Urteil des LAG Hessen vom 05.11.2010

LAG Frankfurt: arbeitsgericht, steuerbelastung, steuerberater, auszahlung, abfindungsbetrag, akte, einkünfte, zustellung, berufungsschrift, säumnis

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
3. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Sa 602/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 331a ZPO, § 251a Abs 2
ZPO, § 137 Abs 1 ZPO, § 280
Abs 1 BGB, § 249 BGB
Auszahlung einer Abfindung - Entscheidung nach
Aktenlage - Ersatz eines Steuerschadens
Leitsatz
Ein Urteil nach Lage der Akten setzt voraus, dass in einem vorangegangenen Termin
zur mündlichen Verhandlung Anträge gestellt wurden. Nicht ausreichend ist es, wenn
dem ersten Kammertermin lediglich eine Güteverhandlung vorangegangen ist.
Macht der Arbeitnehmer einen Steuerschaden geltend, weil der Arbeitgeber einen
Abfindungsbetrag abredewidrig noch im Vorjahr gezahlt hat, so hat er zur Darlegung
der Höhe seines Schadens einerseits darzulegen, wie hoch seine Steuerpflicht in den
beiden Jahren tatsächlich gewesen ist und andererseits, wie hoch diese fiktiv
ausgesehen hätte, wenn die Abfindung vereinbarungsgemäß im Folgejahr gezahlt
worden wäre.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 24.
März 2010 – 7 Ca 13/10 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um einen Anspruch auf Ersatz eines Steuerschadens im
Zusammenhang mit der Zahlung einer Abfindung.
Der Kläger war seit dem 01. Februar 2005 als Automobilverkäufer bei dem
Beklagten, der ein Autohaus unterhält, tätig.
Mit Schreiben vom 29. September 2008 sprach die Beklagte dem Kläger eine
betriebsbedingte Kündigung aus. Hiergegen erhob der Kläger
Kündigungsschutzklage. Am 17. November 2008 einigten sich die Parteien vor
dem Arbeitsgericht Kassel (3 Ca 437/08) auf die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2008. Unter Ziffer fünf des Vergleiches
vereinbarten die Parteien Folgendes:
„Unter Anrechnung der Ansprüche aus dem Sozialplan vom 23.09 / 09.10 zahlt
der Beklagte an den Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung in
Höhe von 10.000,00 Euro (in Worten: zehntausend 00/100 Euro) brutto. Die
Auszahlung des Betrages erfolgt am 03. Januar 2009“.
Wegen der weiteren Einzelheiten des gerichtlichen Vergleiches wird verwiesen auf
Bl. 4 d. A.
Der Beklagte wies den Abfindungsbetrag bei seiner Bank im Onlineverfahren am
23. Dezember 2008 zur Zahlung an. Die Wertstellung bei dem Konto des Klägers
erfolgte spätestens am 24. Dezember 2008.
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Der Kläger wandte sich außergerichtlich an einen Steuerberater. Mit Schreiben
vom 14. Dezember 2009 führte dieser aus, dass auf die Abfindung eine
Steuerbelastung in Höhe von 3.431,53 Euro entfallen sei. Bei Zahlung der
Abfindung erst im Januar 2009 ergebe sich voraussichtlich eine Steuerbelastung in
Höhe von insgesamt 448,73 Euro. Die Steuermehrbelastung betrage 2.982,80
Euro. Bei der Berechnung der Steuerbelastung in 2009 hat der Steuerberater
einen Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 500,00 Euro berücksichtigt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten dieses Schreibens wird verwiesen auf Bl. 5. d.
A. Mit Schreiben vom 29. Dezember 2009 erstellte der Steuerberater eine
Rechnung über 178,50 Euro (Bl. 6 d. A.).
Der Kläger nahm im Dezember 2009 im Autohaus des Beklagten Kfz-Leistungen
(Nachrüstung Dieselpartikelfilter etc.) in Anspruch. Diese Leistungen wurden dem
Kläger unter dem 30. Dezember 2009 mit 962,80 € in Rechnung gestellt.
Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Rechnung wird verwiesen auf Bl. 42 d. A.
Mit seiner Klageschrift vom 15. Januar 2010, dem Beklagten am 20. Januar 2010
zugestellt, begehrt der Kläger den Ersatz eines Steuerschadens in Höhe von
2.982,80 Euro sowie Erstattung der Steuerberatungsgebühren.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass der Beklagte zum Schadensersatz
verpflichtet sei. In Ziffer fünf des Vergleichs hätten die Parteien vereinbart, dass
die Zahlung der Abfindung am 03. Januar 2009 fällig sein sollte. Durch die
verfrühte Zahlung sei ein steuerlicher Schaden entstanden. Der Beklagte habe
nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt leisten dürfen. Die Parteien hätten der
Sache nach ein absolutes Fixgeschäft vereinbart. Für die Auslegungsregel des §
271 Abs. 2 BGB bestünde im vorliegenden Fall kein Raum. Der Kläger habe auch,
um den Schaden berechnen zu können, die Hilfe eines Steuerberaters in Anspruch
nehmen dürfen.
Der Kläger hat in der Klageschrift den Antrag angekündigt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 2.982,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Dezember 2009 sowie
178,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten ab Zustellung zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, dass der Kläger einen Anspruch auf Ersatz eines
Steuerschadens schon nicht schlüssig dargetan habe. Die Bescheinigung des
Steuerberaters sei zur Darlegung des Schadens nicht ausreichend. Es handele
sich hierbei offensichtlich um eine Schätzung, zudem sei das Steuerjahr 2009 zum
damaligen Zeitpunkt noch gar nicht abgeschlossen gewesen. Der Kläger habe im
Jahr 2009 weitere Einnahmen gehabt, nämlich mindestens Arbeitslosengeld
bezogen. Der Beklagte hat auch bestritten, dass die Steuerschuld mit einem
Steuerbescheid gemäß § 155 AO festgesetzt worden sei. Darüber hinaus hat er
die Auffassung vertreten, dass ein absolutes Fixgeschäft im vorliegenden Fall nicht
vereinbart gewesen sei. Vielmehr müsse die Regel des § 271 Abs. 2 BGB gelten.
Der Beklagte habe den Abfindungsbetrag auch rechtzeitig auf den Weg bringen
müssen, damit er am 03. Januar 2009 dem Konto des Klägers gutgeschrieben
werden konnte. Er habe daher zu Recht rechtzeitig, nämlich am 23. Dezember
2008, den Betrag zur Anweisung gebracht. Der Kläger sei für evtl. Schaden selbst
mitverantwortlich. Es hätte nämlich die Möglichkeit bestanden, dass der Kläger
den Betrag im Jahre 2008 zurück überweist. Erstmals mit Anwaltschreiben vom 18.
Dezember 2009 habe der Kläger den Auszahlungszeitpunkt moniert.
Ferner müssten Grund und Höhe der in Ansatz gebrachten
Steuerberatungskosten bestritten werden. Es sei mangels Vorlage der Anlage zur
Kostenrechnung vom 29. Dezember 2009 nicht ersichtlich, welche Tätigkeit
abgerechnet worden sei und ob ein Zusammenhang zu der streitgegenständlichen
Forderung bestünde. Der Beklagte hat ferner mit Nichtwissen bestritten, dass der
Steuerberater für die vorgelegt Steuerauskunft zwei Zeitstunden aufgewendet hat.
Hilfsweise hat der Beklagte die Aufrechnung mit der Werklohnforderung gegenüber
dem Kläger in Höhe von 962,88 Euro erklärt.
Am 04.Februar 2010 fand eine Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht statt. In
dem daraufhin anberaumten Kammertermin am 11. März 2010 ist für den Kläger
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dem daraufhin anberaumten Kammertermin am 11. März 2010 ist für den Kläger
niemand erschienen. Auf Antrag des Beklagten hat das Arbeitsgericht nach Lage
der Akten entschieden.
Das Arbeitsgericht hat zunächst die Voraussetzungen für ein Urteil nach Lage der
Akten bejaht, da bereits in dem vorangegangenen Gütetermin verhandelt worden
sei. In der Sache habe die Klage keinen Erfolg. Der Schadensersatzanspruch des
Klägers scheitere schon daran, dass es ihm nicht gelungen sei, den
haftungsausfüllenden Tatbestand eines Schadensersatzanspruches, also die
Schadenshöhe, schlüssig darzulegen. Der Kläger hätte eine steuerliche
Vergleichsrechnung mit sämtlichen für die Bemessung einer Steuerschuld
erforderlichen Angaben vorlegen müssen. Hierzu hätten sämtliche in 2008 sowie in
2009 erzielten Einnahmen sowie die die Steuerschuld mindernden Positionen, wie
etwa Werbungskosten oder Sonderausgaben, vorgetragen werden müssen. Das
Schreiben des Steuerberaters vom 14. Dezember 2009 sei ungenügend und
beruhe offensichtlich auf einer Prognoseentscheidung. Schließlich seien auch die
Steuerberatungsgebühren nicht zu ersetzen. Die Gebührenrechnung sei nicht
nachvollziehbar, es sei schon nicht ersichtlich, was genau mit der Rechnung des
Steuerberaters abgerechnet worden sei. Bezüglich der weiteren Einzelheiten des
Urteils wird verwiesen auf Bl. 54 bis 58 d. A.
Dieses Urteil ist dem Kläger am 29. März 2010 zugestellt worden. Die
Berufungsschrift ist bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht am 22. April 2010
eingegangen und wurde mit bei Gericht am 27. Mai 2010 eingegangenem
Schriftsatz auch begründet.
Der Kläger meint, dass ein Urteil nach Lage der Akte bereits nicht hätte ergehen
dürfen. Der Sachverhalt sei zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils nicht
hinreichend geklärt gewesen. Das Arbeitsgericht hätte prozessleitend bei dem
zuständigen Finanzamt die amtlichen Unterlagen anfordern müssen. Auch
mangele es an einer mündlichen Verhandlung, der Gütetermin sei als eine solche
Verhandlung nicht anzusehen. Der Kläger hat ferner unter Bezugnahme auf den
vorgelegten Steuerbescheid des Finanzamtes A in B vom 25. März 2010 für das
Jahr 2009 erklärt, dass er aus einem Gewerbebetrieb im Jahre 2009 negative
Einkünfte in Höhe von 538,00 Euro erwirtschaftet habe. Aus einem Abgleich im
Zusammenhang mit den Ausführungen im Schreiben des Steuerberaters vom 14.
Dezember 2009 könne daher die vom Kläger mit der Klage geltend gemachte
Steuermehrbelastung in Höhe von 2.982,80 Euro nachvollzogen werden.
Der Kläger stellt den Antrag,
das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 24. März 2010, Az. 7 Ca 13/10,
abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an ihn 2.982,80 Euro nebst Zinsen
in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Dezember
2009 sowie 178,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten ab Zustellung
zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel
zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und meint, dass ein Urteil nach Lage der
Akte habe ergehen dürfen. Die vom Kläger in erster Instanz angeregte
Anforderung der Steuerunterlagen beim Finanzamt durch das Gericht sei nicht
ausreichend, um einen Steuerschaden schlüssig zu belegen. Soweit nunmehr der
Steuerbescheid 2009 vorgelegt wird, sei dieser Vortrag als verspätet nicht mehr
zuzulassen. Darüber hinaus werde die Richtigkeit des Steuerbescheides bestritten.
Es sei auffällig, dass die Renteneinkünfte des Klägers sowie der Bezug von
Lohnersatzleistungen wie Arbeitslosengeld nicht berücksichtigt worden seien. Er
bestreitet auch mit Nichtwissen, dass der Kläger im Jahr 2009 überhaupt einen
Gewerbebetrieb geführt und hieraus negative Einkünfte von 538,00 Euro erzielt
habe.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend Bezug
genommen auf sämtliche gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die
Sitzungsniederschriften.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft und begegnet hinsichtlich des Wertes
des Beschwerdegegenstandes keinen Bedenken (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 b ArbGG).
Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt (§§ 519, 520 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 5
ZPO, 66 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz ArbGG) und innerhalb der zweimonatigen
Berufungsbegründungsfrist auch rechtzeitig begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1, 2.
Halbsatz ArbGG).
II. Die Berufung ist aber unbegründet.
1. Das erstinstanzliche Urteil leidet zunächst allerdings an einem
Verfahrensmangel. Die Voraussetzungen für ein Urteil nach Lage der Akten nach
§§ 331 a, 251 a Abs. 2 ZPO lagen nicht vor. Eine Zurückverweisung nach § 68
ArbGG hat allerdings zu unterbleiben, vielmehr hat das Landesarbeitsgerichts
selbst in der Sache zu entscheiden.
§ 331 a Satz 2 ZPO verweist auf die Vorschrift des § 251 a Abs. 2 ZPO. Nach § 251
a Abs. 2 Satz 1 ZPO darf ein Urteil nach Lage der Akte nur ergehen, wenn in einem
früheren Termin mündlich verhandelt worden ist. Ob die Erörterung der Parteien im
Gütetermin als ein „Verhandeln“ in diesem Sinne aufgefasst werden kann, ist
streitig (
). Die Gegenauffassung betont, dass
nach §§ 137 Abs. 1 ZPO, 297 ZO die mündliche Verhandlung grundsätzlich mit
dem Stellen der Anträge beginnt. Es müsse aus Gründen der prozessualen
Klarheit feststehen, welcher Antrag der Sachentscheidung des Gerichtes zugrunde
liegt. Dies habe jedenfalls im Falle der Säumnis des Klägers zu gelten, da der
Kläger mit seinen Antrag den Streitgegenstand bestimmt (
). Dem folgend wird in der
Rechtsprechung und der Literatur verbreitet der Erlass eines Urteils nach
Aktenlage abgelehnt, wenn der mündlichen Verhandlung, in der die Säumnis
auftritt, nur ein Gütetermin vorangegangen ist, in dem keine Sachanträge gestellt
wurden (
).
Die Kammer schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Das BAG hat
zutreffend herausgestellt, dass die mündliche Verhandlung im Sinne der
Säumnisvorschriften mit dem Stellen der Anträge gemäß § 137 Abs. 1 ZPO
beginnt. Die Gegenauffassung verweist zwar im Grundsatz zu Recht darauf, dass
nach § 54 Abs. 1 ArbGG „die mündliche Verhandlung … mit einer Verhandlung vor
dem Vorsitzenden zum Zwecke der gütlichen Einigung (Güteverhandlung)
beginnt“. Die Güteverhandlung und die Kammerverhandlung bilden daher eine
Einheit. Damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt, welche Qualität diejenige
mündliche Verhandlung aufweisen muss, die einer Verhandlung, bei der ein Urteil
nach Lage der Akten ergehen soll, vorausgegangen ist. Auch die Vertreter der
Gegenauffassung betonen vielfach, dass nicht jede Art von vorangegangener
mündlicher Erörterung ausreicht, sondern die Parteien müssten ausreichende
Gelegenheit zur Stellungnahme in der Sache gehabt haben, um eine hinreichende
Entscheidungsreife des Rechtsstreits herbeizuführen (
). Das BAG hat unmissverständlich
festgestellt, dass nicht „irgendeine“ vorausgegangene Erörterung der Sache
ausreichend im Sinne von § 251a bs. 2 ZPO ist. Es muss schon aus Gründen der
Begrenzung des Streitgegenstandes und wegen § 308 ZPO hinreichend klar sein,
über welchen Antrag des Klägers entschieden werden soll. Der Meinung, dass jede
aktive Teilnahme an der Erörterung des Sach- und Streitstandes als ein
Verhandeln im Sinne der Säumnisvorschriften anzusehen sei, hat das BAG damit
eine Absage erteilt. Zwar betrafen die Erwägungen, die das BAG in seinem Urteil
angestellt hat, die Frage einer Säumnissituation vor dem Berufungsgericht und
nicht eine vorangegangene Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht. Diese
Erwägungen sind jedoch verallgemeinerungsfähig und auch auf die
Säumnissituation vor dem Arbeitsgericht nach vorangegangener Güteverhandlung
zu übertragen ( ). Damit
wird auch ein Gleichlauf mit der Rechtslage im Zivilprozess hergestellt. Auch dort
wird darauf abgestellt, ob zuvor die Sachanträge gestellt wurden, eine
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wird darauf abgestellt, ob zuvor die Sachanträge gestellt wurden, eine
vorausgegangene Güteverhandlung nach § 278 Abs. 2 ZPO wird nicht als
ausreichend angesehen (
).
Damit liegt an sich ein Verfahrensverstoß vor. Wegen § 68 ArbGG kommt eine
Zurückverweisung im vorliegenden Fall allerdings nicht in Betracht. Nach dieser
Vorschrift ist die Zurückverweisung unzulässig wegen eines Mangels im Verfahren
des Arbeitsgerichtes. Nach dem Zweck dieser Norm soll der Verlust eines
mangelfreien Verfahrens vor dem Arbeitsgericht durch die Beschleunigung des
Verfahrens insgesamt aufgewogen werden. Das Zurückverweisungsverbot gilt im
Interesse des für alle Parteien geltenden Beschleunigungsgrundsatzes. Das
Zurückverweisungsverbot gilt auch bei schwersten Verfahrensfehlern, so zum
Beispiel bei einer unzulässigen Alleinentscheidung durch den Vorsitzenden, einer
Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, einer Tenorierung, die keinen
vollstreckbaren Inhalt erkennen lässt oder wenn über die gestellten Anträge hinaus
gegangen wird (
).
Nach diesen Grundsätzen ist eine Zurückverweisung des Rechtsstreites an das
Arbeitsgericht im vorliegenden Fall nicht geboten. Zwar hat das LAG Bremen (
.) eine Zurückverweisung in einem Fall angenommen, in dem in der ersten
Instanz ein Urteil nach Aktenlage ergangen ist, obgleich lediglich eine
Güteverhandlung vorangegangen ist. Das Gericht stütze sich dabei auf eine
entsprechende Anwendung von § 538 Abs. 2 Ziffer 2 und 6 ZPO (
). Im Unterschied zu der dem LAG Bremen
unterbreiten Sachverhaltskonstellation hat der Kläger hier in der Berufungsinstanz
seinen Sachantrag aber wiederholt. Zumindest in zweiter Instanz war somit
keineswegs zweifelhaft, welchen Sachantrag der Kläger stellen wollte und über was
das Arbeitsgericht entschieden hat. Welchen Streitgegenstand das Arbeitsgericht
zu Grunde legte, ergibt sich auch aus dem Tatbestand des Urteils, wo der
angekündigte Sachantrag aufgeführt ist. Nach alledem bestehen im Rahmen des
dem Berufungsgericht bei einer Zurückweisung nach § 68 ArbGG in jedem Fall
zustehenden Ermessens keine überzeugenden Anhaltspunkte, den Rechtsstreit
erneut in die erste Instanz zurückzuverweisen. Entscheidend kann dabei
insbesondere auch nicht sein, dass der Kläger bei einer Zurückverweisung noch
mehr Zeit gehabt hätte, seinen Anspruch näher zu begründen. Denn einen
generellen Anspruch auf zwei Instanzen gibt es nicht. Im Übrigen bestand im
Rahmen des Berufungsverfahrens ausreichend Gelegenheit, zur Sache
vorzutragen.
2. Der Kläger kann nicht Zahlung einer Schadensersatzanspruches in Höhe von
2.982,80 Euro von dem Beklagten verlangen. Die Voraussetzungen für einen
Schadensersatzanspruch liegen nicht vor, da der Kläger die Höhe seines Schadens
nicht ausreichend darlegen konnte.
a) Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch wegen vorzeitig
ausgezahlter Abfindung wären die §§ 280 Abs. 1, 249 BGB i. V. m. Ziffer fünf des
gerichtlichen Vergleichs vom 17. November 2008. Der Beklagte hat zunächst
entgegen der Regelung in Ziffer 5 des gerichtlichen Vergleiches vom 17.
November 2008 den Abfindungsbetrag in Höhe von 10.000,00 Euro nicht erst am
03. Januar 2009 ausgezahlt, sondern bereits noch im Jahre 2008 zu einem
früheren Zeitpunkt. Es ist anerkannt, dass der Arbeitgeber auch zum Ersatz eines
Steuerschadens gegenüber dem Arbeitnehmer verpflichtet sein kann (
). Dem Kläger geht es im vorliegenden Fall nicht um steuerliche
Nachteile, die, wie dies häufiger vorkommen mag, durch eine verspätete
Lohnzahlung durch den Arbeitgeber entstanden sind. Es geht ihm umgekehrt
darum, dass der Beklagte die Abfindung zu früh gezahlt hat.
Eine Pflichtwidrigkeit des Beklagten lag hier vor. Entgegen der Auffassung des
Beklagten hat dieser sich vereinbarungswidrig verhalten, indem er den
Abfindungsbetrag nicht am 03. Januar 2009 auszahlte. Auf das Urteil des LAG
Bremen vom 03. November 2005 ( ) kann er
sich nicht stützen, weil der Sachverhalt nicht vergleichbar ist. In der diesem Urteil
zugrunde liegenden Sachverhaltskonstellation war zwischen den Parteien
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zugrunde liegenden Sachverhaltskonstellation war zwischen den Parteien
vereinbart worden, dass die Abfindung „zum 01. Januar 2004“ fällig werden sollte.
Im vorliegenden Fall haben die Parteien hingegen vereinbart, dass die Auszahlung
des Betrages am 03. Januar 2009 erfolgen sollte. Die Formulierung, die die
Parteien im vorliegenden Fall gewählt haben, ist wesentlich klarer und lässt vom
Wortlaut keinen Spielraum für Interpretationen. Auch auf § 271 Abs. 2 BGB kann
sich der Beklagte nicht mit Erfolg stützen. Richtig ist zwar grundsätzlich, dass der
Gläubiger vor Fälligkeit leisten darf. § 271 Abs. 2 BGB ist aber unanwendbar, wenn
der Gläubiger durch die Vorausleistung in seinen rechtlich geschützten Interessen
beeinträchtigt wird oder sich dies aus den Umständen ergibt (
). Im
vorliegenden Fall wurden durch die vorfristige Zahlung der Abfindung die
schutzwürdigen Interessen des Klägers dadurch beeinträchtigt, dass ihm
steuerliche Nachteile erwachsen konnten. Dass dies von vornherein nicht in
Betracht kam, kann nicht angenommen werden. Die Parteien haben bewusst den
Fälligkeits- und Auszahlungszeitpunkt der Abfindung geregelt und in das nächste
Jahr verlegt. Es ist daher keineswegs so, dass durch die vorzeitige Auszahlung
keinerlei Interessen der Klägerseite beeinträchtigt werden konnten.
b) Ein Schadensersatz kann dem Kläger dennoch nicht zugesprochen werden, weil
er die Höhe seines Schadens nicht substantiiert dargelegt hat (§ 249 Abs. 1 BGB).
Die Darlegungs- und Beweislast für die Höhe des eingetretenen Schadens trägt
nach allgemeinen Grundsätzen der Geschädigte. Dies gilt auch für die Berechnung
eines Steuerschadens ( ).
Die Feststellung eines Schadens erfolgt nach der so genannten
Differenzhypothese in einem Vergleich zwischen zwei Vermögenszuständen. Bei
dem Geschädigten ist ein Schaden dann eingetreten, wenn er ohne das
schädigende Ereignis besser gestanden hätte, als er bei Beachtung der
schädigenden Handlung tatsächlich steht. Macht der Kläger den Eintritt eines
Steuerschadens geltend, so bedeutet dies, dass er einerseits darzulegen hat, wie
seine tatsächliche Steuerbelastung in den Jahren 2008 und 2009 bei
Berücksichtigung der im Jahre 2008 nach dem „Zuflussprinzip“ (§ 11 Abs. 1 Satz
1, § 38 Abs. 2 Satz 2, § 38 a Abs. 1 EStG) in diesem Jahr zu berücksichtigenden
Abfindung ausgesehen hat. Andererseits muss der Kläger fiktiv seine Steuerlast
für die Jahre 2008 und 2009 für den Fall darstellen, dass die Abfindung ihm
vereinbarungsgemäß erst im Januar 2009 ausgezahlt worden und nach dem
„Zuflussprinzip“ im Jahre 2009 zu versteuern gewesen wäre. Wenn der Kläger in
der letzten Alternative insgesamt steuerlich günstiger dastehen würde, als er bei
der tatsächlichen Zahlung im Jahre 2008 dasteht, besteht in dieser Differenz der
Steuerschaden (
).
Gemessen an diesen Anforderungen ist es dem Kläger nicht gelungen,
substantiiert den Eintritt eines Steuerschadens darzulegen. In erster Linie stützt er
sich auf die Erklärung des Steuerberaters vom 14. Dezember 2009. Bei der
Erklärung des Steuerberaters handelt es sich um eine Privaturkunde, der nach §
416 ZPO kein inhaltlicher Beweiswert zukommt. Die Vorlage einer Bestätigung
einer sachverständigen Person im Prozess ist jedoch im Rahmen von § 286 ZPO
mit zu würdigen. Die Berufung auf Aussagen von sachverständigen Personen dient
in aller Regel dazu, den eigenen Parteivortrag zu untermauern bzw. schlüssig zu
machen ( ). Im
vorliegenden Fall ist die Erklärung des Steuerberaters aber aus mehreren Gründen
nicht hinreichend. Zunächst geht der Steuerberater selbst von einer Schätzung
aus. Dies ergibt sich unzweifelhaft zum einen daraus, dass er für das Jahr 2009
eine „voraussichtliche“ Steuerbelastung zu Grunde legt. Ferner war am 14.
Dezember 2009, als die Erklärung abgegeben wurde, das Steuerjahr 2009 noch
nicht abgelaufen. Zum anderen lässt sich rechnerisch nicht nachzuvollziehen,
weshalb der Steuerberater auf die von ihm zu Grunde gelegten Beträge kommt.
Der Kläger hat allerdings im Berufungsverfahren mit der
Berufungsbegründungsschrift den Steuerbescheid 2009 vorgelegt. Hieraus
ergeben sich negative Einkünfte in Höhe von 1.846,00 Euro. Damit hat er seine
tatsächliche Steuerbelastung für das Jahr 2009 dargelegt. Erst im Termin zur
mündlichen Verhandlung vom 05. November 2010 hat er aber durch die Vorlage
des Steuerbescheids für das Jahr 2008 substantiiert zu seiner tatsächlichen
Steuerbelastung 2008 (unter Berücksichtigung des Zuflusses der Abfindung in
diesem Jahr) Stellung genommen. Insoweit ist dieses neue Vorbringen jedoch als
verspätet zurückzuweisen.
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Nach § 67 Abs. 4 ArbGG sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, sofern sie
zulässiger Weise überhaupt in das Berufungsverfahren eingeführt werden durften,
jedenfalls spätestens mit der Berufungsbegründungsschrift vorzubringen. Werden
sie später vorgebracht, sind sie nur zuzulassen, wenn sie nach der
Berufungsbegründung oder der Berufungsbeantwortung entstanden sind oder das
verspätete Vorbringen nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichtes
die Erledigung des Rechtsstreites nicht verzögern würde oder nicht auf
Verschulden der Partei beruht. Es ist nicht ersichtlich, dass der
Lohnsteuerbescheid für das Jahr 2008 erst nach dem Erlass des erstinstanzlichen
Urteils dem Kläger vorlag. Auch ein Verschulden kann hier nicht ausgeschlossen
werden. Auf Nachfrage gab die Klägerseite an, dass sie zunächst davon
ausgegangen sei, dass das vorgelegte Testat des Steuerberaters ausreichend
gewesen sei. Dies hat der Kläger aber schon deshalb nicht annehmen dürfen, weil
das erstinstanzliche Urteil das Schreiben des Steuerberaters ausdrücklich als nicht
hinreichend wertete. Bei Zulassung des neuen Angriffsmittels wäre der
Rechtsstreit auch verzögert worden. Es wäre dem Beklagten nicht zumutbar
gewesen, hierauf ohne weiteres in der mündlichen Verhandlung zu reagieren.
Daher wäre zur Gewährung rechtlichen Gehörs ein Fortsetzungstermin erforderlich
gewesen. Ein Ermessensspielraum steht dem Gericht bei Anwendung des § 67
Abs. 4 ArbGG nicht zu. Bei Vorliegen der Voraussetzungen ist das verspätete
Vorbringen obligatorisch zurückzuweisen (
).
Darüber hinaus mangelt es beim Sachvortrag des Klägers noch an einem weiteren
Punkt: Der Kläger hat zwar vorgetragen, dass bei Zufluss der Abfindung noch im
Jahre 2008 hierauf Steuern in Höhe von 3.431,53 Euro entfallen sind. Er hat aber
nicht deutlich gemacht, wie seine steuerliche Situation fiktiv in den Jahren 2008
und 2009 ausgesehen hätte, wenn die Abfindung tatsächlich erst im Jahre 2009
zur Auszahlung gekommen wäre. Erst aus dem Vergleich der beiden
Vermögensverhältnisse lässt sich ein möglicher Steuerschaden berechnen. Wie
die Steuerbelastung konkret ausgesehen hätte in den Jahren 2008 und 2009, wenn
die Abfindung erst im Jahre 2009 gezahlt wurde, hat der Kläger jedoch nicht
substantiiert dargelegt. Unzureichend ist in diesem Zusammenhang, wie schon
oben ausgeführt, die Erklärung des Steuerberaters vom 14. Dezember 2009, weil
nicht ersichtlich ist, wie er rechnerisch auf die dort angenommenen Beträge
kommt. Angaben zu Freibeträgen, Werbungskosten etc. sind nicht enthalten.
Zumindest nach Bestreiten der Gegenseite ist es nicht ausreichend, nur das
Ergebnis einer umfangreichen Berechnung vorzutragen, ohne deren Grundlagen
offen zu legen. Dem Beklagten war es nicht möglich, sich hierzu mangels Kenntnis
der einzelnen Positionen näher einzulassen.
Einer Beweiserhebung bedurfte es nicht. Der Kläger hatte bereits erstinstanzlich
beantragt, dass das Gericht nach § 432 ZPO bei dem Finanzamt B die amtlichen
Unterlagen anfordern sollte, ferner hat es sich auf das Zeugnis des zuständigen
Sachbearbeiters „C beim Finanzamt B berufen. Abgesehen davon, dass der
Zeugenbeweisantritt nicht hinreichend bestimmt ist, würde es sich um eine
unzulässige Ausforschung handeln. Es ist nicht Sache des Gerichtes, einen
Schadensersatzanspruch durch Hinzuziehung von Unterlage dritter Seite erst
schlüssig zu machen. Zeugen oder Unterlagen Dritter können einen
Tatsachevortrag bestätigen, diesen aber nicht ersetzen.
3. Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Ersatz der
Steuerberatungskosten in Höhe von 187,50 Euro zu. Ein solcher Anspruch ergibt
sich nicht aus § 670 BGB.
Allerdings kann dem Geschädigten nach § 670 BGB ein Anspruch auf Ersatz der
Kosten für die Einschaltung einer Steuerberatungsgesellschaft zustehen, soweit
dies zur notwendigen Rechtsverfolgung zur Schadensabwendung vernünftig und
zweckmäßig war (
). Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass er dem Grunde nach wegen
der verfrühten Zahlung der Abfindung einen billigenswerten Anlass hatte, einen
Steuerberater hinzuzuziehen. Der Kläger hat jedoch die Höhe des
Erstattungsanspruches auch hier nicht hinreichend dargelegt.
Er hat zunächst die Rechnung des Steuerberaters vom 29. Dezember 2009 im
Prozess vorgelegt. Der Beklagte hatte diese allerdings bereits erstinstanzlich
bestritten und darauf hingewiesen, dass aus der Rechnung nicht ersichtlich sei,
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bestritten und darauf hingewiesen, dass aus der Rechnung nicht ersichtlich sei,
welche konkreten Tätigkeiten abgerechnet worden sind und ob ein
Zusammenhang zur klagegegenständlichen Forderung besteht. Er hat ferner den
Anfall von zwei Zeitstunden für diese Angelegenheit mit Nichtwissen bestritten. Ein
Bestreiten mit Nichtwissen ist im vorliegenden Fall nach § 138 Abs. 4 ZPO auch
möglich. Bei dieser Ausgangslage wäre es Sache des Klägers gewesen, seinen
Anspruch auf Aufwendungsersatz inhaltlich zu konkretisieren und ggf. geeignete
Beweise anzutreten. Dazu hätte gerade auch vor dem Hintergrund Veranlassung
bestanden, dass das Arbeitsgericht auch diesen Teil der Klageforderung bereits
zurückgewiesen hatte. Hiermit hatte sich der Kläger in der Berufungsschrift aber
nicht mehr näher auseinandergesetzt.
III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat
die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nach § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vor.
Die Kammer sieht die Frage, ob ein Urteil nach Aktenlage ergehen darf, wenn
zuvor keine streitige Verhandlung mit einer Antragstellung stattgefunden hat,
durch die Entscheidung des BAG vom 04.12.2002 ( ) als
geklärt an. Eine Divergenz zu dem Urteil des LAG Bremen vom 25.06.2003 (
) liegt ebenfalls nicht vor, weil die Sachverhalte nicht gleichgelagert
sind.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.