Urteil des LAG Hessen vom 03.12.2010

LAG Frankfurt: umschulung, kündigung, leiter, anstaltsleitung, berufsausbildung, berufsbildungsgesetz, kopie, arbeitsgericht, widerruf, dokumentation

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
8. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 Ta 217/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 1 Nr 3 Buchst b
ArbGG, § 5 Abs 1 S 1 ArbGG
Rechtsweg - Umschulung einer Strafgefangenen zur Köchin
- Kündigung der Umschulungsvereinbarung
Orientierungssatz
Umschulung einer Strafgefangenen aufgrund Umschulungsvereinbarung mit
privatrechtlichen Umschulungsträgern.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts in
Frankfurt am Main vom 22. April 2010 – 20 Ca 1675/10- aufgehoben.
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Feststellung, dass das zwischen den
Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch eine Kündigung der Beklagten
vom 23. Februar 2010 aufgelöst worden ist, sowie für den Fall des Obsiegens mit
diesem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin vertragsgemäß als
Umschülerin zur Köchin weiterzubeschäftigen.
Die Klägerin ist inhaftiert in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt am Main III. Am 31.
Juli 2008 schlossen die Parteien eine Umschulungsvereinbarung, die der Leiter der
JVA am 14. August 2008 genehmigte. Nach dieser Umschulungsvereinbarung
sollten der Klägerin die Kenntnisse und Fertigkeiten des staatlich anerkannten
Ausbildungsberufes Köchin vermittelt werden. Wegen der Einzelheiten der
Umschulungsvereinbarung wird auf die Kopie der Umschulungsvereinbarung in der
Anlage zur Klageschrift verwiesen. Die fachtheoretische und fachpraktische
Umschulung fand in den dafür eingerichteten Räumen der JVA statt. Die Beklagte
führt ausschließlich in Hessischen Justizvollzugsanstalten Bildungsmaßnahmen
durch. Die beruflichen Bildungsmaßnahmen werden im Auftrag der Beklagten von
der jeweiligen Leiterin oder dem jeweiligen Leiter des pädagogischen Dienstes der
JVA durchgeführt. Die Zuweisung der Gefangenen zur Bildungsmaßnahmen erfolgt
namens der Leitung der JVA durch die Vollzugsplankonferenz.
Mit Schreiben vom 23. Februar 2010 kündigte die Beklagte die
Umschulungsvereinbarung mit der Begründung, dass die Klägerin aufgrund hoher
krankheitsbedingter Fehlzeiten und mehrfacher Arbeitsverweigerungen das
Ausbildungsziel nicht mehr erreichen könne. Mit Schreiben vom 24. Februar 2010
widerrief der Leiter der Vollzugsanstalt die Zuweisung zur Umschulungsmaßnahme
als Köchin mit Verweis auf die Kündigung der Beklagten.
Mit Beschluss vom 22. April 2010, auf den verwiesen wird, hat das Arbeitsgericht
den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den
Rechtsstreit an das Landgericht Frankfurt am Main verwiesen.
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Dagegen richtet sich die innerhalb von 2 Wochen nach Zustellung des Beschlusses
eingereichte Beschwerde der Klägerin.
Sie ist weiter der Auffassung, dass sie aufgrund privatrechtlichen Vertrages
Arbeitnehmerin der Beklagten sei.
Die Beklagte trägt vor, es handele sich bei der Umschulungsvereinbarung nicht
um einen privatrechtlichen Vertrag, sondern um eine vollzugliche Maßnahme, da
sowohl die Gefangene, als auch der Maßnahmeträger letztendlich den
Entscheidungen der Anstaltsleitung unterlegen. Die Industrie- und
Handelskammer Frankfurt am Main fordere diese Umschulungsvereinbarung vom
Maßnahmeträger, da ansonsten die Teilnehmer nicht in die Ausbildungsliste
aufgenommen würden und nicht an der Umschulungsmaßnahme einschließlich
Zwischen- und Abschlussprüfungen teilnehmen könnten.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Die Gerichte für Arbeitssachen
sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 b) ArbGG zuständig. Die Klägerin war bei der
Beklagten zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt (§ 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG).
1. „Berufsausbildung“ im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind alle Bereiche der
Berufsbildung nach § 1 Abs. 1 Berufsbildungsgesetz. Auch für Streitigkeiten aus
einem Umschulungsverhältnis kann deshalb der Rechtsweg nach § 5 Abs. 1 Satz 1
ArbGG eröffnet sein (vgl. BAG v. 24.09.2002 – 5 AZR 12/02 – MDR 2003, 156 mit
weiteren Nachweisen).
Der Klägerin sollte mit der Umschulung eine den besonderen Erfordernissen der
beruflichen Weiterbildung entsprechende Ausbildung mit verkürzter
Ausbildungszeit die Kenntnisse und Fertigkeiten des staatlich anerkannten
Ausbildungsberufes Köchin vermittelt werden. Es sollte eine Umschulungsprüfung
stattfinden. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Berufsbildungsgesetz sind
gegeben.
2. Die Klägerin wurde auch zu ihrer Berufsausbildung „beschäftigt“. Eine
Beschäftigung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn der Betreffende aufgrund eines
privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines Anderen Arbeit leistet.
a) Die Umschulungsvereinbarung zwischen der Beklagten, einer juristischen
Person des Privatrechts und der Klägerin ist ein privatrechtlicher Vertrag.
Voraussetzung für den Abschluss dieses Vertrags mag die Zuweisung der Klägerin
zur Umschulungsmaßnahme durch die Anstaltsleitung und deren Einverständnis
mit der Umschulungsvereinbarung sein. Das ändert aber nichts daran, dass die
Umschulungsvereinbarung nicht zwischen der Anstaltsleitung und der Klägerin als
Gefangene geschlossen wurde, sondern zwischen der Beklagten und der Klägerin.
Die Zuweisung und deren Widerruf mag zwar auf den Regelungen des
Strafvollzugsgesetzes beruhen (vgl. zu einem Vertrag zwischen dem Träger der
Vollzugsanstalt und einem Gefangenen: BAG v. 18. November 1986 Az. 7 AZR
311/85). Im vorliegenden Fall hat die Vollzugsanstalt bzw. das sie tragende Land
gerade nicht selbst ein Umschulungsvertrag abgeschlossen, sondern die
privatrechtlich organisierte Beklagte.
b) Eine „Beschäftigung“ liegt regelmäßig dann vor, wenn der Umschüler dem
Weisungsrecht des Ausbildenden hinsichtlich des Inhalts der Zeit und des Orts der
Tätigkeit unterworfen ist (BAG v. 24.09.2002). Nach § 5 der
Umschulungsvereinbarung hatte die Klägerin eine Reihe von Pflichten, u. a. an der
theoretischen und praktischen Unterweisung teilzunehmen und den Anleitungen
der Lehrperson zu folgen.
3. Auf Weiteres kommt es nicht an. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass die
Tätigkeit des Auszubildenden einen eigenen wirtschaftlichen Wert für den
Ausbildenden besitzt. Eine von dritter Seite finanzierte oder gänzlich
uneigennützige z.B. gemeinnützige Berufsbildung schließt die arbeitsgerichtliche
Zuständigkeit nicht stets aus (BAG v. 24.09.2002).
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht kein Grund.
Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.