Urteil des LAG Hessen vom 29.05.2007

LAG Frankfurt: wirtschaftliche leistungsfähigkeit, arbeitsgericht, geschäftsführer, bevollmächtigung, sanktion, verschulden, arbeitsrecht, höchstbetrag, beschwerdekammer, vertretung

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
4. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 Ta 157/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 141 Abs 3 S 1 ZPO, § 380
Abs 3 ZPO, § 473 Abs 4 S 1
StPO
(Höhe eines wegen der Missachtung einer Anordnung zum
persönlichen Erscheinen festgesetzten Ordnungsgeldes)
Leitsatz
Maßgeblich für die Höhe eines wegen der Missachtung einer Anordnung zum
persönlichen Erscheinen gegen eine Partei festgesetzten Ordnungsgeldes ist das
Ausmaß von deren persönlichen Verschulden und ihre wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit. Im Regelfall rechtfertigt die erstmalige Missachtung einer Anordnung
zum persönlichen Erscheinen durch eine finanziell leistungsfähige Partei die
Ausschöpfung des Rahmens für die Bemessung des Ordnungsgeldes bis zu einem
Fünftel und damit die Festsetzung eines Ordnungsgeldes von bis zu 200,00 €.
Die Kosten einer Beschwerde gegen eine Ordndungsgeldfestsetzung gemäß §§ 380
Abs. 3, 141 Abs. 3 S. 1 ZPO sind nicht Teil des Hauptsacheverfahrens, sondern in
entsprechender Anwendung des Kostenrechts der StPO dem Beschwerdeführer
und/oder der Staatskasse aufzuerlegen
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des
Arbeitsgerichts Darmstadt vom 13. März 2007 – 11 Ca 229/06 – unter
Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen zum Teil abgeändert und
folgendermaßen neu gefasst:
Gegen den Geschäftsführer der Beklagten wird ein Ordnungsgeld in Höhe von
200,00 EUR (in Worten: Zweihundert und 00/100 Euro) festgesetzt.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes
in Höhe von 300 €.
Der Beschwerdeführer ist Geschäftsführer der Beklagten des Ausgangsverfahrens.
Er erschien trotz der Anordnung seines persönlichen Erscheinens zum Gütetermin
vom 21. Dezember 2006 ohne vorherige Entschuldigung nicht. Aus diesem Anlass
setzte das Arbeitsgericht das Ordnungsgeld fest. In dem Festsetzungsbeschluss
stellte das Arbeitsgericht fest, das Ausbleiben des Beschwerdeführers habe die
Aufklärung des Sachverhalts erschwert. Gegen den am 29. März 2007 durch
Ersatzzustellung in den Geschäftsräumen der Beklagten des Ausgangsverfahrens
zugestellten Beschluss legte der Beschwerdeführer am 28. März 2007 sofortige
Beschwerde ein. Er rügt, er sei durch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten
des Ausgangsverfahrens vertreten gewesen. Dieser sei zum Abschluss eines
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des Ausgangsverfahrens vertreten gewesen. Dieser sei zum Abschluss eines
Vergleichs ermächtigt gewesen, nur nicht zu dem, den der Kläger sich vorgestellt
habe. Der Beschwerdeführer rügt weiter die Höhe des Ordnungsgeldes. Im ersten
Termin werde gegen eine säumige Partei üblicherweise nur ein Ordnungsgeld von
maximal 100 € festgesetzt. Das Arbeitsgericht half der Beschwerde mit der
Begründung nicht ab, es stehe nicht fest, dass der Bevollmächtigte der Beklagten
des Ausgangsverfahrens tatsächlich gemäß § 141 Abs. 3 S. 2 ZPO bevollmächtigt
gewesen sei. Er habe selbst den Eindruck erweckt, dass er mit dem Erscheinen
des Beschwerdeführers noch rechne und nicht wisse, warum dieser ausblieb. Trotz
einer entsprechenden Aufforderung habe er auf eine Bevollmächtigung nicht
hingewiesen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist teilweise begründet.
1. Zu Unrecht wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Verhängung eines
Ordnungsgeldes wegen seines unentschuldigten Nichterscheinens im Termin vom
21. Dezember 2006. Das Arbeitsgericht war dazu gemäß §§ 51 Abs. 1 ArbGG, 141
Abs. 3 S. 1, 380 Abs. 1 S. 1 ZPO befugt. Demgegenüber wendet der
Beschwerdeführer zu Unrecht ein, er sei im Sinne von § 141 Abs. 3 S. 2 ZPO
hinreichend durch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten des
Ausgangsverfahrens vertreten gewesen. Dies hätte erfordert, dass der
Prozessbevollmächtigte zur Abgabe der gebotenen Erklärungen und zur
Aufklärung des Tatbestandes in der Lage gewesen wäre. Beide Voraussetzungen
müssen nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut kumulativ vorliegen. Eine
Vertretung durch einen Rechtsanwalt setzt damit voraus, dass dieser Kenntnisse
über die den Gegenstand des Rechtsstreits bildenden Vorgänge und die
betrieblichen Verhältnisse besitzt, die denen der persönlich geladenen Partei
entsprechen (ständige Rechtsprechung der erkennenden Kammer, vgl. nur Hess.
LAG 01. November 2005 – 4 Ta 475/05 – AR-Blattei ES 160.7 Nr. 227, zu II 4; 11.
Mai 2006 – 4 Ta 243/06 – AuR 2006/415 L, zu II 2). Hier kann unterstellt werden,
dass der Verfahrensbevollmächtigte der Beklagten des Ausgangsverfahrens
ausreichend bevollmächtigt war. Der Beschwerdeführer ist jedenfalls der
Feststellung des Arbeitsgerichts, dass das Ausbleiben des Beschwerdeführers die
Sachverhaltsaufklärung erschwert habe, nicht entgegengetreten. Dieser Umstand
genügt auch bei hinreichender Bevollmächtigung zur Festsetzung eines
Ordnungsgeldes.
2. Dagegen war die Festsetzung eines zweihundert Euro überschreitenden
Ordnungsgeldes ermessenfehlerhaft. Der gesetzliche Rahmen für die Bemessung
des Ordnungsgeldes liegt gemäß § 6 Abs. 1 EGStGB zwischen fünf und eintausend
Euro. Maßgeblich für die Bestimmung der konkreten Höhe des Ordnungsgeldes ist
das Ausmaß des persönlichen Verschuldens der erschienen Partei (Hess. LAG 16.
Februar 2006 – 4 Ta 20/06 – AuR 2006/175 L, zu II 2; 19. September 2006 – 4 Ta
388/06 – n. v., zu II 1; Leipold in Stein/Jonas ZPO 22. Aufl. § 141 Rn 52, 54).
Daneben sind die finanziellen Verhältnisse der Partei zu berücksichtigen (LAG
Düsseldorf 01. März 1993 – 7 Ta 142/92 – LAGE ArbGG 1979 § 51 Nr. 4; Berscheid
in Schwab/Weth ArbGG § 51. Rn 26). Da es sich bei einem Ordnungsgeld um eine
strafähnliche Sanktion handelt (Leipold a. a. O. § 141 Rn 52; GK-ArbGG-Schütz
Stand März 2007 § 51 Rn 36), ist auch die Strafempfindlichkeit und damit die
wirtschaftliche Lage der jeweiligen Partei von Bedeutung. Dagegen kommt es
entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auf eine angebliche und im Übrigen
nicht verifizierbare Üblichkeit bestimmter Beträge nicht an, sondern auf die
Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Überdies ist der vom Beschwerdeführer
behauptete übliche Höchstbetrag von maximal einhundert Euro der erkennenden
Kammer als der für Ordnungsgeldbeschwerden zuständigen Beschwerdekammer
nicht bekannt.
Hier hat das Arbeitsgericht keine Feststellungen über die Vermögenslage des
Beschwerdeführers getroffen. Dieser hat auch nicht behauptet, in wirtschaftlich
beengten Verhältnissen zu leben. Daher ist davon auszugehen, dass seine
wirtschaftliche Lage als Geschäftsführer einer GmbH geordnet ist. Da der
Beschwerdeführer die Belehrung nach § 141 Abs. 3 S. 3 ZPO glatt missachtet hat,
lag ein nicht unerhebliches Verschulden vor. Allerdings ist mangels abweichender
Feststellungen des Arbeitsgerichts davon auszugehen, dass es sich um einen
erstmaligen Fall der Missachtung der Anordnung des persönlichen Erscheinens
handelt. Dies rechtfertigt eine Ausschöpfung des Rahmens von Art. 6 Abs. 1
EGStGB von bis zu einem Fünftel, das heißt eine Festsetzung des Ordnungsgeldes
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EGStGB von bis zu einem Fünftel, das heißt eine Festsetzung des Ordnungsgeldes
auf bis zu zweihundert Euro. Damit kann ein erstmaliges Ausbleiben einer Partei
spürbar, aber verhältnismäßig und insbesondere der Begrenzung des Rahmens
auf eintausend Euro sogar für schwere Wiederholungsfälle Rechnung tragend
sanktioniert werden. Die Festsetzung eines noch höheren Betrages würde im
Regelfall – gegebenenfalls abgesehen von besonders wohlhabenden Parteien oder
von Fällen eines atypisch hohen Verschuldens – dem begrenzten Gewicht einer
erstmaligen Missachtung der Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht
gerecht.
3. Trotz des Teilerfolgs der sofortigen Beschwerde sind die Kosten des
Beschwerdeverfahrens gemäß § 473 Abs. 4 S. 1 StPO analog dem
Beschwerdeführer insgesamt aufzuerlegen. Allerdings ist mangels einer
eindeutigen gesetzlichen Regelung streitig, ob im Beschwerdeverfahren gemäß §§
380 Abs. 3, 141 Abs. 3 S. 1 ZPO überhaupt eine Kostenentscheidung ergehen
kann oder ob die Kosten des Beschwerdeverfahrens analog § 11 ZSEG bzw.
inzwischen § 19 JVEG von der im Hauptsacheverfahren unterliegenden Partei zu
tragen sind (vgl. die Nachweise zum Streitstand bei Leipold a. a. O. § 141 Fn 136).
Vorzuziehen ist jedoch eine analoge Anwendung des Kostenrechts der StPO,
soweit dieses vergleichbare Fragen regelt, da die Gegenansicht zu nicht
sachgerechten und möglicherweise sogar verfassungswidrigen Ergebnissen führt.
Unterliegt der Beschwerdeführer im Hauptsacheverfahren, müsste er ohne die
Anwendung des Kostenrechts der StPO auch die Kosten einer begründeten
Beschwerde gegen eine rechtswidrige Ordnungsgeldfestsetzung tragen. In
anderen Rechtsschutz gegen staatliche Sanktionen gewährenden
Gerichtsverfahren ist dagegen eine Kostenerstattung in solchen Fällen
vorgesehen. Insbesondere im Bußgeldverfahren, das eine mit dem Ordnungsgeld
vergleichbare Sanktion betrifft, gilt nach § 46 OWiG § 473 StPO ebenfalls (vgl. König
in Göhler OWiG 14. Aufl. Vor § 105 Rn 128 ff). Eine davon abweichende Behandlung
der Kosten einer Beschwerde gegen eine Ordnungsgeldfestsetzung wäre mit dem
allgemeinen Gleichheitssatz von Art. 3 Abs. 1 GG kaum vereinbar. Noch
ungereimter wäre das Ergebnis, wenn der Beschwerdeführer im
Hauptsacheverfahren obsiegt und deshalb sein Gegner gemäß § 91 Abs. 1 S. 1
ZPO auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen hätte, das er nicht
veranlasst hat und mit dem er letztlich nichts zu tun hat, da es nur den durch die
Ordnungsgeldfestsetzung beschwerten Beschwerdeführer betraf. Die
Gesetzeslücke kann daher angemessen nur durch die analoge Anwendung des
vergleichbare Sachverhalte regelnden strafprozessualen Kostenrechts
geschlossen werden.
Aus diesem Grund gilt gemäß § 473 Abs. 4 StPO, dass im Fall des Teilerfolgs der
Beschwerde deren Kosten der Staatskasse teilweise oder ganz auferlegt werden,
soweit es unbillig wäre, den Beschwerdeführer damit zu belasten. Nach dieser
Norm führt der Teilerfolg eines Rechtsmittels nicht automatisch zu einer teilweisen
Auferlegung der Kosten auf die Staatskasse. Zu prüfen ist vielmehr, ob der
Beschwerdeführer das Rechtsmittel auch dann eingelegt hätte, wenn bereits die
angefochtene Entscheidung den Inhalt der Beschwerdeentscheidung gehabt hätte
(BGH 21. Oktober 1986 – 4 StR 553/86 – NStZ 1987/86, zu 2; 28. Oktober 1997 – 1
StR 612/97 – NStZ-RR 1998/70, zu 4; Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 473 Rn 26).
Hier spricht nichts dafür, dass der Beschwerdeführer die sofortige Beschwerde
nicht eingelegt hätte, wenn das Arbeitsgericht das Ordnungsgeld auf zweihundert
Euro beschränkt hätte. Er wendet sich mit der Beschwerde nicht nur gegen die
Höhe, sondern in erster Linie gegen die Festsetzung des Ordnungsgeldes an sich.
Lediglich mit der Hilfsbegründung rügt er den Betrag des Ordnungsgeldes. Auch
hier vertritt er zudem die Auffassung, dass höchstens ein Betrag von einhundert
Euro in Betracht komme. Hinzu kommt, dass die Kosten des
Beschwerdeverfahrens nicht geringer gewesen wären, wenn das Ordnungsgeld von
Anfang an auf zweihundert Euro festgesetzt worden wäre. Die Gerichtsgebühr
hätte sich ebenfalls aus Ziffer 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG ergeben; sie
hätte dann ebenfalls vierzig Euro betragen. Auch hinsichtlich der Gebühren des
Bevollmächtigten des Beschwerdeführers ergibt sich zwischen zweihundert Euro
und dreihundert Euro kein Gebührensprung. Dementsprechend ist es
angemessen, die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem Beschwerdeführer in
vollem Umfang aufzuerlegen.
4. Ein Grund zur Zulassung der Rechtsbeschwerde im Sinne der §§ 72 Abs. 2, 78 S.
2 ArbGG besteht nicht. Ein Zulassungsgrund wäre lediglich hinsichtlich der
2 ArbGG besteht nicht. Ein Zulassungsgrund wäre lediglich hinsichtlich der
Kostenentscheidung in Betracht gekommen. Diese ist gemäß §§ 99 Abs. 1 ZPO
indessen nicht isoliert anfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.