Urteil des LAG Hessen vom 16.09.2009

LAG Frankfurt: unbezahlter urlaub, freistellung von der arbeitspflicht, gesellschaft mit beschränkter haftung, schutz des arbeitnehmers, sitz im ausland, gemeinsame einrichtung, verzicht, vorrang

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
18. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
18 Sa 577/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Sozialkassenverfahren im Baugewerbe - Beitragspflicht bei
unbezahltem Urlaub
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 26.
Februar 2009 – 5 Ca 1281/08 – wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten auf dem Hintergrund, dass nach Deutschland entsandte
polnische Arbeitnehmer des Baugewerbes ihre Ansprüche auf bezahlten
Erholungsurlaub nicht realisierten, um den Umfang der Verpflichtung der
Beklagten zur Auskunftserteilung nach § 21 VTV.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des
Baugewerbes in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit
kraft staatlicher Verleihung. Er hat u.a. die Aufgabe, die Auszahlung der
tarifvertraglich vorgesehenen Urlaubsvergütung zu sichern.
Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach polnischem
Recht mit Sitz in Polen. Das Unternehmen ist in Deutschland mit Werkverträgen im
Baugewerbe tätig (§ 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 5 VTV). Es nimmt am
Urlaubskassenverfahren teil.
Der Kläger ist der Auffassung, zumindest seit August 2007 seien falsche
Meldungen abgegeben und deshalb auch zu geringe Beiträge gezahlt worden, da
den Arbeitnehmern – unstreitig – unbezahlte Freistellung statt bezahltem Urlaub
erteilt wurde.
Die Beklagte gewährte ihren Arbeitnehmern in der Zeitspanne von August 2007
bis Dezember 2007 insgesamt 194 Tage unbezahlten Urlaubs. Sie beschäftigte in
diesem Zeitraum durchschnittlich 30 Arbeitnehmer. Wegen des Umfangs der
unbezahlten Freistellungen in den jeweiligen Arbeitsverhältnissen wird auf die von
dem Kläger mit Klageerhebung am 26. Mai 2008 eingereichte Liste verwiesen
(Anlage K 2, Bl. 9 - 12 d.A.). Die Arbeitnehmer beantragten von sich aus
unbezahlte Freistellung. Der bei der Beklagten verwandte Vordruck für
Urlaubsanträge der Arbeitnehmer sieht alternativ "unbezahlten" oder "bezahlten"
Urlaub vor. Die Beklagte meldete von August bis Dezember 2007 dem Kläger
gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 AEntG i.V.m. § 21 VTV die monatlichen
Bruttolohnsummen der in Deutschland eingesetzten Arbeitnehmer und leistete
Beiträge nach § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 AEntG i.V.m. § 18 VTV. In den Meldungen
wurden Tage der Freistellung ohne Vergütungsanspruch als "unbezahlte
Urlaubstage" angeführt.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe ihre Auskunftspflicht nicht
erfüllt. Es seien entgegen § 21 Abs. 3 Satz 3 VTV keine vollständigen und richtigen
Auskünfte erteilt worden. Die Beklagte müsse für die gewährten Urlaubstage die
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Auskünfte erteilt worden. Die Beklagte müsse für die gewährten Urlaubstage die
auf diese Tage entfallenden Bruttolohnsummen nachmelden und die
Urlaubskassenbeiträge entrichten.
Unbezahlten Urlaub dürfe es nach dem BRTV nur geben, wenn für den
Arbeitnehmer keine Möglichkeit mehr bestehe, bezahlten Urlaub zu nehmen. Die
Anwendung von § 8 Nr. 8 BRTV-Bau sei auf Resturlaubsansprüche beschränkt,
welche nicht genommen oder abgegolten werden konnten. Eine
Kommerzialisierung des Urlaubsanspruchs sei nicht gestattet.
Die bei der Beklagten praktizierte Vorgehensweise sei unzulässig. Die
Arbeitnehmer hätten Urlaub genommen, aber auf die Urlaubsvergütung
verzichtet. Dies verstoße sowohl gegen deutsches wie polnisches Urlaubsrecht, § 4
TVG und Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG).
Schließlich werde der Grundsatz der Beitragsdeckung verletzt, da Ansprüche auf
Urlaubsentschädigung nicht beitragspflichtig seien.
Der Kläger hat den auf 194 "Urlaubstage" entfallenden Urlaubskassenbeitrag aus
den Bruttolohnsummen mit € 3.697,86 berechnet. Dem entsprechend hat er eine
Entschädigungssumme gem. § 61 Abs. 2 ArbGG in Höhe von € 2.950,00 gefordert.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen,
1. ihm auf dem von ihm zur Verfügung gestellten Formular darüber
Auskunft zu erteilen, welche Bruttolohnsumme und welcher Urlaubskassenbeitrag
hinsichtlich aller von ihr in der Bundesrepublik Deutschland von August 2007 bis
Dezember 2007 beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer in den jeweiligen
genannten Monaten angefallen sind;
2. für den Fall, dass sie diese Auskunftspflichten innerhalb einer Frist
von sechs Wochen nach Urteilszustellung nicht erfüllt, an ihn eine Entschädigung in
Höhe von € 2.950,00 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Kläger sei nicht befugt, die
Inanspruchnahme von bezahltem Urlaub durchzusetzen. Die unbezahlten
Freistellungen seien nicht aufgezwungen worden. Sie hat behauptet, es
entspreche den Interessen ihrer Arbeitnehmer, nur wenige freie Tage zu nehmen
und zum Ende des Entsendezeitraumes wegen des immer noch erheblichen
Lohngefälles zwischen Deutschland und Polen einen hohen Entschädigungsbetrag
zu erzielen. Hierzu hat die Beklage auf ein von Arbeitnehmern unterzeichnetes
Schreiben an den Kläger vom 20. Dezember 2007 mit 26 Unterschriften verwiesen
(Anlage B 2 zur Klageerwiderung, Bl. 30 - 33 d.A.)
Die Beklagte meint, die Arbeitnehmer hätten nicht auf Urlaub verzichtet, sie
wünschten gerade dessen Auszahlung. Eine Vereinbarung unbezahlten Urlaubs sei
sowohl nach deutschem als nach polnischem Arbeitsrecht zulässig. Es existiere
keine Rechtsvorschrift, dass ausschließlich oder primär bezahlter Urlaub zu
nehmen sei. Deshalb sei auch die Meldung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 AEntG
i.V.m. § 21 VTV ordnungsgemäß und vollständig.
Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat die Klage durch Urteil vom 26. Februar 2009
abgewiesen. Der Auskunftsanspruch des Klägers sei von der Beklagten bereits
vollständig erfüllt. Eine Pflicht zur Meldung der Bruttolöhne einschließlich einer
Urlaubsvergütung besteht nicht, wenn kein bezahlter Urlaub gewährt worden sei.
Die Arbeitsvertragsparteien seien frei, sich für bestimmte Zeiträume auf die
Gewährung unbezahlten Urlaubs zu einigen. Dies folge aus der Vertragsfreiheit
und der Parteiautonomie, solche Regelungen seien im Arbeitsleben auch üblich.
Die Möglichkeit, unbezahlten Urlaub zu vereinbaren, bestehe auch nach
polnischem Recht. Unbezahlter Urlaub werde auch von § 8 Nr. 2.3 BRTV-Bau
berücksichtigt. Die Arbeitnehmer der Beklagten hätten nicht entgegen § 4 TVG auf
Urlaub verzichtet, indem sie sich auf unbezahlten Urlaub einigten.
Wegen des vollständigen Inhalts der Entscheidung und dem weiteren Vortrag der
Parteien in erster Instanz wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe
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Parteien in erster Instanz wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe
verwiesen (Bl. 76 - 81 d.A.).
Das Urteil ist dem Kläger am 06. März 2009 zugestellt worden. Er hat gegen das
Urteil mit einem am 24. März 2009 bei dem hessischen Landesarbeitsgericht
eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Der Kläger hat diese dann mit am
05. Mai 2009 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz
begründet.
Mit der Berufung wiederholt und vertieft der Kläger seine Argumente aus dem
ersten Rechtszug. Er ist der Ansicht, dass aus einzelnen Regelungen über einen
Anspruch auf unbezahlte Freistellung nicht auf ein uneingeschränktes Recht auf
eine solche Vereinbarung geschlossen werden dürfe. Die Parteiautonomie sei
durch Gesetze und Tarifnormen begrenzt. Ein Verzicht auf tarifliche Rechte sei
unzulässig, dies gelte auch für Urlaub. Die Arbeitnehmer der Beklagten hätten
Urlaub verbraucht, ihr Verzicht auf die dafür zu zahlende Urlaubsvergütung sei
unwirksam. Dem BUrlG und den Bestimmungen in § 8 BRTV-Bau liege die Pflicht
des Arbeitgebers zur Urlaubsgewährung zu Grunde und die Vorstellung, dass
Urlaub auch realisiert werde. Abmachungen zur Kommerzialisierung des
Urlaubsanspruchs verstießen gegen § 134 BGB. Der Kläger trägt vor, dass es auch
nach polnischem Recht unzulässig sei, auf bezahlten Urlaub zu verzichten. In
einem Verfahren vor der staatlichen Arbeitsaufsicht könne sich ein Arbeitgeber
nicht damit verteidigen, der Arbeitnehmer habe freiwillig keinen Erholungsurlaub in
Anspruch genommen. Das polnische Urlaubsrecht setze insoweit die
europarechtlichen Vorgaben der Arbeitszeitrichtlinie um.
Der Kläger meint, Ziel des § 8 Nr. 8 BRTV-Bau sei der Schutz des Arbeitnehmers,
der seinen Urlaubsanspruch nicht realisieren konnte, insb. wenn er in nur kurz
andauernden Arbeitsverhältnissen beschäftigt wurde. Die Entschädigungsregelung
dürfe nicht missbraucht werden. Hierdurch würde auch gegen den Grundsatz der
Beitragsdeckung verstoßen. Der Arbeitgeber leiste keinen Beitrag auf den
Entschädigungsbetrag. Dies führe dazu, dass er Urlaub nur auf der Grundlage des
angefallenen Bruttolohns vergüte, die tatsächlichen Urlaubstage aber beitragsfrei
blieben. Der Arbeitnehmer erhalte im Ergebnis zu wenig.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 26. Februar 2009 – 5 Ca
1281/08 – abzuändern und den Beklagten zu verurteilen,
1. ihm auf dem von ihm zur Verfügung gestellten Formular darüber
Auskunft zu erteilen, welche Bruttolohnsumme und welcher Urlaubskassenbeitrag
hinsichtlich aller von ihr in der Bundesrepublik Deutschland von August 2007 bis
Dezember 2007 beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer in den jeweiligen
genannten Monaten angefallen sind;
2. für den Fall, dass sie diese Auskunftspflichten innerhalb einer Frist
von sechs Wochen nach Urteilszustellung nicht erfüllt, an ihn eine Entschädigung in
Höhe von € 2.950,00 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung. Ihre Meldungen seien
korrekt. Sie behauptet, im Schnitt hätten ihre Arbeitnehmer weniger als 15 Tage
unbezahlten Urlaub im Jahr genommen. Unbezahlter Urlaub dürfe nicht als
bezahlter Erholungsurlaub bewertet werden. Es bestehe kein Vorrang bezahlten
Urlaubs vor unbezahlten Urlaub, ebenso kein Zwang zur Geltendmachung von
Erholungsurlaub, auch nicht nach polnischem Recht. Gegen § 134 BGB sei nicht
verstoßen worden, die Vereinbarungen hätten nicht zum Wegfall des tariflichen
Urlaubsanspruchs geführt. Eine Kommerzialisierung des Urlaubsanspruchs sei
nicht zu befürchten. Faktisch finde eine Geltendmachung von erheblichen
Urlaubsentschädigungsansprüchen gem. § 8 Nr. 8 BRTV-Bau nur durch entsandte
Arbeitnehmer statt.
Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von
den Parteien vorgetragenen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die
Sitzungsniederschrift vom 16. September 2009 (Bl. 134 d.A.) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 b ArbGG statthaft. Sie ist
form- und fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet
worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
In der Sache bleibt die Berufung jedoch ohne Erfolg. Die Entscheidung des
Arbeitsgerichts Wiesbaden ist nicht abzuändern.
Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat ihre Pflicht zur Meldung der
Bruttolohnsummen und der Urlaubskassenbeiträge gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2
AEntG i.V.m. § 21 VTV bereits vollständig erfüllt. Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat
zutreffend ausgeführt, dass keine Regelung besteht, nach der für Tage
unbezahlter Freistellung ein Bruttolohn zu melden und folgend der
Urlaubskassenbeitrag zu entrichten ist. Die Beklagte hat in der Zeit von August bis
Dezember 2007 nicht – über die erfolgten Meldungen hinaus – 194 Tage bezahlten
Erholungsurlaub gewährt.
1.
Nach § 1 Abs. 1 AEntG gelten die Rechtsnormen eines allgemeinverbindlichen
Tarifvertrags des Bauhaupt- oder Baunebengewerbes i.S.d. §§ 1 und 2 der
Baubetriebe-Verordnung auch für Arbeitsverhältnisse, die zwischen einem
Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinen im räumlichen Geltungsbereich des
Tarifvertrags beschäftigten Arbeitnehmern bestehen. § 1 AEntG enthält
zwingendes Recht i.S.v. Art. 34 EGBGB. Der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3,
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AEntG erstreckt sich auf die in § 8 BRTV-Bau geregelten
Urlaubs- und Urlaubsvergütungsansprüche, einschließlich der nicht ausdrücklich
angeführten Urlaubsabgeltungs- und Entschädigungsansprüche gem. § 8 Nr. 7
und Nr. 8 BRTV-Bau (
).
Die Beklagte erbrachte im Kalenderjahr 2007 arbeitzeitlich überwiegend Arbeiten
gem. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 5 VTV, dies ist zwischen den Parteien unstreitig.
2.
Die Beklagte hat ihren Arbeitnehmer in der Zeit von August bis Dezember 2007
keine 194 Tage bezahlten Erholungsurlaubs gewährt. Es ist vielmehr unstreitig,
dass die Arbeitnehmer tatsächlich ohne Vergütungsanspruch von der
Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt wurden. Eine solche Freistellung kann
und wird üblicherweise als unbezahlter Urlaub bezeichnet.
Die erfolgten Freistellungen dürfen nicht als Gewährung des tariflichen Urlaubs bei
gleichzeitigem Verzicht auf die Urlaubsvergütung bewertet werden. Die
Arbeitnehmer der Beklagten wollten gerade ihren tariflichen Urlaubsanspruch trotz
"freier Tage" ungemindert erhalten.
Eine Anrechnung dieser Tage auf den Urlaubsanspruch – mit der Folge einer
Vergütungs- und Beitragspflicht – ist von keiner Rechtsgrundlage gedeckt. Sie ist
weder durch das Verbot auf den Verzicht tariflicher Rechte (§ 4 Abs. 4 Satz 1 TVG)
noch einen tariflichen oder europarechtlichen Vorrang des bezahlten
Erholungsurlaubs vor unbezahlter Freistellung geboten.
a)
"Unbezahlter Urlaub" ist kein Urlaub i.S.d. § 8 BRTV-Bau. Dies ergibt sich eindeutig
aus der tariflichen Regelung. § 8 Nr. 1.1 bestimmt ausdrücklich:
"Der Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr (Urlaubsjahr) Anspruch auf 30
Tage bezahlten Erholungsurlaub." ( )
Zu der Ermittlung der für den Umfang des Urlaubsanspruchs maßgeblichen
Beschäftigungstage ist in § 8 Nr. 2.3 BRTV-Bau geregelt, dass Tage
"... – unbezahlten Urlaubs, wenn dieser länger als 14 Kalendertage gedauert
hat, ..." ( )
nicht zu den Beschäftigungstagen zählen. Dies lässt erkennen, dass die
Tarifpartner zum einen grundsätzlich mit "Urlaub" den bezahlten Erholungsurlaub
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Tarifpartner zum einen grundsätzlich mit "Urlaub" den bezahlten Erholungsurlaub
meinen, wie auch die ab Nr. 4 ff. des § 8 BRTV-Bau zur Höhe der Urlaubsvergütung
getroffenen Regelungen zeigen, andererseits aber auch das Vorkommen
"unbezahlten Urlaubs" berücksichtigten.
§ 8 BRTV-Bau lässt sich nicht entnehmen, dass Tage unbezahlten Urlaubs auf den
Urlaubsanspruch anzurechnen sind. In § 8 Nr. 2.6 BRTV-Bau ist bestimmt:
"Die für bereits gewährten Urlaub berücksichtigten Beschäftigungstage sind
verbraucht."
Mit gewährtem Urlaub ist allein der bezahlte Erholungsurlaub gemeint, denn es
geht um die Verminderung der in Nr. 2 des § 8 BRTV-Bau geregelten Dauer des
bezahlten Urlaubs. Unbezahlter Urlaub wird als solcher in Nr. 2.3 ausdrücklich
bezeichnet, wie oben angeführt.
b)
Die Arbeitnehmer haben auf keinen bezahlten Erholungsurlaub verzichtet, sie
haben ihn nicht genommen. § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG ist nicht berührt.
aa)
Die Arbeitnehmer haben allerdings auf eine bezahlte Freistellung von der
Arbeitspflicht verzichtet. Eine Unterscheidung zwischen dem Unterlassen einer
Geltendmachung des auf ein Kalenderjahr bezogenen Urlaubsanspruchs und dem
faktischen Verzicht auf den wirtschaftlichen Wert des Urlaubs ist nur im
Geltungsbereich des § 8 BRTV-Bau möglich. Nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfällt freiwillig
nicht genommener Urlaub ersatzlos. Dies gilt auch für Urlaubsansprüche, die gem.
§ 7 Abs. 4 BUrlG ausnahmsweise abgegolten werden dürfen, wenn die Abgeltung
nicht rechtzeitig gefordert wird. Nach den Darlegungen des Klägers haben die
Bestimmungen des polnischen Urlaubsrechts einen entsprechenden Inhalt. Ein
Entschädigungsanspruch entsprechend § 8 Nr. 8 BRTV-Bau ist in Polen gesetzlich
nicht geregelt (s.: .
§ 8 Nr. 8 BRTV-Bau schafft dagegen einen zusätzlichen, zeitlich befristeten
Entschädigungsanspruch, welcher es dem Arbeitnehmer ermöglicht, den
wirtschaftlichen Wert eines Urlaubsanspruchs noch als Kapitalleistung zu fordern,
den er weder tatsächlich realisiert hat noch abgegolten wurde oder abgegolten
werden durfte. Im System des § 8 BRTV-Bau fehlt eine Regelung, die den
Arbeitnehmer zwingt, seinen bezahlten Erholungsurlaubs tatsächlich zu nehmen,
wenn er mit dem Untergang des Urlaubsanspruchs nicht auch dessen
wirtschaftlichen Wert automatisch verlieren will.
bb)
Der Kläger wendet sich im Ergebnis gegen ein von ihm als missbräuchlich oder
zumindest tarifwidrig bewertetes Ausnutzen dieses Entschädigungsanspruchs zur
Kapitalisierung des Urlaubsanspruchs bei vollständigem oder teilweisem Verzicht
auf eine Zeit bezahlter Erholung während des Arbeitsverhältnisses.
(1)
Ein generelles Verbot der freiwilligen Vereinbarung unbezahlten Urlaubs zwischen
dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer lässt sich dem BRTV-Bau nicht
entnehmen. Er setzt vielmehr auch voraus, dass es solche unbezahlten
Freistellungen geben kann, s. § 8 Nr. 2.3 zweiter Spiegelstrich BRTV-Bau.
Auch ist von dem Kläger nicht behauptet worden, dass die Arbeitnehmer der
Beklagten weiteren bezahlten Erholungsurlaub nehmen wollten. Es gibt keinen
Grund für die Annahme, dass diesen Erholungsurlaub verweigert und stattdessen
nur eine unbezahlte Freistellung gewährt wurde.
(2)
§ 8 BRTV-Bau lässt sich auch nicht entnehmen, dass unbezahlter Urlaub erst
wirksam vereinbart werden darf, wenn kein Anspruch auf bezahlten
Erholungsurlaub mehr besteht.
Dem Kläger ist zuzustimmen, dass die Tarifpartner durch Urlaubskassensystem
i.V.m. § 8 BRTV-Bau, ebenso wie der Gesetzgeber durch das BUrlG, erreichen
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i.V.m. § 8 BRTV-Bau, ebenso wie der Gesetzgeber durch das BUrlG, erreichen
wollen, dass ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub im
Interesse seiner Gesundheit auch realisiert. Die Regelung in § 8 Nr. 2.7 Satz 2
BRTV-Bau geht immerhin davon aus, dass zum Ende eines Kalenderjahres noch
"Resturlaubsansprüche" auf das folgende Jahr zu übertragen sind, nicht der
gesamte Urlaubsanspruch. Gleichwohl schließt § 8 BRTV-Bau nicht aus, dass ein
Arbeitnehmer des Baugewebes gar keinen Urlaub nimmt und deshalb dieser
Urlaub nach Nr. 2.7 übertragen und nach seinem Verfall gem. Nr. 7 Satz 1
schließlich gem. Nr. 8 entschädigt wird. Auch wenn – wie im Fall der Arbeitnehmer
der Beklagten – hinzukommt, dass der Arbeitnehmer darüber hinaus noch Tage
unbezahlter Freistellung vereinbart, fehlt es an einer Tarifnorm, die dies verbietet.
Die von dem Kläger erstrebte zwangsweise Umwandlung von unbezahltem in
bezahlten Urlaub würde dieses Ziel erreichen. Allein der Umstand, dass dieses Ziel
dem vermutlichen Willen der Tarifpartner entspricht, genügt aber nicht, um § 8
BRTV-Bau um eine Regelung zu ergänzen, die diese Tarifnorm nicht enthält. Ein
Verstoß gegen eine Verbotsnorm gem. § 134 BGB ist nicht erkennbar.
(3)
Ein tariflich gebotener Vorrang des Anspruchs auf bezahlten Erholungsurlaub vor
der vom Arbeitnehmer freiwillig vereinbarten unbezahlten Freistellung verstößt
auch nicht gegen den Grundsatz der Beitragsdeckung.
Dem Kläger entgehen durch die gezielte Gewährung unbezahlten Urlaubs bei
"Ansparen" des Erholungsurlaubs Beiträge, weil Tage bezahlten Erholungsurlaubs
für den Arbeitgeber beitragspflichtig sind, dem Urlaubskassensystem
entsprechend aber nicht die nach § 8 Nr. 8 BRTV-Bau vom Kläger geschuldete
Urlaubsentschädigung.
Gleichwohl ist der Entschädigungsanspruch vollständig beitragsgedeckt. Denn
seine Höhe ergibt sich nach § 8 Nr. 8 Satz 1 BRTV-Bau aus der Höhe des
verfallenen Urlaubsanspruchs bzw. des verfallenen Urlaubsabgeltungsanspruchs.
Dieser bestimmt sich gem. § 8 Nr. 4 BRTV-Bau aus dem für das Kalenderjahr
maßgeblichen Prozentsatz des Bruttolohns des jeweiligen Arbeitnehmers. Tage
unbezahlten Urlaubs sind für den Bruttolohn nach § 8 Nr. 4.2 BRTV-Bau neutral, sie
erhöhen oder verringern ihn nicht. Soweit die Arbeitnehmer der Beklagten gegen
Entgelt gearbeitet haben, ist der Bruttolohn gemeldet worden und war Grundlage
des Beitrags nach § 18 VTV. Hätten sie darüber hinaus an den Tagen, an denen
sie ohne Vergütungsanspruch freigestellt waren, gegen Entgelt gearbeitet, wäre ihr
nach § 8 Nr. 4.2 BRTV-Bau maßgeblicher Bruttolohn höher gewesen und der Kläger
hätte eine entsprechend höhere Urlaubsentschädigung zu zahlen.
(4)
Auch ist § 8 BRTV-Bau nicht wegen § 13 Abs. 2 BUrlG im Lichte des Art. 7 der
Richtlinie 2003/88/EG (vom 04. November 2003 über bestimmte Aspekte der
Arbeitszeitgestaltung) im Sinne des Klägers auszulegen.
Nach Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie ist sicherzustellen, dass in den
Mitgliedsstaaten ein Arbeitnehmer bezahlten Mindesturlaub von vier Wochen pro
Kalenderjahr erhält und dieser Anspruch außer bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt wird. Dies ist
durch § 8 Nr. 1.1, Nr. 2.7 und Nr. 6.1 BRTV-Bau gewährleistet. § 8 Nr. 8 BRTV-Bau
sichert einem Arbeitnehmer, der trotz der tariflichen Regelungen, welche den
Arbeitsbedingungen und -umständen des Baugewerbes Rechnung tragen, seinen
Erholungsurlaub nicht vollständig nehmen kann, einen wirtschaftlichen Ausgleich
für seine erworbenen, aber verfallenen Ansprüche. Das Ausnutzen der Vorschrift
des § 8 Nr. 8 BRTV-Bau zur Kapitalisierung des Urlaubsanspruchs bei zwingend
befristeter Tätigkeit im Geltungsbereich des BRTV-Bau bildet die Ausnahme, nicht
den erstrebten Zweck der Regelung. Das Erreichen eines anderen Ziels als das
des Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie ist durch die tarifliche Regelung nicht
beabsichtigt.
(5)
Schließlich kann dahinstehen, ob die Beklagte nach polnischem Recht verpflichtet
war, ihren Arbeitnehmern 2007 bezahlten Erholungsurlaub zu erteilen. Diese hat
tatsächlich keinen weiteren bezahlten Urlaub gewährt. Damit ist der
Urlaubsanspruch oder ein etwaiger Urlaubsabgeltungsanspruch der Arbeitnehmer
mit Ablauf des 31. Dezember 2008 verfallen. Im Anwendungsbereich des Art. 34
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mit Ablauf des 31. Dezember 2008 verfallen. Im Anwendungsbereich des Art. 34
EGBGB kommt über § 1 Abs. 1 Nr. 2 AEntG § 8 Nr. 8 BRTV-Bau zur Anwendung.
Die Geltung des § 8 Nr. 8 BRTV-Bau lässt sich nicht dadurch aufheben, dass gegen
den Willen der unmittelbaren Vertragspartner eine (wirksame oder unwirksame)
Vereinbarung unbezahlter Freistellung in eine Vereinbarung noch zu vergütenden
Erholungsurlaubs umgedeutet wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat die Kosten der
erfolglosen Berufung zu tragen.
Die Revision ist nach § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.