Urteil des LAG Hessen vom 14.03.2011

LAG Frankfurt: betriebsrat, probezeit, anhörung, subjektiv, arbeitsgericht, geschäftsleitung, wartezeit, beschädigung, kündigungsfrist, mitteilungspflicht

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
16. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
16 Sa 1477/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 102 Abs 1 BetrVG
(Betriebsratsanhörung vor Erfüllung der Wartezeit des § 1
Abs. 1 KSchG)
Orientierungssatz
Eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber
den Betriebsrat wie folgt über die beabsichtigte Kündigung informiert: "Die
Geschäftsleitung möchte das Arbeitsverhältnis mit Herrn C. innerhalb der Probezeit
beenden. Objektive Kündigungsgründe liegen nicht vor."
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 13.
August 2010 – 2 Ca 146/10 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen
teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung
der Beklagten vom 25. März 2010 nicht aufgelöst wurde.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu einem Viertel und die Beklagte
zu drei Viertel zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung innerhalb
der Probezeit.
Die Beklagte ist ein Busunternehmen und beschäftigt 494 Arbeitnehmer. Bei der
Beklagten besteht seit dem 24. März 2010 ein Betriebsrat.
Der am XXX geborene, nicht verheiratete, zwei Kindern unterhaltsverpflichtete
Kläger war aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrags (Blatt 4 bis 8 der Akten) vom 01.
Oktober 2009 befristet bis 30. September 2010 als Busfahrer zu einer
Bruttomonatsvergütung von 1.744,00 € bei der Beklagten beschäftigt. Nach § 1
Abs. 1 S. 2 Arbeitsvertrag gelten die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses
als Probezeit.
Mit Schreiben vom 24. März 2010 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer
beabsichtigten ordentlichen Kündigung an (Blatt 34 der Akten). Dort heißt es:
"Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung
eines(r) Mitarbeiters(in) gemäß § 102 BetrVG
Sehr geehrte Damen und Herren,
es ist beabsichtigt, Herrn C. (...) innerhalb seiner Probezeit unter Einhaltung der
Kündigungsfrist zum 10. April 2010 zu kündigen.
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Kündigungsfrist zum 10. April 2010 zu kündigen.
Darlegung der Kündigungsgründe
Die Geschäftsleitung möchte das Arbeitsverhältnis mit Herrn C. innerhalb der
Probezeit beenden. Objektive Kündigungsgründe liegen nicht vor.
H, den 24.3.2010
B B, Geschäftsführer"
In seiner (konstituierenden) Betriebsratssitzung vom 24. März 2010 gab der
Betriebsratsvorsitzende die aus Blatt 35 der Akten ersichtliche Stellungnahme ab.
Mit Schreiben vom 25. März 2010 - zwischen den Parteien ist streitig ob dieses
Schreiben dem Kläger am 26. oder am 29. März 2010 zuging - kündigte die
Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 10. April 2010. Hiergegen hat sich
der Kläger mit seiner am 14. April 2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage
gewandt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei nach § 102 BetrVG
unwirksam. Eine ordnungsgemäße Beratung und Beschlussfassung des
Betriebsrats sei nicht erfolgt. Es hätten objektive Gründe für die Kündigung
vorgelegen, nämlich eine von der Beklagten behauptete Beschädigung eines
Busses seitens des Klägers, die dem Betriebsrat nicht mitgeteilt worden sei.
Wegen der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen
Vorbringens der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der
Entscheidung des Arbeitsgerichts, Blatt 63 bis 65 der Akten, Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat nach erfolgter Beweisaufnahme hinsichtlich des Zeitpunkts
des Zugangs der Kündigung die Klage abgewiesen. Eine ordnungsgemäße
Betriebsratsanhörung liege vor. Nach dem Vortrag der Beklagten sei die
Beschädigung des Busses zum Kündigungszeitpunkt noch nicht spruchreif
gewesen, weshalb diese nicht als Kündigungsgrund herangezogen worden sei. Es
sei auch nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte ohne Vorliegen eines deutlichen
Kündigungsgrundes das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit beenden wolle.
Entgegen der Ansicht des Klägers sei die reine Motivation zu einer Kündigung nicht
dem Betriebsrat mitzuteilen, soweit diese Motivation als Kündigungsgrund nicht
herangezogen werde.
Dieses Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 24. August
2010 zugestellt. Er hat dagegen mit einem am 24. September 2010 beim
Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt
und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf rechtzeitigen
Antrag hin bis zum 24. November 2010 am 23. November 2010 begründet.
Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass sich die Beklagte im Rahmen der
Anhörung nach § 102 BetrVG nicht auf die Mitteilung des bloßen Entschlusses zur
Kündigung innerhalb der Probezeit beschränken durfte. Sie hätte vielmehr den
Betriebsrat darüber informieren müssen, warum man das Arbeitsverhältnis nicht
fortsetzen wolle.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Marburg vom 13.08.2010 -2 Ca
146/10 - festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die
Kündigung der Beklagten vom 25.03.2010 nicht aufgelöst worden ist und zu
unveränderten Bedingungen über den 10.04.2010 hinaus bis zum 30.09.2010
fortbestanden hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es treffe nicht zu, dass sich die Beklagte in der Betriebsratsanhörung auf die
Mitteilung des Kündigungsentschlusses beschränkt habe. Bereits aus dem
Anhörungsschreiben ergebe sich mit aller Deutlichkeit der Kündigungsgrund.
Dieser bestehe darin, das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit unter
Einhaltung der Kündigungsfrist zum 10. April 2010 zu kündigen. Kündigungsgrund
sei damit die Beendigung innerhalb der Probezeit gewesen. Dem Betriebsrat sei
auch zutreffend mitgeteilt worden, dass objektive Kündigungsgründe nicht
vorlagen. Die (mangelhaften) Leistungen des Klägers und die Beschädigung des
Busses hätten insoweit keine Rolle gespielt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie Sitzungsprotokolle Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist statthaft, § 8 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz, § 511 Abs. 1 ZPO, § 64
Abs. 2a Arbeitsgerichtsgesetz. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden, § 66 Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz, § 519, § 520 ZPO und damit
insgesamt zulässig.
II.
Die Berufung ist überwiegend begründet.
Die Kündigung vom 25. März 2010 ist gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam,
weil sie ohne (ordnungsgemäße) Anhörung des Betriebsrats erfolgte. Im Betrieb
der Beklagten konstituierte sich am 24.3.2010 ein Betriebsrat, den die Beklagte
mit Schreiben vom 24.3.2010 zu der ordentlichen Kündigung des Klägers innerhalb
der Probezeit schriftlich anhörte (Blatt 34 der Akten).
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass ein
Arbeitgeber dem Betriebsrat die Kündigungsgründe auch dann im einzelnen
mitzuteilen hat, wenn das Arbeitsverhältnis nicht dem Kündigungsschutzgesetz
unterliegt (Bundesarbeitsgericht 6.11.2003 -2 AZR 690/02- BAGE 108, 269, Rn.
49). Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers bei der Betriebsratsanhörung gemäß §
102 BetrVG ist subjektiv determiniert. An die Mitteilungspflicht im
Anhörungsverfahren sind nicht dieselben Anforderungen zu stellen, wie an die
Darlegungs- und Beweislast in einem Kündigungsschutzprozess. Der Betriebsrat
ist ordnungsgemäß angehört worden, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat die
aus seiner Sicht subjektiv tragenden Gründe mitgeteilt hat. Kommen -aus Sicht
des Arbeitgebers- für eine Kündigung mehrere Sachverhalte und
Kündigungsgründe in Betracht, führt das bewusste Verschweigen eines von
mehreren Sachverhalten nicht zur Unwirksamkeit der Anhörung
(Bundesarbeitsgericht 16.9.2004 -2 AZR 511/03- AP Nr. 142 zu § 102 BetrVG
1972, Rn. 18). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellt der
Hinweis im Anhörungsschreiben "Trennung innerhalb der Probezeit" keine
ausreichende Mitteilung der Kündigungsgründe dar (Bundesarbeitsgericht
24.8.1983-7 AZR 475/81, Randnummer 23).
Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Beklagte den bei ihr bestehenden
Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört, da sie ihm die aus ihrer Sicht
subjektiv tragenden Kündigungsgründe nicht mitgeteilt hat. Bezogen auf den
Kündigungsgrund beinhaltete die Betriebsratsanhörung lediglich folgendes: "Die
Geschäftsleitung möchte das Arbeitsverhältnis mit Herrn C. innerhalb der
Probezeit beenden. Objektive Kündigungsgründe liegen nicht vor." Damit wird dem
Betriebsrat gerade nicht mitgeteilt, aus welchen subjektiven Erwägungen die
Beklagte dem Kläger kündigen will. Dass sich dieser noch in der Probezeit befindet
und objektive Kündigungsgründe nicht vorliegen, erklärt nicht warum die
streitgegenständliche Kündigung erfolgte. Auch wenn die Beklagte wegen der
Nichterfüllung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz durch den
Kläger keinen objektiven Kündigungsgrund benötigte, musste sie, um ihre sich aus
§ 102 Abs. 1 BetrVG ergebende Pflicht zu erfüllen, dem Betriebsrat die aus ihrer
Sicht (subjektiv) tragenden Kündigungsgründe mitteilen. Hierfür ist die Information,
dass objektive Kündigungsgründe nicht vorliegen, weder erforderlich noch
ausreichend. Erforderlich ist vielmehr die kurze Begründung, warum die Kündigung
aus der subjektiven Sicht der Beklagten erfolgte. Daran fehlt es. Nicht ausreichend
ist auch, dass im Betreff des Anhörungsschreibens die beabsichtigte Kündigung
als "betriebsbedingt" bezeichnet wurde. Zum einen stützt die Beklagte die
Kündigung nicht auf betriebsbedingte Gründe. Zum anderen steht dies im
Widerspruch zur erfolgten "Darlegung der Kündigungsgründe", wonach objektive
Kündigungsgründe, solche sind auch betriebsbedingte Gründe, nicht vorliegen.
Daher kann dahinstehen, ob der Betriebsratsvorsitzende mit seiner Erklärung vom
24. März 2010 (Blatt 35 der Akten) abschließend Stellung genommen hat.
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Im übrigen ist die Berufung unbegründet. Bei dem Bestandteil des Klageantrags
"und zu unveränderten Bedingungen über den 10. April 2010 hinaus fortbesteht"
handelt sich um einen allgemeinen Feststellungsantrag, für den ein besonderes
Feststellungsinteresse vorliegen muss. Die Feststellungsklage nach § 256 ZPO
setzt auch im Kündigungsschutzprozess ein besonderes Feststellungsinteresse
voraus. Dies besteht nicht schon deshalb, weil eine bestimmt bezeichnete
Kündigung ausgesprochen worden und wegen dieser einen
Kündigungsschutzrechtsstreit anhängig ist. Es ist vielmehr erforderlich, dass der
klagende Arbeitnehmer durch Tatsachenvortrag weitere streitige
Beendigungstatbestände in den Prozess einführt oder wenigstens deren
Möglichkeit darstellt und damit belegt, warum dieser, die Klage nach § 4 KSchG
erweiternde, Antrag zulässig sein, d. h. warum an der - noch dazu alsbaldigen -
Feststellung ein rechtliches Interesse bestehen soll (BAG 13.3.1997, NZA 1997,
844, 845).
Daran fehlt es hier. Der Kläger hat weder weitere Beendigungstatbestände
benannt, noch im einzelnen dazu vorgetragen, aus welchen Gründen er deren
Eintritt für möglich hält.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO,
IV.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.