Urteil des LAG Hessen vom 10.03.2010

LAG Frankfurt: betriebsrat, versorgung, besoldung, merkblatt, eingriff, direktversicherung, eigenkapital, anpassung, mitbestimmungsrecht, steigerung

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
8. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 Sa 1241/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Betriebliche Altersversorgung - Vorliegen einer
Betriebsvereinbarung - Gesamtzusage - verschlechternde
Ablösung
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts in
Frankfurt am Main vom 27.05.2009 – 9/10 Ca 6285/08 – wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, nach welcher Versorgungsordnung sich die
Betriebsrente des Klägers richtet.
Der am 11. November ... geborene Kläger war vom 01. Juli 1976 bis zum 31. März
2003 bei der Beklagten angestellt. Im Oktober 1977 schrieb die Beklagte dem
Kläger, dass sie ihn in ihr Versorgungswerk aufnehme und übersandte ihm die
Versorgungsordnung 1976.
Die Versorgungsordnung 1976 enthielt folgende Bestimmung:
"Anrechenbare Besoldung Artikel 4
Als anrechenbare Besoldung gilt das im Gehaltstarifvertrag für das private
Versicherungsgewerbe festgelegte Monatsgehalt in der Endstufe derjenigen
Gehaltsgruppe bzw. Gehaltszwischengruppe, die gemäß Dienstvertrag des
Mitarbeiters für seine Besoldung im Monat Januar des Jahres maßgebend ist, in
dem der Versorgungsfall eintritt bzw. eingetreten ist. Ferner wird gegebenenfalls
die tarifliche Verantwortungszulage angerechnet.
...
Die Gesellschaft behält sich vor, für die Festsetzung der anrechenbaren
Besoldung vom Gehaltstarifvertrag abzuweichen,
– wenn die Tariferhöhung in einem Kalenderjahr mehr als 10% beträgt oder
– wenn die Ertragslage der Gesellschaft sich nachhaltig so verschlechtert hat,
dass ihr die Anpassung der anrechenbaren Besoldung an die Erhöhung des
Tarifgehaltes nicht zugemutet werden kann."
Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Versorgungsordnung 1976 wird auf die Anlage
zur Klageschrift verwiesen.
Gesamtbetriebsrat und Arbeitgeber unterschrieben eine undatierte "Gemeinsame
Erklärung zur Änderung der betrieblichen Versorgung der Gesellschaften der
deutschen ... Versicherungs – Gruppe" (im Folgenden: "Gemeinsame Erklärung").
In dieser heißt es unter anderem:
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"1. Der Änderung der betrieblichen Versorgung liegen zu Grunde:
– die neue Versorgungsordnung in der Fassung von 1976
– das Merkblatt zur Direktversicherung
– das Merkblatt über die Leistungen bei Unfällen
– diese gemeinsame Erklärung.
2. Jeder neu eintretende Mitarbeiter erhält vor oder bei Diensteintritt die
Versorgungsordnung mit dem Merkblatt zur Direktversicherung, nach Ablauf der
Probezeit das Merkblatt über die Leistungen bei Unfällen ausgehändigt. Der
Mitarbeiter erhält eine Versorgungszusage, sobald er die Voraussetzungen gemäß
Artikel 2 der Versorgungsordnung erfüllt und seine Zustimmung erteilt hat.
...
5. Mitarbeiter, deren Versorgungszusage die Versorgungsordnung in der Fassung
von 1966 zugrunde liegt, erhalten fünf zusätzliche anrechenbare Dienstjahre
anerkannt.
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Insgesamt gilt also die neue Versorgungsordnung in der Fassung von 1976 für alle
Versorgungsfälle die nach dem 1. Januar 1977 eingetreten sind oder eintreten
werden.
..."
Hinsichtlich des weiteren Inhalts wird auf die Anlage 2 zur Klageerwiderung vom 7.
November 2008 verwiesen.
Im Jahr 1990 wurde im Konzern der Beklagten eine Kostenkommission gebildet,
um Einsparpotentiale in allen Bereichen zu sichten und Umsetzungsmaßnahmen
vorzuschlagen.
Mit Schreiben vom 11. Dezember 1990 teilte die Beklagte ihren Arbeitnehmern
mit:
"Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
wie Sie wissen, haben wir in unsere Überlegungen, die Kostensituation zu
verbessern, auch die Aufwendungen für unsere überdurchschnittlich ausgestattete
Versorgungszusage – einschließlich Direktversicherung – einbezogen.
Wir freuen uns, Ihnen bestätigen zu können, dass für alle angestellten
Mitarbeiter des Außen- und Innendienstes, die vor dem 01.01.1991 in die Dienste
der ... Versicherungen Deutschland getreten sind und eine Versorgungszusage
nach der Versorgungsordnung 1976 erhalten haben, die gegebene
Versorgungszusage auch weiterhin bestehen bleibt, insofern also der Besitzstand
gewahrt ist.
Wir konnten damit zwar den Wunsch des Gesamtbetriebsrats, die
Versorgungszusage auch künftig für neue Mitarbeiter aufrechtzuerhalten, nicht
erfüllen, werden uns aber bemühen, die Versorgungsbedürfnisse der neuen
Mitarbeiter bei der Neuregelung unserer betrieblichen Versorgung weitgehend zu
bedenken.
Wir schließen die Versorgungsregelung von 1976 mit Wirkung ab 01.01.1991
für neu eintretende Mitarbeiter mit dem Ziel, sie den im Markt üblichen
Verhältnissen anzupassen. Darüber werden wir mit dem Gesamtbetriebsrat
verhandeln. ..."
Weiter teilte die Beklagte allen Mitarbeitern, die eine Versorgungszusage nach der
Versorgungsordnung 1976 haben, unter dem 28. Mai 1991 mit:
"... die für die Höhe der Versorgungsleistungen maßgebliche Tarifgrenze
gemäß Artikel 6 der Versorgungsordnung 1976 bemisst sich nunmehr seit der ab
01.01.1991 gültigen Neuordnung der Tarifgruppen an der Tarifgruppe VIII.
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Dementsprechend heißt es mit Wirkung ab 01.01.1991 in Artikel 6 der
Versorgungsordnung 1976 bei im Übrigen unverändertem Inhalt
anstelle von "Gehaltsgruppe VII" "Gehaltsgruppe VIII"
und
anstelle von "Tarifgrenze VII" "Tarifgrenze VIII"."
Am 30. Juni 1993 vereinbarte die Beklagte mit dem Gesamtbetriebsrat eine
"Betriebsvereinbarung zur Abänderung der Versorgungsordnung 1976" (im
folgenden: Änderungsbetriebsvereinbarung). Darin ist geregelt:
"1. Anrechenbare Besoldung Artikel 4 erhält folgende Fassung:
... Die anrechenbare Besoldung wird bei Tarifsteigerungen jeweils zum
01.01. des Folgejahres um die Hälfte des Steigerungsprozentsatzes angepasst. ..."
Wegen des weiteren Inhalts wird auf die Anlage zur Klageschrift verwiesen.
Vom 01. April 2001 bis zum 31. März 2003 arbeitete der Kläger in Altersteilzeit.
Zum 01. April 2003 schied er aus den Diensten der Beklagten und bezog
vorgezogene Altersrente. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Endstufe der
Tarifgruppe VIII Euro 3.693,00, die Beitragsbemessungsgrenze Euro 5.100,00. Das
letzte J des Klägers betrug Euro 5.144,00 monatlich. Ab 01. April 2003 zahlte die
Beklagte dem Kläger eine monatliche vorgezogene Altersrente von Euro 614,16
und nach einer Anpassung ab 1. Juli 2006 von 651,89 Euro. Dabei berechnete sie
die anrechenbare Besoldung nach der Änderungsbetriebsvereinbarung 1993 mit
Euro 4.136,00.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, Ziffer 1. der Betriebsvereinbarung zur
Abänderung der Versorgungsordnung 1976 vom 30. Juni 1993 sei für ihn nicht
verbindlich. Für ihn gelte Artikel 4 der Versorgungsordnung 1976 in der alten
Fassung weiter. Dementsprechend seien für die Höhe der anrechenbaren
Besoldung Tarifsteigerungen vollständig und nicht nur, wie in der
Änderungsbetriebsvereinbarung vorgesehen, mit der Hälfte des
Steigerungsprozentsatzes zu berücksichtigen. Die Versorgungsordnung 1976 sei
eine vertragliche Versorgungszusage des Arbeitgebers gewesen, die nicht
betriebsvereinbarungsoffen sei. Im Übrigen habe die Beklagte mit Schreiben vom
11. Dezember 1990 eine Besitzstandszusage erteilt. Ausgehend von einer
anrechenbaren Besoldung von Euro 4.641,20 entsprechend der
Versorgungsordnung 1976 und unter Berücksichtigung des Nachtrags Nr. 1 zum
Arbeitsvertrag (Bl. 51 d. A.) ergebe sich bei einer anrechenbaren Dienstzeit von
321 Monaten ein monatlicher Versorgungsanspruch von Euro 669,42 bis 30.6.2006
und nach einer Anpassung ab dem 1.7.2006 von Euro 710,50. Der Kläger hat für
die 44 Monate vom 1. April 2003 bis Ende August 2008 die Differenz zur gezahlten
Rente verlangt.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn Euro 3.623,74 brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Juni 2007 zu
zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn ab dem 01.
September 2008 eine monatliche betriebliche Altersversorgung in Höhe von Euro
710,50 brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, dass ab 1973 der Betriebsrat Frankfurt und der
Gesamtbetriebsrat die Beklagte hinsichtlich der bereits bestehenden
Versorgungsordnung bei den ...-Gesellschaften darauf hingewiesen habe, dass
diese der Mitbestimmung unterliege. Es sei zu Verhandlungen mit dem Betriebsrat
Frankfurt im Auftrag des Gesamtbetriebsrats gekommen, die sich etwa über drei
Jahre hingezogen hätten und in den Abschluss der Vereinbarung zur
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Jahre hingezogen hätten und in den Abschluss der Vereinbarung zur
Versorgungsordnung 1976 gemündet hätten. Maßgeblich sei, dass Arbeitgeber
und Betriebsrat ein Dokument unterzeichneten, welches sie zudem noch als
gemeinsame Erklärung zur Änderung der betrieblichen Versorgung
kommunizierten. Damit sei dokumentiert, dass unter Wahrung der Schriftform
eine Vereinbarung bezüglich der Versorgungsordnung 1976 mit der
Arbeitnehmervertretung geschlossen worden sei und somit eine
Betriebsvereinbarung hinsichtlich der Versorgungsordnung 1976 anzunehmen sei.
Die Versorgungsordnung 1976 sei Bestandteil der gemeinsamen Erklärung. Die
Versorgungsordnung 1976 habe demgemäß durch die nachfolgende
Änderungsbetriebsvereinbarung von 1993 abgeändert werden können. Diese
Neuregelung sei auch angemessen und entspreche den Grundsätzen der Billigkeit.
Die ...-Gruppe habe Ende der 80er Jahre und zu Beginn des Jahres 1990 durch zu
hohe Kosten erhebliche Probleme bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit gehabt. Im
Einzelnen sei die Kostenquote in der ...-Gruppe hinsichtlich der Personalkosten zu
hoch gewesen, was zu einem wirtschaftlichen Verlust von insgesamt DM 7,5 Mio.
bei einem kumulierten Umsatz in den Jahren 1990 bis 1993 geführt habe. Bereits
Ende der 80er Jahre und zu Beginn der 90er Jahre seien keine Gewinne mehr
erzielt worden. Der Aktionär habe in den Jahren 1990 und 1991 verlorene
Zuschüsse in Höhe von insgesamt DM 38 Mio. geleistet. Die Kostenkommission,
an deren Arbeit auch Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat beteiligt worden seien,
habe nicht nur eine Änderung der Altersversorgungszusage beschlossen, sondern
auch eine deutliche Reduktion des Personals. Weiter sei eine Vielzahl von
freiwilligen Leistungen und erhebliche Reduktionen im Bereich der leitenden
Angestellten vorgenommen worden. Die Beklagte hat dazu Jahresergebnisse für
die Zeit von 1990 bis 1993 vorgelegt, aus denen sich Umsatz, Jahresergebnis vor
Altersversorgung, Aufwendungen für Altersversorgung, verlorene Zuschüsse des
Aktionärs und das wirtschaftliche Jahresergebnis ergeben. Die Verschlechterung
des Verhältnisses zwischen Pensionsrückstellung und Eigenkapital zwischen 1990
und 1993 habe eine besorgniserregende Größe erreicht, die betriebswirtschaftlich
zur Veränderung der Versorgungsregelung gezwungen habe. Die Beklagte habe
auch wegen der Steigerung der Personalkosten sich gezwungen gesehen, die
betriebliche Altersversorgung zu verändern.
Die Beklagte hat Verjährung eingewandt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage ganz überwiegend stattgegeben und sie
hinsichtlich der verjährten Forderung abgewiesen mit Urteil vom 27. Mai 2009, auf
das Bezug genommen wird.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie wiederholt und
vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie behauptet, die Versorgungsordnung
1976 sei damals gemäß der gemeinsamen Erklärung zur Änderung der
betrieblichen Versorgung bekannt gemacht worden. Damit habe die Beklagte
ausdrücklich zu erkennen gegeben, dass die Versorgungsleistungen "in
Abstimmung mit dem Gesamtbetriebsrat" versprochen worden sind. Dadurch sei
für die Arbeitnehmer deutlich erkennbar gewesen, dass diese Leistungen auch in
der Zukunft für Abänderungen durch den Gesamtbetriebsrat zugänglich sein
sollen. Es spräche dafür, dass eine Abänderung ausgewogen ist, wenn sie durch
eine Gesamtbetriebsvereinbarung erfolge. Es liege kein Eingriff in die erdiente
Dynamik vor, sondern lediglich ein Eingriff in zukünftige Zuwächse. Sachlich
proportionale Gründe dafür seien aufgrund der damaligen wirtschaftlichen
Situation insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses Eigenkapital zu
Pensionsrückstellungen gegeben gewesen. Die Zusage an den Kläger von 1977 sei
betriebsvereinbarungsoffen. Sie stelle eine dynamische Verweisung auf das jeweils
geltende betriebliche Regelungswerk dar.
Die Beklagte beantragt,
unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main
vom 27. Mai 2009 – Az.: 9/1 Ca 7214/08 – die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Die Versorgungsordnung 1976 sei eine
Gesamtzusage gewesen. Die Beklagte habe dem Kläger Versorgung nach dieser
zugesagt. Sie sei auch nicht betriebsvereinbarungsoffen gewesen. Es habe sich
nicht um eine mit dem Betriebsrat gestimmte Regelung gehandelt. Der
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nicht um eine mit dem Betriebsrat gestimmte Regelung gehandelt. Der
Versorgungsordnung von 1976 liege keine kollektivrechtliche Vereinbarung
zwischen Beklagter und Betriebsrat zugrunde. Das ergebe sich auch nicht aus der
"Gemeinsamen Erklärung". Diese sei den Mitarbeitern nicht bekannt gemacht
worden und habe auch nicht der Bekanntmachung gedient. Es handele sich um
eine interne Regelung der Anwendungsfälle. Es handele sich nicht um eine
Leistungsgewährung im Einverständnis mit dem Gesamtbetriebsrat. Der Kläger
bestreitet, dass dieser überhaupt befragt worden wäre. Es lägen auch keine
sachlich proportionalen Gründe für den Eingriff in die Versorgungszusage vor. Bei
im Wesentlichen unveränderten Aufwendungen für die Altersversorgung sei ihr
Umsatz von 1990 bis 1993 gestiegen und das Jahresergebnis habe sich von einem
Verlust im Jahr 1990 auf einen Gewinn im Jahr 1993 gesteigert. Das von der
Beklagten vorgelegte Zahlenmaterial sei auch nicht aussagekräftig. Die Beklagte
habe dem Kläger nicht nur eine Versorgungsleistung nach der
Versorgungsordnung 1976 zugesagt, sondern ihm auch noch mit Schreiben vom
11. Dezember 1990 zugesichert, dass in diese Zusage nicht eingegriffen werde.
Die Prozentsätze hinsichtlich Eigenkapital und Pensionsrückstellungen seien nichts
sagende Zahlen. Erst aufgrund eines vollständigen Geschäftsberichts ließen sich
Zahlen prüfen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten
Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Klage ist begründet in dem Umfang,
in dem ihr das Arbeitsgericht stattgegeben hat. Der Kläger kann Versorgung
gemäß der Versorgungsordnung 1976 verlangen. Das Zahlenwerk ist zwischen
den Parteien unstreitig.
Die Beklagte hat dem Kläger betriebliche Altersversorgung nach der
Versorgungsordnung 1976 in der Fassung von 1976 zugesagt, indem sie ihm diese
übersandte.
I.
Der Versorgungsanspruch des Klägers wurde nicht berührt durch die
Änderungsbetriebsvereinbarung von 1993. Der Kläger kann Versorgung nach der
vorher geltenden Fassung der Versorgungsordnung 1976 verlangen.
1.
a) Die Versorgungsordnung von 1976 wurde nicht als ältere Betriebsvereinbarung
von der Änderungsbetriebsvereinbarung von 1993 als nachfolgender
Betriebsvereinbarung abgeändert. Die Versorgungsordnung 1976 war keine
Betriebsvereinbarung, sondern eine Gesamtzusage. Eine Betriebsvereinbarung
erfordert, dass sie gemeinsam von Betriebsrat und Arbeitgeber beschlossen und
schriftlich niedergelegt wird. Davon kann für die Versorgungsordnung 1976 nicht
ausgegangen werden. Die Beklagte hat zwar behauptet, dass die
Versorgungsordnung 1976 auf Verhandlungen zwischen Gesamtbetriebsrat und
Beklagte beruhten und von diesen gemeinsam beschlossen worden seien. Die
Beklagte hat dies aber trotz Bestreitens des Klägers nicht näher dargelegt und
nicht unter Beweis gestellt. Das wäre ihre Aufgabe als darlegungs- und
beweispflichtige Partei gewesen, nachdem der Kläger das bestritten hatte. Dass
die Versorgungsordnung 1976 selbst jemals von Arbeitgeber und Betriebsrat oder
Gesamtbetriebsrat unterschrieben worden wäre, hat die Beklagte selbst nicht
behauptet.
2.
Die Versorgungsordnung 1976 kann auch nicht aufgrund der undatierten
"Gemeinsame Erklärung zur Änderung der betrieblichen Versorgung der
Gesellschaften der Deutschen ...-Versicherungsgruppe" als Betriebsvereinbarung
angesehen werden.
a) Es erscheint zumindest zweifelhaft, ob die "Gemeinsame Erklärung" selbst eine
Betriebsvereinbarung ist. Eine Betriebsvereinbarung liegt nicht bereits immer dann
vor, wenn Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat ein Schriftstück unterzeichnet
haben. Es muss auch der Wille der Betriebsparteien erkennbar sein, eine
Betriebsvereinbarung abzuschließen. Das ist hier nicht der Fall.
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aa) Die Bezeichnung als "Gemeinsame Erklärung" weist darauf hin, dass gerade
keine Betriebsvereinbarung über betriebliche Altersversorgung mit dem Inhalt der
Versorgungsordnung 1976 geschlossen werden sollte. Wohl ist es nicht
erforderlich, dass eine Betriebsvereinbarung als solche ausdrücklich tituliert wird.
Wenn ein Betriebsrat aber – wie die Beklagte behauptet – schon seit Längerem
sein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der betrieblichen Altersversorgung geltend
macht, ist es bedeutsam, wenn die Betriebsparteien die Bezeichnung
"Betriebsvereinbarung" und die übliche Datierung unterlassen. Darin kann die
Distanzierung des Betriebsrats von einer ihm einseitig vom Arbeitgeber
vorgelegten Regelung oder die Weigerung des Arbeitgebers gesehen werden, ein
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats für die Regelung anzuerkennen. Jedenfalls
kommt darin zum Ausdruck, dass eine Betriebsvereinbarung gerade nicht
abgeschlossen werden sollte. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende
Fallgestaltung auch grundlegend von der des Urteils des Bundesarbeitsgerichts
vom 03. Juni 1997 .
bb) Die "Gemeinsame Erklärung" ist auch nicht, wie § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG
vorschreibt, im Betrieb ausgelegt oder sonst wie bekannt gemacht worden. Die
darlegungs- und beweispflichtig Beklagte hat jedenfalls trotz Bestreitens des
Klägers und Auflage des Gerichts dazu nichts Näheres vorgetragen. Wohl ist die
Bekanntmachung kein Wirksamkeitserfordernis für eine Betriebsvereinbarung. Ihr
Unterbleiben ist aber ein weiteres Indiz dafür, dass in ihr eine Betriebsvereinbarung
von den Betriebsparteien nicht gesehen wurde, sondern lediglich eine interne
Regelungsabrede zur Anwendung der Versorgungsordnung 1976.
cc) Insgesamt spricht allein der Umstand, dass die "Gemeinsame Erklärung" von
beiden Betriebsparteien unterschrieben wurde dafür, dass diese selbst überhaupt
eine Betriebsvereinbarung war. Alle anderen Umstände sprechen dagegen. Es
kann aber dahinstehen, ob sie lediglich eine Regelungsabrede darstellte.
b) Die "Gemeinsamen Erklärung" hat nicht die Versorgungsordnung 1976 als
gemeinsamen Beschluss der Betriebsparteien übernommenen. Gemäß § 77 Abs.
2 BetrVG sind Betriebsvereinbarungen von Betriebsrat und Arbeitgeber
gemeinsam zu beschließen, schriftlich niederzulegen und von beiden zu
unterzeichnen. Das Bundesarbeitsgericht hat ausgeführt, dass der Betriebsrat
nicht gehindert ist, ein von der Arbeitgeberin ausgearbeitetes Regelungswerk
durch Bezugnahme zu billigen und als Betriebsvereinbarung festzuschreiben
.
In dem zugrunde liegenden Fall war zwischen den Betriebsparteien ausdrücklich
eine Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Leistungen der betrieblichen
Altersversorgung geschlossen worden und als deren Gegenstand die neuen
Versorgungsbestimmungen bezeichnet und in Kraft gesetzt worden.
Die "Gemeinsame Erklärung" macht die Versorgungsordnung 1976 nicht zum
Inhalt einer Betriebsvereinbarung. Die "Gemeinsame Erklärung" bezieht sich mit
den darin enthaltenen Regelungen zwar auf die "neue Versorgungsordnung in der
Fassung von 1976", übernimmt damit aber nicht die vom Arbeitgeber
geschaffenen Regelungen unverändert als Betriebsvereinbarung
.
aa) In Ziffer 1. der "Gemeinsamen Erklärung" werden nebeneinander als der
Änderung der betrieblichen Versorgung zugrunde liegend bezeichnet: – die neue
Versorgungsordnung in der Fassung von 1976, – das Merkblatt zur
Direktversicherung, – das Merkblatt über die Leistungen bei Unfällen und – "diese
gemeinsame Erklärung". Damit wird die "Gemeinsame Erklärung" neben die
bereits bestehende neue Versorgungsordnung in der Fassung von 1976 als der
Änderung der betrieblichen Versorgung zugrunde liegend gestellt.
bb) Die "Gemeinsame Erklärung" enthält neben und über die Versorgungsordnung
1976 hinaus Regelungen über die Anwendung dieser Versorgungsordnung. Es
ergibt sich daraus gerade nicht, dass diese neue Versorgungsordnung selbst
Gegenstand eines gemeinsamen Beschlusses war oder durch die gemeinsame
Erklärung werden sollte. Die "Gemeinsame Erklärung" nennt die
Versorgungsordnung 1976 lediglich als Grundlage und knüpft daran
Anwendungsregelungen. Gegenstand der "Gemeinsamen Erklärung" sind
eigenständige Vorschriften über die Anwendungsmodalitäten der
Versorgungsordnung 1976 und – in Ziffer 5. – hinsichtlich der Versorgungsordnung
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Versorgungsordnung 1976 und – in Ziffer 5. – hinsichtlich der Versorgungsordnung
in der Fassung von 1966. Sie setzt die Versorgungsordnung 1976 nicht in Kraft,
sondern enthält in 6. nur Regelungen ab wann sie auf Versorgungsfälle
anzuwenden ist.
cc) Die Benennung als "Gemeinsame Erklärung" vermeidet es gerade, die
Versorgungsordnung 1976 als Inhalt einer Betriebsvereinbarung zu bezeichnen,
sondern macht deutlich, dass hier zu einem bestehenden Regelwerk zusätzliche
Erklärungen abgegeben werden. Darin kann die Distanzierung des Betriebsrats
von einer ihm einseitig vom Arbeitgeber vorgelegten Regelung oder die Weigerung
des Arbeitgebers gesehen werden, ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats für
die Regelung anzuerkennen. Jedenfalls kommt darin zum Ausdruck dass die
zugrunde liegende Versorgungsordnung 1976 nicht Inhalt einer
Betriebsvereinbarung sein sollte.
dd) Schließlich ist in der Folgezeit hinsichtlich der Versorgungsordnung 1976
niemals von einer Betriebsvereinbarung die Rede. Im Schreiben vom 11.
Dezember 1990 ist stets nur von einer Versorgungszusage die Rede. Im Schreiben
vom 28. Mai 1991 teilt die Beklagten eine Änderung in der Versorgungsordnung
den Arbeitnehmern einseitig und ohne jeglichen Bezug auf Verhandlungen mit
dem Betriebsrat mit, die von der Beklagten auch nicht behauptet werden. Auch die
Änderungsbetriebsvereinbarung spricht allein von der Versorgungsordnung 1976
und nicht wie üblich von der Änderung einer früheren Betriebsvereinbarung.
ee) Die "Gemeinsame Erklärung" steht als selbstständiges Regelungswerk neben
der Versorgungsordnung 1976. Die Gemeinsame Erklärung nimmt zwar Bezug auf
die Versorgungsordnung 1976, aber nicht in dem Sinn, dass sie diese zu ihrem
Inhalt macht, sondern dass sie dazu Regelungen trifft. Die Versorgungsordnung
1976 wird damit genauso wenig zu einer Betriebsvereinbarung oder zum Inhalt der
"Gemeinsamen Erklärung" wie eine Betriebsvereinbarung, die
Ausführungsbestimmungen etwa zu gesetzlichem Gesundheitsschutz zu
Sicherheitsvorschriften oder zu tariflichen Sondervergütungsvorschriften trifft,
diese zu Betriebsvereinbarungen oder zum Inhalt der Betriebsvereinbarung macht.
3.
Hinsichtlich der Versorgungsordnung 1976 ist das Schriftformerfordernis des § 77
Abs. 2 BetrVG nicht gewahrt.
Die Versorgungsordnung 1976 selbst ist nicht unterschrieben. Das
Bundesarbeitsgericht hat allerdings in seiner Entscheidung vom 03. Juni 1997
ausgeführt, dass die Anforderungen des § 126 BGB auf Normverträge nicht
unbesehen übernommen werden können. Es hat ausgeführt, dass das
Schriftformerfordernis des § 77 Abs. 2 Satz 2 BetrVG gewahrt ist, wenn auf eine
allein vom Arbeitgeber unterzeichnete Gesamtzusage in einer
Betriebsvereinbarung verwiesen wurde und dass diese weder in der
Betriebsvereinbarung wiederholt noch als Anlage angeheftet werden musste
. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist
das Schriftformerfordernis auch in Hinblick auf die von den Betriebsparteien
unterschriebene "Gemeinsame Erklärung" nicht erfüllt.
Wie oben ausgeführt, ist die "Gemeinsame Erklärung" nicht als
Betriebsvereinbarung anzusehen.
Jedenfalls hat die "Gemeinsame Erklärung" die Versorgungsordnung 1976 nicht
in dem Sinn zu ihrem Gegenstand gemacht, dass sie deren Regelungen
übernommen hätte und dass der Betriebsrat diese gebilligt und als
Betriebsvereinbarung festgeschrieben hätte.
4.
Die Änderungsbetriebsvereinbarung findet auch nicht aufgrund einer dynamischen
Verweisung Anwendung auf den Versorgungsanspruch des Klägers. Dem Kläger ist
Versorgung nach der Versorgungsordnung 1976 zugesagt worden durch
Übersendung dieser Versorgungsordnung. Die Versorgungszusage 1976 ist Inhalt
des Arbeitsvertrages geworden. Es liegt keine Verweisung auf außerhalb des
Arbeitsvertrages liegende Regelwerke wie Richtlinien einer Unterstützungskasse
oder die Satzung einer Pensionskasse vor
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5.
Die Änderungsbetriebsvereinbarung 1993 konnte die Versorgungszusage 1976
nicht wirksam ablösen. Die Versorgungszusage 1976 konnte als Gesamtzusage
der Beklagten durch eine Betriebsvereinbarung nur geändert oder abgelöst
werden, wenn die Betriebsvereinbarung die Gesamtzusage bei kollektiver
Betrachtung nicht verschlechterte oder diese unter dem Vorbehalt einer
Abänderung durch Betriebsvereinbarung stand – "betriebsvereinbarungsoffen" war.
Unstreitig verschlechterte die Änderungsbetriebsvereinbarung 1993 die
Versorgungsordnung 1976, indem sie die Steigerung der anrechenbaren
Besoldung begrenzte.
Die Versorgungsordnung 1976 war auch nicht betriebsvereinbarungsoffen. Die
Beklagte hat keine Tatsachen dargelegt und bewiesen, aus denen sich ergeben
hätte, dass die Arbeitnehmer mit einer späteren Abänderung hätten rechnen
müssen. Sie hat keine konkreten Umstände benannt, aus denen die Arbeitnehmer
hätten erkennen müssen, dass die Versorgungszusage nur unter dem Vorbehalt
der Ausübung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats gewertet werden sollte.
Ein solcher Umstand wäre es gewesen, wenn die Versorgungsordnung 1976 nach
oder zusammen mit der gemeinsamen Erklärung bekannt gemacht worden wäre.
Dann wäre erkennbar gewesen, dass die Versorgungsordnung 1976 zwar nicht als
Betriebsvereinbarung abgeschlossen worden war, aber der Betriebsrat jedenfalls
hinsichtlich Ausführungsregelungen beteiligt war. Die Beklagte hat jedoch weder
konkret dargelegt noch unter Beweis gestellt, dass, wie oder wann die
gemeinsame Erklärung den Arbeitnehmern bekannt gemacht worden wäre. Die
Beklagte ist durch die Auflage des Gerichts auf diese Notwendigkeit hingewiesen
worden.
6.
Danach kann dahinstehen, ob die Änderungsbetriebsvereinbarung unter dem
Gesichtspunkt des Besitzstandsschutzes die Anwartschaft des Klägers hätte
ändern können, selbst wenn diese auf einer Betriebsvereinbarung beruht hätte.
Eingriffe in Versorgungsanwartschaften sind nämlich nach den Grundsätzen des
Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit in drei Stufen zu überprüfen
. Ob sachlich proportionale Gründe für den hier vorliegenden Eingriff
in künftige Zuwächse gegeben sind, kann dahinstehen, da die Versorgungszusage
an den Kläger durch die Änderungsbetriebsvereinbarung von 1993 nicht berührt
wurde.
II.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen, da sie erfolglos blieb.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen im Hinblick auf die
Vielzahl der betroffenen Arbeitsverhältnisse in der gesamten Bundesrepublik.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.