Urteil des LAG Hessen vom 19.11.2010

LAG Frankfurt: bauunternehmer, firma, subunternehmer, juristische person, gemeinsame einrichtung, bauherr, bürge, erfüllung, generalunternehmer, arbeitsteilung

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
10. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 Sa 528/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1a S 1aF AEntG, § 1a S 1
AEntG
Bauträger - Unternehmer - Bürgenhaftung
Leitsatz
Ein Bauträger, der selbst keine Bauleistungen erbringt, ist kein Unternehmer im Sinne
von § 1 a Satz 1 AEntG a. F.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 09.
März 2010 – 2 Ca 3857/08 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger nimmt den Beklagten als Bürgen gemäß dem
Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) auf Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen in
Anspruch.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des
Baugewerbes. Er hat nach den für allgemeinverbindlich erklärten tarifvertraglichen
Regelungen des Baugewerbes insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der
tarifvertraglich vorgesehenen Urlaubsvergütung zu sichern. Zu diesem Zweck
haben die den Bautarifverträgen unterfallenden Arbeitgeber monatlich Beiträge in
Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Bruttolohnsumme der beschäftigten
gewerblichen Arbeitnehmer an den Kläger zu zahlen. Den Beitragseinzug regelte
im Anspruchszeitraum der Allgemeinverbindliche Tarifvertrag über das
Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20. Dezember 1999 in seiner
jeweiligen Fassung.
Der Beklagte ist ein Bauträger, der keine eigenen Bauarbeitnehmer beschäftigt.
Seine Tätigkeit erstreckt sich auf die Erstellung von Wohnhäusern und
Geschäftsgebäuden im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, die er in der
Folgezeit veräußert.
Mit als „Subunternehmer Rohbau“ überschriebenen Bauverträgen vom 01./04. Juni
2004 sowie vom 08./09. Dezember 2004 beauftragte der Beklagte die Firma A. (im
Folgenden: Firma B.) mit der Erbringung von Rohbauarbeiten auf Baustellen in C.
und D. Die Firma B. beauftragte ihrerseits das polnische Bauunternehmen E. (im
Folgenden: Firma F.) mit den Rohbauarbeiten auf diesen Baustellen.
Im Betrieb der Firma F. wurden in den streitgegenständlichen Kalenderjahren in
Deutschland, aber auch unter Einschluss der nicht in Deutschland beschäftigten
Arbeitnehmer arbeitszeitlich überwiegend Rohbauarbeiten verrichtet. Die Firma F.
beschäftigte auf den Baustellen der Beklagten in Deutschland zwischen Dezember
2004 und Januar 2006 aus G. entsandte gewerbliche Arbeitnehmer. Die Firma F.
nahm am Urlaubskassenverfahren teil, zahlte jedoch einen restlichen Betrag in
Höhe von 3.595,31 Euro nicht an den Kläger.
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Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass der Beklagte gemäß § 1 a Satz 1 AEntG
a. F. wie ein Bürge für die Verpflichtung der Firma F. zur Zahlung der Beiträge
hafte, da er der Auftraggeber innerhalb einer Subunternehmerkette sei. Als
Bauträger sei der Beklagte ein Unternehmer im Sinne von § 1 a AEntG a. F., wie
vom Hessischen Landesarbeitsgericht im Urteil vom 29. Oktober 2007 – 16 Sa
2012/06 – angenommen worden sei. Hätte der Beklagte die werkvertraglichen
Leistungen mit eigenen Arbeitnehmern erbracht, wäre er als Bauunternehmer
beitragspflichtig. Gleiches müsse gelten, wenn der Beklagte seine Pflichten
delegiere. Der Kläger hat behauptet, der Beklagte vergebe in der Regel erst nach
Abschluss von Kaufverträgen mit Interessenten die Bauleistungen an die
Subunternehmer.
Der Kläger hat mit dem Beklagten am 29. Dezember 2008 zugestellter
Klageschrift beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 3.595,31 Euro nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, als Bauherr treffe ihn keine Pflicht aus § 1 a
AEntG. Er hat behauptet, in der Regel erst nach Rohbaubeginn und vor Beginn der
Ausbauphase Verkaufsgespräche mit Interessenten zu führen.
Das Arbeitsgericht D. hat mit Urteil vom 09. März 2010 – 2 Ca 3857/08 – die Klage
abgewiesen. Es hat unter anderem ausgeführt, der Beklagte hafte nicht als Bürge
gemäß § 1 a Satz 1 AEntG a. F., da der Beklagte kein Unternehmer im Sinn dieser
Vorschrift sei. Der im Gesetz verwandte Begriff des Unternehmers sei auszulegen,
wobei der objektive Wille des Gesetzgebers zur ermitteln sei. Zwar sei gemäß § 14
Abs. 1 BGB jede natürliche oder juristische Person oder rechtsfähige
Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer
gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handele, ein Unternehmer.
Der Begriff des Unternehmers in § 1 a AEntG a. F. sei jedoch nach der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einschränkend auszulegen. Aus der
Gesetzesbegründung ergebe sich, dass der Generalunternehmer darauf achten
solle, dass seine Subunternehmer die nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz
zwingenden Arbeitsbedingungen einhielten. Die Durchgriffshaftung treffe den
Generalunternehmer, der erkennen könnte, dass die von den Nachunternehmern
angebotenen Preise mit vernünftigen Arbeitsbedingungen nicht zu erbringen
seien. Daraus folge, dass der Gesetzgeber nicht jeden Unternehmer im Sinn von §
14 Abs. 1 BGB, der eine Bauleistung in Auftrag gebe, in den Geltungsbereich des §
1 a AEntG a. F. einbeziehen wolle. Ziel des Gesetzes sei vielmehr,
Bauunternehmer, die sich verpflichten, ein Bauwerk zu errichten und dies nicht mit
eigenen Arbeitskräften erledigten, sondern sich zur Erfüllung ihrer Verpflichtung
eines oder mehrerer Subunternehmer bedienten, als Bürgen haften zu lassen. Da
diesen Bauunternehmern der wirtschaftliche Vorteil der Beauftragung von
Nachunternehmern zugute kommt, sollten sie für die Lohnforderungen der
beschäftigten Arbeitnehmer nach § 1 a AEntG a. F. einstehen. Diese Ziele des
Gesetzes träfen auf Unternehmer, die als Bauherren eine Bauleistung in Auftrag
gäben, nicht zu, da diese Unternehmer zwar ebenfalls Bauleistungen auf dem
Markt abfragten, jedoch keine eigenen Bauarbeitnehmer beschäftigten und auch
selbst keine Subunternehmer beauftragten, die für sie eigene Leistungspflichten
zur Erbringung von Werkleistungen erfüllten. Der Beklagte sei ein Bauträger und
gebe als Bauherr Bauleistungen in Auftrag. Die Frage, ob der Beklagte vor oder
nach der Vergabe der Teilgewerke vertragliche Verpflichtungen gegenüber
Kaufinteressenten eingehe, sei unerheblich. Entscheidend sei, dass der Beklagte
selbst keine Verpflichtung zur Erbringung von Bauleistungen eingehe. Soweit die
Bauverträge mit der Firma B. mit „Subunternehmer Rohbau“ überschrieben seien,
ergäbe sich allein daraus nicht, dass der Beklagte nicht lediglich Bauträger,
sondern auch Bauunternehmer sei. Bauunternehmer könne der Beklagte schon
deshalb nicht sein, da er keine baugewerblichen Arbeitnehmer beschäftige.
Dieses Urteil ist dem Kläger am 15. März 2010 zugestellt worden. Die Berufung
des Klägers ist am 12. April 2010 und die Berufungsbegründung am 14. Mai 2010
bei Gericht eingegangen.
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Der Kläger wendet sich gegen das erstinstanzliche Urteil und ist der Ansicht, auch
der Bauherr bzw. Bauträger sei entgegen der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts als Unternehmer im Sinn von § 1 a AEntG anzusehen. Folge
man der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, sollten alle Unternehmer
vom Arbeitnehmerentsendegesetz erfasst sein, die sich zur Erfüllung eigener
Verpflichtungen Subunternehmer bedienten und denen der Vorteil der
Beauftragung von Subunternehmen zugute komme. Genauso verhalte es sich im
vorliegenden Fall. Der Beklagte beginne mit der Ausführung der Bauarbeiten als
Bauträger erst dann, wenn jedenfalls teilweise die Kaufverträge vorlägen. Hätte der
Beklagte mit eigenen Arbeitnehmern die Bauleistungen erbracht und die
Wohnungen und Geschäftshäuser anschließend veräußert, wäre er als
Bauunternehmer einzustufen. Es sei ein Wertungswiderspruch, wenn der Beklagte
den Bau an Subunternehmer vergeben könne, für die er dann nicht bürgen solle.
Durch das Outsourcing der Bauleistung genieße er die Vorteile der Arbeitsteilung,
sei eigentlich als Bauunternehmer tätig und vermeide die Nachteile, die ihn als
Bauunternehmer träfen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 09. März 2010 – 2 Ca 3857/08 –
abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger Euro 3.595,31 nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab
Rechtshängigkeit der Forderung zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und ist der Ansicht, nicht als
Bürge zu haften, da er mangels eigener gewerblicher Arbeitnehmer kein
Bauunternehmer sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den Inhalt der
Berufungsschriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist
gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft. Der Kläger hat sie auch form-
und fristgerecht eingelegt und begründet, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519 ZPO.
In der Sache hat die Berufung des Klägers keinen Erfolg, denn der Beklagte
schuldet dem Kläger die geltend gemachten Beiträge nicht. Das hat bereits das
Arbeitsgericht zutreffend festgestellt. Das Berufungsgericht folgt den Gründen der
angefochtenen Entscheidung und macht sie sich zu Eigen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Im
Hinblick auf den ergänzenden Vortrag der Parteien im Berufungsrechtszug ist
Folgendes hinzuzufügen:
Der Beklagte haftet für die Verpflichtungen der polnischen Firma Quartet nicht wie
ein Bürge, da er kein Unternehmer im Sinne von § 1 a Satz 1 AEntG a. F. ist. Das
Bundesarbeitsgericht hat mehrfach entschieden, dass ein Bauherr, der eine
Bauleistung in Auftrag gibt, nicht der Bürgenhaftung unterfällt. Das gilt selbst
dann, wenn der Bauherr selbst ein Bauunternehmer ist (BAG 28.03.2007 – 10 AZR
76/06 – NZA 2007, 613).
Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist auf einen Bauträger zu
übertragen, der den Bau von Wohnungen, Wohn- und Geschäftshäusern in Auftrag
gibt in der Absicht, diese nach Fertigstellung zu veräußern. Unternehmer im Sinn
von § 1 a Satz 1 AEntG a. F. soll nach den Gesetzesmaterialien der Unternehmer
sein, dem die Vorteile der Arbeitsteilung zur Erfüllung eigener Pflichten zugute
kommen. Damit müssen der Generalunternehmer, der sich verpflichtet hat, mit
eigenen Arbeitnehmern Bauleistungen zu erbringen, sowie alle Nachunternehmer,
die im Rahmen der Erbringung der Bauleistungen eingesetzt werden, als Bürgen
haften (Thüsing, Arbeitnehmerentsendegesetz 2010 § 14 Rn. 16). Demgegenüber
verpflichtet sich der Bauträger wie der Bauherr nicht, selbst Bauleistungen zu
erbringen. Wenn der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit von einer
generellen Bürgenhaftung aller Unternehmer, die Bauleistungen in Auftrag geben,
abgesehen und Bauherren, die keine eigenen Bauleistungen erbringen,
ausgenommen hat, so gilt das auch für den Bauträger. Der Bauträger, der keine
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ausgenommen hat, so gilt das auch für den Bauträger. Der Bauträger, der keine
eigenen Bauarbeitnehmer beschäftigt, vergibt lediglich einen Bauauftrag an einen
Bauunternehmer. Wenn dieser Bauunternehmer sodann Subunternehmer
einschaltet, kommt diese Arbeitsteilung nicht dem Bauträger, sondern dem
Bauunternehmer zu Gute.
Nicht zu entscheiden ist, ob der Unternehmerbegriff in § 14 Abs. 1 AEntG vom 20.
April 2009 ebenso auszulegen ist wie der Unternehmerbegriff in § 1 a AEntG a. F.
Der Kläger trägt die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels, § 97
Abs. 1 ZPO.
Die Revision wird gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen (Abweichung von Hess.
LAG 29. Oktober 2007 – 16 Sa 2012/06 –).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.