Urteil des LAG Hessen vom 05.08.2009

LAG Frankfurt: hessen, nachtarbeit, wirklicher wille, tarifvertrag, schichtarbeit, bereitschaftsdienst, verzug, begriff, urlaub, arbeitsgericht

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
2. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2/11 Sa 193/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 22 Abs 6 TV-Ärzte HE
Zusatzurlaub für Nachtarbeit
Tenor
Auf die Berufung des beklagten Landes wird unter Zurückweisung der Berufung im
Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 12. Dezember 2008 – 2 Ca
179/08 – teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst.
Das beklagte Land wird verurteilt, dem Kläger drei Tage Zusatzurlaub für das Jahr
2007 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger ¼ und das beklagte Land
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zu
tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf Zusatzurlaub für
Bereitschaftsdienste während der Nachtzeit gegen das beklagte Land zusteht.
Der am 31. Juli 1972 geborene Kläger arbeitet bei dem beklagten Land im
Universitätsklinikum A seit dem 1. Juli 2003 als Arzt in der Klinik für
Strahlendiagnostik. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag
für Ärztinnen und Ärzte an den Hessischen Universitätskliniken (TV-Ärzte/Hessen)
(im Folgenden: TV-Ärzte/Hessen) Anwendung. Wegen des weiteren Inhalts des
Arbeitsvertrags wird auf die Kopien Bl. 74-77 d. A. Bezug genommen. Der Kläger
leistete weder Wechselschicht noch sonstige Schichtarbeit. Er ist jedoch
verpflichtet, Bereitschaftsdienste am Abend und in der Nacht abzuleisten. In der
Strahlenklinik/Abteilung Strahlendiagnostik dauert die regelmäßige Arbeitszeit von
7.30 Uhr bis 16.30 Uhr bzw. an Freitagen bis 16.00 Uhr. Die Bereitschaftsdienstzeit
erstreckt sich von 18.15 Uhr bis 7.30 Uhr am nächsten Morgen.
§ 22 Abs. 2 TV-Ärzte/Hessen regelt, dass Ärztinnen und Ärzte, die ständig
Wechselschichtarbeit nach § 6 Abs. 1 oder ständige Schichtarbeit nach § 6 Abs. 2
des Tarifvertrages leisten, Zusatzurlaub erhalten. In § 22 Abs. 6 TV-Ärzte/Hessen
ist weiter festgehalten:
Ärztinnen und Ärzte erhalten Zusatzurlaub im Kalenderjahr bei einer Leistung
im Kalenderjahr von mindestens
Bei Teilzeitbeschäftigten ist die Zahl der in Satz 1 geforderten
Nachtarbeitsstunden entsprechend dem Verhältnis der vereinbarten
durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit zur regelmäßigen Arbeitszeit von
entsprechenden Vollzeitbeschäftigten zu kürzen. Nachtarbeitsstunden, die in
Zeiträumen geleistet werden, für die Zusatzurlaub für Wechselschicht- oder
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Zeiträumen geleistet werden, für die Zusatzurlaub für Wechselschicht- oder
Schichtarbeit zusteht, bleiben unberücksichtigt. Absatz 4 und Absatz 5 finden
Anwendung.
Protokollnotiz zu § 22 Absatz 6 :
Der Anspruch auf Zusatzurlaub bemisst sich nach den abgeleisteten
Nachtarbeitsstunden und entsteht im laufenden Jahr, sobald die Voraussetzungen
nach Absatz 6 Satz 1 erfüllt sind.
§ 6 Abs. 6 TV-Ärzte/Hessen bestimmt, dass sich die Nachtarbeit zwischen 21.00
Uhr und 6.00 Uhr morgens erstreckt. § 30 TV-Ärzte/Hessen enthält folgende
Ausschlussfristenregelung:
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer
Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von den Ärztinnen und Ärzten
oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. Für denselben
Sachverhalt reicht die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später
fällige Leistungen aus.
Der Kläger leistete im Jahr 2007 jedenfalls in der Zeit von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr
an insgesamt 72 Tagen Bereitschaftsdienst. Wegen der Aufteilung dieser Dienste
auf die einzelnen Kalendermonate und der von ihm in dieser Zeit erbrachten
Arbeitsleistungen wird auf die Ausführungen in der Klageschrift nebst den
Arbeitszeitaufzeichnungen und den Dienstpläne Bezug genommen (Bl. 3-13, 15-
63 d. A.). Mit Schreiben vom 12. Dezember 2007, wegen dessen Inhalts auf Bl. 64
d. A. verwiesen wird, beantragte der Kläger gegenüber dem Universitätsklinikum A
im Hinblick auf die von ihm geleistete Nachtarbeit den tariflichen Zusatzurlaub. Die
Universitätsklinikum B und A GmbH lehnte mit Schreiben vom 16. Januar 2008 den
beantragten Zusatzurlaub ab.
Der Kläger hat mit seiner dem beklagten Land am 9. September 2008
zugestellten Klage 4 Tage Zusatzurlaub nach dem TV-Ärzte/Hessen begehrt. Er
hat die Ansicht vertreten, ihm habe dieser Zusatzurlaub für das Jahr 2007
aufgrund der in diesem Kalenderjahr geleisteten Bereitschaftsdienste während der
Nachtzeit zugestanden, welcher ihm von dem beklagten Land verwehrt worden sei.
Aus diesem Grunde sei das beklagte Land im Wege der Naturalrestitution
verpflichtet, ihm den Zusatzurlaubsanspruch im Wege des Schadensersatzes zu
gewähren.
Der Kläger hat beantragt,
1. ihm vier Tage Zusatzurlaub zu gewähren,
2. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu Ziff. 1., ihm
drei Tage Zusatzurlaub für das Jahr 2007 in natura zu gewähren.
Das beklagte Land hat zu seinem Klageabweisungsantrag die Auffassung
vertreten, der Anspruch des Klägers sei nicht gerechtfertigt. Schon aus dem
Wortlaut des § 22 Abs. 6 TV-Ärzte/Hessen ergebe sich, dass ein solcher Anspruch
nicht bestehe. Der Tarifwortlaut spreche von "abgeleisteter" Arbeit. Darunter falle
nicht der Bereitschaftsdienst in dem nur "angefallene" Arbeit zu verzeichnen sei.
Zusatzurlaub könne nur für tatsächlich abgeleistete Arbeit verlangt werden. Aus
der Aufstellung des Klägers gehe hervor, dass er während seiner
Bereitschaftsdienstzeit nicht durchgängig gearbeitet habe. Vielmehr seien die
tatsächlichen Arbeitsleistungen immer wieder durch Ruhepausen unterbrochen
worden. Bei der Vorschrift des § 22 Abs. 6 TV-Ärzte/Hessen handele es sich um
einen Auffangtatbestand für einfache Nachtarbeit, die außerhalb des
Schichtdienstes nach § 22 Abs. 2 TV-Ärzte/Hessen abgeleistet werde.
Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhaltes und des weiteren Vortrags der
Parteien im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils
des Arbeitsgerichts Marburg vom 12. Dezember 2008 gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG
Bezug genommen (Bl. 133-137 d. A.).
Das Arbeitsgericht Marburg hat durch das vorgenannte Urteil der Klage
stattgegeben. Es hat angenommen, dem Kläger stehe aufgrund der im Jahr 2007
geleisteten Bereitschaftsdienste ein Anspruch auf die Gewährung von 4 Tagen
Zusatzurlaub für das Jahr 2007 zu. Da ihm dieser Urlaub verwehrt worden sei, sei
das beklagte Land verpflichtet, ihm diesen Anspruch im Wege des
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das beklagte Land verpflichtet, ihm diesen Anspruch im Wege des
Schadenersatzes zu ersetzen. Der Anspruch folge aus § 22 Abs. 6 TV-
Ärzte/Hessen. Die Auslegung dieser Vorschrift belege den Anspruch. Maßgeblich
für die Auslegung sei neben dem Wortlaut der Tarifnorm die Systematik des
Tarifvertrages, insbesondere aber der tatsächliche Wille der Tarifvertragsparteien
und der von ihnen gewollte Sinn und Zweck der Tarifregelung. § 22 Abs. 6 TV-
Ärzte/Hessen spreche ganz allgemein von Nachtarbeitsstunden ohne weitere
Differenzierung. Sowohl nach den Regeln des Arbeitszeitgesetzes wie nach der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts müsse seit dem Jahr 2004 davon ausgegangen werden,
dass die Zeit des Bereitschaftsdienstes, insbesondere die Zeit der
Anwesenheitsbereitschaft als Arbeitszeit im gesetzlichen und tariflichen Sinne
anzusehen sei, auch wenn während der Bereitschaftszeit nicht durchgehend Arbeit
anfalle, sondern die Zeit der Arbeitsleistung immer wieder durch Ruhezeiten
unterbrochen werde. Die Tarifvertragsparteien hätten darüber hinaus in § 6 Abs. 6
TV-Ärzte/Hessen definiert, dass Nachtarbeit in der Zeit von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr
liege. Dem Tarifvertrag sei nicht zu entnehmen, dass bei der Wertung des
Bereitschaftsdienstes im Rahmen des Zusatzurlaubes zwischen "anfallender
Arbeit" und "geleisteter Arbeit" zu unterscheiden sei. Auch die "anfallende Arbeit"
werde von dem betreffenden Mitarbeiter geleistet Letztlich führe auch die
Systematik des Tarifvertrages zu keinem anderen Auslegungsergebnis. In § 22
Abs. 6 S. 3 TV-Ärzte/Hessen hätten die Tarifvertragsparteien nur eine Ausnahme
gemacht. Ausgenommen seien nur die Nachtarbeitsstunden, die in Zeiträumen
abgeleistet werden, für die dem betreffenden Arbeitnehmer Zusatzurlaub für
Wechselschicht oder Schichtarbeit zustehe. Aus dieser Einschränkung gehe
hervor, dass im Übrigen nach dem Willen der Tarifvertragsparteien alle anderen
Nachtarbeitsstunden, die der Arbeitnehmer erbringe, bei der Berechnung des
Zusatzurlaubes zu berücksichtigen seien, ohne dass es darauf ankomme, wie viel
Arbeit im Rahmen der Nachtarbeitsstunden des Bereitschaftsdienstes tatsächlich
angefallen sind. Die Tarifvertragsparteien stellten vielmehr generell auf die vom
Mitarbeiter erbrachte Nachtarbeit ab. Dies ergebe sich auch aus der Protokollnotiz
zu § 22 Abs. 6 TV-Ärzte/Hessen. Dort sei geregelt, dass der Anspruch auf
Zusatzurlaub sich nach den abgeleisteten Nachtarbeitsstunden bemesse. Die
Tarifvertragsparteien hätten schon vom Wortlaut her nicht auf die tatsächlich
geleistete Nachtarbeit, sondern auf die abgeleisteten Nachtarbeitsstunden
abgestellt. Schließlich sei auch nach dem Sinn und Zweck des § 22 Abs. 6 TV-
Ärzte/Hessen davon auszugehen, dass auch die Bereitschaftsdienste unter dem
Begriff der Nachtarbeitsstunden zu subsumieren seien. Mit dieser Regelung sollte
ein gesundheitlicher Ausgleich dafür geben werden, dass Ärztinnen und Ärzte
durch Nachtarbeit in besonderer Weise belastet werden. Dies sei auch der Sinn
des Zusatzurlaubes nach § 22 Abs. 2 TV-Ärzte/Hessen, wonach für Schichtdienste
und Wechselschichtarbeit ebenfalls Zusatzurlaub zu gewähren ist. Die
Tarifvertragsparteien hätten insoweit die gleich Absicht verfolgt, wie der
Gesetzgeber im Arbeitszeitgesetz. Deshalb sei im Tarifvertrag vom gleichen
Arbeitszeitbegriff wie im Arbeitszeitgesetz auszugehen. Nachdem der Kläger die
von ihm geleisteten Bereitschaftsdienste anhand der Dienstpläne ausreichend
dargelegt habe, ohne dass das beklagte Land diesem Vorbringen substantiiert
entgegengetreten sei, könne er nach § 280 Abs. 1 und Abs. 2 BGB sowie § 283
Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 und § 249 Abs. 1 BGB im Wege des Schadenersatzes
Urlaub für den nicht gewährten Zusatzurlaub verlangen, den er mit Schreiben vom
12. Dezember 2007 vergeblich von dem beklagten Land verlangt habe. Wegen der
weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 137-143 d. A. Bezug
genommen.
Gegen dieses Urteil hat das beklagte Land innerhalb der zur Niederschrift über die
Berufungsverhandlung am 15. Juli 2009 festgestellten und dort ersichtlichen
Fristen Berufung eingelegt.
Es verfolgt sein Begehren auf Klageabweisung teilweise unter Wiederholung und
Ergänzung seines erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Es vertritt die Ansicht, der
Anspruch folge nicht aus § 22 Abs. 6 TV-Ärzte/Hessen. Dies ergebe sich aus der
Auslegung der Tarifvorschrift, die eindeutig nur für geleistete Nachtarbeit – dh.
nicht für Bereitschaftsdienste als einem Aufhalten im Betrieb zwecks
bedarfsabhängiger Aufnahme der Arbeitsleistung – Zusatzurlaub gewähre. Die
Regelung knüpfe an geleistete Nachtarbeit an. Insoweit dürfe auch nicht auf die
Begrifflichkeiten des Arbeitszeitgesetzes abgestellt werden. § 22 Abs. 6 TV-
Ärzte/Hessen sei auch nicht sinnentleert, da es Arbeitsleistungen in der Nachtzeit
gebe, die eben nicht im Rahmen von Wechselschicht- oder Schichtarbeit und
außerhalb von Bereitschaftsdiensten erbracht würden. Deshalb könne allenfalls für
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außerhalb von Bereitschaftsdiensten erbracht würden. Deshalb könne allenfalls für
die Bemessung des Zusatzurlaubsanspruchs auf die vom Kläger tatsächlich in der
Nachtarbeit geleisteten Arbeitsstunden abgestellt werden.
Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 12. Dezember 2008 – 2 Ca 283/08
– abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls unter Wiederholung seines
erstinstanzlichen Vorbringens.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 15. Juli 2009 (Bl. 262 d. A.) Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des beklagten Landes gegen das am 12. Dezember 2008
verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Marburg ist zulässig. Das Rechtsmittel ist,
nach dem die Berufung zugelassen worden ist, statthaft (§§ 64 Abs. 2, 8 Abs. 2
ArbGG). Das beklagte Land hat es auch form- und fristgerecht eingelegt und
begründet (§§ 519, 520 ZPO, 66 Abs. 1 ArbGG).
Die Berufung hat in der Sache nur teilweise Erfolg. Die Klage ist zum Teil
begründet. Dem Kläger steht gegen das beklagte Land gemäß § 22 Abs. 6 TV-
Ärzte/Hessen i. V. m. §§ 249 Abs. 1, 280, 286 Abs. 1, 287 S. 2 BGB ein Anspruch
auf Gewährung eines Zusatzersatzurlaubs aus dem Jahr 2007 im Umfang von drei
Tagen zu, dem ihm das beklagte Land im Wege des Schadensersatzes zu
bewilligen hat. Im Übrigen ist die Klage mangels Beachtung der tariflichen
Ausschlussfrist unbegründet.
Der TV-Ärzte/Hessen findet auf das Arbeitsverhältnis aufgrund vertraglicher
Einbeziehung und gegebenenfalls auch beiderseitiger Tarifbindung Anwendung.
Gemäß § 22 Abs. 6 TV-Ärzte/Hessen erhalten Ärztinnen und Ärzte, die
Nachtarbeitsstunden leisten, Zusatzurlaub abhängig vom Umfang der geleisteten
Nachtarbeitsstunden. Der Anspruch entsteht fortwährend im laufenden
Kalenderjahr, sobald die genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
Der Kläger hat im Kalenderjahr 2007 in der Zeit von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr
folgende Anzahl von Bereitschaftsdiensten erbracht:
Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass ihm im Hinblick auf die
geleistete Nachtarbeit ein Anspruch auf Zusatzurlaub zusteht. Das
Berufungsgericht kann daher zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die
insoweit zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verweisen,
denen es folgt und deshalb auf sie gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug nimmt. Im
Hinblick auf die Ausführungen des beklagten Landes im zweiten Rechtszug ist noch
Folgendes auszuführen.
Der Anspruch des Klägers auf Zusatzurlaub im Umfang von drei Arbeitstagen folgt
aufgrund der im Zeitraum Januar bis November 2007 geleisteten 72
Bereitschaftsdienste in Nachtarbeit aus § 22 Abs. 6 TV-Ärzte/Hessen. Dies folgt
aus der Tarifnorm.
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen
geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der
maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften.
Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der
Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen
seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen
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seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen
Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der
Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm
zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse
nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge
weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls
auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität
denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt
derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten,
zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG vom 24.
September 2008 – 10 AZR 669/07, NZA 2009, 45; BAG vom 20. Februar 2008 – 10
AZR 597/06, AP Nr. 44 zu §§ 22, 23 BAT Zulagen; BAG vom 19. Januar 2000 – 4
AZR 814/98, BAGE 93, 229).
Bei der Wortlautauslegung ist zunächst vom allgemeinen Sprachgebrauch
auszugehen Der allgemeine Sprachgebrauch wird jedoch verdrängt, wenn die
Tarifparteien einen feststehenden Rechtsbegriff verwenden (vgl. BAG vom 13. Mai
2004 – 8 AZR 313/03, NZA 2004, 1184; BAG vom 25. September 1996 – 4 AZR
200/95, AP Nr. 218 zu §§ 22, 23 BAT 1975).
Der Wortlaut von § 22 Abs. 6 TV-Ärzte/Hessen setzt voraus, dass
Nachtarbeitsstunden geleistet wurden. Der Tarifvertrag definiert den Begriff
"Nachtarbeitsstunden" selbst nicht, sondern regelt lediglich in § 6 Abs. 5 TV-
Ärzte/Hessen, dass Nachtarbeit die Arbeit zwischen 21 Uhr und 6 Uhr ist.
In der Überschrift zu § 6 ArbZG findet sich der Begriff "Nachtarbeit". Weiterhin hat
der Arbeitsgeber gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG dem Nachtarbeitnehmer "für die
während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden" eine angemessene Zahl
bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür
zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Die Voraussetzungen von § 6 Abs.
5 ArbZG sind auch erfüllt, wenn der Arbeitnehmer nur im Rahmen von
sogenannter Arbeitsbereitschaft Nachtarbeit geleistet hat. Dieser Umstand kann
lediglich für die Bemessung der vom Arbeitgeber zu erbringenden
Ausgleichsleistung Bedeutung erlangen, nicht aber die Tatsache der Leistung von
Nachtarbeit selbst in Frage stellen (vgl. BAG vom 11. Februar 2009 – 10 AZR
770/07, NZA 2009, 272).
Weil der Wortlaut von § 22 Abs. 6 TV-Ärzte/Hessen dem von § 6 ArbZG entspricht,
müssen Nachtarbeitsstunden gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG als während der Nachtzeit
geleistete Arbeitsstunden angesehen werden. Dieser § 6 Abs. 5 ArbZG
entsprechende Tarifwortlaut legt zugleich nahe, dass § 22 Abs. 6 TV-Ärzte/Hessen
Ausfluss von § 6 Abs. 5 ArbZG ist, in welcher Vorschrift auf tarifvertragliche
Ausgleichsregelungen für während der Nachtzeit geleistete Arbeitsstunden
abgestellt wird (vgl. zur gleichlautenden Vorschrift des § 28 Abs. 3 TV-Ärzte/VKA
Hess. LAG vom 7. Mai 2009 – 9/11 Sa 240/08).
Ein entgegenstehender wirklicher Wille der Tarifvertragsparteien findet im Wortlaut
der Tarifnorm keinen Anklang und hat in der tariflichen Norm keinen Niederschlag
gefunden. Im Gegenteil enthält der Tarifvertrag anders als die Vorgängerregelung
im BAT keine ausdrückliche Einschränkung mehr. § 48 a Abs. 4 BAT sah im selben
Umfang wie § 22 Abs. 6 TV-Ärzte/Hessen Zusatzurlaub für Nachtarbeitsstunden
vor, enthielt jedoch in Abs. 6 S. 1 folgende Regelung:
"Bei Anwendung der Absätze 3 und 4 werden nur die im Rahmen der
regelmäßigen Arbeitszeit ... in der Zeit zwischen 20 Uhr und 6 Uhr
dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich geleisteten Überstunden berücksichtigt."
Bereitschaftsdienst wird nach § 6 Abs. 3 TV-Ärzte/Hessen außerhalb der
regelmäßigen Arbeitszeit abgeleistet. Dem Umstand, dass § 22 Abs. 6 TV-
Ärzte/Hessen keine Einschränkung enthält, wonach nur die im Rahmen der
regelmäßigen Arbeitszeit dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich geleisteten
Arbeitsstunden berücksichtigt werden dürfen, während zum Beispiel andere
tarifliche Regelungen (vgl. § 55 Abs. 2 TVöD BT-K) sie weiterhin enthalten, kann
jedenfalls nicht entnommen werden, dass es der wirkliche Wille der
Tarifvertragsparteien gewesen sei, den Anspruch auf Zusatzurlaub wie in der
Vorgängerregelung zu beschränken (vgl. Hess. LAG vom 7. Mai 2009 a. a. O.).
Auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang lassen sich keine Anhaltspunkte
für einen entgegenstehenden (wirklichen) Willen der Tarifvertragsparteien
entnehmen. Sinn und der Zweck der Tarifnorm führen zu dem Ergebnis, dass sie
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entnehmen. Sinn und der Zweck der Tarifnorm führen zu dem Ergebnis, dass sie
Zusatzurlaub für besondere Belastungen gewähren will. Der Tarifvertrag regelt in §
22 Abs. 6 S. 3 TV-Ärzte/Hessen in welchen Fällen Nachtarbeitsstunden
unberücksichtigt bleiben, nämlich Nachtarbeitsstunden, die in Zeiträumen
geleistet werden, für die Zusatzurlaub für Wechselschicht- oder Schichtarbeit
zusteht, mithin ein Ausgleich für die besonderen Belastungen bereits geschaffen
worden ist. Andere Einschränkungen des Anspruchs auf Zusatzurlaub stellt der
Tarifvertrag nicht auf.
§ 22 Abs. 6 TV-Ärzte/Hessen enthält auch keine Vergütungsregelung. Diese finden
sich für alle Sonderformen der Arbeit in § 7 TV-Ärzte/Hessen. Damit indiziert der §
6 Abs. 5 ArbZG entsprechende Wortlaut von § 22 Abs. 6 TV-Ärzte/Hessen, dass die
Gewährung des Zusatzurlaubs eine Regelung des Arbeitsschutzes ist (vgl. Hess.
LAG vom 7. Mai 2009 a. a. O.). Auch § 6 Abs. 5 AZG stellt keine
Vergütungsregelung im engeren Sinne dar. Die Vorschrift ist vielmehr Bestandteil
des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes (vgl. BAG vom 24. September 2008 a. a.
O.). Sie begründet Ausgleichsansprüche für die mit der Nachtarbeit verbundenen
Belastungen, insbesondere gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Während des
Bereitschaftsdienstes geleistete Nachtarbeitsstunden sind anspruchsbegründend
im Sinne des § 22 Abs. 6 TV-Ärzte/Hessen. Hinzu kommt, dass Bereitschaftsdienst
nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 a ArbZG Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes
darstellt (vgl. EuGH Urteil vom 1. Dez. 2005 – AP Nr. 1 zu Richtlinie 93/104/EG;
BAG vom 16. März 2004 – 9 AZR 93/03, AP Nr. 2 zu § 2 ArbZG), was auch den
Tarifvertragspartnern anlässlich des Abschlusses des TV-Ärzte Hessen im Jahr
2006 bekannt war.
Im Hinblick auf dieses eindeutige Auslegungsergebnis sind weitere
Auslegungskriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages oder die
praktische Tarifübung nicht ergänzend hinzuziehen.
Dem Kläger steht gegen das beklagten Land jedoch lediglich gemäß §§ 22 Abs. 6,
21 TV-Ärzte/Hessen i. V. m. §§ 249 Abs. 1, 280 Abs. 1, 286 Abs. 1, 287 S. 2 BGB
ein Anspruch auf Gewährung eines Zusatzurlaubs von drei Tagen für das
Urlaubsjahr 2007 zu, den ihm das beklagte Land im Wege des Schadensersatzes
zu gewähren hat.
Der Kläger hat einen Schadensersatzanspruch auf Gewährung des Zusatzurlaubs
für das Jahr 2007, der verfallen ist. Der Zusatzurlaubsanspruch verfällt, wenn er
nicht innerhalb des laufenden Kalenderjahres oder bis zum Ablauf der
Übertragungszeiträume geltend gemacht und genommen bzw. angetreten worden
ist, da auf den Zusatzurlaub die Vorschriften über die Entstehung, Übertragung,
Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Erholungsurlaubs anzuwenden sind (§ 22
Abs. 6 S. 4, 22 Abs. 5, 21 TV-Ärzte/Hessen).
Der Anspruch ist daher spätestens am 31. Mai 2008 verfallen (§ 21 Abs. 2 Buchst.
b TV-Ärzte/Hessen). Das beklagte Land hat für die durch Zeitablauf eingetretene
Unmöglichkeit der Urlaubsgewährung einzutreten, weil es sich in Verzug befand.
Der Kläger hat den Zusatzurlaub in einer den Verzug des Arbeitgebers
begründenden Weise mit Schreiben vom 12. Dezember 2007 geltend gemacht.
Nach § 286 Abs. 1 BGB kommt ein Schuldner durch Mahnung in Verzug. Eine
Mahnung ist die eindeutige bestimmte Aufforderung an den Schuldner, die
geschuldete Leistung zu erbringen.
Eine solche eindeutige bestimmte Aufforderung ist in dem vorgenannten
Schreiben des Klägers zu sehen (vgl. BAG vom 24. September 2008 a. a. O.; BAG
Urteil vom 10. Mai 2005 – 9 AZR 251/04, AP Nr. 25 zu § 7 BUrlG Übertragung). Er
hat in dem Schreiben die Gewährung des Zusatzurlaubs für die im Jahr 2007
erbrachte Nachtarbeit gefordert.
Der Kläger hat mit diesem Schreiben allerdings nur für Teile des Zusatzurlaubs die
tarifliche Ausschlussfrist gewahrt.
Gemäß 30 TV-Ärzte/Hessen sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen,
wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit
von den Ärztinnen und Ärzten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht
werden, wobei jedoch für denselben Sachverhalt die einmalige Geltendmachung
des Anspruchs auch für später fällige Leistungen ausreicht.
Unter Berücksichtigung der vom Kläger erbrachten Bereitschaftsdienste hatte er
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Unter Berücksichtigung der vom Kläger erbrachten Bereitschaftsdienste hatte er
im Jahr 2007 einen Anspruch auf den ersten Tag Zusatzurlaub bereits Ende März
2007 erworben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er mehr als 150 Stunden während
der Nachtzeit Bereitschaftsdienst geleistet. Weitere Zusatzurlaubstage waren
aufgrund der jeweils geleisteten Bereitschaftsdienste zum 30. Juni, 31. August und
30. November 2007 fällig. Mit dem Geltendmachungsschreiben vom 12.
Dezember 2007 hat er die tarifliche Ausschlussfrist für den ersten
Zusatzurlaubstag nicht gewahrt, da dieser Anspruch bereits am 1. Oktober 2007
untergegangen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Parteien haben
gemäß dem Verhältnis ihres Obsiegens zu ihrem Unterliegen die Kosten zu
tragen.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, §
72 Abs. 2 ArbGG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.