Urteil des LAG Hessen vom 01.12.2010

LAG Frankfurt: treu und glauben, arglistige täuschung, anfechtung, schutzwürdiges interesse, persönliche eignung, kausalität, lebenslauf, willenserklärung, irrtum, hessen

1
2
Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
2. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Sa 687/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 123 BGB
Anfechtung Arbeitsvertrag, beruflicher Werdegang,
Kausalität, Täuschung
Orientierungssatz
Erfolglose Anfechtung eines zweiten befristeten Arbeitsvertrags wegen Täuschung über
beruflichen Werdegang; es fehlte an der Kausalität der Täuschung für den Abschluss
des 2. Arbeitsvertrags, da die im Zusammenhang mit der Bewerbung vor Abschluss
des ersten befristeten Arbeitsvertrags gemachten Angaben nach Vortrag des
Arbeitgebers nicht mehr ursächlich für den Abschluss des angefochtenen zweiten
Arbeitsvertrag waren.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main
vom 18. März 2010 – 19 Ca 9220/09 – abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch Anfechtung
des beklagten Landes vom 15. Oktober 2009 mit dem 20. Oktober 2009 geendet
hat.
Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug weiterhin um den Fortbestand des
Arbeitsverhältnisses über den 20. Oktober 2009 hinaus nach Ausspruch einer
Anfechtungserklärung durch das beklagte Land.
Die 1972 geborene Klägerin absolvierte in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2002 die
erste Staatsprüfung für Lehrämter für die Sekundarstufe I und II mit der
Gesamtnote 2,7. Sie wurde zum 1. Februar 2003 in den Vorbereitungsdienst für
das Lehramt für die Sekundarstufe I und II in Nordrhein-Westfalen im Rahmen
eines Beamtenverhältnisses auf Widerruf eingestellt. Mit Bescheid vom 4. August
2004 entließ die hierfür zuständige Bezirksregierung von D sie mit Ablauf des 30.
September 2004 aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf mit der Begründung
der Nichteignung für den Lehrerberuf. Am 12. September 2004 beantragte die
Klägerin die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt in Hessen, ohne
den absolvierten Vorbereitungsdienst in Nordrhein-Westfalen zu erwähnen. Ab
dem 1. Mai 2005 war sie als Studienreferendarin im Rahmen eines
Beamtenverhältnisses auf Widerruf bei dem Amt für Lehrerbildung A tätig. Mit
Bescheid vom 24. September 2007 nahm das Hessische Kultusministerium diese
Ernennung zurück. Dieser Bescheid ist aufgrund des Beschlusses des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofes vom 27. August 2009 rechtskräftig geworden. Mit
Schreiben vom 24. Januar 2008 erteilte das Staatliche Schulamt für den E-Kreis
und die Stadt F der Klägerin eine auf zwei Jahre befristete Unterrichtsgenehmigung
für die Fächer Deutsch und Geschichte. Mit Schreiben vom 3. April 2009, wegen
dessen Inhalts auf Bl. 35 d. Anlage zum Schriftsatz vom 12. November 2009 (im
Folgenden: Anlagenband) Bezug genommen wird, bewarb sich die Klägerin um ein
3
4
Folgenden: Anlagenband) Bezug genommen wird, bewarb sich die Klägerin um ein
Anstellung als Lehrerin an der B-Schule in C bei dem Staatlichen Schulamt der
Stadt C. Dem Schreiben beigefügt war ein auf den 30. Januar 2009 datierter
Lebenslauf der Klägerin, wegen dessen Inhalts auf Bl. 3-5 Anlagenband verwiesen
wird. Der Bewerbung vorausgegangen waren Gespräche der Klägerin mit dem
Schulleiter der B-Schule, in denen sie mitgeteilt hatte, dass sie in Nordrhein-
Westfalen ein Referendariat begonnen hatte, welches sie, nachdem sie in diesem
zum Opfer von sexuellen Nachstellungen eines alkoholkranken Ausbilders
geworden sei, auf Anraten beendet hatte und nach Hessen gewechselt sei. Die
Tatsache, dass sie aus dem nordrhein-westfälischen Vorbereitungsdienst mit der
Begründung der Ungeeignetheit für den Lehrerberuf entlassen worden war, teilte
die Klägerin in den Gesprächen nicht mit. Unter dem 9. April 2009 schlossen die
Parteien einen für den Zeitraum 20. April 2009 bis 10. Juli 2009 befristeten
Arbeitsvertrag als Vertretung (Bl. 26-28 d.A.). Unter dem 29. April 2009 füllte die
Klägerin einen Personalbogen für die hessische Landesverwaltung aus, dessen
Inhalt sich aus Bl. 1 f. Anlagenband ergibt. Nachdem die Klägerin die ersten
Wochen an der B-Schule gearbeitet hatte, wobei es sich im Hinblick auf den
Zeitpunkt im Schuljahr um eine sehr hektische Zeit handelte, ergab sich an dieser
Schule aufgrund einer Elternzeit einer Lehrkraft ein weiterer Lehrerbedarf. Deshalb
wollte der Schulleiter, da keine andere Ersatzkraft bereit stand, den Vertrag mit
der Klägerin verlängern und informierte die Schulbehörde entsprechend. In
Unkenntnis des beklagten Landes über die tatsächlichen Umstände der
Beendigung des Referendariats in Nordrhein-Westfalen schlossen die Parteien
unter dem 1./10. Juli 2009 einen weiteren befristeten Arbeitsvertrag für den
Zeitraum 19. August 2009 bis 12. November 2010 (Bl. 30-32 d.A.). Mit Schreiben
vom 15. Oktober 2009, der Klägerin zugegangen am 20. Oktober 2009, focht das
beklagte Land den Arbeitsvertrag vom 1. Juli 2009 wegen arglistiger Täuschung an
(Bl. 7-11 d.A.).
Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhaltes, des Vortrags der Parteien im
ersten Rechtszug und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des
angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 18. März 2010
gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen (Bl. 110-116 d. A.).
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat durch das vorgenannte Urteil die Klage
abgewiesen. Es hat angenommen, das beklagte Land habe die Willenserklärung
zum Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags vom 1./10. Juli 2009 wegen
arglistiger Täuschung durch die Klägerin anfechten können. Die Klägerin habe,
indem sie den Umstand verschwiegen habe, dass sie aus dem Referendariat in
Nordrhein-Westfalen mit der Begründung der fachlichen Ungeeignetheit entlassen
worden sei, das beklagte Land getäuscht. Insoweit habe eine Offenbarungspflicht
der Klägerin bestanden, da es sich hierbei um einen Umstand gehandelt habe, der
ihr zwar die Erbringung ihrer Arbeitsleistung nicht unmöglich gemacht habe, der
jedoch für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender
Bedeutung gewesen sei. Auch die vertretungsweise Lehrertätigkeit an einer
öffentlichen Haupt- und Realschule sei eine besonders verantwortungsvolle
Tätigkeit und die persönliche Eignung einer Bewerberin um einen solchen
Arbeitsplatz für den Stellenanbieter daher von herausragender Bedeutung.
Weiterhin habe die Klägerin das beklagte Land durch Unterlassen der Angaben zu
dem in Nordrhein-Westfalen absolvierten Referendariat getäuscht, da der von ihr
der Bewerbung beigefügte Lebenslauf Unwahrheiten enthalten habe. In ihm habe
die Klägerin suggeriert, während der Jahre 2003 und 2004 anderweitiger
Tätigkeiten nachgegangen zu sein. Eine weitere Täuschungshandlung liege in der
Vorlage des Personalbogens, in dem ebenfalls keine Angaben zu dem
Vorbereitungsdienst in Nordrhein-Westfalen enthalten sind. Die Klägerin sei aber
verpflichtet gewesen, Fragen zu ihrem beruflichen Werdegang wahrheitsgemäß zu
beantworten. Die Täuschungshandlungen der Klägerin hätten bei dem beklagten
Land zu einem Irrtum geführt, der für die Abgabe der Willenserklärung zum
Abschluss des Arbeitsvertrags vom 1./10. Juli 2009 ursächlich geworden sei. Dem
stehe nicht der Umstand entgegen, dass sie ihm Rahmen der Gespräche mit dem
Schulleiter der B-Schule vor Abschluss des ersten befristeten Arbeitsvertrags
Angaben zu dem Referendariat in Nordrhein-Westfalen gemacht habe. Selbst
wenn solche Informationen dem Schulamt zugerechnet werden könnten, was
fraglich sei, läge gleichwohl ein Irrtum vor, da die Klägerin nicht mitgeteilt habe,
dass sie entlassen worden sei und auch nicht die Gründe für die Entlassung
offengelegt habe. Kenntnisse anderer Behörden des Landes Hessen, etwa die des
Hessischen Kultusministeriums oder des Amtes für Lehrerbildung, zu ihrer Person
müsse sich das staatliche Schulamt C nicht zurechnen lassen. Die Ursächlichkeit
der Täuschung für den Willensentschluss des beklagten Landes liege jedenfalls in
5
6
7
8
9
10
11
12
13
der Täuschung für den Willensentschluss des beklagten Landes liege jedenfalls in
Form einer ausreichenden Mitursächlichkeit vor. Es sei davon auszugehen, dass
die Unkenntnis des Schulamts C über den Grund der Beendigung des
Vorbereitungsdienstes in Nordrhein-Westfalen für die Entscheidung zum Abschluss
des zweiten befristeten Arbeitsvertrags mitbestimmend gewesen sei. Der
Ursächlichkeit des Irrtums stehe nicht entgegen, dass die Täuschungshandlung
bereits im Zusammenhang mit dem ersten befristeten Arbeitsvertrag erfolgt sei.
Die Täuschung habe nach der Lebenserfahrung Einfluss auf die Entscheidung des
Landes gehabt. Die Entscheidung zum Abschluss des zweiten Vertrags sei auf der
Grundlage der bereits zuvor gemachten Angaben der Klägerin erfolgt. Andere
Angaben seien nicht vorhanden gewesen. Die Klägerin habe auch arglistig
gehandelt, denn sie wusste, dass der von ihr vorgelegte Lebenslauf
Halbwahrheiten enthalten habe, indem sie satt des Referendariats in Nordrhein-
Westfalen für diesen Zeitraum andere Tätigkeiten angegeben habe. Wegen der
weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 116-128 d.A. Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin innerhalb der zur Niederschrift über die
Berufungsverhandlung am 1. Dezember 2010 festgestellten und dort ersichtlichen
Fristen Berufung eingelegt.
Sie verfolgt ihr Klagebegehren teilweise unter Wiederholung und Ergänzung ihres
erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Sie vertritt die Ansicht, sie habe keine
Verletzung von Offenbarungspflichten im Zusammenhang mit ihrer Einstellung
begangen. Sie habe aufgrund der von ihr gezeigten Leistungen bei Abschluss des
in Frage stehenden Vertrags zu Recht davon ausgehen können, dass es auf eine in
Nordrhein-Westfalen abgebrochene Ausbildung nicht ankomme. Deshalb habe die
Frage nach einer vormaligen Ausbildung keine Relevanz gehabt, was eine arglistige
Täuschung ausschließe. Auch sei der nunmehr streitgegenständliche
Arbeitsvertrag geschlossen worden, nachdem sie bereits bei dem beklagten Land
im Schuldienst gearbeitet habe. Im Übrigen habe sie – was unstreitig ist – den
Schulleiter über den Umstand, dass sie in Nordrhein-Westfalen ein Referendariat
teilweise durchlaufen habe, informiert.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 18. März 2010 – 19 Ca
9220/09 – abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien
über den 20. Oktober 2009 fortbesteht und nicht durch Anfechtung des beklagten
Landes mit Schreiben vom 15. Oktober 2009 aufgelöst worden ist.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls unter Wiederholung seines
erstinstanzlichen Vorbringens. Es vertritt die Ansicht, die Anfechtung sei wegen
arglistiger Täuschung gerechtfertigt, weil die Klägerin in mehrfacher Hinsicht
falsche und unvollständige Angaben über den Verlauf ihrer Berufsausbildung
gemacht habe. So sei den von ihr vorgelegten Lebenslauf zu entnehmen, dass sie
in dem Zeitraum Dezember 2002 bis Januar 2005 allein ihre Promotion
weitergeführt und eine Lehrtätigkeit in verschiedenen Fächern ausgeübt habe.
Damit habe sie die Tatsache des Referendariats in Nordrhein-Westfalen arglistig
verschwiegen. Gleiches gelte in Bezug auf den Personalbogen. Eine weitere
Täuschungshandlung liege in Bezug auf das hessische Referendariat vor, da sie die
zweite Staatsprüfung nicht bestanden hatte. Das beklagte Land ist der Ansicht,
dass Schulamt C müsse sich nicht eine mögliche Kenntnis anderer
Geschäftsbereiche zurechnen lassen.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 1. Dezember 2010 (Bl. 267 d.A.)
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin gegen das am 19. März 2010 verkündete Urteil des
Arbeitsgerichts Frankfurt am Main ist zulässig. Das Rechtsmittel ist als in einem
Rechtsstreit über den Bestand eines Arbeitsverhältnis eingelegt ohne Rücksicht
auf den Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 Abs. 2, 8 Abs. 2
ArbGG). Die Klägerin hat es auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet
(§§ 519, 520 ZPO, 66 Abs. 1 ArbGG).
14
15
16
17
18
19
20
Nach §§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 520 Abs. 3 ZPO muss die Berufungsbegründung die
Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung und
deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt (§ 520 Abs. 3 Nr. 2
ZPO), und/oder die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der
Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung im angefochtenen Urteil
begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 522 Abs. 3 Nr. 3
ZPO) und/oder die Bezeichnung der neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel,
soweit sie zulässig sind (§ 520 Abs. 3 Nr. 4 ZPO i.V.m. § 67 Abs. 2 u. 3 ArbGG).
Zweck des gesetzlichen Begründungszwangs ist es formale, bloß formelhafte,
nicht auf den konkreten Streitfall bezogene Begründungen auszuschließen, um
dadurch auf die Zusammenfassung und Beschränkung des Streitstoffs sowie die
Beschleunigung des Verfahrens im zweiten Rechtszug hinzuwirken. § 520 Abs. 3
ZPO soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz ausreichend
vorbereitet werden kann. Die Berufungsbegründung muss eine Bezeichnung der
Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit
für die angefochtene Entscheidung ergibt (vgl. BAG vom 14. Oktober 2004 - 6 AZR
564/03, AP Nr. 3 zu § 2 BAT SR 2r Rn 42). Die Berufungsbegründung muss deshalb
auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein. Sie muss klar und
konkret erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art
sowie aus welchen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für
unrichtig hält. Es reicht deshalb nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche
Würdigung durch den Erstrichter mit formelhaften Wendungen zu rügen (vgl. BAG
10. Februar 2005 - 6 AZR 183/04, NZA 2005, 597; BAG vom 6. März 2003 - 2 AZR
596/02, BB 2003, 1561; BAG vom 11. März 1998 - 2 AZR 497/97, AP Nr. 49 zu §
519 ZPO; Hess. LAG vom 12. Mai 2003, 16 Sa 160/03).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die Berufung zulässig, weil sich die Klägerin
innerhalb der Berufungsbegründungsfrist mit den Gründen der angefochtenen
Entscheidung in der gebotenen Art und Weise auseinandergesetzt hat.
Sie hat aufgezeigt, dass und warum sie eine Verletzung von Offenbarungspflichten
im Zusammenhang mit ihrer Einstellung nicht als gegeben ansieht und dass sie
aufgrund der von ihr gezeigten Leistungen bei Abschluss des in Frage stehenden
Vertrags zu Recht davon ausgehen konnte, dass es auf eine in Nordrhein-
Westfalen abgebrochene Ausbildung nicht ankommt, mithin Fragen nach einer
vormaligen Ausbildung keine Relevanz gehabt haben, was eine arglistige
Täuschung ausschließt. Sie hat sich im Übrigen auch mit den Angaben in den
Vorstellungsgesprächen und den bei dem beklagten Land vorliegenden
Informationen befasst, die ebenfalls für die Bewertung einer Täuschungshandlung
von Bedeutung sind und Ausführungen zur Kausalität im Zusammenhang mit dem
Arbeitsvertrag gemacht.
Die Berufung ist auch begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht
infolge der Anfechtung des befristeten Arbeitsvertrags vom 1./10. Juli 2009 mit
dem 20. Oktober 2009 geendet. Das beklagte Land kann sich nicht mit Erfolg auf
die Rechtsunwirksamkeit des zweiten befristeten Arbeitsvertrags gemäß § 142
BGB infolge einer von ihm unter dem 15. Oktober 2009 erklärten Anfechtung
berufen.
Gemäß § 123 Abs. 1 BGB kann derjenige eine von ihm abgegebene Erklärung
anfechten, der durch arglistige Täuschung zu ihrer Abgabe bestimmt worden ist.
Der Tatbestand der arglistigen Täuschung gemäß § 123 BGB setzt in objektiver
Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von
Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn zur Abgabe einer
Willenserklärung veranlasst. Grundsätzlich muss sich die Täuschung auf objektiv
nachprüfbare Umstände beziehen, während subjektive Werturteile nicht genügen
(vgl. BAG vom 29. Januar 1997 - 2 AZR 472/96, AP Nr. 43 zu § 123 BGB). Dabei ist
der nach § 123 BGB notwendige Kausalzusammenhang schon dann zu bejahen,
wenn die getäuschte Partei nur mit einer Täuschung in einem bestimmten
Umfange gerechnet hat, später sich aber herausstellt, dass die Täuschung
wesentlich weiter ging. Er ist jedoch zu verneinen, wenn die getäuschte Partei den
Vertrag ohne Rücksicht auf den Umfang der Täuschung abgeschlossen hat (vgl.
BAG vom 15. Mai 1997 - 2 AZR 43/96, AP Nr. 45 zu § 123 BGB a.a.O. m.w.H.).
Im Verschweigen von Tatsachen bzw. im Unterlassen einer Aufklärung kann eine
zur Anfechtung berechtigende Täuschung nur dann liegen, wenn eine
Offenbarungspflicht besteht, etwa weil das Verschweigen gegen Treu und Glauben
21
22
23
24
25
26
Offenbarungspflicht besteht, etwa weil das Verschweigen gegen Treu und Glauben
verstößt und der Vertragspartner unter den gegebenen Umständen die Mitteilung
der verschwiegenen Tatsachen hätte erwarten dürfen (vgl. BGH Urteil vom 27.
April 1972 - II ZR 150/68, WM 1972, 1443; Staudinger/Singer/von Finckenstein, BGB
(2004), § 123 Rn 10 ff., m.w.N.; RGRK-Krüger-Nieland, BGB, 12. Aufl., § 123 Rn 16
und 18 m.w.N.).
Die Darlegungs- und Beweislast für die eine vorsätzliche Täuschung begründenden
Umstände sowie deren Ursächlichkeit für die angefochtene Willenserklärung trägt
der Anfechtende; das gilt auch, soweit es um eine Täuschung durch arglistiges
Verschweigen geht (vgl. BAG vom 15. Mai 1997 a.a.O.; RGRK-Krüger-Nieland, aaO,
Rn 68 f., m.w.N.).
Im Zusammenhang mit der Vorlage einer Bewerbung und im Rahmen von
Einstellungsgesprächen sind solche Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten, die in
zulässiger Weise gestellt worden sind. Dies setzt ein berechtigtes, billigenswertes
und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung der Frage voraus. Andernfalls
ist die wahrheitswidrige Beantwortung nicht rechtswidrig (vgl. BAG vom 28. Mai
1998 - 2 AZR 549/97, AP Nr. 46 zu § 123 BGB). Das Fragerecht des Arbeitgebers
und die entsprechende Pflicht des Arbeitnehmers zur wahrheitsgemäßen
Beantwortung folgen aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), der
auch das vorvertragliche Anbahnungsverhältnis der Parteien beherrscht. Allerdings
sind in diesem Zusammenhang auch die gegensätzlichen Interessen der
Beteiligten zu beachten. Der künftige Arbeitgeber ist daran interessiert, von dem
Bewerber alle für das konkret beabsichtigte Arbeitsverhältnis erforderlichen
Tatsachen zu erfahren, um den Arbeitsplatz mit einem geeigneten Bewerber
besetzen zu können. Der Bewerber hingegen ist daran interessiert, möglichst
wenig aus seinem persönlichen Bereich offenbaren zu müssen, um nicht Gefahr zu
laufen, den Arbeitsplatz nicht zu erhalten. Dieses anerkannte Interesse folgt aus
dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (vgl. BAG vom 1. August 1985 - 2
AZR 101/83, AP Nr. 30 zu § 123 BGB).
In Abwägung dieser unterschiedlichen Interessenslagen wird deshalb allgemein
angenommen, dass Fragen nach der Ausbildung, Qualifikationen und dem
beruflichen Werdegang einschließlich Ausbildungs- und Weiterbildungszeiten
grundsätzlich zulässig sind und der Arbeitnehmer daher auch zur
wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage nach früheren
Beschäftigungsverhältnissen und deren Dauer verpflichtet ist, da nur hierdurch die
Eignung für eine vorgesehene Tätigkeit ermittelt werden kann (vgl.
Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Komm., 4 Aufl., § 123 BGB Rn 9 m.w.H.;
ErfK-Preis, 10. Aufl., § 123 BGB Rn 273).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin – wie das Arbeitsgericht
angenommen hat – im Zusammenhang mit den von ihr in den
Vorstellungsgesprächen bei dem Schulleiter der B-Schule und ihrem Lebenslauf
vom 30. Januar 2009 und dem Personalbogen vom 29. April 2009 getätigten
Angaben Tatsachen verschwiegen hat und dieses Verschweigen gegen Treu und
Glauben verstößt, weil das beklagte Land als Vertragspartner unter den
gegebenen Umständen die Mitteilung der verschwiegenen Tatsachen hätte
erwarten dürfen. Tatsächlich entsprechen die von ihr gemachten Angaben –
insbesondere in den Vorstellungsgesprächen – nicht den zu diesem Zeitpunkt
feststehenden objektiven Tatsachen. Nicht die Klägerin hat das Referendariat in
Nordrhein-Westfalen abgebrochen, sondern das Land Nordrhein-Westfalen hat den
Vorbereitungsdienst durch Widerruf der Ernennung in das Beamtenverhältnis
beendet. Das Referendariat in Hessen hatte sie nicht bestanden, was mit der
Formulierung „steht noch aus“ nicht zutreffend beschrieben wird.
Denn nach Auffassung der Berufungskammer fehlt es an der notwendigen
Kausalität der Täuschungshandlungen der Klägerin für den Abschluss des zweiten
befristeten Arbeitsvertrags vom 1./10. Juli 2009.
Um eine Anfechtung rechtfertigen zu können, muss zwischen der
Täuschungshandlung und der Willenserklärung Kausalität bestehen. Die
Täuschungshandlung muss zu einem Irrtum des Getäuschten führen, und der
Irrtum muss für eine Willenserklärung ursächlich sein, die der Getäuschte ohne die
Täuschung nicht, mit anderem Inhalt oder jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt
abgegeben hätte (vgl. BAG vom 11. November 1993 - 2 AZR 467/93, AP Nr. 38 zu
§ 123 BGB m.w.H.). Für die Annahme der Kausalität genügt allerdings schon
Mitursächlichkeit der Täuschung und es reicht aus, wenn der Getäuschte
27
28
29
Mitursächlichkeit der Täuschung und es reicht aus, wenn der Getäuschte
Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein können
und die Täuschung nach der Lebenserfahrung Einfluss auf die Entscheidung haben
kann (vgl. vgl. BAG vom 12. Mai 2010 - 2 AZR 544/08, NZA 2010, 1250; BAG vom
28. November 2007 – 6 AZR 1108/06, AP Nr. 36 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag;
BAG vom 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98, AP Nr. 50 zu § 123 BGB
). Erfolgt aus Anlass der
Begründung eines Arbeitsverhältnisses eine arglistige Täusche durch den
Arbeitnehmer und wird aufgrund Fristablauf oder wegen Änderung der
Vertragsbedingungen ein neuer Arbeitsvertrag geschlossen, setzt die
Berechtigung zu dessen Anfechtung voraus, dass Anhaltspunkte vorliegen, aus
denen sich ergibt, dass die im Zusammenhang mit dem ersten Vertragsschluss
begangene Täuschungshandlung Grundlage der Willensbildung des Arbeitgebers
und damit kausal auch für den zweiten Vertragsabschluss geworden (vgl. Hess.
LAG vom 24. Juni 2010 – 11 Sa 45/10 n.v.; LAG Hamm vom 12. Februar 2009 – 8
Sa 1368/08, dokumentiert in juris).
Dem Vorbringen des beklagten Landes zum Zustandekommen des zweiten
befristeten Arbeitsvertrags vom 1./10. Juli 2009 ist nicht zu entnehmen, dass
Anfechtungsgründe beziehungsweise Täuschungshandlungen der Klägerin – deren
Vorhandensein unterstellt – auch bei Abschluss des zweiten Arbeitsvertrags
erkennbar fortgewirkt haben, also für den angefochtenen Arbeitsvertrag kausal
gewesen sind. Es ist nicht zu erkennen, dass und warum die für den Abschluss des
ersten Arbeitsvertrags maßgebliche Überlegungen für die damalige
Einstellungsentscheidung auch noch nach der gut zweimonatigen Tätigkeit der
Klägerin für den zweiten befristeten Arbeitsvertrag mit deutlich geänderten
Arbeitsbedingungen eine entscheidende Rolle gespielt haben. Der Vortrag des
beklagten Landes zum Zustandekommen des angefochtenen Arbeitsverhältnisses
zeigt vielmehr, dass die Angaben („Auslassungen“) der Klägerin in ihrem
Lebenslauf und dem Personalfragebogen überhaupt keine Rolle für die
Entscheidung zum Abschluss des Vertrags vom 1./10. Juli 2009 gehabt haben. Der
Vertrag kam zustande, nachdem der Schulleiter einen erneuten Vertretungsbedarf
gesehen und offensichtlich die Klägerin als geeignet für diese Vertretungsaufgaben
angesehen und daraufhin das Schulamt C den Vertrag ausgefertigt hat. Es ist
nicht ersichtlich, dass die Angaben, die die Klägerin im Zusammenhang mit der
Begründung des ersten befristeten Arbeitsvertrags in die Entscheidungsfindung
des beklagten Landes, der Klägerin einen weiteren befristeten Vertrag anzubieten,
zumindest miteingeflossen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Das beklagte Land hat als
unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Für die Zulassung der Revision besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung
(§ 72 Abs. 2 ArbGG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.