keinen Bedenken (§
64 Abs. 2 b), 8 Abs. 2 ArbGG, 511 ZPO). Die Berufung wurde auch form- und
fristgerecht eingelegt (§§ 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG, 519, 520 Abs. 1, 3 und 5 ZPO) und
innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist rechtzeitig begründet (§ 66
Abs. 1 S. 3 ArbGG).
II. Die Berufung ist aber unbegründet.
Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Antrag zurückgewiesen, da es am Eilgrund
fehlt.
1. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt voraus, dass Tatsachen
vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, aus denen sich herleiten lässt, dass
eine Entscheidung im Eilverfahren zur Abwehr wesentlicher Nachteile erforderlich
ist (§§ 935, 940 ZPO). Geht es der Sache nach um eine Vorwegnahme der
Hauptsache, so sind an eine solche Befriedigungsverfügung grundsätzlich strenge
Anforderungen zu stellen. Allerdings muss stets auch der so genannte
Justizgewährungsanspruch, der seine Grundlage im Rechtsstaatsprinzip hat (Art.
20 Abs. 3 GG), ausreichend beachtet werden. Eine Befriedigungsverfügung kann
demnach erforderlich sein, wenn sie das praktisch einzige Mittel ist, das Recht des
Gläubigers zu schützen. Auf der anderen Seite muss beachtet werden, dass das
rechtsstaatliche Gebot des effektiven Rechtsschutzes nicht nur für den Gläubiger,
sondern auch für den Schuldner gilt. Entscheidend ist daher eine an dem „Gebot
der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechtsschutzes“ ausgerichtete
prozessrechtliche Abwägung der Interessen beider Parteien im jeweils gegebenen
Einzelfall ( ).
Macht der Arbeitnehmer geltend, dass er im Eilrechtsschutz seinen
Beschäftigungsanspruch im nicht beendeten Arbeitsverhältnis durchsetzen
möchte, so wird der hierzu erforderliche Eilrechtsgrund in aller Regel bejaht (
). Er besteht darin, dass
der Beschäftigungsanspruch als Fixschuld mit jedem Tag der Nichtbeschäftigung
unmöglich wird (§ 275 Abs. 1 BGB) und der Rechtsverlust daher irreversibel ist.
Macht der Arbeitnehmer seinen Beschäftigungsanspruch im Eilrechtsschutz
hingegen nach einer umstrittenen Versetzungsanordnung geltend, so ist die
Situation eine andere. Dem Arbeitnehmer wird hier nicht das Recht genommen,
überhaupt beschäftigt zu werden. Der Arbeitgeber bietet regelmäßig die
Beschäftigung des Arbeitnehmers zu geänderten Bedingungen an. Da eine
Beschäftigung in diesen Fällen stets möglich ist, ist das aus dem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht (Art. 1, 2 Abs. 1 GG) folgende ideelle Interesse an einer
Beschäftigung weniger beeinträchtigt als in den Fällen, in denen der Arbeitgeber
eine Beschäftigung des Arbeitnehmers gänzlich ablehnt. Der Arbeitnehmer ist
nicht zur Untätigkeit gezwungen. Er kann sich weiterhin durch die Annahme der
angebotenen Arbeit im Arbeitsleben verwirklichen und seine soziale Stellung nach
außen halten. Es geht in diesen Fällen zumeist um die zwischen den Parteien
strittige Frage, ob die Ausübung des Direktionsrechts durch den Arbeitgeber
wirksam war oder nicht. Der Verlust des Beschäftigungsanspruchs im Allgemeinen
steht aber nicht zur Debatte. Dem Arbeitnehmer kann es je nach Umständen
auch zumutbar sein, sich anderweitig zu wehren, indem er ein
Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB) geltend macht, wenn die Beschäftigung nicht
vertragsgemäß sein sollte (
).
38
39
40
41
42
43
44
45
Nach überwiegender und zutreffender Auffassung ist im Falle der einstweiligen
Verfügung bei einer Versetzungsanordnung des Arbeitgebers im Rahmen des
Eilgrundes danach zu fragen, ob überwiegende schutzwürdige Interessen des
Arbeitnehmers eine Beschäftigung gerade zu den alten, unveränderten
Bedingungen gebieten. Der Arbeitnehmer muss gegenüber dem
Versetzungswunsch ein gesteigertes Abwehrinteresse darlegen können. Dieses
Interesse kann z.B. darin bestehen, dass mit der Nichtbeschäftigung zu den alten
Konditionen ein erheblicher Reputationsverlust oder der unwiederbringliche Verlust
spezifischer Fachkenntnisse einhergehen.
Darüber hinaus kann eine einstweilige Verfügung aber auch notwendig sein, wenn
die Versetzungsanordnung offensichtlich unwirksam ist. Es besteht nämlich eine
Wechselwirkung zwischen dem Verfügungsanspruch und dem Verfügungsgrund. Ist
die Versetzung evident rechtswidrig, so besteht aller Voraussicht nach auch eine
Verpflichtung, den Arbeitnehmer zu den alten Arbeitsbedingungen zu
beschäftigen. In diesem Falle hat der Arbeitgeber kein schutzwürdiges Interesse
daran, den Arbeitnehmer – auch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache
– nicht beschäftigen zu müssen
Fehlt es nach diesen Grundsätzen bereits schon am Verfügungsgrund, kann die
Frage des Verfügungsanspruchs regelmäßig offen gelassen werden. Der
Verfügungsanspruch ergibt sich in diesen Fällen aus §§ 611, 242 BGB i.V.m. Art. 1,
2 Abs. 2 GG (
). Im laufenden Arbeitsverhältnis geht die hierbei nach § 242
BGB vorzunehmende Interessenabwägung grundsätzlich zu Gunsten des
Arbeitnehmers aus. Auch hier kann der Arbeitgeber im Einzelfall allerdings
einwenden, dass die Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausgehen kann,
wenn die Beschäftigung aus wirtschaftlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar
ist, wobei an die Prüfung der Gründe allerdings ein strenger Maßstab anzulegen ist
( ). Als Vorfrage,
ob der Verfügungskläger gerade mit den von ihm gewünschten
Arbeitsbedingungen zu beschäftigen ist, muss in den Fällen einer im Streit
stehenden Versetzung noch festgestellt werden, ob die Versetzungsanordnung
wirksam war oder nicht. Diese Prüfung erfolgt auf der Grundlage einer
summarischen Tatsachenfeststellung, wobei die rechtliche Prüfung ohne
Einschränkungen zu erfolgen hat. Ist der Sachverhalt ausreichend geklärt bzw.
durch entsprechende Beweismittel glaubhaft gemacht, so hat das Gericht über die
Frage der Rechtmäßigkeit der Ausübung des Weisungsrechts voll zu entscheiden
und – anders als im Rahmen des Verfügungsgrundes – nicht nur eine
Offensichtlichkeitskontrolle vorzunehmen.
2. Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, dass bereits kein Eilgrund
anzuerkennen ist.
a) Die Versetzung war im vorliegenden Fall nicht offensichtlich unwirksam.
aa) Eine offensichtliche Unwirksamkeit der Maßnahme ergibt sich entgegen der
Meinung der Verfügungsklägerin nicht daraus, dass der Personalrat nicht beteiligt
wurde. Denn eine Beteiligung des Personalrats war hier nach § 77 Abs. 1 Nr. 2 c)
HPVG nicht erforderlich.
§ 77 HPVG regelt die Mitbestimmung in Personalangelegenheiten. Gemäß § 77
Abs. 1 Nr. 2 c) HPVG hat der Personalrat mitzubestimmen bei einer Versetzung zu
einer anderen Dienststelle sowie einer Umsetzung innerhalb der Dienststelle für
die Dauer von mehr als sechs Monaten, wenn sie mit einem Wechsel des
Dienstorts verbunden ist.
Im vorliegenden Fall ist eine mitbestimmungsfreie Umsetzung innerhalb des
gleichen Dienstortes anzunehmen. Die Umsetzung ist gesetzlich nicht definiert.
Sie ist die Zuweisung eines anderen Amtes im konkret-funktionellem Sinne
(Dienstposten), ohne dass das Amt im statusrechtlichen und abstrakt-
funktionellem Sinne dadurch berührt wird oder sich die Beschäftigungsbehörde
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
funktionellem Sinne dadurch berührt wird oder sich die Beschäftigungsbehörde
ändert (
). Wesentlich ist bei einer Umsetzung mithin, dass dem Arbeitnehmer innerhalb
„seiner Behörde“ andere Aufgaben zugewiesen werden.
So liegt der Fall auch hier. Die Verfügungsklägerin soll innerhalb der gleichen
Dienststelle eine andere Aufgabe wahrnehmen, nämlich anstelle in der Abteilung
Prüfwesen in der Abteilung Qualitätssicherung II arbeiten.
Richtig ist zwar, dass § 4 TVöD nur die Versetzung und die Abordnung regelt. Dies
ist entgegen der Meinung der Verfügungsklägerin aber aus zweierlei Gründen
irrelevant: Zum einen kommt es für die Frage, ob ein Mitbestimmungstatbestand
nach dem HPVG vorliegt, nicht primär auf den TVöD an, sondern auf das HPVG.
Dort wird der Begriff der Umsetzung allerdings verwendet und vorausgesetzt. Zum
anderen handelt es sich bei der Umsetzung um einen im öffentlichen Dienst seit
Jahren anerkannten Rechtsbegriff, der von der Rechtsprechung und Lehre –
obgleich gesetzlich oder tarifvertraglich nicht vorgegeben - anerkannt wird (
).
bb) Die Umsetzung war auch nicht wegen Überschreitung des Direktionsrechts
offensichtlich rechtswidrig.
Nach § 106 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung
nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht
durch den Arbeitsvertrag oder einen Kollektivertrag festgelegt sind. Im
vorliegenden Fall erfolgte gemäß § 1 des Arbeitsvertrags die Anstellung der
Verfügungsklägerin als Sachbearbeiterin in der Abteilung Prüfwesen mit der
Vergütungsgruppe VI b BAT. Dadurch ist aber keine Begrenzung des
Direktionsrechts der Verfügungsbeklagten eingetreten. Vielmehr gilt der
Grundsatz, dass der Arbeitgeber im öffentlichen Dienst dem Arbeitnehmer im
Rahmen seiner Direktionsrechts grundsätzlich alle Tätigkeiten zuweisen kann, die
seiner Vergütungsgruppe entsprechen.
(1) In dem Arbeitsvertrag haben die Parteien auch auf den TVöD und damit auch
auf § 4 TVöD, der ein weites Direktionsrecht des Arbeitgebers vorsieht, Bezug
genommen.
Mit der Bezugnahmeklausel haben die Parteien auf die den BAT ersetzende
Tarifverträge verwiesen. Die Parteien haben mit ihrer Formulierung hinreichend klar
zum Ausdruck gebracht, dass sie das gesamte Arbeitsverhältnis der
Verbandstarifentwicklung im öffentlichen Dienst unterstellen wollten. Selbst wenn
eine dynamische Verweisungsklausel nicht vereinbart worden wäre, wären die in
Bezug genommenen Regelungen des BAT durch den TVöD abgelöst worden (
).
Die dynamische Verweisungsklausel begegnet auch unter dem Gesichtspunkt
einer AGB-Kontrolle keinen Bedenken. Zweifel an der Bestimmtheit der Klausel
bestehen nicht (§ 305c Abs. 2 BGB). Einer weitergehenden Kontrolle steht § 307
Abs. 3 S. 1 BGB entgegen. Denn der Regelungsinhalt der Verweisungsklausel
beschränkt sich auf die Verweisung, durch sie erfolgt aber keine Abweichung von
Rechtsvorschriften ( ).
(2) Die Umsetzung war wegen des im öffentlichen Dienst weit gefassten
Direktionsrechts jedenfalls nicht offensichtlich unwirksam.
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG können dem Arbeitnehmer grundsätzlich
kraft Direktionsrechts sämtliche Aufgaben zugewiesen werden, die sich im Rahmen
der Vergütungsgruppe halten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer
mit dem für den öffentlichen Dienst typischen Standardvertrag eingestellt wurde,
der keine bestimmte Tätigkeit vorsieht (
).
Im vorliegenden Fall steht mit der erforderlichen Sicherheit nicht fest, dass die
Parteien durch die Aufnahme des Passus „Sachbearbeiterin in der Abteilung
Prüfwesen“ dieses weite Direktionsrecht des Arbeitgebers beschränkt haben. Die
vertragliche Abrede ist zunächst gemäß den §§ 133, 157 BGB auszulegen. Bei der
Auslegung ist zu beachten, dass ein Bewerber im öffentlichen Dienst regelmäßig
wissen muss, dass Arbeitnehmer eines öffentlichen Dienstherrn grundsätzlich
verpflichtet sind, jede ihnen zugewiesene Tätigkeit zu verrichten, die dem Merkmal
56
57
58
59
60
61
62
63
verpflichtet sind, jede ihnen zugewiesene Tätigkeit zu verrichten, die dem Merkmal
ihrer Vergütungsgruppe entspricht, soweit ihnen dies billigerweise zugemutet
werden kann. Selbst wenn in dem Arbeitsvertrag abweichend von den im
öffentlichen Recht üblichen Musterverträgen die Tätigkeit sowohl
der Art als auch der Arbeitsstelle nach näher bezeichnet ist, muss außerdem noch
feststehen, dass auf diese Weise nicht nur die erste Einsatzstelle genau
angegeben, sondern diese unter Verzicht auf das tarifliche Direktionsrecht als
dauerhafter, ausschließlicher zukünftiger Arbeitsort festgelegt werden sollte. Dazu
bedarf es eindeutiger, klar auf diesen Gegenstand bezogener Zusagen oder
Absprachen. Dies setzt im Regelfall voraus, dass die Frage des dauerhaften
Einsatzortes zwischen den Parteien offen thematisiert wurde (
).
Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die Zuweisung der Tätigkeit in der
Abteilung Qualitätssicherung II jedenfalls nicht offensichtlich vom Arbeitsvertrag
nicht mehr gedeckt war. Es ist vielmehr naheliegend, dass die Parteien mit der
Aufnahme der Abteilung Prüfwesen lediglich den erstmaligen Einsatzort
bezeichnen wollten. Es ist nichts dafür ersichtlich oder dargetan, dass die
beabsichtigte Arbeit allein in der Abteilung Prüfwesen vor Abschluss des Vertrags
offen zwischen den Parteien thematisiert wurde.
Nach dem Vortrag der Verfügungsbeklagten entspricht diese Tätigkeit auch der
alten Vergütungsgruppe BAT V b. Hierunter fallen „Angestellte im Büro-,
Buchhalterei- und sonstigem Innendienst…deren Tätigkeit gründliche, umfassende
Fachkenntnisse und selbständige Leistungen erfordert“. Eine Tätigkeit innerhalb
der gleichen Vergütungsgruppe kann aber schwerlich als geringwertiger eingestuft
werden. Der Vortrag der Verfügungsklägerin, die neue Stelle sei nicht gleichwertig
im Verhältnis zu ihrer alten Arbeit in der Abteilung Prüfwesen, ist nicht hinreichend
konkret. Die bloß subjektive Bewertung der Verfügungsklägerin ist nicht
entscheidend. Da sie die neue Stelle noch nicht angetreten hat, kann sie aus
eigener Anschauung auch nicht substantiiert darlegen, weshalb eine
Vergleichbarkeit ausscheiden müsse.
(3) Die Umsetzung war auch nicht deshalb offensichtlich unwirksam, weil die
Verfügungsbeklagte ihr Ermessen im Rahmen von § 106 GewO fehlerhaft ausgeübt
hat. Die Verfügungsklägerin macht in diesem Zusammenhang geltend, dass ihre
Umsetzung willkürlich sei, da andere Mitarbeiter in ihre ehemalige Abteilung
versetzt worden seien und nach wie vor ein Beschäftigungsbedürfnis dort
bestünde. Dem folgt das Gericht nicht. Die Umsetzung erscheint bei
summarischer Beurteilung schon deshalb nicht fehlerhaft, weil sie im Rahmen
eines umfassenden Umstrukturierungskonzepts erfolgt ist. Es steht der
Verfügungsbeklagten bei dessen Realisierung frei, im weiten Umfang von dem ihr
zustehenden Direktionsrecht Gebrauch zu machen. Im Übrigen sind die
Einzelheiten der Ermessensausübung in dem Hauptsache-, nicht aber im
Eilverfahren zu klären.
(4)Anhaltspunkte, dass die Verfügungsklägerin nach § 1, 3 Abs. 1, Abs. 2 AGG
benachteiligt worden wäre, liegen hier nicht vor. Allein der enge zeitliche
Zusammenhang der Umsetzung mit ihrer Rückkehr aus der Elternzeit stellt kein
taugliches Indiz gemäß § 22 AGG dar, dass sie wegen ihres Geschlechts
benachteiligt worden ist. Dies ist hier schon deshalb fernliegend, weil die
Umsetzung aufgrund des umfassenden Restrukturierungsprozesses erfolgte und
dieser sachlich mit der Elternzeit nichts zu tun hat.
b)Es liegen auch keine überwiegenden Interessen der Verfügungsklägerin vor, die
den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichtet auf die Weiterbeschäftigung zu
den alten Arbeitsbedingungen in der Abteilung Prüfwesen rechtfertigen können.
Dies hat das Arbeitsgericht gleichfalls zutreffend erkannt.
Die Verfügungsklägerin macht hauptsächlich geltend, dass sie Gefahr laufe, ihre
juristischen Kenntnisse zu verlieren, wenn sie diese nicht im Rahmen ihrer Arbeit in
der Abteilung Prüfwesen aktualisieren könnte. Dieses Interesse rechtfertigt hier
allerdings keine Befriedigungsverfügung.
Zwar ist der Verfügungsklägerin darin zuzustimmen, dass juristische Kenntnisse
nachlassen können, wenn man längere Zeit nicht mehr auf juristischem Gebiet
tätig war. Allerdings ist es weder unmöglich noch unzumutbar, sich nach einer
64
65
66
tätig war. Allerdings ist es weder unmöglich noch unzumutbar, sich nach einer
längeren Pause in die Materie wieder einzufinden. Die grundsätzlichen
Zusammenhänge in einem bestimmten Rechtsgebiet sind nicht derartigen
Schwankungen unterworfen, dass jemand, der wie die Verfügungsklägerin über
eine langjährige Berufserfahrung verfügt, nach einer mehrmonatigen
Unterbrechung nicht mehr in der Lage wäre, seine Arbeit aufzunehmen.
Änderungen können sich allerdings mit wichtigen neueren Urteilen ergeben. Es
kann dahingestellt bleiben, ob es der Verfügungsklägerin hier zumutbar wäre, sich
privat über die aktuelle Entwicklung auf dem Laufenden zu halten. Denn über den
Erlass von unbekannten, neuen Urteilen könnte sie sich durch die Lektüre einer
aktuellen Kommentierung auch im Nachhinein nach ihrer Rückkehr informieren.
Die Verfügungsklägerin sieht eine Eilbedürftigkeit offenbar auch darin, dass sie
aufgrund ihrer Elternzeit bereits schon einige Zeit im betrieblichen Alltag fehlte
und dadurch Spezialkenntnisse verloren gegangen seien. Dies kann nun aber nicht
zu Lasten der Verfügungsbeklagten in die Waagschale geworfen werden. Denn die
Entscheidung, in Elternzeit zu gehen, hat die Verfügungsklägerin selbst getroffen.
Es ist schließlich auch nicht ersichtlich, dass mit der Tätigkeit in der Abteilung
Prüfwesen ein Reputationsschaden einherginge.
III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 ZPO. Die Verfügungsklägerin
hat als unterlegene Partei die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Gegen diese Entscheidung ist die Revision nicht zulässig (§ 72 Abs. 4 ArbGG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.