Urteil des LAG Hessen vom 15.12.2010

LAG Frankfurt: beitragspflicht des arbeitgebers, gemeinsame einrichtung, entschädigung, auskunftserteilung, qualifikation, beitragsschuld, verdacht, arbeitsgericht, nichterfüllung, pauschal

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
18. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
18 Sa 609/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 5 Nr 3 VTV-Bau, § 61 Abs 2
ArbGG, § 28 VTV-Bau
"erweiterte Auskunftsklage" - Entschädigungsantrag -
Sozialkassenverfahren
Orientierungssatz
Eine Klage der Zusatzversorgungskasse gegen einen am Sozialkassenverfahren
teilnehmenden Arbeitgeber
- auf Auskunft über Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit sämtlicher
gewerblichen Arbeitnehmer innerhalb einer Zeitspanne und
- auf Auskunft über die berufliche Qualifikation, ausgeführte Tätigkeiten und die den
erfolgten Eingruppierungen sämtlicher gewerblichen Arbeitnehmer in einer bestimmten
zu Grunde liegenden Tatsachen
kann nicht mit einem Entschädigungsantrag nach § 61 Abs. 2 ArbGG verbunden
werden, wenn die Entschädigungsumme nicht nach den konkreten Umständen
betriebsbezogen, sondern pauschal mit einem ermittelten Durchschnittsschaden von
80 % von 250,00 € pro Mann-Monat bei Beitragsverlust wegen
Mindestlohnunterschreitung angeben wird.
Tenor
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Wiesbaden vom 19. März 2010 – 7 Ca 3061/09 – zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.
Tatbestand
Die klagende Zusatzversorgungskasse begehrt Auskunft und die Vorlage von
Kopien sowie die Verurteilung des beklagten Arbeitgebers zur Zahlung einer
Entschädigung gemäß § 61 Abs. 2 ArbGG für den Fall, dass die titulierten
Auskünfte nicht erteilt werden.
Die Klägerin ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der
Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Sie ist tarifvertraglich zum Einzug der
Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes verpflichtet. Auf der Grundlage
des im gesamten Klagezeitraum für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags
über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) verlangt die Klägerin von
der Beklagten Auskünfte über Inhalt und Umfang der Beschäftigung von
gewerblichen Arbeitnehmern, deren Vergütung und die Übersendung von Kopien
der Arbeitsverträge und von Lohnabrechnungen.
Die Beklagte ist ein Bauunternehmen mit Sitz in A/Kreis B. Sie beschäftigt
gewerbliche Arbeitnehmer und unterfällt dem betrieblichen Geltungsbereich des
VTV.
Sie war an allen Verhandlungsterminen dieses Rechtsstreits säumig.
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Die Klägerin erhob am 13. Oktober 2009 vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden gegen
die Beklagte Klage auf schriftliche Auskünfte über die Beschäftigung gemeldeter
gewerblicher Arbeitnehmer und verlangte die Übersendung der Kopien der
Arbeitsverträge und der jeweiligen Lohnabrechnungen sämtlicher gewerblicher
Arbeitnehmer. Für den Fall, dass die Verpflichtungen auf Auskunft nicht innerhalb
einer Frist vollständig erfüllt werden sollten, begehrte die Klägerin die Festsetzung
einer Entschädigung gemäß § 61 Abs. 2 ArbGG.
Die Klägerin beantragte in dem auf den 05. März 2010 anberaumten Gütetermin
vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden, die Beklagte im Wege des Versäumnisurteils
zu verurteilen,
1. ihr für sämtliche in dem Betrieb der Beklagten in dem Zeitraum von 01.
November 2008 bis 31. Januar 2009 sowie vom 01. März 2009 bis einschließlich 31.
Juli 2009 beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer jeweils schriftlich Auskunft über
Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit zu erteilen,
2. ihr für sämtliche in dem Betrieb der Beklagten in dem Zeitraum von 01.
November 2008 bis 31. Januar 2009 sowie vom 01. März 2009 bis einschließlich 31.
Juli 2009 beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer jeweils Kopien der
Arbeitsverträge und der jeweiligen Lohnabrechnungen zu übersenden,
3. ihr für sämtliche in dem Betrieb der Beklagten in dem Zeitraum von 01.
November 2008 bis 31. Januar 2009 sowie vom 01. März 2009 bis einschließlich 31.
Juli 2009 beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer jeweils schriftlich Auskunft über
die berufliche Qualifikation und die ausgeführten Tätigkeiten zu erteilen und
darzulegen, aufgrund welcher Tatsachen die Beklagte die Eingruppierungen gemäß
§ 2 Abs. 2 TV Mindestlohn i.V.m. § 5 Nr. 3 BRTV-Bau für jeden einzelnen
Arbeitnehmer vorgenommen hat,
4. für den Fall, dass die Verpflichtungen aus den Klageanträgen Nr. 1 und Nr. 3
nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung vollständig
erfüllt werden, an die Klägerin folgende Entschädigung zu zahlen: EUR 9.600,00.
Mit am 19. März 2010 verkündeten Urteil wies das Arbeitsgericht Wiesbaden die
Klage durch ein unechtes Versäumnisurteil ab. Zur Wiedergabe der Begründung
der Klageabweisung wird auf das Urteil Bezug genommen (Bl. 13 - 36 d.A.).
Das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist der Klägerin am 26. März 2010
zugestellt worden. Die Berufungsschrift ging am 23. April 2010 bei dem
Hessischen Landesarbeitsgericht ein. Die Klägerin hat ihre Berufung mit am 26.
Mai 2010 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingereichten Schriftsatz
begründet.
Die Klägerin ist der Auffassung, ihre Klage sei zu Unrecht als teilweise unzulässig
(Klageantrag zu 2) bzw. im Übrigen als unbegründet abgewiesen worden.
An dem auf den 15. September 2010 bestimmten Verhandlungstermin vor der
Berufungskammer war die Beklagte wiederum säumig (vgl. Sitzungsniederschrift
Bl. 77 f. d.A.). Gegen die Beklagte erging ein Teil-Versäumnisurteil, durch welches
sie entsprechend den Klageanträgen zu 1) bis 3) auf Auskunft bzw. Übersendung
von Kopien verurteilt wurde (vgl. Bl. 82 f. d.A.). Das Teil-Versäumnisurteil ist
rechtskräftig geworden.
Wegen des am 15. September 2010 gestellten und nicht stattgegebenen Antrags
der Klägerin,
das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 19. März 2010 - 7 Ca 3061/09 -
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
4. für den Fall, dass die Verpflichtungen aus den Klageanträgen Nr. 1 und Nr. 3
nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung vollständig
erfüllt werden, an sie folgende Entschädigung zu zahlen: 9.600, 00 €.
ist Fortsetzungstermin anberaumt worden.
Auf Grund der in der Verhandlung vom 15. September 2010 erörterten Bedenken
gegen die Berechnung der nach § 61 Abs. 2 ArbGG geforderten
Entschädigungssumme hat die Klägerin folgend vorgetragen, dass über §§ 5, 6, 21
VTV hinausgehende Auskünfte und das Verlangen von Kopien als Belegen gem. §
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VTV hinausgehende Auskünfte und das Verlangen von Kopien als Belegen gem. §
28 VTV (in den bis einschließlich 31. Dezember 2009 geltenden Fassungen des
Tarifvertrags) nur anlassbezogen erfolge, wenn sich aus dem Meldeverhalten des
tarifunterworfenen Arbeitgebers Auffälligkeiten ergäben, die den Verdacht einer
Mindestlohnunterschreitung nahe legen würden.
Die Klägerin erläutert, die Entschädigungssumme werde pauschaliert berechnet. Je
Arbeitnehmer werde ein pauschalierter Schadenersatzbetrag in Höhe von 200,00
€ begehrt. Dabei gehe man davon aus, dass es sich dabei um 80% des zu
erwartenden Schadens im Fall einer Mindestlohnunterschreitung pro Arbeitnehmer
pro Mann-Monat handele. Diesem Betrag liege ein statistischer Mittelwert zu
Grunde, ermittelt aus einer Gruppe von ca. 100 Fällen mutmaßlicher
Mindestlohnunterschreitungen. In diesen habe sie die Differenz zwischen dem
statistischen Durchschnittslohn und den in den jeweiligen Fällen tatsächlich
abgegebenen Meldungen ermittelt und entsprechend den mutmaßlichen Schaden
auf die ca. 100 zu Grunde gelegten Fälle umgelegt und berechnet. Es sei zu
berücksichtigen, dass es ihr nicht primär um die Zahlung des Schadensersatzes
gehe, sondern um ein zulässiges Sanktionsmittel zur Durchsetzung der
Herausgabe der Unterlagen bzw. der Erteilung der Auskünfte bei konkretem
Verdacht auf Mindestlohnunterschreitung.
In Bezug auf die Beklagte behauptet die Klägerin, dass dort in den von dem
Klagezeitraum erfassten Monaten 6 gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt
gewesen sein. Der Entschädigungssumme lägen 48 Mann-Monate zu Grunde.
Die Beklagte war auch in dem Fortsetzungstermin am 15. Dezember 2010
säumig.
Wegen des vollständigen Vorbringens der Klägerin in der Berufungsinstanz wird auf
den Inhalt ihrer Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschriften vom 15. September
2010 und 15. Dezember 2010 (Bl. 77 f., 108 d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 19.
März 2010 ist zulässig gem. §§ 64 Abs. 2 b), 8 Abs. 2 ArbGG. Sie ist gem. §§ 64
Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt
sowie ordnungsgemäß und rechtzeitig begründet worden.
Die Berufung ist unbegründet, soweit den Klageanträgen der Klägerin nicht bereits
durch das Teilversäumnisurteil vom 15. September 2010 stattgegeben wurde (Bl.
82 f. d.A.).
Der Erlass eines Versäumnisurteils gegen die im Fortsetzungstermin vom 15.
Dezember 2010 trotz ordnungsgemäßer Ladung erneut säumige Beklagte ist in
Bezug auf die begehrte Verurteilung der Beklagten nach § 61 Abs. 2 ArbGG für den
Fall der nicht fristgerechten Auskunftserteilung nach §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 539 Abs.
2 Satz 2, 2. Halbs. ZPO ausgeschlossen. Das tatsächliche Vorbringen der Klägerin
rechtfertigt nicht die Festsetzung der begehrten Entschädigungssumme.
1.
unechten Hilfsantrag, durfte ausnahmsweise getrennt von den Anträgen zur
Vornahme einer Handlung entschieden werden (vgl.
a.A.:
).
Die am 15. September 2010 durch den Erlass des Teilversäumnisurteils
vorweggenommene Entscheidung über die mit den Klageanträgen zu 1) und 3)
verfolgten Auskunftsansprüche führt zu keiner unangemessenen
Rechtsunsicherheit. Die Klägerin erstrebt eine alsbaldige Entscheidung, ob auch
Auskunftsansprüche, wie durch die Klageanträge zu 1) und 3) verfolgten, mit
einem Entschädigungsantrag gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 ArbGG verbunden werden
können. Ihr Interesse an einer Verurteilung eines beklagten Arbeitgebers für den
Fall der nicht fristgerechten Auskunftserteilung zur Leistung einer
Entschädigungssumme überwiegt ihr Vollstreckungsinteresse nach §§ 887, 888
ZPO deutlich. Eine Vollstreckung gegen die mittlerweile rechtskräftig zur
Auskunftserteilung verurteilte Beklagte nach §§ 887, 888 ZPO erfolgt derzeit nicht;
es steht nicht zu befürchten, dass eine bereits begonnene Zwangsvollstreckung
nachträglich unzulässig würde, falls die Klägerin mit dem Entschädigungsanspruch
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nachträglich unzulässig würde, falls die Klägerin mit dem Entschädigungsanspruch
obsiegt.
2.
Satz 2 ArbGG ist zulässig.
Mit den Klageanträgen zu 1) und 3) hat die Klägerin eine Verurteilung der
Beklagten zur Auskunftserteilung, damit zur Vornahme einer Handlung, verfolgt.
Erteilt die Beklagte der Klägerin keine Auskunft über Beginn, Ende und Dauer der
täglichen Arbeitszeit der von ihr beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer in den
Zeitspannen von 01. November 2008 bis 31. Januar 2009 sowie vom 01. März
2009 bis einschließlich 31. Juli 2009 sowie über die berufliche Qualifikation, die
ausgeführten Tätigkeiten und die der Eingruppierung dieser Arbeitnehmer zu
Grunde liegenden Tatsachen in den angeführten Zeiträumen, könnte die Klägerin
nach §§ 887, 888 ZPO vollstrecken.
3.
ist jedoch unbegründet, da die geltend gemachte Entschädigungssumme nicht
gerechtfertigt ist.
a)
festzusetzenden Entschädigung ist an dem von der klagenden Partei dargelegten
und gegebenenfalls durch Beweisaufnahme festzustellen Schaden für den Fall der
Nichterfüllung der Handlung zu ermitteln (
). Daher darf grundsätzlich nicht der Schaden
geltend gemacht werden, der mit einer Leistungsklage bei erteilter Auskunft
gefordert werden könnte, sondern nur derjenige - in der Regel geringere -
Schaden, der in der nicht erteilten Auskunft liegt (so ausdrücklich:
. In Bezug auf
Auskunftsklagen der klagenden Zusatzversorgungskasse, die auf § 21 VTV
gestützt werden, ist jedoch anerkannt, dass der Schaden an dem Interesse des
Auskunftsberechtigten an der Erfüllung der Auskunftspflicht zu messen ist. Dieser
darf mit 80% der geschätzten Beitragsschuld berechnet werden (
für die Urlaubskasse bei
Arbeitnehmerentsendung:
). Die Geltendmachung eines derart pauschalierten
Schadensersatzbetrages ist wegen der Besonderheiten des tariflichen
Sozialkassenverfahrens berechtigt: Unterfällt ein Arbeitgeber mit seinem Betrieb
dem Geltungsbereich des regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärten
Tarifvertrags, ist er beitragspflichtig. Wenn einer auf § 21 VTV Auskunftsklage
stattgegeben werden kann, ist auch immer von einer Beitragspflicht des
Arbeitgebers auszugehen. Der Arbeitgeber zahlt (nicht nur) keine Beiträge,
sondern verweigert auch die tariflich geschuldeten Meldungen, die die Berechnung
der konkret geschuldeten monatlichen Beiträge ermöglichen würden. Der durch
die Nichterfüllung der Meldepflichten entstehende Schaden liegt in dem Verlust
der Beiträge, welche die Zusatzversorgungskasse (bzw. in bestimmten Fällen die
Urlaubskasse) nicht geltend machen kann. Es ist daher gerechtfertigt, den
Entschädigungsbeitrag wegen der nicht erteilten Auskünfte an den voraussichtlich
entgehenden Beiträgen zu orientieren. Da der Arbeitgeber keine Auskunft erteilt,
kann nur von einem unterstellten „Normalfall“ ausgegangen werden. Dies ist
typisiert die vollzeitige Beschäftigung eines Arbeitnehmers gegen das
durchschnittliche tarifliche Entgelt, bzw. in Entsendefällen bei Zahlung des
Mindestlohns. Dies genügt zur substantiierten Schätzung der vermutlichen
Beitragsschuld, von der zur Vermeidung einer zusätzlichen Mindestbeitragsklage
80% gefordert werden dürfen (
vgl. auch:
).
b)
Klägerin, welche diese auf § 28 VTV stützt, nicht übertragbar.
Die Klägerin rechtfertigt ihr umfassendes Auskunftsverlangen gegen die Beklagte,
die am Sozialkassenverfahren teilnimmt, mit dem Verdacht auf
Mindestlohnunterschreitungen, welche sich aus den erteilten Meldungen selbst
ergäben. Die Beklagte hat, wie auch andere Arbeitgeber gegen die „erweiterte
Auskunftsansprüche“ geltend gemacht werden, Meldungen erteilt und Beiträge
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Auskunftsansprüche“ geltend gemacht werden, Meldungen erteilt und Beiträge
gezahlt. Nach der dem erweiterten Auskunftsbegehren der Klägerin zu Grunde
liegenden Einschätzung sind jedoch die Meldungen falsch und die Beiträge
unvollständig. Es geht nicht um Beitragszahlungen „überhaupt", sondern um der
Höhe nach noch offene Beitrags rest forderungen.
Es ist ausgeschlossen, den Schaden, der entsteht, weil Auskünfte verweigert
werden, die zu Kontrollzwecken verlangt werden, pauschal für alle in Betracht
kommenden Arbeitgeber gleich zu berechnen. Anders als bei einem Vorgehen der
Klägerin gegen einen Arbeitgeber, der sich dem Sozialkassenverfahren ganz
entzieht, kann nicht unterstellt werden, dass auf jeden Fall Beiträge für jeden
Arbeitnehmer nachgezahlt werden müssen. Es kommen sowohl
Beitragsunterschreitungen als insgesamt fehlende Beiträge in Betracht. Ebenso ist
nicht auszuschließen, dass der Arbeitgeber nur bei einem Teil seiner Arbeitnehmer
fehlerhafte Angaben macht und daher seine Beitragsverpflichtungen nur teilweise
nicht vollständig erfüllt. Es kann deshalb keine zulässige pauschalierte Aussage
getroffen werden, dass die Weigerung eines Arbeitgebers, auf § 28 VTV gestützte
berechtigte Kontrollauskünfte zu verweigern, darauf schließen lässt, dass der
Kasse mit hoher Wahrscheinlichkeit jeden Monat für jeden beschäftigten
gewerblichen Arbeitnehmer Beiträge in Höhe von 250,00 € monatlich entgehen.
Von einer solchen Beitragsdifferenz will die Klägerin jedoch 80% (200,00 €) als
Schaden bei nicht fristgerechter Erfüllung ihres Auskunftsbegehrens geltend
machen. Damit wird sie ihrer Darlegungslast für die Geltendmachung von
Schadensersatz nicht gerecht. § 61 Abs. 2 Satz 2 ArbGG schaffte keinen
eigenständigen Anspruch, sondern erleichtert nur die Durchführung eines sachlich-
rechtlichen Schadensersatzanspruches (
).
Von der Klägerin muss bei einer „erweiterten Auskunftsklage" gegen einen
Arbeitgeber, welcher am Melde- und Beitragsverfahren teilnimmt, vielmehr
verlangt werden, dass sie einen auf den konkreten Fall bezogenen Schaden
darlegt, wenn sie nach § 61 Abs. 2 Satz 2 ArbGG vorgehen will. Damit wird der
Klägerin kein effektiver Rechtsschutz verweigert. Ist sie der Auffassung, dass ein
Arbeitgeber seine Meldepflichten nach §§ 5, 6 und 21 VTV nicht ordnungsgemäß
erfüllt, kann sie nach § 18 Abs. 5 VTV Erstattungsleistungen verweigern, was sich in
der Praxis als effektives und konsequent genutztes Druckmittel erweist. Wenn sie
darüber hinaus keine Klage auf vermutlich ausstehende Beiträge erheben,
sondern ihren Auskunftsanspruch nach § 28 VTV durchsetzen will, muss sie - wie
dies bei einer Klage auf weitere Beiträge notwendig wäre – darlegen, in welcher
Höhe sie eine nicht erfüllte Beitragsschuld des konkreten Arbeitgebers in einem
bestimmten Zeitraum annimmt. Danach kann die Entschädigungssumme bei
nicht fristgerechter Erfüllung der Auskunft gemäß § 61 Abs. 2 Satz 2 ArbGG
festgesetzt werden. Ein pauschaler Wert der begehrten Auskünfte lässt sich nicht
ermitteln.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Da der Antrag nach § 61 Abs.
2 ArbGG nicht streitwerterhöhend wirkt, wird von einen gleichwertigen Verhältnis
von Obsiegen und Verlieren beider Parteien ausgegangen.
Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG zuzulassen. Diese Entscheidung
weicht teilweise von dem Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 02. Juli
2010 – 10 Sa 1932/09 - ab.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.