Urteil des LAG Hessen vom 01.04.2009

LAG Frankfurt: arbeitsunfähigkeit, arbeitsgericht, wichtiger grund, schwarzarbeit, betriebsrat, innenausbau, zeugenaussage, abmahnung, auflösung, beweislast

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
6. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 Sa 1593/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 5 Abs 1 EntgFG, § 626 Abs
1 BGB
Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Kassel vom 10. Juli 2008 – 3 Ca 173/08 – abgeändert und die Klage
abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.
Der am 20. Juni 1955 geborene, verheiratete und drei Kindern im Alter von 11, 19
und 25 Jahren unterhaltspflichtige Kläger war seit dem 04. November 1987 bei der
Beklagten als Stahlschweißer beschäftigt.
Die Beklagte ist ein tarifgebundenes Unternehmen der Metall- und
Elektroindustrie. Sie produziert und vertreibt automatische Türsysteme für
Straßen- und Schienenfahrzeuge.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien zunächst mit Schreiben
vom 29. November 2007 zum 31. Mai 2008. Über die Wirksamkeit dieser
Kündigung ist mit dem Aktenzeichen 3 Ca 513/07 ein Rechtsstreit beim
Arbeitsgericht Kassel anhängig. Die betriebsbedingte Kündigung vom 29.
November 2007 wurde ausgesprochen, nachdem die Betriebsparteien im Rahmen
von Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan sich am 15.
Oktober 2007 über den Abbau von mehr als 60 Arbeitsplätzen verständigten, und
darauf, die zu kündigenden Arbeitnehmer, u. a. den Kläger, namentlich zu
bezeichnen.
Im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ausspruch der betriebsbedingten
Kündigungen auf der Grundlage dieses Interessenausgleichs mit Namensliste
erhöhte sich der Krankenstand innerhalb der Belegschaft der Beklagten. Der
Kläger war arbeitsunfähig erkrankt vom 05. September bis 05. Oktober 2007, vom
17. Oktober bis 16. November 2007, vom 08. Januar bis 18. Februar 2008 und vom
06. März bis 04. April 2008. Die Entgeltfortzahlungspflicht der Beklagten für den
Kläger endete am 15. März 2008. Die Beklagte entschloss sich, wegen des
angestiegenen Krankenstandes zu dessen Überprüfung einen Detektiv
einzuschalten. Dieser sollte u. a. auch die Arbeitsunfähigkeit des Klägers
überprüfen. Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass der Detektiv den Kläger am
19. März 2008 zwischen 12.00 Und 13.30 Uhr in einer Spielhalle antraf. Der Kläger
hat sich dahingehend eingelassen, dass er die Spielhalle aufsuchte um seinen
Sohn zu suchen. Er habe deshalb auch die Gäste der Spielhalle nach dem Verbleib
seines Sohnes befragt und – weil ohnehin nicht unter Zeitdruck stehend – habe er
auch noch das eine oder andere Wort gewechselt. Unstreitig ist weiter auch, dass
der Detektiv mit dem Kläger ein Gespräch am Telefon führte. Die Beklagte hat
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der Detektiv mit dem Kläger ein Gespräch am Telefon führte. Die Beklagte hat
zum Inhalt des Telefongesprächs vorgetragen, dass der Detektiv unter dem
Vorwand, sich in der Telefonnummer geirrt zu haben, dem Kläger mitteilte, dass er
sich mit einer anderen Person zum Arbeiten bei ihm verabredet hätte, und dass
diese Person noch nicht da sei. Daraufhin habe der Kläger dem Detektiv sofort
seine Dienste und seine Person zum Arbeiten angeboten. Der Kläger habe den
Detektiv gefragt, für welche Tätigkeit er die andere Person denn suche. Der
Detektiv habe dem Kläger erklärt, dass er jemanden suche für einen Innenausbau,
und zwar zum Wände einreißen, Mauern und für Malerarbeiten. Der Kläger habe
dem Detektiv mitgeteilt, dass er auch Mauern könnte und auch mit Malerarbeiten
hätte er kein Problem. Der Kläger habe weiter gefragt, was man ihm denn zahlen
würde und erklärt, er könne sofort anfangen. Auf die Frage des Detektivs, warum
er sofort anfangen könne, ob er denn arbeitslos sei, habe der Kläger erklärt, dass
er zurzeit krank sei und sofort für diese Arbeiten zur Verfügung stehe. Ohne darum
gebeten worden zu sein, habe der Kläger dem Detektiv seine private
Handynummer gegeben und ihm erklärt, wenn er niemanden bekäme, dann solle
er unbedingt beim Kläger zurückrufen. Der Kläger hat sich zum Inhalt des
Telefongesprächs dahingehend eingelassen, dass er darauf hingewiesen habe,
dass er dem Detektiv nicht helfen könne, da er seit über 20 Jahren im Metallbau
tätig wäre und daher solche Arbeiten wie vom Detektiv beschrieben für ihn fremd
wären. Er habe aber dem Detektiv erklärt, dass er möglicherweise seinen Bruder
bzw. andere Kollegen fragen könnte, ob diese solche Arbeiten ausführen würden.
Aus diesem Grund habe er dem Detektiv auch seine Handynummer gegeben,
damit dieser bei ihm anrufen könne, soweit er keinen anderen Helfer finden würde.
Die Beklagte hörte mit Schreiben vom 20. März 2008 (Bl. 27, 28 d. A.) den im
Betrieb gewählten Betriebsrat zur außerordentlichen – hilfsweise ordentlichen –
Kündigung des Klägers wegen des Verdachts auf genesungswidriges Verhalten im
Hinblick auf den Aufenthalt in der Spielhalle an. Mit Schreiben vom 02. April 2008
(Bl. 31, 32 d. A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer außerordentlichen –
hilfsweise ordentlichen – Kündigung im Hinblick auf das Angebot von Schwarzarbeit
während der Krankheit an. Der Betriebsrat widersprach mit Schreiben vom 26.
März und 03. April 2008 (Bl. 29, 30 und Bl. 33 d. A.), weil er die Ansicht vertrat,
dass ein genesungswidriges Verhalten nicht vorliege und weil er meinte, dass die
Möglichkeit einer Verwechslung bestehe; der Bruder des Klägers führe solche
Arbeiten aus, wie der Kläger sie angeboten haben soll. Der Betriebsrat vertrat
außerdem die Ansicht, dass die außerordentliche Kündigung im Hinblick auf den
Verlust der Abfindungszahlung aus dem Sanierungstarifvertrag vom 13. Oktober
2007 und wegen drohender Sperre der Agentur für Arbeit sozial nicht
gerechtfertigt sei.
Die Kenntnis über den Inhalt des Telefonats zwischen dem Kläger und dem
Detektiv erhielt die Beklagte in der Person des Personalleiters aufgrund des
schriftlichen Detektivberichts vom 02. April 2008. Die Stellungnahme des
Betriebsrats zur Anhörung vom 02. April 2004 mit Schreiben vom 03. April 2004 ist
der Beklagten in der Person des Personalleiters am gleichen Tage zugegangen.
Die Beklagte sprach daraufhin mit Schreiben vom 03. April 2008 zwei
außerordentliche Kündigungen mit sofortiger Wirkung aus (Bl. 9, 10 d. A.).
Hiergegen wendet sich der Kläger mit beim Arbeitsgericht am 14. April 2008
eingegangener und der Beklagten am 15. April 2008 zugestellter
Kündigungsschutzklage.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die beiden Kündigungen der
Beklagten vom 03. April 2008 nicht außerordentlich, fristlos aufgelöst wurde.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien
aufgrund rechtmäßiger außerordentlicher Kündigung geendet hat. Die zur
außerordentlichen Kündigung berechtigende schwerwiegende Vertragsverletzung
sieht die Beklagte einmal wegen genesungswidrigen Verhaltens des Klägers bzw.
wegen Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass kein genesungswidriges Verhalten
vorliege und auch keine Umstände gegeben seien, die die Annahme der
Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit rechtfertigen könnten, da nämlich
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Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit rechtfertigen könnten, da nämlich
unzutreffend sei, dass er Schwarzarbeit angeboten habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 10. Juli 2008 stattgegeben. Das
Arbeitsgericht hat zunächst gemeint, die Beklagte habe mit dem Vorwurf, der
Kläger habe Schwarzarbeit während seines Krankheitsstandes angeboten, ein
wettbewerbswidriges Verhalten des Klägers gerügt. Einen Wettbewerbsverstoß hat
das Arbeitsgericht im Weiteren verneint. Das Arbeitsgericht hat weiter gemeint,
dass ein Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit im Hinblick auf damit zu Unrecht
beanspruchte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall als Kündigungsgrund
ausscheide, weil der Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers im Krankheitsfall am
19. März 2008 bereits beendet war. Das Arbeitsgericht hat weiter gemeint, dass
das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit als Kündigungsgrund damit nur noch im
Hinblick auf das Zurückhalten der Arbeitsleistung des Klägers relevant sein könnte.
Die Richtigkeit der Darstellung der Beklagten unterstellt, bliebe aber festzustellen –
so das Arbeitsgericht –, dass es tatsächlich zur Aufnahme von Schwarzarbeit nicht
gekommen sei; es bliebe daher völlig offen, wie der Kläger sich im Weiteren
verhalten hätte, sich die Sache möglicherweise anders überlegt hätte oder
tatsächlich andere Personen die Arbeiten ausführen sollten. Ein genesungswidriges
Verhalten des Klägers aufgrund des Besuchs einer Spielhalle hat das
Arbeitsgericht ebenso verneint. Wegen der weiteren Einzelheiten des
erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der Erwägungen des
Arbeitsgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte innerhalb der zur Sitzungsniederschrift der
Berufungsverhandlung vom 01. April 2009 festgestellten und dort ersichtlichen
Fristen Berufung eingelegt. Die Beklagte meint, das Arbeitsgericht verkenne, dass
der Kläger durch das Anbieten seiner Dienste in eigener Person dokumentiert
habe, dass er körperlich gesund sei. Dies lasse den Schluss zu, dass die von
einem Sportmediziner attestierte Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht war und der
Kläger seine Arbeitsleistung gegenüber der Beklagten somit zu Unrecht
zurückgehalten habe. Zwar habe der Kläger – wie das Arbeitsgericht richtig
festgestellt habe – keine Entgeltfortzahlung erschlichen, da er sich zum
maßgeblichen Zeitpunkt schon außerhalb des 6-Wochen-Zeitraums des § 3 Abs. 1
Satz 1 EFZG befand. Nicht gewürdigt habe das Arbeitsgericht aber den
maßgeblichen Aspekt in diesem Zusammenhang, dass der Kläger durch sein
Verhalten nämlich das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Redlichkeit nachhaltig
zerstört habe. Auch der Besuch der Spielhalle während der Arbeitsunfähigkeit sei
geeignet, erhebliche Vorbehalte hinsichtlich der Richtigkeit der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu rechtfertigen.
Die Beklagte hält schließlich weiter ihre Rechtsmeinung aufrecht, wonach mit dem
Besuch der Spielhalle auch ein genesungswidriges Verhalten des Klägers
anzunehmen ist unter Berufung auf die Entscheidungen des
Bundesarbeitsgerichts vom 02. März 2006 – – und vom 26. August
1993 – – verweist die Beklagte darauf, dass ein arbeitsunfähig
krankgeschriebener Arbeitnehmer verpflichtet sei, sich so zu verhalten, dass er
möglichst bald wieder gesund wird und an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann.
Er habe alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Die
Verletzung dieser aus der Treuepflicht des Arbeitnehmers herzuleitende Pflicht sei
geeignet eine Kündigung zu rechtfertigen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 10. Juli 2008 – 3 Ca 173/08 –
abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil und meint unter Bezugnahme auf
sein erstinstanzliches Vorbringen, dass weder eine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht
wurde, noch ein genesungswidriges Verhalten vorgelegen habe. Richtig sei allein,
dass er sich damals kurz in der Spielhalle aufgehalten habe, da er dort seinen
Sohn gesucht habe. Er selbst habe in dieser Spielhalle sich allein im Rahmen
dieses Aufsuchens seines Sohnes aufgehalten, nicht also um selbst zu spielen.
Unzutreffend sei ebenfalls, dass er die Ausführung von ihm durchzuführender
Schwarzarbeit angeboten habe. Richtig sei, dass am 19. März 2008 eine für ihn
unbekannte Person bei ihm angerufen und ihm erklärt habe, er (die unbekannte
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unbekannte Person bei ihm angerufen und ihm erklärt habe, er (die unbekannte
Person) würde sich bezüglich der Ausführung von Arbeiten in seinem Haus in einer
Notlage befinden. Unabhängig davon, dass in diesem Verhalten des Detektivs ein
bewusst arglistiges Verhalten gesehen werden müsse, allein ausgerichtet auf das
Ziel für die Beklagte einen Kündigungsgrund zu konstruieren, bleibe festzuhalten,
dass zu keinem Zeitpunkt der Kläger irgendeine Zusage für die Aufnahme von
Schwarzarbeiten abgegeben habe. Zutreffend sei allein, dass er im Rahmen
dieses Gesprächs erklärt habe, dass er seinen Bruder bzw. andere Kollegen
befragen könne, ob diese solche Arbeiten ausführen würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der
Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen,
namentlich den Berufungsbegründungsschriftsatz vom 04. November 2008 (Bl. 73
– 84 d. A.), den Berufungserwiderungsschriftsatz vom 30. Dezember 2008 (Bl. 92 –
94 d. A.), die Replik der Beklagten auf die Berufungserwiderung vom 16. Februar
2009 (Bl. 95 – 97 d. A.) und die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 26. März
2009 überreichte schriftliche Zeugenaussage vom 01. April 2008 (Bl. 102 d. A.)
verwiesen.
Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch eidliche Vernehmung des
Detektivs, des Zeugen E. . Wegen des Inhalts der Zeugenaussage wird auf die
Sitzungsniederschrift vom 01. April 2009 (Bl. 104 – 107 d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 10.
Juli 2008 – 3 Ca 173/08 – ist statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 c ArbGG) und
außerdem form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1,
64 Abs. 6 ArbGG, 517, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.
Auch in der Sache ist die Berufung der Beklagten begründet. Das Arbeitsverhältnis
der Parteien hat mit Zugang der außerordentlichen Kündigung vom 03. April 2008
geendet. Die außerordentliche Kündigung vom 03. April 2008 ist gem. § 626 BGB
hinsichtlich des Kündigungsgrundes des Vortäuschens einer Arbeitsunfähigkeit aus
wichtigem Grund gerechtfertigt und damit rechtmäßig. Die 2-Wochen-Frist des §
626 Abs. 2 BGB ist offensichtlich eingehalten. Der schriftliche Detektivbericht
hierzu ist der Beklagten nach ihrer unwidersprochen gebliebenen Einlassung am
02. April 2008 zugegangen. Die Kündigung ist auch nicht wegen fehlerhafter
Beteiligung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG rechtsunwirksam.
Nach unwidersprochen gebliebenen Darstellung der Beklagten ist die
Stellungnahme des Betriebsrats dieser vor Ausspruch der Kündigung am 03. April
2008 zugegangen. Im Übrigen ist die Betriebsratsanhörung vom Kläger auch nicht
bestritten worden.
Hinsichtlich der rechtlichen Würdigung der ausgesprochenen außerordentlichen
Kündigung im Hinblick auf die Anforderung des § 626 Abs. 1 BGB, die hier somit
allein streitentscheidend ist, geht das Berufungsgericht mit dem Arbeitsgericht
davon aus, dass ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer
Kündigungsfrist gekündigt werden kann, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer
dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter
Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht
zugemutet werden kann. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes wird dabei durch
eine abgestufte Prüfung in zwei Stufen vollzogen. Zunächst ist zu prüfen, ob der
Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist,
einen wichtigen Grund abzugeben, sodann ist zu untersuchen, ob die Kündigung
auch bei der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt ist.
Dabei folgt das Berufungsgericht dem Arbeitsgericht auch insoweit, als es die
Ansicht des Arbeitsgerichts teilt, dass der Besuch der Spielhalle im Streitfall keine
hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Kläger sich
genesungswidrig verhalten haben könnte. Anders als das Arbeitsgericht ist das
Berufungsgericht aber der Ansicht, dass das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit
auch dann – ohne vorherige Abmahnung – eine außerordentliche Kündigung
rechtfertigen kann, wenn der Arbeitnehmer mit dem Vortäuschen der
Arbeitsunfähigkeit sich keine Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber erschleicht (weil
der 6-wöchige Entgeltfortzahlungszeitraum des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG bereits
beendet ist), sondern "nur" dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung vorenthält.
Anders als das Arbeitsgericht ist das Berufungsgericht auch der Ansicht, dass
schon die angekündigte Arbeitsbereitschaft während einer Arbeitsunfähigkeit und
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schon die angekündigte Arbeitsbereitschaft während einer Arbeitsunfähigkeit und
nicht erst das tatsächliche Durchführen von Arbeiten während der
Arbeitsunfähigkeit den Beweiswert eines Arbeitsunfähigkeitsattestes erschüttern
kann. Demgemäß war für das Berufungsgericht auch entscheidungserheblich, den
Inhalt des streitigen Telefongesprächs durch Einvernahme des Detektivs
aufzuklären.
Die Einlassung der Beklagten zur Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit im
Hinblick auf die behauptete angekündigte Arbeitsbereitschaft des Klägers während
seines Krankenstandes ist zunächst erheblich. Eine schwere, regelmäßig
schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann eine außerordentliche Kündigung eines
Arbeitnehmers aus wichtigem Grund an sich rechtfertigen. Dabei kann
insbesondere ein wichtiger Grund an sich in der erheblichen Verletzung von
Hauptleistungspflichten liegen. Die Nichterbringung der Arbeitsleistung stellt die
Verletzung der Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers dar. Dabei wird nicht jede
Nichterbringung der Arbeitsleistung – wie ein einmaliges, kurzfristiges
unentschuldigtes Fehlen bereits ohne vorherige Abmahnung – eine
außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Vielmehr müssen besondere Umstände
hinzutreten, die die Pflichtverletzung als so erheblich erscheinen lassen, dass eine
Zerstörung des Vertrauensverhältnisses eintritt, was die sofortige Auflösung des
Arbeitsverhältnisses rechtfertigt, und eine Abmahnung entbehrlich erscheinen
lässt, weil der Arbeitnehmer ohne weiteres erkennen kann, dass sein Verhalten
vom Arbeitgeber nicht als vertragsgemäße Erfüllung des Arbeitsverhältnisses
verstanden werden wird und als so schwerwiegend angesehen werden wird, dass
es der Arbeitgeber zum Anlass einer Kündigung nimmt. Diese Voraussetzungen
sind im Streitfall – die Richtigkeit des Beklagtenvorbringens unterstellt – gegeben.
Das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit und damit das Vorenthalten der
arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung ist eine erhebliche, schuldhafte
Vertragspflichtverletzung, die eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem
Grund rechtfertigen kann. Der Arbeitnehmer verletzt mit diesem Verhalten
nämlich nicht nur die von ihm geschuldete Hauptleistungspflicht. Der
Arbeitnehmer verletzt mit diesem Verhalten auch die für das Arbeitsverhältnis
erforderliche Vertrauensbasis zwischen den Parteien, indem er den Arbeitgeber
über seine Verpflichtung zur Erfüllung der Hauptleistungspflicht täuscht, indem er
vorgibt, arbeitsunfähig zu sein. Es ist auch für jeden Arbeitnehmer ohne weiteres
ersichtlich, dass der Arbeitgeber die Vorenthaltung der geschuldeten
Arbeitsleistung aufgrund des Vortäuschens einer Arbeitsunfähigkeit als eine so
schwerwiegende Vertragsverletzung ansehen wird, dass er ohne vorherige
Abmahnung das Arbeitsverhältnis kündigen wird. Das Vortäuschen der
Arbeitsunfähigkeit stellt ein unredliches Verhalten des Arbeitnehmers dar, das
unabhängig davon, ob die Arbeitsunfähigkeit zu einer Belastung des Arbeitgebers
mit Entgeltfortzahlungskosten führt oder nicht, die Vertrauensgrundlage für die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zerstört. Entscheidend ist, dass der
Arbeitnehmer nicht nur gegen seine Leistungspflichten verstößt, sondern zugleich
das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Redlichkeit zerstört
Weiter ist für den Streitfall entscheidend, dass der Arbeitgeber den
außerordentlichen Kündigungsgrund darlegen und beweisen muss. Stützt der
Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess die Kündigung auf die Behauptung, der
Arbeitnehmer habe eine Krankheit lediglich vorgetäuscht, so trifft ihn die
Darlegungs- und Beweislast, dass der Arbeitnehmer tatsächlich nicht
arbeitsunfähig erkrankt war. Legt der Arbeitnehmer ein ärztliches Attest vor, so
begründet dieses in der Regel den Beweis für die Arbeitsunfähigkeit. Bezweifelt der
Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit, dann muss er die Umstände, die gegen die
Arbeitsunfähigkeit sprechen, näher darlegen und notfalls beweisen, um dadurch
die Beweiswerte des Attestes zu erschüttern. Ist dies dem Arbeitgeber gelungen,
so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derjenige Zustand ein,
wie er vor Vorlage des Attestes bestand. Es ist dann wiederum Sache des
Arbeitnehmers, nunmehr angesichts der Umstände, die gegen die
Arbeitsunfähigkeit sprechen, weiter zu substantiieren, welche Krankheiten
vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben,
welche Verhaltensmaßregeln der Arzt gegeben hat, welche Medikamente z. B.
bewirkt haben, dass er zwar immer noch nicht die geschuldete Arbeit bei seinem
Arbeitgeber verrichten konnte, aber zu anderweitigen Tätigkeiten in der Lage war.
Kommt der Arbeitnehmer insoweit seiner Substantiierungspflicht nach, so muss
der Arbeitgeber aufgrund der ihm obliegenden Beweislast den konkreten
Sachvortrag des Arbeitnehmers widerlegen
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Sachvortrag des Arbeitnehmers widerlegen
Bei Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe war die streitige Kündigung aus
wichtigem Grund gerechtfertigt. Die Beklagte hat Umstände dargelegt und
bewiesen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die Arbeitsunfähigkeit
ab dem 19. März 2008 nur vorgetäuscht hat. Das Berufungsgericht hält es nach
der durchgeführten Beweisaufnahme für erwiesen, dass der Kläger dem Zeugen
seine Arbeitsleistung in Person für schwere körperliche Arbeit im Innenausbau
angeboten hat. Dabei ist zunächst schon zwischen den Parteien unstreitig, dass es
zu dem besagten Telefongespräch gekommen ist und im Weiteren ist zwischen
den Parteien auch unstreitig, dass es sich in dem Telefongespräch um die
Verrichtung von körperlicher Arbeit im Innenausbau ging. Allein streitig ist
geblieben, ob der Kläger seine Arbeitsleistung in Person angeboten hat oder sich
bereit erklärt hat, seinen Bruder bzw. Arbeitskollegen für eine Tätigkeit im
Innenausbau zu gewinnen. Auch wenn der Zeuge sich an alle Einzelheiten des
Gesprächs nach einem Jahr nicht mehr im Einzelnen erinnert und auch eingedenk
des Umstandes, dass der Zeuge einräumte, dass er nicht mehr weiß, ob der
Kläger seine Dienste in der Ich-Form angeboten hat oder von "wir" gesprochen hat,
hat der Zeuge doch bestätigt, dass er den Kläger gefragt habe, ob er arbeitslos
sei und warum er arbeiten könne und dass der Kläger ihm gesagt habe, dass er
krank sei und ihm auch mitgeteilt habe, dass er arbeiten könne. Weiter hat der
Zeuge bestätigt, dass er die zu den Akten gereichte Aussage, niedergeschrieben
am 01. April 2008 (Bl. 102 d. A.) nach seinem Bericht gefertigt hat. Es macht
keinen Sinn, wenn der Kläger auf die Frage des Zeugen, ob er arbeitslos sei und
warum er arbeiten könne erklärt hat, dass er krank sei aber trotzdem arbeiten
könne, wenn die Version des Telefongesprächs des Klägers richtig sein soll, dass
der Kläger nämlich lediglich seinen Bruder bzw. andere Arbeitskollegen für die vom
Zeugen gewünschte Tätigkeit vermitteln wollte. Der Zeuge ist dem
Berufungsgericht auch nicht unglaubwürdig erschienen. Dies gilt auch eingedenk
des Umstandes, dass er seine Zeugenaussage hinsichtlich des
Zustandekommens der Anlage Bl. 102 d. A. im Verlauf der Vernehmung berichtigt
hat. Das Berufungsgericht sieht auch keinen rechtlichen Gesichtspunkt, unter dem
die Einvernahme des Zeugen unrechtmäßig sein sollte bzw. die Verwertung der
Zeugenaussage ausgeschlossen sein soll. Ein substantiiertes Gegenvorbringen,
weshalb der Kläger dem Zeugen gegenüber erklärt hat – wie nach der
Beweisaufnahme feststeht –, dass er arbeiten könne, obwohl er krank sei, ist nicht
erfolgt. Damit steht für das Berufungsgericht fest, dass die Aussage des Klägers
insoweit zutreffend ist und er trotz einer attestierten Arbeitsunfähigkeit für Maurer-
und Malerarbeiten arbeitsfähig war. Es ist auch nicht ersichtlich, dass diese
Tätigkeit von der Tätigkeit des Klägers als Stahlschweißer bei der Beklagten
erheblich abweicht. Der Kläger hat insgesamt nicht anderweitig dargelegt und
unter Beweis gestellt, trotz seiner durch die Beweisaufnahme bestätigten
Aussagen gegenüber dem Zeugen gleichwohl arbeitsunfähig erkrankt gewesen zu
sein.
Die Interessenabwägung fällt gegen den Kläger aus. Dies gilt ungeachtet der
langen Dauer des Arbeitsverhältnisses und der bestehenden Unterhaltspflichten.
Die betrieblichen Interessen der Beklagten an der sofortigen Auflösung des
Arbeitsverhältnisses überwiegen. Der Arbeitgeber hat nämlich insoweit auch zu
berücksichtigen, wie es sich auf das Verhalten der übrigen Arbeitnehmer auswirkt,
wenn er von einer Kündigung absieht. Insoweit handelt es sich noch um Folgen des
Fehlverhaltens, für das der Arbeitnehmer einzustehen hat. Schon ein einmaliger
Fall einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit, auch wenn der Arbeitnehmer damit
keine Entgeltfortzahlungskosten erschleicht, kann deshalb eine Kündigung
rechtfertigen, auch wenn der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, zu der Frage der
Wiederholungsgefahr weitere Umstände vorzutragen. Ein anderes Ergebnis der
Interessenabwägung kann auch nicht mit dem Hinweis auf die dem Kläger
entgangene Sozialplanabfindung und erst recht nicht mit Hinweis auf die zu
erwartende Sperre der Agentur für Arbeit begründet werden. Ohne dass dies
rechtlich von Bedeutung wäre, weil das Berufungsgericht eine Entscheidung nur
darüber zu treffen hat, ob das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche
Kündigung vom 03.04.2008 beendet worden ist oder fortbesteht, sei an dieser
Stelle jedoch erwähnt, dass die Beklagte auch noch nach durchgeführter
Beweisaufnahme bereit war, dem Kläger bei einvernehmlicher Auflösung des
Arbeitsverhältnisses eine Abfindung von € 10.000,00 zu zahlen, was gut ein Drittel
der im Sozialplan für den Kläger vorgesehenen Sozialplanabfindung ausgemacht
hätte.
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Der Kläger hat als unterlegen Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision besteht
nicht.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.