Urteil des LAG Hessen vom 17.09.2008

LAG Frankfurt: fristlose kündigung, erschleichen einer leistung, ordentliche kündigung, arbeitsgericht, zutritt, abmahnung, ausweispapier, betrug, zeiterfassung, gebäude

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
8. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 Sa 548/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 626 Abs 1 BGB, § 314 Abs
2 BGB, § 263 StGB
Fristlose Kündigung - Nutzung der Zutrittskarte eines
Kollegen für Kantinenessen
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts in
Frankfurt am Main vom 12. März 2008 – 17 Ca 7464/07 – wird
zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen und
einer hilfsweise ordentlichen Kündigung sowie über
Annahmeverzugslohnansprüche.
Die am 17. August 1932 geborene, unverheiratete Klägerin steht seit 1999 als
Sachbearbeiterin in den Diensten der beklagten .... Ihr Lebensgefährte, mit dem
sie in häuslicher Gemeinschaft lebt, ist ebenfalls bei der Beklagten angestellt.
Die Beklagte bietet ihren Mitarbeitern an, nach vorheriger Anmeldung gegen eine
Monatspauschale in Höhe von Euro 50,22 an der Mittagsverpflegung in der Kantine
teilzunehmen. Die von der Beklagten ausgegebene Zutrittskarte des Mitarbeiters
wird dann für die tägliche Kantinennutzung freigeschaltet. Bei Teilnahme an der
Kantinenverpflegung erstattet die Beklagte dem Betreiber jeweils Euro 3,18. Das
Mittagessen erhalten die Teilnehmer, indem sie ihre Zutrittskarte an die
Kartenleser der jeweiligen Essensstationen halten. Erfolgt keine Teilnahme an der
Mittagsverpflegung, erhalten angemeldete Arbeitnehmer keine Erstattung. Der
Kantinenbetreiber hat für seine Kosten einkalkuliert, dass jeden Tag die
Mittagsverpflegung in Anspruch genommen wird. Für Mitarbeiter, die nicht
angemeldet sind besteht die Möglichkeit, Geldbeträge auf die Zutrittskarte zu
laden und in der Kantine ein Gästeessen zu einem Preis von mindestens Euro
10,00 einzunehmen.
Die Klägerin hatte bis Januar 2003 an der Mittagsverpflegung teilgenommen und
sich danach nicht wieder angemeldet. Ihr Lebensgefährte war angemeldet.
Während der Lebensgefährte der Klägerin krankheitsbedingt zu Hause blieb, nahm
die Klägerin in der Zeit vom 27. August bis 04. September 2007 unter Nutzung
von dessen freigeschalteter Zutrittskarte an der betrieblichen Mittagsverpflegung
teil.
Am 14. September 2007 kündigte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom
gleichen Tag fristlos. Am 02. Oktober 2007 kündigte die Beklagte der Klägerin mit
Schreiben vom gleichen Tag vorsorglich und hilfsweise ordentlich zum 31. März
2008.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, es seien keine Kündigungsgründe
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Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, es seien keine Kündigungsgründe
gegeben. Sie habe keine Kenntnis der genauen Kalkulation und Bezuschussung
der Essen gehabt und habe nur die bereits von ihrem Lebensgefährten bezahlten
Mittagessen einnehmen wollen. Weiter hat sie die ordnungsgemäße Beteiligung
des bei der Beklagten bestehenden Personalrats bestritten.
Sie verlangt aus Annahmeverzug die Zahlung der Vergütung für die Monate
Oktober und November 2007 sowie die tarifliche Sonderzulage.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch
die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 14. September 2007 nicht
aufgelöst worden ist;
2. weiter festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien
durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. September
2007 nicht aufgelöst worden ist;
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Euro 3.385,00 brutto
abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von Euro 1.277,10 netto
zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 01. Oktober 2007 zu zahlen;
4. die Beklagte weiter zu verurteilen, an die Klägerin Euro 3.385,00 brutto
abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von Euro 1.277,10 netto
zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 01. November 2007 zu zahlen;
5. die Beklagte weiter zu verurteilen, an die Klägerin 3.385,00 brutto
zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 02. Dezember 2007 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, durch den Einsatz der Zutrittskarte ihres
Lebensgefährten während dessen krankheitsbedingter Abwesenheit in der Zeit
vom 27. August 2007 bis zum 04. September 2007 zur Teilnahme an der
betrieblichen Mittagsverpflegung, habe sie schwerwiegend gegen ihre Pflichten
verstoßen. Sie habe gewusst, dass eine Teilnahme an der Kantinenverpflegung nur
nach Anmeldung möglich ist. Sie verweist auf ihre Bekanntmachung zur Teilnahme
an der betrieblichen Mittagsverpflegung (Anlage 4 zum Schriftsatz vom 30.
Oktober 2007, Bl. 36 d. A.). Der Personalrat sei zu den Kündigungen, wie sich aus
der schriftlichen Anhörung ergebe, ordnungsgemäß angehört worden. Das
Verhalten der Klägerin stelle einen Betrug dar. Die Beklagte habe jegliches
Vertrauen in sie verloren.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben mit Urteil vom 12. März 2008, auf
das Bezug genommen wird.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Wegen der für die
Zulässigkeit der Berufung erheblichen Daten wird auf das Protokoll vom 17.
September 2008 verwiesen.
Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die Beklagte
habe einen vollendeten Betrug begangen und auch den Straftatbestand des
Erschleichens von Leistungen (§ 265 a StGB) verwirklicht. Die Klägerin habe
gewusst, dass die Zutrittskarte nicht weitergegeben und Zutrittskarten Dritter
nicht benutzt werden dürften. Einer Abmahnung habe es angesichts der schweren
Pflichtverletzung und angesichts eines vollendeten Vermögensdelikts nicht
bedurft.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom
12. März 2008 – 17 Ca 7464/07 – die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie habe die Zutrittskarte ihres
Lebensgefährten nicht genutzt um sich Zutritt zum Gebäude der Beklagten zu
verschaffen und sie auch nicht hinsichtlich der Zeiterfassung verwendet. Dafür
habe sie ihre eigene Zutrittskarte verwendet. Sie würde auch niemals die
Zutrittskarte externen Dritten überlassen. Sie habe lediglich die Zutrittskarte eines
Kollegen, der krankheitsbedingt ausfiel, genutzt, um an seiner Stelle das von ihm
vorab angemeldete und bezahlte Mittagessen einzunehmen. Ihr sei nicht
ersichtlich gewesen, dass es ihr verboten wäre, die von ihrem Lebensgefährten
bezahlten Speisen aufgrund der Verhinderung ihres Lebensgefährten in Anspruch
zu nehmen. Sie sei davon ausgegangen, dass das Geld für das Essen bezahlt ist
und sie berechtigt gewesen sei es für sich in Anspruch zu nehmen Nachdem die
Beklagte nunmehr klargestellt habe, dass sie die Übertragung und Nutzung der
Zutrittskarte in der Kantine unter Kollegen nicht wünscht, werde sie ein
entsprechendes Verhalten in der Zukunft natürlich unterlassen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten
Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht
als begründet angesehen. Das Berufungsgericht folgt den zutreffenden Gründen
des Arbeitsgerichts.
Auf die Angriffe der Berufung ist festzuhalten:
Wie das Arbeitsgericht zutreffend und mit Bezug auf die ständige Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts ausgeführt hat, war im vorliegenden Fall vor Ausspruch
einer Kündigung eine erfolglose Abmahnung erforderlich. Es war entschuldbar,
wenn die Klägerin glaubte, dass sie die Mittagsverpflegung anstelle ihres
erkrankten Lebensgefährten in Anspruch nehmen durfte unter Nutzung von
dessen Zutrittskarte – ausschließlich – zu diesem Zweck. Sie musste auch nicht
annehmen, dass dadurch irgendjemandem ein Schaden entstehen würde. Aus
den bekannt gegebenen Bedingungen zur Teilnahme an der betrieblichen
Mittagsverpflegung, auf die sich die Beklagte beruft, geht dies jedenfalls nicht klar
hervor. Dabei kann unterstellt werden, dass die auf den 12. Oktober 2007 – also
auf einen Zeitpunkt nach der Kündigung der Klägerin – datierten Bedingungen mit
gleichem Inhalt auch früher bekannt gemacht worden waren. Aus den
Nutzungsbedingungen geht der Zeitpunkt von An- und Abmeldungen und die
zuständige Stelle hervor. Weiter heißt es u. a.:
"3. Die Monatspauschale für das Mittagessen beträgt zurzeit Euro 50,22.
Hierbei ist bereits ihr Urlaubsanspruch berücksichtigt, sodass Abmeldungen für die
Zeit Ihres Urlaubs nicht zulässig sind. Für Zeiträume, für die Krankengeld bezogen
wird, findet keine Belastung statt.
4. Ihr Mittagessen erhalten Sie, indem Sie Ihre Zutrittskarte an die Kartenleser
der jeweiligen Essensstationen halten. ...
5. Bitte bedenken Sie, dass die Pauschale von Euro 50,22 nicht einmal den
Materialeinsatz deckt. Deshalb bitten wir darum, dass sich jeder Mitarbeiterin –
einen
Nachtisch oder ein Stück Obst nimmt.
6. Selbstverständlich können Mitarbeiterinnen, die nicht zum Essen
angemeldet sind und somit keinen Anspruch auf Kasinoleistungen haben, auch
kein Obst oder Nachtisch nehmen.
...
Denken Sie bitte daran, dass Sie durch Ihr Verhalten den Essenspreis ebenso
maßgeblich mit beeinflussen wie die Beibehaltung der bisher praktizierten
Freizügigkeit. ..."
Daraus geht unmissverständlich und mit kaum zu überbietender Deutlichkeit
hervor, wie bei Obst und Nachtisch zu verfahren ist. Daraus geht nicht hervor, dass
Abwesenheitszeiten und Nichtinanspruchnahme der Mittagsverpflegung in die
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Abwesenheitszeiten und Nichtinanspruchnahme der Mittagsverpflegung in die
Essenspreise einkalkuliert sind und die Nutzung der Freischaltung eines
angemeldeten Kollegen verboten ist. Letzteres mag man sich bei näherer
Überlegung und Befassen mit der Thematik zwar denken können. Es ist aber
keineswegs offensichtlich. Wenn die Beklagte so deutliche Hinweise hinsichtlich des
Umgangs mit Obst und Nachtisch gibt, wäre auch zu erwarten gewesen, dass sie
der nahe liegenden Auffassung, mit der Monatspauschale sei eine bestimmte
Anzahl von Essen bezahlt, die nicht nur der Angemeldete in Anspruch nehmen
kann, ausdrücklich entgegentritt. Auf jeden Fall handelt es sich nicht um eine
solche Pflichtverletzung, bei der eine Hinnahme durch den Arbeitgeber
offensichtlich ausgeschlossen ist.
Soweit die Beklagte meint, die Klägerin habe strafbare Handlungen begangen,
fehlt es jedenfalls an der subjektiven Tatseite. Nach dem oben Ausgeführten ist
nicht ersichtlich, dass die Klägerin vorsätzlich einen Irrtum erregen wollte (bei
wem?) und den Vorsatz hatte, das Vermögen der Beklagten zu schädigen. Ein
solcher Vorsatz wäre nur möglich gewesen, wenn die Klägerin den
Bewirtschaftungsvertrag zwischen der Beklagten und der Kantinenbetreiberin
gekannt hätte und diesem weiterhin hätte entnehmen können, dass der
Essenszuschuss von Euro 3,18 abhängig von der jeweiligen Zahl der Nutzer der
Mittagsverpflegung ist. Inwieweit die Betreiberin möglicherweise geschädigt wurde
ist ebenfalls nicht ohne weiteres klar.
Aber auch der objektive Tatbestand des § 263 StGB ist entgegen der Auffassung
der Beklagten nicht verwirklicht. Eine Täuschungshandlung im Sinne des § 263
StGB kann nur dadurch erfolgen, dass auf die Vorstellungen einer natürlichen
Person eingewirkt wird. Dafür ist hier nichts ersichtlich. Ein Kartenleser kann nicht
getäuscht werden. Auch das Erschleichen einer Leistung im Sinne des § 265 a
StGB liegt nicht vor. Nur das Erschleichen bestimmter Leistungen ist dort unter
Strafe gestellt. In Betracht käme nur der Zutritt zu einer Veranstaltung oder einer
Einrichtung. Die Kantine war unstreitig für die Klägerin frei zugänglich. Auch hier
würde es im Übrigen an der subjektive Tatseite mangeln.
Auch die Strafvorschrift des § 281 StGB ist nicht verwirklicht. Die Zutrittskarte ist
zwar ein Ausweispapier. Die Beklagte hat die Zutrittskarte ihres Lebensgefährten
aber nicht wie die Strafvorschrift verlangt als Ausweispapier verwendet und nicht
zur Identitätstäuschung eingesetzt. Sie hat lediglich die Freischaltung auf der
Zutrittskarte am Kartenleser der Essensstation verwendet. Selbst wenn man
annimmt, dass eine Identitätstäuschung dadurch gegeben ist, dass der Name
später ausgelesen wurde und ausgelesen werden konnte, fehlte es aber wiederum
an subjektiven Tatbestand. Dafür, dass die Klägerin wusste, dass bei Verwendung
der Freischaltung am Automaten auch die Identität festgestellt werden kann, ist
nichts ersichtlich.
Im Übrigen erachtet die Kammer eine Kündigung, sei sie außerordentlich oder
ordentlich, im Hinblick auf die Beschäftigungsdauer und dem Gewicht der
vorgeworfenen Pflichtverletzung als unverhältnismäßig.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen, da sie erfolglos blieb.
Für die Zulassung der Revision besteht kein Grund.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.