Urteil des LAG Hessen vom 08.02.2008

LAG Frankfurt: schutz der ehe, freiwillige leistung, arbeitsgericht, gratifikation, begriff, gehalt, ausschluss, gefahr, gruppenbildung, urlaub

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
3. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Sa 377/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 611 Abs 1 BGB, Art 3 Abs 1
GG
Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsanspruch -
Weitergabe von Tariflohnerhöhungen - Gratifikation
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden
vom 28. November 2006 – 8 Ca 1634/06 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung von Urlaub- und Weihnachtsgeld sowie über
die Weitergabe von Tariflohnerhöhungen.
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 01. Januar 1998 auf der Basis des am
22. September 1997 geschlossenen Arbeitsvertrages als Betriebswirtin
beschäftigt. Hinsichtlich der Zahlung eines Weihnachts- und Urlaubsgeldes haben
die Parteien folgende Vereinbarung getroffen:
"§ 5
Wegen der weiteren Arbeitsbedingungen wird auf den Arbeitsvertrag vom 22.
September 1997 – Bl. 10 d. A. – Bezug genommen.
Die Beklagte hat mit den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer teilweise
Arbeitsverträge abgeschlossen, in denen die Regelungen des
Bundesangestelltentarifvertrages in Bezug genommen werden. Mit den übrigen
Arbeitnehmern – zu denen auch die Klägerin gehört – wurde arbeitsvertraglich
keine dementsprechende Verweisungsklausel vereinbart. Gleichwohl hatte die
Beklagte unabhängig von der arbeitsvertraglichen Gestaltung, die für den
öffentlichen Dienst vereinbarten Tariflohnerhöhungen regelmäßig und bis auf eine
Ausnahme im Jahr 1999 auch in voller Höhe an sämtliche Arbeitnehmer
weitergegeben. Bis zum Beginn des Mutterschutzes wurde auch das Gehalt der
Klägerin um die tarifvertraglichen Gehaltssteigerungen erhöht. Nach der
Beendigung der Elternzeit nahm die Klägerin ihre Beschäftigung bei der Beklagten
nicht mehr in Vollzeit, sondern in Teilzeit mit einem Tätigkeitsumfang von 19
Wochenstunden wieder auf. Die Vergütung berechnete die Beklagte ausgehend
vom zuletzt bezogenen Verdienst für einen Arbeitsumfang von 49,35 % einer
Vollzeitstelle. Die zwischenzeitlich erfolgten Tariflohnsteigerungen blieben dabei
vollständig unberücksichtigt. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage und
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vollständig unberücksichtigt. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage und
begehrt darüber hinaus die Nachzahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld für die
Zeitspanne ihrer Elternzeit. Wegen des Weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der
Parteien sowie die Antragsstellung wird auf den Tatbestand des Urteils des
Arbeitsgerichts Wiesbaden – Bl. 82 – 87 d. A. – Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 28. November 2006 der Klage zum weit
überwiegenden Teil stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 11.945,43
Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus
11.297,63 Euro seit dem 06. März 2006 und aus je weiteren 129,56 Euro seit dem
05. April 2006, 05. Mai 2006, 05. Juni 2006, 05. Juli 2006 und 05. August 2006
verurteilt. Zur Begründung des Anspruchs auf Zahlung der rückständigen
Vergütung für den Zeitraum 09. Juni 2005 bis 31. Juli 2006 in Höhe von 1779,29
hat es unter Hinweis auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz
ausgeführt, dass das Gehalt der Klägerin ab Ende ihrer Elternzeit im Juni 2005
unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich eingetretenen Gehaltssteigerungen in
Anlehnung an die Tariflohnerhöhungen des Bundesangestelltentarifvertrages zu
ermitteln sei. Soweit die Beklagte als Differenzierungskriterium für die
Lohnanpassungen an die tatsächliche Tätigkeit im Betrieb angeknüpft habe, liege
kein sachlicher Differenzierungsgrund vor. Vielmehr verletze das von der
Beklagten gewählte Differenzierungskriterium die Wertung des Art. 6 GG. Mit dem
besonderen Schutz der Ehe und Familie sei es nicht zu vereinbaren, wenn die
Klägerin aufgrund der Inanspruchnahme der Elternzeit zur Förderung der
Erziehung und Versorgung ihrer Kinder nach der Rückkehr in das
Beschäftigungsverhältnis Nachteile erleide. Darüber hinaus bedeute die
Vorgehensweise der Beklagten auch eine mittelbare Diskriminierung der Frau und
damit einen Verstoß gegen ein absolutes Differenzierungsverbot, nämlich des
Geschlechts, da tatsächlich überwiegend Frauen Elternzeit in Anspruch nähmen.
Ferner bestehe ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB unter dem
Gesichtspunkt der Verletzung des allgemeinen Diskriminierungsverbots nach §
612 a BGB.
Der Anspruch auf Zahlung von Weihnachtsgeld für die Jahre 2002 – 2005 in Höhe
von insgesamt 10.039,98 Euro folge aus § 5 des Arbeitsvertrages, weil es sich um
eine Gratifikation für Betriebstreue handele. Die Ausgestaltung der
Zahlungszusage zeige, dass das Weihnachtsgeld unabhängig von der
Gegenleistung erbracht werde. Auch die Verwendung des Begriffes
Beschäftigungsverhältnis deute auf keinen anderen Zweck hin. Schließlich – so das
Arbeitsgericht weiter – habe die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung eines
Urlaubsgelds für das Jahr 2005 in Höhe von 126,16 Euro aus § 5 des
Arbeitsvertrages. Die Urlaubsgewährung sei im Jahr 2005 möglich gewesen,
sodass der Klägerin der volle Urlaubsgeldanspruch zustehe. Wegen der weiteren
Begründung im Einzelnen wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils
des Arbeitsgerichts – Bl. 88 – 96 d. A. – verwiesen. Gegen dieses ihr am 07.
Februar 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit dem am 07. März 2007 beim
Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt
und diese mit dem am 10. April 2007 beim Hessischen Landesarbeitsgericht
eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und vertritt die
Rechtsansicht, dass sie die Weitergabe der Tarifsteigerungen an die Klägerin nicht
schulde. Motivation für diese freiwillige Leistung sei der Umstand gewesen, dass
die Beklagte in ihrem Betrieb keinen Unfrieden durch eine Ungleichbehandlung
habe provozieren wollen. "Geschäftsgrundlage" der Gleichbehandlung sei die
mögliche Gefahr einer Ungleichbehandlung im Betrieb. Sie bestehe aber nur dann,
wenn ein Mitarbeiter überhaupt im Betrieb anwesend sei. Wenn dagegen – wie im
Falle der Klägerin – das Arbeitsverhältnis über mehr als 5 Jahre ruhe und die
Klägerin für zahlreiche neu eingetretene Mitarbeiter eine völlig unbekannte Person
sei, die noch nie im Betrieb gesichtet worden sei, dann könne durch die fehlende
Weitergabe einer tariflichen Lohnerhöhung an die nicht im Betrieb anwesende
Klägerin kein Unfrieden entstehen. Wenn die Beklagte danach differenziere, ob im
konkreten Fall durch die Nichtbeachtung des Grundsatzes für gleiche Arbeit auch
annähernd gleichen Lohn zu zahlen Spannungen im Betrieb entstünden oder
nicht, dann sei dies auch eher eine anerkennenswerte Differenzierung und keine
solche, die gegen die Verfassung verstoße. Die Zahlung von Weihnachtsgeld
könne die Klägerin nicht verlangen, weil es sich um einen Vergütungsbestandteil
und nicht um eine Gratifikation für Betriebstreue handele. Im Zusammenhang mit
der Regelung des Weihnachtsgeldes sei ausdrücklich von einem
Beschäftigungsverhältnis die Rede und damit ein Rechtsverhältnis gemeint, im
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Beschäftigungsverhältnis die Rede und damit ein Rechtsverhältnis gemeint, im
dem auch tatsächlich eine Arbeitsleistung erbracht werde. Bei einem
Arbeitsverhältnis, das über einen Zeitraum von mehr als 5 Jahren ruhe und außer
Vollzug gesetzt sei, sei der Begriff "Betriebstreue" völlig sinnentleert.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 28. November 2006 – 8 Ca
1634/06 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die Beklagte übersehe, dass die Klägerin
nicht etwa Zahlungsansprüche aus den tariflichen Erhöhungen des Gehaltes
während der Dauer des Erziehungsurlaubs geltend mache, sondern lediglich eine
Gleichbehandlung mit allen anderen Mitarbeitern im Unternehmen nach ihrer
Rückkehr in den Betrieb verlange. Es gehe gerade nicht um die Zeit der
Abwesenheit, sondern um die Zeit der Anwesenheit nach Ende des
Erziehungsurlaubs. Mit dem Arbeitsgericht sei ferner davon auszugehen, dass sie
Weihnachts- und Urlaubsgeld beanspruchen könne, weil diesen Leistungen nach §
5 des Arbeitsvertrages Gratifikationscharakter und nicht Entgeltcharakter
zukomme.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf
den vorgetragenen Inhalt der vorbereiteten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift
über die Berufungsverhandlung am 08. Februar 2008 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A.
Die Berufung ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 8 Abs.
2, 64 Abs. 1, 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig und
ordnungsgemäß begründet worden (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. §§ 519,
520 ZPO).
B.
In der Sache hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Das angefochtene
Urteil ist nicht abzuändern, weil die zulässige Zahlungsklage begründet ist.
I.
Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung der rückständigen Vergütung für den
Zeitraum 09. Juni 2005 bis 31. Juli 2006 in Höhe von 1779,29 Euro brutto. Zu Recht
ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte der Klägerin im
Klagezeitraum monatlich einen Differenzbetrag von 129,56 Euro brutto schuldet.
Die Beklagte war aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes
verpflichtet, die tariflichen Gehaltssteigerungen an die Klägerin weiterzugeben.
1) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber
seine Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer
Lage befinden, gleich zu behandeln. Unzulässig ist nicht nur die willkürliche
Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch
eine sachfremde Gruppenbildung (vgl. nur BAG 21. Juni 2000 – 5 AZR 806/98 – SAE
2001, 165 (166)). Im Bereich der Vergütung gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz
zwar nur eingeschränkt, weil der Grundsatz der Vertragsfreiheit Vorrang hat. Es
muss sich dann aber um individuell vereinbarte Löhne und Gehälter handeln. Eine
individuelle Vereinbarung liegt allerdings nicht schon dann vor, wenn der
Arbeitsvertrag eine übertarifliche Vergütung ausdrücklich vorsieht. Vielmehr muss
es sich um eine echte Einzelfallregelung handeln (vgl. BAG 29. September 2004 –
5 AZR 43/04 – Rn. 15,16; zitiert nach Juris).
Trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit ist der Gleichbehandlungsgrundsatz auch
im Bereich der Vergütung anwendbar, wenn der Arbeitgeber die Leistung nach
einem allgemeinen Prinzip gewährt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder
Zwecke festlegt (vgl. BAG 21. Juni 2000 – 5 AZR 806/98 – SAE 2001, 165 (166);
BAG 21. März 2002 – 6 AZR 144/01 – Rn. 24; zitiert nach Juris; BAG 29. September
2004 – 5 AZR 43/04 – Rn. 15; zitiert nach Juris). Von einem erkennbar
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2004 – 5 AZR 43/04 – Rn. 15; zitiert nach Juris). Von einem erkennbar
generalisierenden Prinzip aufgrund einer abstrakten Regelung darf der Arbeitgeber
den Arbeitnehmer nur aus sachlichen Gründen ausschließen (vgl. BAG 27.
September 2001 – 6 AZR 462/00 – Rn. 18; zitiert nach Juris; BAG 24. Februar 2000
– 6 AZR 504/98 – Rn. 20; zitiert nach Juris; BAG 11. Oktober 2006 – 4 AZR 534/05 –
Rn. 21; zitiert nach Juris). Dabei ist nicht nur eine willkürliche Schlechterstellung
einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde
Gruppenbildung unzulässig (BAG 12.12.2007 – 10 AZR 24/07 – Rn 21 zit. nach
Juris). Eine Differenzierung ist sachfremd, wenn es für die unterschiedliche
Behandlung keine billigenswerte Gründe gibt, wenn also für eine am
Gleichheitsgedanken orientierte Betrachtungsweise die Regelung als willkürlich
anzusehen ist (vgl. BAG 27. September 2001 – 6 AZR 462/00 – Rn. 18; zitiert nach
Juris).
Im Bereich der Arbeitsvergütung ist der Gleichbehandlungsgrundsatz auch dann
anzuwenden, wenn es sich um freiwillige Lohnerhöhungen handelt. Einzelne oder
Gruppen von Arbeitnehmern dürfen nicht ohne sachlichen Grund von einer
Lohnerhöhung ausgeschlossen werden, die der Arbeitgeber im Rahmen einer
allgemeinen Lohnbewegung der großen Mehrzahl seiner Arbeitnehmer gewährt
(vgl. BAG 09. Juni 1982 – 5 AZR 501/80 – Rn. 13; zitiert nach Juris; BAG 11.
September 1985 – 7 AZR 371/83 – Rn. 38; zitiert nach Juris). Inwieweit der
Ausschluss bestimmter Arbeitnehmer von freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers
sachlich gerechtfertigt ist, richtet sich nach dem Zweck der Leistung. Er ergibt sich
aus ihren Voraussetzungen und Einschränkungen und stellt das entscheidende
Kriterium für Sachgerechtigkeit dar (vgl. BAG 12.12.2007 – 10 AZR 24/07 – Rn. 25
zit. nach Juris; BAG 09. Juni 1982 – 5 AZR 501/80 – Rn. 14; zitiert nach Juris; m. w.
N.; BAG 08.08.2000 – 9 AZR 517/99 – Rn. 20 zit. nach Juris). Daran gemessen
müssen die Differenzierungsgründe, d. h. die Gründe für die Ungleichbehandlung
auf vernünftigen einleuchtenden Erwägungen beruhen und dürfen nicht gegen
verfassungsrechtliche oder sonstige übergeordnete Wertentscheidungen
verstoßen (BAG 12.12.2007 – 10 AZR 24/07 – Rn. 21 zit. nach juris). Die Grenze
zur Willkür wird durch eine Regelung nicht schon dann überschritten, wenn die
getroffene Lösung nicht die zweckmäßigste und vernünftigste ist, sondern erst
dann, wenn sich ein sachgerechter Grund für die Regelung nicht finden lässt (BAG
12.12.2007 – 10 AZR 24/07 – Rn. 21 zit. nach juris). Liegt kein sachlicher Grund
vor, kann der übergangene Arbeitnehmer verlangen, nach Maßgabe der
allgemeinen Regelung behandelt zu werden (vgl. BAG 21. Juni 2000 – 5 AZR 806/98
– SAE 2001, 165 (166); BAG 08.08.2000 – 9 AZR 517/99 – Rn. 28 zit. nach Juris).
2) Nach diesen Maßstäben ist die Beklagte gehalten, bei der Bemessung der
Vergütung der Klägerin die begehrten Tariflohnsteigerungen zu berücksichtigen.
a) Soweit die Beklagte meint, es fehle die Gefahr einer Ungleichbehandlung im
Betrieb, vermag sich dem die Kammer nicht anzuschließen. Mit dem
Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass ab der Wiederaufnahme der
Arbeitsleistung eine Ungleichbehandlung der Klägerin im Verhältnis zu denjenigen
Arbeitnehmern stattgefunden hat, deren Arbeitsvertrag keine Verweisungsklausel
auf den Bundesangestelltentarifvertrag aufweist. Bei ihnen sind sämtliche ab April
2000 für den öffentlichen Dienst ausgehandelten Tariflohnerhöhungen in die
Bemessung des Bruttomonatsgehalts eingeflossen, während dies bei der Klägerin
nicht geschehen ist.
b) Die Beklagte ist ferner erkennbar nach einer generellen Regelung der
Vergütungsfindung vorgegangen. Dies zeigt sie schon daran, dass sie – mit
Ausnahme der Klägerin – die Lohnerhöhungen sämtlichen Arbeitnehmern gewährt
hat, auch wenn der Arbeitsvertrag keine Bezugnahme auf den BAT enthält.
c) Ein sachlicher Grund für den Ausschluss der Klägerin von den
Tariflohnerhöhungen besteht nicht.
aa) Insbesondere lassen sich aus den Ausführungen der Beklagten keine
billigenswerte Gründe herleiten. Maßgebend für die Beurteilung, ob ein sachlicher
Grund vorliegt, ist der gesamte Zeitraum der Leistungserbringung. Demgemäß ist
es verfehlt, wenn die Beklagte lediglich auf die Abwesenheitszeit der Klägerin
abstellt. Bei den Tariflohnerhöhungen handelt es sich nicht um
Anwesenheitsprämien. Sie haben sich auch nachdem die Klägerin ihre Arbeit
wieder aufgenommen hatte jeden Monat in den Bezügen der übrigen
Arbeitnehmer niedergeschlagen. Damit bestand die von der Beklagten angeführte
Gefahr von Spannungen, die sie zu vermeiden bezweckt hat. Sie war nach der
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Gefahr von Spannungen, die sie zu vermeiden bezweckt hat. Sie war nach der
Rückkehr der Klägerin in den Betrieb genauso groß wie vor der Elternzeit.
bb) Es lassen sich auch sonst keine sachlichen Gründe finden. Bei den
Lohnerhöhungen handelt es sich um einen Ausgleich für den Kaufkraftverlust. Die
Beklagte hat durch die praktische Handhabung der Weitergabe der
Tariflohnerhöhungen des öffentlichen Dienstes erkennbar gemacht, die
Verteuerung der Lebenshaltungskosten jedenfalls in dem tariflich vereinbarten
Ausmaß ausgleichen zu wollen. Nur so lässt sich die auch in der Höhe
unterschiedslose Weitergabe an alle Arbeitnehmer – deren Arbeitsverträge keine
Bezugnahmeklausel enthalten – erklären. Hätte die Arbeitgeberin lediglich
individuelle Verhältnisse wie Leistung oder Verhalten des Arbeitnehmers
honorieren wollen, hätten die Gehaltsaufbesserungen unterschiedlich ausfallen
müssen, da individuelle Verhältnisse bei jedem Arbeitnehmer anders liegen.
Mit dem Zweck der Entgelterhöhungen, den Kaufkraftverlust auszugleichen, lässt
sich der Ausschluss der Klägerin nicht rechtfertigen. Der Kaufkraftverlust des
Entgelts trifft die Klägerin in gleichem Maße wie die anderen Arbeitnehmer auch.
Abwesenheitszeiten in vorangegangenen Jahren sind kein geeigneter Maßstab
dafür, ob eine Anpassung des Gehalts an die gestiegenen Lebenshaltungskosten
erforderlich ist. Mit der Zweckbestimmung ist es auch unvereinbar, Umstände
heranzuziehen, die mit der Arbeitsleistung des Arbeitsnehmers in fraglichen
Zeitraum nichts zu tun haben. Das Gehalt der Klägerin ist der Gegenwert für die
von ihr im Klagezeitraum geleistete Arbeit. Die in der Vergangenheit entstandenen
Abwesenheitszeiten vermögen das Äquivalenzverhältnis nicht zu beeinflussen.
cc) Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, inwieweit erstmalig im Rahmen der
gerichtlichen Auseinandersetzung angeführte Gründe überhaupt zu
berücksichtigen sind. Nach der Rechtsprechung des 9. Senats des
Bundesarbeitsgerichts werden sind Unterscheidungsmerkmale für eine
Gruppenbildung nur beachtlich, wenn sie den Arbeitnehmern erkennbar waren
oder rechtzeitig offengelegt worden sich (BAG 27.10.1998 – 9 AZR 299/97 – NZA
1999, 700 m. w. N).
d) Der Höhe nach beläuft sich die Nachzahlung auf 1779,29 Euro brutto. Die
Kammer macht sich die Begründung des Arbeitsgerichts zu Eigen und verweist
diesbezüglich auf die Entscheidungsgründe Seite 12, 13 – Bl. 91, 92 d. A. –.
II.
Die Zahlung von Weihnachtsgeld für die Jahre 2002 bis 2005 in Höhe von
insgesamt 10.039,98 Euro brutto kann die Klägerin ebenfalls verlangen.
Anspruchsgrundlage ist § 5 des Arbeitsvertrages. Die Klägerin hat in den Jahren
2002 bis 2005 die arbeitsvertraglich geregelten Anspruchsvoraussetzungen erfüllt.
Aufgrund des Erziehungsurlaubs ruhte zwar das Arbeitsverhältnis mit der Folge,
dass die Arbeitsvertragsparteien von ihren Hauptleistungspflichten freigestellt sind
(BAG 08. Dezember 1993 – 10 AZR 66/93 – NZA 1994, 421 (422)). Dem
Zahlungsanspruch der Klägerin steht dies indessen nicht entgegen. Bei
Sondervergütungen mit "Mischcharakter" gilt, dass sich nur bei ausdrücklicher
Regelung Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung anspruchsmindernd – oder
ausschließend auf die Sonderzahlung auswirken können (vgl. BAG 19. April 1995 –
10 AZR 49/94 – NZA 1995, 1098 (1099); BAG 28.9.1994 – 10 AZR 625/93 – Rn. 36
zit. nach juris; BAG 28.9.1994 – 10 AZR 697/93 – Rn. 21 zit. nach juris).
1) Eine Regelung über die Gewährung einer jährlichen Sonderzahlung, deren
Zweck es – auch – ist, im Bezugszeitraum für den Betrieb geleistete Arbeit
zusätzlich zu vergüten, kann im Einzelnen bestimmen, welche Zeiten ohne
tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder
anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen. Fehlt es an einer
solchen Bestimmung, so verbleibt es bei den normierten
Anspruchsvoraussetzungen. Das Erfordernis einer tatsächlichen Arbeitsleistung
kann nicht als ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung lediglich daraus
hergeleitet werden, dass mit der Sonderzahlung auch im Betrieb geleistete Arbeit
zusätzlich vergütet werden soll (vgl. BAG 19. April 1995 – 10 AZR 49/94 – NZA
1995, 1098 (1099)). Ergibt demgegenüber die Auslegung des Arbeitsvertrages,
dass es sich bei der Sonderzahlung um einen Vergütungsbestandteil handelt, der
in das vertragliche Austauschverhältnis von Vergütung und Arbeitsleistung
eingebunden ist und mit dem kein weitergehender Zweck verfolgt wird, so entsteht
der Anspruch nicht für die Zeit des Erziehungsurlaubs, ohne das es einer
vertraglichen Kürzungsregelung bedarf (BAG 19. April 1995 – 10 AZR 49/94 – NZA
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vertraglichen Kürzungsregelung bedarf (BAG 19. April 1995 – 10 AZR 49/94 – NZA
1995, 1098 (1099)).
2) Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei der
Sondervergütung nicht um eine Zahlung mit reinem Entgeltcharakter. Aus der
Verwendung des Begriffs "Beschäftigungsverhältnis" lässt sich dies jedenfalls nicht
herleiten. Mit dem Begriff haben die Parteien nur das tatsächliche Bestehen eines
Arbeitsverhältnisses bezeichnen wollen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch,
wie er sich aus Wörterbüchern und Lexika ergibt und für die Wortlautinterpretation
nach dem Empfängerhorizont (§§ 133,157 BGB) maßgebend ist, bezeichnet der
Begriff Beschäftigungsverhältnis, das tatsächliche Arbeitsverhältnis ohne Rücksicht
auf seine rechtlich Grundlage (vgl. Wahrig, Deutsches Wörterbuch). Es muss
lediglich "bestehen", darf also nicht beendet sein. Dies ist unzweifelhaft der Fall, da
das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit lediglich ruht, aber nicht beendet ist.
Die Erbringung einer Arbeitsleistung wird damit indessen nicht vorausgesetzt. Eine
Bestätigung findet dies in der Zweckbestimmung des Weihnachtsgeldes, die darin
besteht, eine Weihnachtsfreude zu bereiten und einen Beitrag zu den vermehrten
Ausgaben im Zusammenhang mit dem Weihnachtsfest zu leisten (BAG 30.3.1994
– 10 AZR 134/93 – Rn. 23 zit. nach Juris). Damit wird ebenfalls nur zum Ausdruck
gebracht, dass ein Anspruch auf das Weihnachtsgeld nur gegeben sein soll, wenn
das Arbeitsverhältnis zu Weihnachten noch besteht (BAG 30.03.1994 – 10 AZR
134/93 – Rn. 21 zit. nach juris). Aus den weiteren anspruchsbegründenden
Voraussetzungen ergibt sich unmissverständlich, dass mit der Zahlung über den
Entgeltcharakter hinausgehende Zwecke verfolgt werden. Die Ausgestaltung des §
5 des Arbeitsvertrages zeigt, dass durch die Sonderzahlung die vergangene und
die künftige Betriebstreue honoriert werden sollen. Dies folgt aus dem Umstand,
dass am maßgeblichen Stichtag ein Arbeitsverhältnis bestehen muss bzw. nicht
gekündigt sein darf. Durch die Festlegung von Stichtagen hat die Beklagte
erkennbar gemacht, dass sie die Leistungen nur den Arbeitnehmern gewähren will,
die an den Terminen noch im Betrieb sind und zukünftig auch noch bleiben (BAG
27.10.1998 – 9 AZR 299/97- Rn 15 zit. nach juris). Der Umstand, dass ein
"Weihnachtsgeld" auch in Anerkennung geleisteter Dienste für den Betrieb und als
zusätzliche Vergütung für diese gezahlt wird, führt nur zu der Annahme, dass es
sich um eine Leistung mit Mischcharakter handelt.
Soweit die Beklagte meint, der Begriff "Betriebstreue" sei im Streitfall völlig
sinnentleert, rechtfertigt dies kein abweichendes Auslegungsergebnis. Allein der
Wandel ihrer Wertschätzung bezüglich erbrachter Betriebstreue vermag ein Eingriff
in die vertraglichen Vereinbarungen nicht zu rechtfertigen. Die Beklagte hatte es
seinerzeit in der Hand, im Einzelnen zu bestimmen, welche Zeiten ohne
tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder
anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen. Eine Kürzung der
Sonderzahlung wegen Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs wäre zulässig
gewesen (BAG 28.9.1994 – 10 AZR 625/93 – zit. nach juris; BAG 28.9.1994 – 10
AZR 697/93 – Rn. 21). Da sie davon keinen Gebrauch gemacht hat, muss es bei
den vereinbarten Zahlungsansprüchen bleiben.
3) Hinsichtlich der Begründung des Anspruchs der Höhe nach macht sich die
Kammer die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu Eigen. Insoweit wird auf Seite 16
der Entscheidungsgründe – Bl. 95 d. A. – Bezug genommen.
III.
Das Urlaubsgeld in Höhe von 126, 16 Euro brutto steht der Klägerin nach § 5 des
Arbeitsvertrages ebenfalls zu. Die Arbeitsvertragsparteien haben das Urlaubs –
und das Weihnachtsgeld als saisonale Sonderzahlungen angesehen, die lediglich
zu unterschiedlichen Terminen fällig werden. Dementsprechend sind die
arbeitsvertraglichen Regelungen identisch. Hinsichtlich der Anspruchsbegründung
gelten folglich die gleichen Erwägungen wie zum Weihnachtsgeld. Allerdings ist die
weitere Voraussetzung für die Gewährung eines Urlaubsgeldes, nämlich dass
Urlaub im Bezugsjahr auch gewährt werden kann, während der Elternzeit nicht
durchgängig erfüllt (dazu BAG 14.8.1996 – AP Nr. 192 zu § 15 BErzGG). Die
Klägerin kann lediglich 126, 16 Euro brutto verlangen. Zur näheren Begründung
wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts Seite 16 der Entscheidungsgründe –
Bl. 95 d. A. – verwiese. Die Kammer macht sich die zutreffenden
Entscheidungsgründe zu Eigen.
IV.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB.
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C.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu
tragen, da ihr Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist.
D.
Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegt nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.