Urteil des LAG Hessen vom 29.01.2008

LAG Frankfurt: betriebsrat, versetzung, einheit, konzernobergesellschaft, arbeitsgericht, integration, firma, vertretung, unterrichtung, anhörung

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
4. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 TaBV 259/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 99 Abs 4 BetrVG, § 100 Abs
2 S 3 BetrVG, § 81 Abs 1 S 1
BetrVG, § 95 Abs 2 S 1
BetrVG, § 99 Abs 1 BetrVG
Versetzung - Zustimmungsersetzung
Tenor
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 3 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts
Darmstadt vom 25. September 2007 – 3 BV 13/07 – zum Teil abgeändert:
Die Anträge werden insgesamt zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des zu 3) beteiligten
Betriebsrats zu diversen personellen Maßnahmen.
Die antragstellenden Arbeitgeberinnen gehören zum Konzern der A AG. Sie
betreiben einen Gemeinschaftsbetrieb in B, in dem regelmäßig weit mehr als
zwanzig wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden, die vom Betriebsrat
repräsentiert werden. Teil des Unternehmens ist die Serviceeinheit Systems
Integration (SU SI). Diese soll aufgrund eines u.a. von den Arbeitgeberinnen mit
dem Gesamtbetriebsrat geschlossenen Interessenausgleichs organisatorisch
umstrukturiert werden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage ASt 3 zur
Antragsschrift (Bl. 49 - 67 d.A.) Bezug genommen. Auf der Grundlage des
Interessenausgleichs ordneten die Arbeitgeberinnen die betroffenen Arbeitnehmer
den neuen Organisationseinheiten zu. Sie unterrichteten den Betriebsrat mit
mehreren Schreiben vom 16. März 2007 und 04. April 2007 über diese
Neuzuordnung betreffende "Versetzungen". Sie erklärten, dass sich die Tätigkeit
der Arbeitnehmer nur in explizit aufgeführten Fällen ändere. Wegen des
vollständigen Inhalts der Unterrichtung wird auf die Anlage ASt 6 zur Antragsschrift
(Bl. 86 - 120 d.A.) Bezug genommen. Der Anhörung beigefügt war eine sog.
Migrationsliste mit ergänzenden Angaben zu den Tätigkeitsgruppen der
Arbeitnehmer. Der Betriebsrat widersprach der Maßnahme mit einer E-Mail vom
10. April 2007 und rügte u.a. eine unzureichende Information über die
Maßnahmen. So fehle eine Beschreibung der Positionen und der konkreten
Arbeitsaufgaben der Arbeitnehmer in ihrer neuen Organisationseinheit. Die
Angabe der Tätigkeitsgruppe reiche nicht aus, da sich für die meisten
Arbeitnehmer der bisherige Arbeitsinhalt deutlich ändern werde. Wegen der
vollständigen Begründung der Widersprüche wird auf die Anlage zur Antragsschrift
(Bl. 123 - 125 d.A.) Bezug genommen. Die Arbeitgeberinnen leiteten das
vorliegende Verfahren gemäß §§ 99 Abs. 4, 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG darauf mit
einer am 13. April 2007 beim Arbeitsgericht eingereichten Antragsschrift ein. Sie
lassen sich im vorliegenden Verfahren von Angestellten der
Konzernobergesellschaft vertreten.
Die Arbeitgeberinnen haben die Auffassung vertreten, sie hätten den Betriebsrat
ausreichend unterrichtet, und in diesem Zusammenhang behauptet, es seien
sämtliche Arbeitnehmer mit ihren bisherigen Aufgaben in die neue Organisation
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sämtliche Arbeitnehmer mit ihren bisherigen Aufgaben in die neue Organisation
versetzt worden. Infolge der Neuorganisation werde sich an ihrem Arbeitsplatz
weder in räumlicher noch in technischer oder örtlicher Hinsicht etwas verändern.
Sowohl die Rollen/Positionen als auch die konkreten Arbeitsaufgaben und
Arbeitsinhalte blieben bestehen. Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sach- und
Streitstandes und der dort gestellten Anträge wird auf den tatbestandlichen Teil
des angefochtenen Beschlusses (Bl. 231 - 237 d.A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Zustimmung des Betriebsrats zu den von den
Arbeitgeberinnen als Versetzung bezeichneten Maßnahmen ersetzt und die
Anträge gemäß § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG zurückgewiesen. Wegen der
Begründung wird auf die Ausführungen unter II. des angefochtenen Beschlusses
(Bl. 237 - 240 d.A.) Bezug genommen.
Der Betriebsrat hat gegen den am 29. Oktober 2007 zugestellten Beschluss am
01. Oktober 2007 Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Er ist
der Ansicht, eine Vertretung der Arbeitgeberinnen durch Mitarbeiter ihrer
Konzernobergesellschaft sei unzulässig. Zudem hätten die Arbeitgeberinnen die
Beteiligungsverfahren gemäß §§ 99 Abs. 1, 100 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht
gemeinsam für alle betroffenen Arbeitnehmer, sondern lediglich beschränkt auf
die in einem Arbeitsverhältnis mit ihnen stehenden Arbeitnehmer durchführen
dürfen.
Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags des Betriebsrats wird auf die
Schriftsätze vom 27. September und 26. November 2007 Bezug genommen.
Der Betriebsrat beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 25. September 2007 – 3 BV
13/07 – teilweise abzuändern und die Anträge der Antragstellerinnen insgesamt
zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberinnen verteidigen zur Begründung ihres Zurückweisungsantrags
die Würdigung des Arbeitsgerichts wie im Schriftsatz vom 30. November 2007
ersichtlich.
II.
Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet.
1. Die Anträge der Arbeitgeberinnen sind nicht zulässig.
Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO setzt eine zulässige Klageerhebung die bestimmte
Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie
einen bestimmten Antrag voraus. Diese Norm gilt im Beschlussverfahren in
gleicher Weise wie im Urteilsverfahren
. Bei einem Streit über
Mitbestimmungsrechte muss klar erkennbar sein, an welchen Maßnahmen des
Arbeitgebers der Betriebsrat beteiligt werden soll
.
Dies lassen die Anträge der Arbeitgeberinnen nicht zu. Die Anträge und darauf
basierend die Tenorierung des Arbeitsgerichts umfassen Tabellen, in denen im
Wesentlichen die Namen der betroffenen Arbeitnehmer, die Firma ihres
Vertragsarbeitgebers sowie eine organisatorische Zuordnung der Arbeitnehmer in
mit "Ebene 2" bis "Ebene 6" bezeichnete Unternehmens- oder Betriebseinheiten
angegeben sind. Zum Teil sind die Spalten nur bis zu "Ebene 3" ausgefüllt. Soweit
Angaben bis zur "Ebene 6" enthalten sind, beschränken sich diese auf
Bezeichnungen wie "Multichannel Management Systems", "Team 2", "Software
Engineering Services Telco Core", "Marketing Sales & Service Systems", "Network
Infrastructure Services" usw..
Die Arbeitgeberinnen haben im Beschwerdetermin eingeräumt, dass diese
Organisationseinheiten jeweils diverse Arbeitsplätze mit unterschiedlichen
Funktionen umfassen. Damit genügt die Bezeichnung der Organisationseinheit,
der die Arbeitnehmer zugeordnet werden sollen, nicht zur hinreichend bestimmten
Angabe der personellen Maßnahmen, die Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens sein sollen. Versetzung ist nach der Legaldefinition von § 95 Abs. 3
Satz 1 BetrVG die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs. Für die Bestimmung
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Satz 1 BetrVG die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs. Für die Bestimmung
des Arbeitsbereichs maßgeblich ist der Maßstab von § 81 BetrVG. Kennzeichnend
ist danach die Aufgabe und die Verantwortung des jeweiligen Arbeitnehmers sowie
die Art seiner Tätigkeit und deren Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs (§
81 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Das Vorliegen einer Versetzung setzt eine so erhebliche
Änderung dieser Umstände voraus, dass sich das Gesamtbild der Tätigkeit
dadurch ändert
. Arbeitsbereich ist damit der konkrete Arbeitsplatz und seine
Beziehung zur betrieblichen Umgebung in räumlicher, technischer und
organisatorischer Hinsicht .
Den Anträgen der Arbeitgeberinnen lässt sich nicht entnehmen, welche neuen
Arbeitsbereiche im vorstehenden Sinn den betroffenen Arbeitnehmern zugewiesen
werden sollen. Da die allein bezeichneten neuen Organisationseinheiten
verschiedene Arbeitsaufgaben und damit verschiedene Arbeitsbereiche im
gesetzlichen Sinn umfassen, werden die personellen Maßnahmen, die Gegenstand
des Verfahrens sein sollen, nicht bestimmbar angegeben. Dies wäre allerdings
unter Umständen anders, wenn gemäß der Darstellung der Arbeitgeberin alle
Funktionen der Arbeitnehmer unverändert geblieben wären und die Arbeitsplätze
in ihrer bisherigen Form in den neuen Organisationseinheiten fortgeführt würden.
Auch dann hätte es jedoch zur Individualisierung der neuen Arbeitsbereiche
zumindest einer Bezeichnung dieser Funktionen bedurft. Da dies auch nach dem
Hinweis der Beschwerdekammer vom 21. Januar 2008 unterblieben ist, genügen
die Anträge und ihre Begründung nicht zur Bestimmung der Maßnahmen, an
denen der Betriebsrat beteiligt werden soll.
Hinzu kommt, dass der Antragsbegründung nicht zu entnehmen ist, ob es sich bei
diesen Maßnahmen überhaupt in den jeweiligen Einzelfällen um Versetzungen
handelt. Zwar kann die Herausnahme eines Arbeitnehmers aus einer betrieblichen
Einheit und seine Zuordnung in eine andere Einheit als Versetzung
mitbestimmungspflichtig sein
. Es besteht
jedoch weitgehend Konsens, dass ein Wechsel des Vorgesetzten ohne Änderung
der Einordnung des Arbeitnehmers in die betriebliche Struktur nicht den
gesetzlichen Versetzungsbegriff erfüllt
. Auch führt nicht jede ggf. nach § 111
Satz 3 Nr. 4 BetrVG mitbestimmungspflichtige wesentliche Änderung der
Betriebsorganisation zu Versetzungen. Wird eine betriebliche Einheit unter
Aufrechterhaltung ihrer bisherigen Organisation einer anderen Leitungsstelle
zugeordnet, werden die in der Einheit tätigen Arbeitnehmer nicht im Sinne der §§
95 Abs. 3 Satz 1, 99 BetrVG versetzt
. Nach dem Vorbringen der Arbeitgeberin ist nicht
auszuschließen, sondern sogar nicht unwahrscheinlich, dass jedenfalls ein Teil der
betroffenen Arbeitnehmer lediglich im Rahmen ihrer bisherigen betrieblichen
Einheiten neuen Leitungsstellen zugeordnet werden soll. Es fehlt daher insgesamt
an einer hinreichenden Bezeichnung der personellen Maßnahmen, die Gegenstand
des vorliegenden Verfahrens sein sollen.
2. Ein Grund zur Zulassung der Rechtsbeschwerde im Sinne der §§ 72 Abs. 2, 92
Abs. 1 Satz 2 ArbGG besteht nicht.
3. Für das weitere Vorgehen der Beteiligten weist die Kammer auf Folgendes hin:
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind in
Gemeinschaftsbetrieben bei Beteiligungsrechten, die nicht die arbeitsvertraglichen
Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Vertragsarbeitgeber betreffen, Träger
der betriebsverfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten auf Arbeitgeberseite alle
an der Führungsvereinbarung beteiligten Unternehmen
. Da Gegenstand der Mitbestimmung bei Versetzungen die kollektive Ordnung
des Betriebs und nicht die arbeitsvertragliche Beziehung der
Arbeitsvertragsparteien ist, sind für Versetzungen nicht allein die jeweiligen
Vertragsarbeitgeber, sondern alle an der Führungsvereinbarung beteiligten
Arbeitgeber zuständig
. Die Antragstellerinnen haben daher zu Recht den Betriebsrat
. Die Antragstellerinnen haben daher zu Recht den Betriebsrat
gemeinsam gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG beteiligt. Dagegen wären ihre zuletzt auf
die jeweiligen Vertragsarbeitgeberinnen beschränkten Anträge in der Fassung aus
dem erstinstanzlichen Kammertermin mangels Aktivlegitimation der einzelnen
Vertragsarbeitgeberinnen als unbegründet zurückzuweisen gewesen, wenn sie
zulässig gewesen wären. Die Anträge hätten vielmehr von beiden
Antragstellerinnen gemeinsam für alle betroffenen Arbeitnehmer gestellt werden
müssen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.