Urteil des LAG Hessen vom 24.02.2010
LAG Frankfurt: dienstvertrag, eigenes verschulden, lohnfortzahlung, grobe fahrlässigkeit, arbeitsunfähigkeit, krankengeld, arbeiter, arbeitsgericht, tarifvertrag, hessen
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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
6. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 Sa 304/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 77 BetrVG, § 11 BUrlG, § 34
Abs 8 BMT-G 2, § 67 Nr 40
BMT-G 2
(Betriebsvereinbarung, Krankengeldzuschuss,
Zeitkollisionsregel)
Orientierungssatz
Ein auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung in einen Zusatz zum Arbeitsvertrag
(vertragliche Einheitsregelung) gewährter Krankengeldzuschuss kann durch eine
nachfolgende Betriebsvereinbarung abgelöst werden.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 25.
November 2008 – 6 Ca 310/08 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Ansprüche des Klägers auf Krankengeldzuschuss.
Der am XX.XX.19XX geborene Kläger ist seit dem 01. März 1984 bei der Beklagten
als Straßenbahnfahrer beschäftigt.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundesmanteltarifvertrag für die
Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) in der jeweiligen
Fassung nebst den diesen Tarifvertrag ersetzenden tariflichen Regelungen
Anwendung.
Zum Zeitpunkt der Einstellung des Klägers galt bei der Beklagten die
Betriebsvereinbarung Nr. 33 (zusätzlicher Kleiner Dienstvertrag) vom 03. April
1959 (im Weiteren: Betriebsvereinbarung Nr. 33), die auszugsweise wie folgt
lautet:
„…
I.
a) Vorweg wird festgestellt, dass sich die Beteiligten darüber einig sind, dass
bereits seit dem 01. Januar 1947 in den beiden Betrieben eine Handhabung
besteht, wonach die Bediensteten das Fahrdienstes in den sog. „Kleinen
Dienstvertrag“ übernommen werden können, sofern sie:
1.) Oberfahrer oder Oberschaffner sind,
2.) eine Firmendienstzeit von mindestens 15 Jahren erreicht haben.
…
II.
a) Die Übernahme in den kleinen Dienstvertrag ist an folgende Voraussetzungen
gebunden:
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1.) Die Bediensteten des sich aus Ziffer I. d) ergebenden Personenkreis können
neben ihrem normalen Arbeitsvertrag zusätzlich in den Kleinen Dienstvertrag
übernommen werden, wenn sie mindestens eine ununterbrochene
Firmendienstzeit von 15 Jahren zurückgelegt haben. …
e) Im Falle einer durch Unfall oder Krankheit verursachten Arbeitsunfähigkeit,
sofern diese nicht vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt ist,
wird den Bediensteten im Kleinen Dienstvertrag der Lohn für längstens 16 Wochen
innerhalb eines Kalenderjahres weiter gezahlt. Im Übrigen gelten die
tarifvertraglichen Vorschriften, diese insbesondere für die Zeit von der 17. bis zur
26. Woche des Bezuges von Krankenlohnzuschuss innerhalb eines
Kalenderjahres.“
Wegen des sonstigen Inhalts der Betriebsvereinbarung Nr. 33 wird im Übrigen
Bezug genommen auf Bl. 20 - 25 der Parallelakte 6 Sa 873/09.
Unter dem 13. Februar 1962 wurden Nachtrags-Änderungen und Ergänzungen zur
Betriebsvereinbarung Nr. 33 (im Weiteren: Nachtragsänderung zur
Betriebsvereinbarung Nr. 33) zwischen den Betriebsparteien vereinbart, die
auszugsweise wie folgt lauten:
„In der Betriebs-Vereinbarung Nr. 33 vom 03. April 1949 werden folgende
Nachtragsänderungen bzw. Ergänzungen aufgenommen: …
2. Die in II. e) für die Weiterzahlung des Lohns im Krankheitsfalle festgesetzte Zeit
von längstens 16 Wochen wird ab dem 01. Februar 1962 geändert auf: „für
längstens 26 Wochen innerhalb eines Kalenderjahres“.
Wegen des sonstigen Inhalts der Nachtragsänderung zur Betriebsvereinbarung Nr.
33 wird auf Bl. 26 der Parallelakte 6 Sa 873/09 verwiesen.
Unter dem 04. August 1993 vereinbarten die Beklagte und der bei ihr bestehende
Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung „Kleiner Dienstvertrag“, die auszugsweise
wie folgt lautet:
„ Regelung im Kleinen Dienstvertrag:
…
Lohnfortzahlung:
Die Lohnfortzahlung wird wie folgt geregelt: Wird ein Betriebsangehöriger ohne
eigenes Verschulden infolge Krankheit oder Unfall arbeitsunfähig, hat er Anspruch
auf Lohnfortzahlung für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von 26
Wochen.
…
Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Wirkung vom 01. Juli 1993 in Kraft und löst die
Betriebsvereinbarung Nr. 33 ab.
Die bisherige Betriebsvereinbarung Nr. 33 und sämtliche sie betreffende
Nachträge, mit Ausnahme des Nachtrags vom 28. August 1989, sind bis
einschließlich 30. Juni 1993 gültig.
Die Betriebsvereinbarung kann mit einer Frist von 3 Monaten gekündigt werden.
Bei gesetzlichen oder tarifrechtlichen Änderungen erfolgt eine entsprechende
Anpassung der Betriebsvereinbarung zum Kleinen Dienstvertrag.“
Wegen des weiteren Inhalts der Betriebsvereinbarung „Kleiner Dienstvertrag“ vom
04. August 1993 wird Bezug genommen auf Bl. 27 - 29 d. A. Unter dem 26. Juli
1994 (Bl. 27 der Parallelakte 6 Sa 873/09) vereinbarten die Betriebsparteien einen
Nachtrag zur Betriebsvereinbarung vom 04. August 1993 „Kleiner Dienstvertrag“,
die lautet:
„Im Rahmen der Tarifverhandlungen 1994 wurde für die Angestellten, die ab 01. Juli
1994 eingestellt werden und unter die tarifliche Regelung des BAT fallen, eine neue
Vereinbarung über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle vereinbart. Die analoge
Regelung für Beschäftigte im Lohnverhältnis (BMT-G bzw. HLT) erfordert eine
Angleichung der Betriebsvereinbarung.
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Es wird vereinbart:
Die Betriebsvereinbarung gilt nur für Beschäftigte im Lohnverhältnis, deren
Beschäftigungsverhältnis spätestens am 30. Juni 1994 beginnt. Ausgenommen ist
die Regelung Sterbegeldberechnung.“
Unter dem 02. August 2004 (Bl. 30, 31 d. A.) wurde ein weiterer Nachtrag zur
Betriebsvereinbarung “Kleiner Dienstvertrag” vom 04. August 1993 vereinbart, der
auszugsweise wie folgt lautet:
„Die Regelungen zur Lohnfortzahlung werden mit Wirkung zum 01. September
2004 wie folgt neu gefasst:
Lohnfortzahlung:
1. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird wie folgt geregelt: Wird ein
Betriebsangehöriger ohne eigenes Verschulden infolge Krankheit oder Unfall
arbeitsunfähig, wird für die ersten sechs Wochen ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit
Lohnfortzahlung geleistet. Danach wird der Differenzbetrag zwischen
Nettokrankengeld aus einer gesetzlichen oder privaten Krankenkasse und der
Lohnfortzahlung für 20 Wochen gezahlt.
…
5. Der vereinbarte Anspruch auf Lohnfortzahlung ist subsidiär zu dem Anspruch
auf Krankengeld. Das Krankengeld wird grundsätzlich auf die Höhe des
Lohnfortzahlungsanspruchs angerechnet (Differenzbetrag). Die monatliche
Nettozahlung an Arbeitsentgelt und an Krankengeld an den Mitarbeiter darf
zusammen das Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen (§ 49 (1) SGB V).
Gleichzeitig erhält der Mitarbeiter aber auch die Zusage, dass evtl. Differenzen bis
zum Nettoarbeitsentgelt ausgeglichen werden. Die Betriebsvereinbarung variable
Sondervergütung bleibt unberührt.
…
8. Auf den betrieblich vereinbarten Anspruch auf Lohnfortzahlung werden alle
tariflichen Leistungen für den Krankheitsfall angerechnet, z. B.
Krankengeldzuschuss, § 34 BMT-G II.
…“
Unter dem 21. Oktober 1999 (Bl. 25 - 26 d. A.) schlossen die Parteien einen sog.
„Kleinen Dienstvertrag“, der auszugsweise wie folgt lautet:
„Kleiner Dienstvertrag
§ 1
… Wird im Folgenden nichts anderes bestimmt, gelten für das Arbeitsverhältnis die
jeweiligen tarifvertraglichen (BMT-G) und betrieblichen Regelungen.
§ 2
Bei Arbeitsunfähigkeit, sowie Sie nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig
herbeigeführt ist, erhält der Werksangehörige den tariflich zustehenden
Monatslohn fortgezahlt, jedoch nur bis zur Höchstdauer von 26 Wochen innerhalb
von zwölf Monaten. Im Übrigen gelten die Bestimmungen des § 71 BAT.
…
§ 4
1. Der zusätzliche Arbeitsvertrag wird wirksam am 01. November 1999 01. Februar
1995.
2. Tarifvertragliche oder betriebliche Änderungen zu den §§ 1 - 3 dieses Vertrages
werden vom Tage ihrer Wirksamkeit Bestandteil dieses Arbeitsvertrages.
…“
Unter dem 28. Juni 2006 (Bl. 34 - 35 d. A.) wurde zwischen der Beklagten und dem
Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Neuregelung des Kleinen
Dienstvertrages abgeschlossen. Es wurde vereinbart, dass die
Betriebsvereinbarung mit Wirkung vom 01. Juli 2006 in Kraft tritt und die
Betriebsvereinbarung vom 04. August 1993 sowie den Nachtrag vom 02. August
2004 ablöst.
Tarifvertraglich ist der Anspruch auf Krankenbezüge für die bei der Beklagten
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Tarifvertraglich ist der Anspruch auf Krankenbezüge für die bei der Beklagten
beschäftigten Arbeiter noch in § 34 BMT-G II wie folgt geregelt:
„§ 34 Krankenbezüge
(1) Wird der Arbeiter durch Arbeitunfähigkeit infolge Krankheit an seiner
Arbeitsleistung verhindert ohne dass ihn ein Verschulden trifft, erhält er
Krankenbezüge nach Maßgabe der Absätze 2 - 9 …
(2) Der Arbeiter erhält bis zur Dauer von sechs Wochen Krankenbezüge in Höhe
des Urlaubslohns, der ihm zustehen würde, wenn er Erholungsurlaub hätte …
(3) Nach Ablauf des nach Absatz 2 maßgebenden Zeitraums erhält der Arbeiter
für den Zeitraum, für den ihm Krankengeld oder die entsprechende Leistungen
aus der gesetzlichen Renten- oder Unfallversicherung oder nach dem
Bundesversorgungsgesetz gezahlt werden, als Krankenbezüge ein
Krankengeldzuschuss …
(4) Der Krankengeldzuschuss wird bei einer Beschäftigungszeit (§ 6)
a) von mehr als einem Jahr, längstens bis zum Ende der 13. Woche
b) von mehr als drei Jahren, längstens bis zum Ende der 26. Woche
seit dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit, jedoch nicht über den Zeitpunkt der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus, gezahlt.
…
(8) Der Krankengeldzuschuss wird in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen
den tatsächlichen Barleistungen der Sozialversicherungsträger und dem
Nettourlaubslohn gezahlt. Nettourlaubslohn ist der um die gesetzlichen Abzüge
verminderte Urlaubslohn.
Als tatsächliche Barleistungen des Sozialversicherungsträgers gilt das
Bruttokrankengeld (also das Krankengeld vor Abzug der Beiträge zur Arbeitslosen-
und Rentenversicherung). Der Umstand, dass die Krankenkasse seit dem 01.
Januar 1984 nicht mehr das ungekürzte Krankengeld, sondern nunmehr den um
die Beträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung verminderten Betrag an
den Arbeitgeber auszahlen, führt zu keiner Anhebung des
Krankengeldzuschusses.“
Für die bei der Beklagten beschäftigten Angestellten ergibt sich der
Krankengeldzuschuss aus § 37 BAT. Diese Regelung entspricht der Regelung des §
34 BMT-G II hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlung des
Krankengeldzuschusses in § 37 Abs. 4 sowie hinsichtlich der Berechnung des
Krankengeldzuschusses gem. § 37 Abs. 8. Für Angestellte, die schon am 01. Juli
1994 in einem Arbeitsverhältnis zu Beklagten gestanden haben, gilt § 71 BAT.
Gemäß § 71 Abs. 3 BAT wird dabei als Krankenbezug die Urlaubsvergütung
gezahlt. Die Beklagte hat mit dem Kommunalen Arbeitgeberverband Hessen e.V.
und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di am 26. September 2007 einen
Landesbezirkstarifvertrag Nr. 29/2007 vereinbart (Bl. 191, 192 d. A.). Gemäß § 4
dieses Tarifvertrages werden die Regelungen des § 71 BAT ab dem 01. Oktober
2007 nicht mehr angewandt. Für die Angestellten, für die bis zum 30. September
2007 § 71 BAT gegolten hat, wird für die Dauer des über den 30. September 2007
hinaus ununterbrochen fortbestehenden Arbeitsverhältnisses abweichend von § 37
BAT der Krankengeldzuschuss in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem
festgesetzten Nettokrankengeld oder der entsprechenden gesetzlichen
Nettoleistung und der Nettourlaubsvergütung gezahlt. Dabei definiert der
Tarifvertrag, dass Nettokrankengeld das um die Arbeitnehmeranteile zur
Sozialversicherung reduzierte Krankengeld ist bzw. für Beschäftigte, die nicht der
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegen, der bei
der Berechnung des Krankengeldzuschusses festzusetzende Höchstsatz des
Krankennettogeldes bei Pflichtversicherung in einer gesetzlichen Krankenkasse.
Dieser Tarifvertrag tritt nach § 6 Ziffer 2 seiner Regelungen unabhängig von einer
Kündigung außer Kraft, wenn der Tarifvertrag TV Nahverkehr Hessen in Kraft tritt.
Der Kläger war arbeitsunfähig krank seit dem 29. Mai 2007 dauerhaft. Die
Entgeltfortzahlung endete am 10. Juli 2007. Für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit
nach Ablauf der Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers begehrt der Kläger
Krankenbezüge auf der Grundlage des mit ihm abgeschlossenen zusätzlichen
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Krankenbezüge auf der Grundlage des mit ihm abgeschlossenen zusätzlichen
Kleinen Dienstvertrages. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte könne
nicht durch einseitige Änderung bzw. Aufhebung der im Zusätzlichen Dienstvertrag
in Bezug genommenen Betriebsvereinbarungsregelungen in seine Rechte
eingreifen. Er habe einen einzelvertraglichen Anspruch auf Leistung von
Entgeltfortzahlung entsprechend der Regelung in § 2 des Kleinen Dienstvertrages.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien,
der dort gestellten Anträge sowie der Erwägungen des Arbeitsgerichts wird auf die
angegriffene Entscheidung Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger innerhalb der zur Niederschrift der
Berufungsverhandlung vom 28. Oktober 2009 ersichtlichen Fristen Berufung
eingelegt. Der Kläger hält an seiner Rechtsmeinung fest, dass es sich bei dem
Kleinen Dienstvertrag um einen eigenständigen Vertrag handele, der konstitutiv
einzelvertragliche Zusagen enthalte.
Der Kläger hält an seiner Rechtsmeinung fest, dass es sich bei dem Kleinen
Dienstvertrag nicht nur um deklaratorische Verweisungen auf geltende
Betriebsvereinbarungen handele. Der Kläger meint auch, dass Änderungen des
Kleinen Dienstvertrages durch nachfolgende Betriebsvereinbarungen nicht zulässig
seien. Auch die Formulierung „betriebliche Änderungen“ in §§ 4 Ziffer 2 des
Kleinen Dienstvertrages brächte nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass
Änderungen durch nachfolgende Betriebsvereinbarungen zulässig sein sollen.
Jedenfalls liege ein Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 305 c BGB vor. Der
Kläger meint schließlich auch, die Betriebsvereinbarung vom 28. Juni 2006
beanspruche ohnehin nur Geltung für nach ihrem Inkrafttreten abgeschlossene
Kleine Dienstverträge. Darüber hinaus führt der Kläger an, dass der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gewahrt sei, weil die Beklagte für Angestellte
mit tariflicher Regelung des Landesbezirkstarifvertrages weiter eine 100%ige
Lohnfortzahlung zugesagt habe.
Der Kläger meint auch, dass die Krankengeldzuschüsse nach § 34 Abs. 8 BMT-G II
nicht richtig berechnet seien. Er stellt auf § 11 BUrlG und das Nettoentgelt der
letzten 13 Wochen vor Arbeitsunfähigkeit ab.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kassel vom 25. November 2008
- 6 Ca 310/08 - die Beklagte zu verurteilen,
1. an den Kläger € 13.220,20 brutto abzüglich € 6.586,73 netto nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem sich hieraus
ergebenden Betrag seit 29. Dezember 2007 zu zahlen;
2. dem Kläger für den Zeitraum vom 11. Juli 2007 bis 27. November 2007
Lohnabrechnungen zu erteilen, die gemäß dem Klageantrag zu Ziffer 1. korrigiert
sind;
hilfsweise,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 13.220,20 brutto abzüglich
gezahlten Krankengeldes in Höhe von € 7.414,40 brutto nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Betrag seit
29. Dezember 2007 zu zahlen;
2. dem Kläger für den Zeitraum vom 11. Juli 207 bis 27. November 2007
Lohnabrechnungen zu erteilen, die gemäß dem Hilfsantrag zu Ziffer 1. korrigiert
sind;
hilfsweise,
festzustellen, dass der Kläger für die Zeit vom 11. Juli 2007 bis 10. November 2007
gem. § 2 des Kleinen Dienstvertrages vom 21. Oktober 1999 Anspruch auf
Entgeltfortzahlung hat;
hilfsweise,
festzustellen, dass der Kläger für die Zeit vom 11. Juli 2007 bis zum 10. November
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festzustellen, dass der Kläger für die Zeit vom 11. Juli 2007 bis zum 10. November
2007 gem. Ziffer 1 Satz 2 des Nachtrags vom 02. August 2004 der
Betriebsvereinbarung Kleiner Dienstvertrag vom 04. August 1993 Anspruch auf
Entgeltfortzahlung hat;
hilfsweise,
1. an den Kläger € 1.514,69 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 29. Dezember 2007 zu zahlen;
2. dem Kläger für den Zeitraum vom 11. Juli 2007 bis zum 27. November 2007
Lohnabrechnungen zu erteilen, die gemäß Hilfsantrag zu Ziffer 1. zu korrigieren
sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte führt aus, zu Recht komme das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass
sich ein Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung nicht aufgrund
kollektivrechtlicher Bestimmungen, konkreter vorgelegter Betriebsvereinbarungen,
ergebe. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelte bei
einander ablösenden Betriebsvereinbarungen die Zeitkollisionsregelung. Die
jüngere Norm ersetze die ältere mit Wirkung für die Zukunft. Es gilt das
Ablösungsprinzip. Die neue Betriebsvereinbarung tritt an die Stelle der bisherigen.
Dies ist grundsätzlich auch dann der Fall, wenn die neue Regelung für den
Arbeitnehmer ungünstiger ist. Es sei auch nicht richtig, dass mit der
Betriebsvereinbarung vom 28. Juni 2006 nur Regelungen für nach deren In-Kraft-
Treten abgeschlossene Kleine Dienstverträge erfolgen sollten. Die
Betriebsparteien hätten ausweislich der Überschrift eine Betriebsvereinbarung zur
Neuregelung des Kleinen Dienstvertrages vereinbart und im Weiteren vereinbart,
dass die Betriebsvereinbarung vom 28. Juni 2006 die Betriebsvereinbarung vom
02. August 1993 sowie den Nachtrag vom 02. August 2004 ablöse. Die Beklagte
meint weiter, dass das Arbeitsgericht ebenfalls richtig zu dem Ergebnis komme,
dass es sich bei dem Kleinen Dienstvertrag um keine konstitutiven
Vereinbarungen handele. Die Beklagte verweist darauf, dass Verweisungen in
einem Arbeitsvertrag auf eine Betriebsvereinbarung darauf schließen lassen, dass
mit dieser Regelung in der Regel nur deklaratorisch auf die Betriebsvereinbarung
verwiesen werden soll und keine zusätzliche Rechtsgrundlage geschaffen werden
soll. Einen selbstständigen Anspruch jenseits der Betriebsvereinbarung haben die
Betriebsparteien zu keinem Zeitpunkt gewollt und er ergebe sich auch weder aus
dem Vertrag des Klägers, noch aus den vorgelegten Vereinbarungen. Schließlich
bezieht sich die Beklagte auch darauf, dass der Kleine Dienstvertrag
betriebsvereinbarungsoffen gestaltet ist.
Die Beklagte wendet sich auch gegen die Berechnung der Krankenzuschüsse des
Klägers nach § 34 Abs. 8 BMT-G II und verweist auf die Krankengeldberechnung
gemäß Bl. 118/119 d. A.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf
den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den
übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Kläger ist statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 c ArbGG),
außerdem form- und fristgerecht eingelegt (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 64 Abs. 6 ArbGG
i.V.m. §§ 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.
In der Sache ist die Berufung des Klägers jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht
hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Berufungsgericht folgt dem Arbeitsgericht
im Ergebnis und in der Begründung. Es wird daher weitestgehend gem. § 69 Abs. 2
ArbGG von einer eigenen Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und
auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts verwiesen.
Dies gilt mit der Maßgabe, dass auf die Begründung des von demselben
Prozessbevollmächtigten geführten Rechtsstreits 6/18 Sa 1882/09 verwiesen wird.
Ein Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung ergibt sich zunächst nicht
aufgrund kollektivrechtlicher Bestimmungen. Im Verhältnis aufeinander folgender
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aufgrund kollektivrechtlicher Bestimmungen. Im Verhältnis aufeinander folgender
Betriebsvereinbarungen, die denselben Regelungsgegenstand betreffen, gilt
grundsätzlich die sog. Zeitkollisionsregelung, nach der die jüngere
Betriebsvereinbarung die ältere Betriebsvereinbarung ablöst, ohne dass es darauf
ankommt, ob die bisherige Norm für den Arbeitnehmer günstiger war
. In der Betriebsvereinbarung
vom 28. Juni 2006 ist auch ausdrücklich bestimmt, dass diese
Betriebsvereinbarung die Betriebsvereinbarung vom 01. August 1993 sowie den
Nachtrag vom 02. August 2004 ablöst, wobei die Betriebsvereinbarung vom 04.
August 1993 ausdrücklich die Betriebsvereinbarung Nr. 33 ablöste.
Betriebsvereinbarungen in denen Entgeltfortzahlungsansprüche geregelt sind, sind
daher mit In-Kraft-Treten der Betriebsvereinbarung vom 28. Juni 2006 zum 01. Juli
2006 außer Kraft getreten.
Es kann auch letztlich dahingestellt bleiben, ob der Kläger aufgrund einer
arbeitsvertraglichen Einheitsregelung einen individualrechtlichen Anspruch auf
Entgeltfortzahlung auf der Grundlage des Kleinen Dienstvertrages erworben hat.
Inhalt und Voraussetzungen für den Abschluss der sog. Kleinen Dienstverträge bei
der Beklagten ergaben sich aus der Betriebsvereinbarung Nr. 33 bzw. aus der
Betriebsvereinbarung vom 01. August 1993 mit den jeweiligen Nachträgen zu
diesen Betriebsvereinbarungen. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts
hat insoweit
ausgeführt, dass der kollektive Bezug vertraglicher Einheitsregelungen bzw.
Gesamtzusagen die Prüfung nahe lege, ob sich der Arbeitgeber in der von ihm
formulierten Einheitsregelung oder Gesamtzusage das Recht vorbehalten wollte,
die vertraglichen Zusagen durch später nachfolgende Betriebsvereinbarungen in
den Grenzen von Recht und Billigkeit abändern zu können. Wörtlich hat der Große
Senat hierzu ausgeführt:
„Häufig wird der Arbeitgeber in die von ihm formulierte Einheitsregelung oder in
seine Gesamtzusage den Vorbehalt aufnehmen, dass eine spätere betriebliche
Regelung den Vorrang haben soll. Dieser Vorbehalt kann ausdrücklich, aber bei
entsprechenden Begleitumständen auch stillschweigend erfolgen, ob das der Fall
ist, ist eine Frage der Auslegung der Zusagen, die der Arbeitgeber erteilt hatte.
Diese Überlegung hat dem 1. Senat als Hilfsbegründung bei der Ablösung einer
betrieblichen Versorgungsordnung gedient .
Auch der 6. Senat hat zutreffend darauf hingewiesen, Einzelarbeitsverträge
könnten betriebsvereinbarungsoffen sein
.“
Dies zugrunde gelegt, ist vorliegend jedenfalls von einer
Betriebsvereinbarungsoffenheit der vertraglichen Einheitsregelung „Kleiner
Dienstvertrag“ auszugehen. Die Betriebsvereinbarungsoffenheit ergibt sich dabei
daraus, dass die Kleinen Dienstverträge auf der Grundlage der
Betriebsvereinbarung Nr. 33 bzw. der Betriebsvereinbarung vom 01. August 1993
abgeschlossen wurden. Die Betriebsvereinbarungsoffenheit der Kleinen
Dienstverträge ergibt sich weiter daraus, dass in den Formulierungen der Kleinen
Dienstverträge auf die entsprechenden Betriebsvereinbarungen hingewiesen wird.
Die Betriebsvereinbarungsoffenheit ergibt sich weiter daraus, dass in den
Jeweiligkeitsklauseln in den Zusätzlichen bzw. Kleinen Dienstverträgen ebenfalls
auf die jeweils gültigen betrieblichen Regelungen Bezug genommen wird. Wie
schon das oben genannte Zitat der Rechtsprechung des Großen Senats zeigt, wird
dabei allgemein auch von der Rechtsprechung unter betrieblicher Regelung
zweifelsohne eine Betriebsvereinbarung verstanden.
Zweifelsohne ist deshalb in § 4 Ziffer 2 mit dem Hinweis auf betriebliche Änderung
eine Öffnung hinsichtlich der Abänderung des Kleinen Dienstvertrages durch
Betriebsvereinbarungen gemeint. Dies erschließt sich zweifelsohne aus der
Entstehungsgeschichte des Kleinen Dienstvertrages und aus dem Text des Kleinen
Dienstvertrages selbst, der an verschiedenster Stelle auf Betriebsvereinbarungen
Bezug nimmt.
Ist der Kleine Dienstvertrag aber jedenfalls betriebsvereinbarungsoffen gestaltet,
so konnte in ihm auch eingegriffen werden durch die ablösende
Betriebsvereinbarung vom 28. Juni 2006. Da die Beklagte nicht in erdiente
Anwartschaften eingreift, besteht insoweit auch kein besonderer Vertrauensschutz
der Arbeitnehmer in die Fortgeltung der Entgeltfortzahlungsregelungen gemäß der
Betriebsvereinbarung vom 04. August 1993 mit deren Nachträgen. Worin dieses
schützenswerte Vertrauen besteht ist ohnehin nicht ersichtlich. Dass die
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schützenswerte Vertrauen besteht ist ohnehin nicht ersichtlich. Dass die
Arbeitnehmer bei Kenntnis eines möglichen Wegfalls der
Entgeltfortzahlungsregelungen im Betrieb der Beklagten den Abschluss einer
zusätzlichen Krankenversicherung erwogen hätten, die ihnen eine 100%ige
Entgeltfortzahlung gesichert hätte, ist nicht vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Ablösung der aufgrund Betriebsvereinbarung und in Umsetzung dieser
Betriebsvereinbarung im Kleinen Dienstvertrag geregelten Entgeltfortzahlung
durch die Betriebsvereinbarung vom 28. Juni 2006 hält sich auch in den Grenzen
von Recht und Billigkeit. Sie verstößt insbesondere auch nicht gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Regelung durch den Landesbezirkstarifvertrag
Nr. 29/2007 ist zunächst nach ihrer Natur eine vorübergehende, weil sie mit dem
In-Kraft-Treten eines Tarifvertrages Nahverkehr Hessen wieder außer Kraft treten
wird und überdies regelt sie nur die Entgeltfortzahlungsansprüche der
Angestellten, für die bis zum 30. September 2007 der § 71 BAT galt, wobei für
diese Arbeitnehmer mit dem Landesbezirkstarifvertrag auch eine gegenüber § 71
BAT verschlechternde Regelung vereinbart wurde, mithin die Beklagte gerade
bestrebt war, Arbeiter und Angestellte, die im Übrigen gem. § 34 Abs. 8 und § 37
Abs. 8 BAT Krankengeldzuschüsse in vergleichbarer Höhe erhalten, anzugleichen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Krankengeldzuschuss nach § 34 Abs. 8 BMT-
G II von der Beklagten falsch berechnet ist. Der Kläger stellt zu Unrecht auf eine
Berechnung gem. § 11 BUrlG ab. Gemäß § 34 Abs. 8 BMT-G II errechnet sich der
Krankengeldzuschuss in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen den
tatsächlichen Barleistungen des Sozialversicherungsträgers und dem
Nettourlaubslohn. Nettourlaubslohn ist der um die gesetzlichen Abzüge
verminderte Urlaubslohn. Gemäß § 67 Nr. 40 BMT-G II wird als Urlaubslohn gewährt
der Teil des Monatsgrundlohnes, ggf. zuzüglich der nach § 25 Abs. 3 zustehenden
Beträge für Mehrarbeit, den der Arbeiter während des Urlaubs erhalten würde,
wenn er dienstplanmäßig oder betriebsüblich im Rahmen seiner regelmäßigen
Arbeitszeit gearbeitet hätte. Dies bedeutet, dass die tarifliche Regelung im BMT-G
den Urlaubslohn anders berechnet als er sich nach § 11 BUrlG berechnet, nämlich
nicht nach der Referenzmethode sondern nach dem Lohnausfallprinzip. Gemäß §
13 BUrlG ist es auch rechtlich zulässig, dass die Tarifvertragsparteien die
Berechnung des Urlaubsentgelts abweichend vom Bundesurlaubsgesetz regeln.
Demgemäß ist der Ansatz des Klägers zur Berechnung des
Krankengeldzuschusses nach § 34 Abs. 8 BMT-G II falsch. Weiter legt der Kläger
das Nettokrankengeld in Höhe von € 6.431,60 zugrunde und nicht, wie erforderlich,
das Bruttokrankengeld in Höhe von € 7.414,40, was bereits einen
Unterschiedsbetrag zu Lasten des Klägers von € 982,80 ausmacht. Wie im
Tatbestand bereits ausgeführt, ist aber unter Barleistungen der Krankenkasse im
Sinne von § 34 Abs. 8 BMT-G II das Bruttokrankengeld zu verstehen.
Der Kläger hat als unterlegene Partei gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des
Rechtsstreits zu tragen.
Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision besteht
nicht.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.