Urteil des LAG Hessen vom 29.04.2010

LAG Frankfurt: treu und glauben, ordentliche kündigung, vertrag sui generis, begründung der kündigung, iura novit curia, flughafen, anschlussberufung, verleiher, flugzeug, kurzarbeit

1
2
3
4
5
6
7
Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
9. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 Sa 1830/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 3 KSchG, § 12 AÜG
Betriebsbedingte Kündigung - Sozialauswahl -
Differenzierung nach eingesetzten und nicht eingesetzten
Leiharbeitnehmern - Vergleichbarkeit
Tenor
Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Frankfurt am Main vom 01. Oktober 2009 – 3 Ca 3681/09 – teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.434,48 EUR (in Worten:
Zweitausendvierhundertvierunddreißig und 48/100 Euro) brutto zu zahlen. Im
Übrigen wird die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 86%, der Kläger zu 14%.
Die Revision wird für beide Parteien nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, um die
Weiterbeschäftigung des Klägers und Vergütungsforderungen.
Der 1986 geborene ledige Kläger trat am 28. September 2006 in ein
Vertragsverhältnis bei der A GmbH & Co. KG ein. Auf den Arbeitsvertrag (Bl. 17 d.
A.) wird Bezug genommen. In diesem Vertrag ist u. a. geregelt:
"Der Mitarbeiter wird in der unterzeichnenden Niederlassung als gewerblicher
Mitarbeiter eingestellt. Die Einzelheiten der Tätigkeiten werden dem Mitarbeiter in
Form einer Einsatzinformation mitgeteilt. Die jeweils geltende Einsatzinformation
ist Bestandteil dieses Arbeitsvertrages. Der Mitarbeiter wird an verschiedenen
Orten bei Kunden des Arbeitgebers als Zeitarbeitnehmer eingesetzt. Der
Einsatzbereich umfasst das gesamte Bundesgebiet der Bundesrepublik
Deutschland."
Am 22. Dezember 2006 unterzeichneten A, die Beklagte und der Kläger folgende
Vereinbarung:
"Das Arbeitsverhältnis zwischen A und dem Arbeitnehmer endet zum 31.12.06.
B und der Arbeitnehmer begründen zum 01.01.07 zu den Bedingungen des
Arbeitsvertrages zwischen A und Arbeitnehmer ein neues Arbeitsverhältnis. Dieser
Arbeitsvertrag wird dem Arbeitnehmer auf Verlangen nochmals ausgehändigt.
...
Ziff. 4: B sichert dem Arbeitnehmer zu, dass die bisher durch die
Beschäftigungszeit bei A erworbenen Anwartschaften (Kündigungsfrist, Zulagen,
Urlaubsansprüche, Arbeitszeitkontoguthaben etc.) übernommen werden."
Auf die ergänzende Vereinbarung (Bl. 20 d. A.) wird Bezug genommen. Den
monatlichen Bruttoverdienst hat der Kläger mit EUR 1.184,-- angegeben.
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
Die Kunden (Entleiher) der Beklagten, an welche die Leiharbeitnehmer der
Beklagten zur Arbeitsleistung am Flughafen C überlassen werden, befassen sich
vorwiegend mit der Be- und Entladung von Fracht und Gepäck in und aus den
Flugzeugen. Hauptkunde der Beklagten in C mit einem durchschnittlichen
Auftragsvolumen von mindestens 95 % ist die D GmbH, die neben ihrem
Stammpersonal auch Leiharbeitnehmer der Beklagten bei sich einsetzt. An sie
werden im Bereich der Bodenverkehrsdienste Leiharbeitnehmer überlassen,
welche Koffer, Fracht, Wasser, Postsäcke und sonstige in Flugzeugen beförderte
Gegenstände zum Flugzeug fahren oder vom Flugzeug abtransportieren und beim
Be- und Entladen der Flugzeuge auf dem sog. Vorfeld des Flughafens unter Einsatz
entsprechender Hilfsmittel (z. B. Förderbänder, Palettenhubwagen etc.) helfen.
Dementsprechend werden die Leiharbeitnehmer z. B. als Palettenhubwagenfahrer,
Frachtfahrer, Kofferfahrer, Flugzeugbe- und -entlader bei der D GmbH eingesetzt.
Abgesehen davon sind weitere Leiharbeitnehmer der Beklagten bei der D GmbH
im Bereich VIP-Service als Chauffeure eingesetzt, welche Fluggäste mit
Sonderstatus vom Flughafengebäude zum Flugzeug fahren. Der Kläger war ab 1.
August 2008 gemäß Arbeitnehmerüberlassungsvertrag an die D GmbH
ausgeliehen, zuletzt im Bereich Bodenverkehrsdienste als
Palettenhubwagenfahrer. Grundlage der Überlassung von der Beklagten an die D
GmbH waren die Arbeitnehmerüberlassungsverträge vom 18. Januar 2007 und
vom 28. August 2008. Sämtliche Leiharbeitnehmer der Beklagten werden in
sicherheitsrelevanten Bereichen des Flughafens eingesetzt, namentlich auf dem
Vorfeld, auf dem die Flugzeuge ankommen und be- bzw. entladen werden. Zum
Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs müssen daher sämtliche
Leiharbeitnehmer der Beklagten vor ihrem Einsatz bei Entleihern eine
Zuverlässigkeitsüberprüfung gemäß § 7 Luftsicherheitsgesetz beantragen und
bestehen. Aufgrund der hohen Sorgfaltsanforderungen und der Werte der
Gegenstände, mit bzw. an denen die Leiharbeitnehmer tätig werden, führen die
Entleiher zudem Eignungstests durch, welche die Leiharbeitnehmer absolvieren
und bestehen müssen.
Mit Schreiben vom 7. April 2009 wurde das Arbeitsverhältnis seitens der Beklagten
zum 15. Mai 2009 gekündigt. Auf das Kündigungsschreiben (Bl. 22 d. A.) wird
Bezug genommen.
Mit am 22. April 2009 eingereichter Kündigungsschutzklage hat sich der Kläger
gegen die Kündigung gewandt und gemeint, die vorgetragenen betriebsbedingten
Gründe seien nicht ausreichend, um die Kündigung zu rechtfertigen. Es sei für den
Kläger nicht nachprüfbar, ob ein Rückgang der Fracht um 40 % und ein Rückgang
der Passage um 30 % vorliege. Das gleiche gelte für die wirtschaftliche Prognose.
Die Sozialauswahl allein sei nicht hinreichend begründet. Der Kläger habe keine
finanziellen Rücklagen und keine finanzielle Hilfe durch Dritte. Die streitige
Kündigung sei deshalb unwirksam. Die Beklagte sei daher zur Weiterzahlung der
monatlichen Vergütung verpflichtet.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung
vom 7. April 2009, zugegangen am 9. April 2009, nicht aufgelöst worden ist,
sondern über den 15. Mai 2009 hinaus fortbesteht;
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn über den 15. Mai 2009 hinaus zu
unveränderten Bedingungen auf demselben Arbeitsplatz weiter zu beschäftigen;
3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.328,00 EUR brutto abzüglich 2.925,00
EUR netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15. Okt. 2009 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat zur Begründung der Kündigung behauptet, diese stütze sich
ausschließlich auf betriebsbedingte Gründe. Die pauschale Behauptung, die
Kündigung hätte etwas mit der Absicht der Gründung eines Betriebsrates zu tun,
sei unzutreffend. Aufgrund des Frachtrückgangs am Flughafen in Umfang von 40
% und 30 % Passagierrückgang hätten die entsprechenden Kunden die
angeforderten Stundenkontingente von 21.000 auf zunächst 17.500, in der
18
19
20
angeforderten Stundenkontingente von 21.000 auf zunächst 17.500, in der
Prognose auf 12.500 zurückgefahren. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gebe
es nicht. Durch die Auftragsstundenreduzierung von 21.000 auf 17.500 Stunden
sei der Beschäftigungsbedarf von 138 Mitarbeitern auf ca. 115 Mitarbeiter
gesunken. Beim Auftragsvolumen im Juli von 11.800 Stunden bestehe nur noch ein
Beschäftigungsbedarf für 78 Mitarbeiter. Eine Neukundengewinnung am Flughafen
sei derzeit unmöglich. Unternehmen wie E oder F führten Kurzarbeit durch, für
Arbeitnehmerüberlassung bestünde kein Bedarf. Der Kläger sei im April vor
diesem Hintergrund vom Kunden D namentlich abgemeldet worden. Eine
Weiterbeschäftigung in anderen Bereichen sei nicht möglich, da ein Rückgang in
allen Bereichen zu verzeichnen sei. Es gebe keine offenen Aufträge und keine
Anfragen von Kunden. Aufgrund des Überhangs an Mitarbeitern und der
schlechten Prognose habe der Director Operation die Entscheidung getroffen, die
nicht wieder vermittelbaren Zeitarbeitnehmer abzubauen. Diese Entscheidung sei
auch umgesetzt worden. Die Beklagte habe eine betriebsbezogene Sozialauswahl
durchgeführt. Aus dem pauschalen Vortrag des Klägers, die Sozialauswahl sei
nicht ausreichend begründet, ergäbe sich kein Auswahlfehler. Die vom Kläger
aufgenommenen Kredite würden hier keine Rolle spielen. Es bestehe keine
Vergleichbarkeit mit den als Chauffeuren eingesetzten Mitarbeitern und auch mit
den kaufmännischen Angestellten sei eine andere Entgeltgruppe vereinbart. Der
Kläger sei arbeitsvertraglich als gewerblicher Mitarbeiter eingestellt. Man habe den
Kläger zum Zeitpunkt seiner Kündigung mit den Mitarbeitern in diesem Bereich
verglichen. Hiervon seien die Zeitarbeitnehmer herausgenommen, deren
Überlassung vertraglich mit den Kunden vereinbart worden sei und die nicht
gekündigt werden könnten. Insbesondere spiele die Einarbeitung der
Zeitarbeitnehmer in die vertragliche Verpflichtung zu dem Kunden eine Rolle. Da
die Zeitarbeitnehmer gezielt vom Kunden ausgewählt und in ihre Tätigkeit
eingewiesen würden, stimmen die Kunden einer solchen Abziehung der
Zeitarbeitnehmer nicht zu. Man würde sich schadensersatzpflichtig machen, falls
dies geschehe. Daher könnten die Mitarbeiter nur in der Vergleichsgruppe
aufgenommen werden, die ebenfalls wie der Kläger ohne Einsatz seien. Das
Arbeitsverhältnis mit diesen Mitarbeitern werde ebenfalls aufgrund des
Auftragsrückganges und der Entscheidung der Regionaldirektion gekündigt.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat der Kündigungsschutzklage und der auf
Weiterbeschäftigung gerichteten Klage durch Urteil vom 1. Okt 2009 – 3 Ca
3681/09 – stattgegeben. Die Zahlungsklage hat es abgewiesen. Zur Begründung
hat es ausgeführt, die Beklagte habe für eine Unternehmerentscheidung nicht
genügend vorgetragen, insbesondere keinen konkreten Zeitpunkt und welche
konkreten organisatorischen Maßnahmen die Beklagte getroffen habe. Im Termin
sei ausgeführt worden, einigen Arbeitnehmern sei gekündigt worden, anderen
seien die befristeten Verträge nicht verlängert worden. Das sei kein substantiierter
Vortrag, wann welche Unternehmerentscheidung mit welchen organisatorischen
Auswirkungen getroffen worden sei. Die Kündigung erscheine jedoch auch im
Hinblick auf die Frage der Sozialauswahl fehlerhaft. Die Beklagte habe die
Sozialauswahl auf die nicht eingesetzten Mitarbeiter erstreckt. Die Sozialauswahl
bestimme sich jedoch nach den arbeitsvertraglichen Merkmalen. Von daher
bedürfe es der substantiierten Darlegung des Arbeitgebers, welche Arbeitnehmer
er in die Sozialauswahl einbezogen und welche Sozialdaten er wie gewertet habe
und wie die Auswahlentscheidung getroffen worden sei. Die Beklagte sei ihrer
Darlegungslast insoweit nicht nachgekommen. Einen Anspruch auf
Weiterbeschäftigung auf demselben Arbeitsplatz sei nicht begründbar bzw. der
Antrag sei nicht präzisiert. Der Zahlungsanspruch sei zurückzuweisen. Wegen der
weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die arbeitsgerichtlichen
Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen dieses ihr am 16. Okt. 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10. Nov.
2009 Berufung eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis zum 1. Febr. 2010 an diesem Tag per Telefax
begründet. Die Anschlussberufung des Klägers ging mit gleichzeitiger Begründung
am 23. März 2010 per Telefax bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht ein.
Die Beklagte behauptet, die Kunden (Entleiher) vereinbarten vor dem Hintergrund
der Sicherheitsanforderungen mit der Beklagten (Verleiher) in den
Arbeitnehmerüberlassungsverträgen immer die Überlassung bestimmter,
namentlich benannter Leiharbeitnehmer, ohne dass die Beklagte das Recht habe,
den jeweiligen Leiharbeitnehmer gegen einen anderen Leiharbeitnehmer ohne
Zustimmung des Kunden auszutauschen. Dies sei auch bei den
Arbeitnehmerüberlassungsverträgen vom 18. Januar 2007 und vom 28. August
21
22
Arbeitnehmerüberlassungsverträgen vom 18. Januar 2007 und vom 28. August
2008 der Fall, welche die Überlassung des Klägers an die D GmbH regele. So sei
der Kläger auch in den Arbeitnehmerüberlassungsverträgen vom 18. Januar 2007
und vom 28. August 2008 als zu überlassender Leiharbeitnehmer namentlich
benannt.
Am 2. April 2009 hätte der Director Operations der Beklagten G die
unternehmerische Entscheidung getroffen, den Bereich "Personalpool", in dem
nicht eingesetzte Leiharbeitnehmer der Beklagten für künftige Einsätze
vorgehalten wurden, baldmöglichst zu schließen. Diese unternehmerische
Entscheidung sei aus innerbetrieblichen Gründen erfolgt und hätte der
Kostenreduzierung gedient. Die Entscheidung sei vor dem Hintergrund der
weltweiten Wirtschaftskrise getroffen worden, die am Flughafen C seit Beginn des
Jahres 2009 zu einem Rückgang des Frachtvolumens um bis zu 40 % und der
Passagierbeförderung um bis zu 30 % geführt hätte. Dies hätte wiederum
dramatische negative Auswirkungen auf den Arbeitskräftebedarf der Kunden der
Beklagten gehabt. Im Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen
Kündigung, d. h. am 9. April 2009, sei der Betrieb der Beklagten am Flughafen in C
in drei Bereiche gegliedert: die internen Mitarbeiter, welche für die Verwaltung und
Disposition der Leiharbeitnehmer zuständig seien, die an die Kunden (Entleiher)
überlassenen Leiharbeitnehmer, die in den jeweiligen
Arbeitnehmerüberlassungsverträgen namentlich benannt gewesen seien und
deren Dienste die Beklagte im Sinne einer "Stückschuld" zu verschaffen hätte
sowie der Personalpool, in dem sich Leiharbeitnehmer befunden hätten, die nicht
an Kunden überlassen gewesen und für künftige Einsätze vorgehalten worden
seien. Die D GmbH hätte zuvor zur Vermeidung von betriebsbedingten
Kündigungen ihres eigenen Stammpersonals, insbesondere im Bereich der
Palettenhubwagenfahrer, den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bezüglich der
Überlassung des Klägers gekündigt und den Kläger zum 6. April 2009 abgemeldet,
so dass die Überlassung des Klägers an die D GmbH an diesem Tag geendet
hätte. Im Hinblick auf Arbeitnehmer, die dem Bereich Personalpool zugehörten,
seien im April 2009 11 Arbeitsverhältnisse beendet worden (davon vier durch Ende
der vereinbarten Befristung, die übrigen durch betriebsbedingte Kündigung), im
Mai 2009 13 Arbeitsverhältnisse (davon zwei durch Ende der vereinbarten
Befristung, die übrigen durch betriebsbedingte Kündigung) und im Juni 2009 sieben
Arbeitsverhältnisse (davon fünf durch Ende der vereinbarten Befristung, die
übrigen durch betriebsbedingte Kündigung).
Die Beklagte hätte zuvor ihre Geschäftslage analysiert und eine Prognose
hinsichtlich der Geschäftsentwicklung aufgestellt. Vor dem Hintergrund der
Weltwirtschaftskrise und der daraus folgenden Auswirkungen auf die
Geschäftstätigkeit des Flughafens C und der dort tätigen Unternehmen und
Kunden der Beklagten hätte sich ergeben, dass mit einem dauerhaften
Auftragsrückgang zu rechnen gewesen sei und in absehbarer Zeit keine neuen
Einsatzmöglichkeiten für die Mitarbeiter des Bereichs Personalpool bestanden
hätte. Sie hätte vor der unternehmerischen Entscheidung vom 2. April 2009 –
namentlich über den Operations Manager G, den Standort Manager H und den
Account Manager I – bei ihren Kunden oder potentiellen Geschäftspartnern (wie z.
B. D GmbH, J GmbH, K, L, M GmbH, N GmbH, O GmbH) in zahlreichen
Kundengesprächen angefragt, ob und welchen Bedarf nach Leiharbeitskräften sie
hätten. Dabei sei ihr mitgeteilt, dass einige Unternehmen (wie z. B. K, M GmbH) in
den kommenden Monaten überhaupt keinen Bedarf hätten, dass einige
Unternehmen abgesehen vom derzeitigen Status Quo keinen Mehrbedarf hätten
(wie z. B. L) und dass die übrigen Unternehmen (wie z. B. J GmbH, O GmbH, F, D
GmbH) derzeit Leiharbeitnehmer abbauten, um die Entlassung von eigenem
Stammpersonal zu vermeiden, und/oder Kurzarbeit durchführten. Von der N
GmbH habe sie zudem erfahren, dass diese ihren Betrieb in C zum 31. Mai 2009
komplett einstelle. Der wichtigste Geschäftspartner der Beklagten, die D GmbH,
hätte sie zudem vor der unternehmerischen Entscheidung darüber informiert,
dass diese ihr Auftragsvolumen in den kommenden Monaten erheblich reduzieren
werde. Dies habe sie mit E-Mail vom 8. April 2009 gegenüber der Beklagten auch
nochmals schriftlich bestätigt. Danach sei im Bereich der Bodenverkehrsdienste, in
dem der Kläger eingesetzt gewesen sei, mit einem Auftragsvolumen von
höchstens 14.400 bis 14.600 Abrufstunden im Juni 2009 zu rechnen – dies
entspreche unter Zugrundelegung einer monatlichen Arbeitszeit von 151,67
Stunden etwa 95 bis 96 Arbeitsplätzen für Leiharbeitnehmer, 13.300 bis 13.500
Abrufstunden im Juli 2009 – dies entspreche unter Zugrundelegung einer
monatlichen Arbeitszeit von 151,67 Stunden etwa 88 bis 89 Arbeitsplätzen für
Leiharbeitnehmer und 12.200 bis 12.400 Abrufstunden im August 2009 zu rechnen
23
Leiharbeitnehmer und 12.200 bis 12.400 Abrufstunden im August 2009 zu rechnen
– dies entspricht unter Zugrundelegung einer monatlichen Arbeitszeit von 151,67
Stunden etwa 80 bis 82 Arbeitsplätzen für Leiharbeitnehmer. Im Zeitpunkt des
Kündigungszugangs, d. h. am 9. April 2009, seien bei der D GmbH etwa 145 – in
den jeweiligen Arbeitnehmerüberlassungsverträgen namentlich benannte –
Leiharbeitnehmer der Beklagten im Bereich der Bodenverkehrsdienste eingesetzt
gewesen. Folglich sei absehbar gewesen, dass der Bedarf an Leiharbeitskräften
beim Hauptkunden der Beklagten nicht nur kurzfristig, sondern auf nicht
absehbare Zeit drastisch zurückgehen werde und dass somit dauerhaft keine
neue Einsatzmöglichkeit für die Leiharbeitnehmer des Bereichs Personalpool
entstehen würden. Diese Prognose sei auch durch die tatsächliche
Auftragsentwicklung bestätigt worden. Aus der Verlaufskurve hinsichtlich der an
Kunden überlassenen Leiharbeitnehmer in den Jahren 2008 und 2009 ergebe sich,
dass ab der 15. Kalenderwoche (6. bis 12. April 2009), in welcher der
Kündigungszugang lag, die Zahl der überlassenen Leiharbeitnehmer – abgesehen
von marginalen Schwankungen – stetig nach unten gegangen und das
Auftragsvolumen drastisch gesunken sei. In der 21. Kalenderwoche (18. bis 24. Mai
2009) sei sogar das Vorjahresniveau negativ durchbrochen und dann für die
restlichen 31 Wochen des Jahres 2009 konstant und mit zunehmender Zeit immer
deutlicher unterschritten worden. Aus einer Betrachtung der Geschäftsentwicklung
im Zeitraum von April 2008 bis einschließlich Juli 2009 lasse sich ferner ersehen,
dass die J GmbH, die K, die L und die M GmbH spätestens seit Januar 2009 –
teilweise aber schon erheblich früher – überhaupt keine Leiharbeitnehmer der
Beklagten mehr einsetzten, wohingegen sie dies im Vorjahr noch getan hätten.
Die N GmbH stelle ihren Betrieb in C zum 31. Mai 2009 komplett ein. An sie seien
seit März 2009 keine Leiharbeitnehmer mehr von der Beklagten überlassen
worden. Eine Möglichkeit, den Kläger anderweitig auf einem freien Arbeitsplatz zu
beschäftigen, habe nicht bestanden. Weder intern noch extern habe es freie
Arbeitsplätze, die dem Kläger hätten angeboten werden können, gegeben. Es
hätten zahlreiche Kundenbesuche, Telefonate und Akquisegespräche mit Kunden
und potentiellen Kunden stattgefunden, in denen sich die (internen) Mitarbeiter der
Beklagten vergeblich um neue Arbeitnehmerüberlassungsaufträge bemüht hätten.
Im Januar 2009 hätte z. B. die J GmbH der Beklagten mitgeteilt, bei F würden
sämtliche Dienstleister abgemeldet werden. Die Fracht sei noch immer rückläufig
und habe einen Einbruch von 30 % erreicht. Die P GmbH habe der Beklagten im
Januar 2009 gesagt, die Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern werde aus
wirtschaftlichen Gründen vorerst zurückgestellt. Im Februar 2009 habe die Q
GmbH gegenüber der Beklagten erklärt, eine Zusammenarbeit sei derzeit nicht
gewünscht. Die R GmbH teilte der Beklagten mit, bei F werde derzeit Kurzarbeit
durchgeführt; das zusätzliche Gewerk werde man mit eigenen Mitarbeitern
schaffen. Die S GmbH erklärte, ihr Bedarf sei gedeckt. Im März 2009 habe die L
GmbH der Beklagten mitgeteilt, weitere Arbeitnehmerüberlassung sei künftig nicht
erwünscht. Die T GmbH habe erklärt, man habe Kurzarbeit eingeführt. Der
Frachtbereich sei weiter rückläufig. Die U Inc. habe mitgeteilt, derzeit bestehe
aufgrund eines Einstellungsstopps kein Bedarf an Leiharbeitskräften. Die F GmbH
hätte ebenso wie die V Inc. erklärt, aufgrund der Krise bestehe kein
Arbeitskräftebedarf. Im April 2009 hätte die F gegenüber der Beklagten erklärt,
aufgrund von Kurzarbeit habe sie keinen Bedarf an Leiharbeitnehmern. Die
Leiharbeitnehmer seien abgebaut worden, um die eigenen Stammmitarbeiter
halten zu können. Die Q-Logistics habe der Beklagten gesagt, sie habe keinen
Bedarf an einer Zusammenarbeit mit der Beklagten und arbeite ausschließlich mit
eigenen Mitarbeitern. Auch die W GmbH habe mitgeteilt, sie habe keinen Bedarf
an Arbeitnehmerüberlassung oder Personalvermittlung seitens der Beklagten. Die
X GmbH habe ebenfalls erklärt, aufgrund der Krise habe sie keinen Bedarf an
Mitarbeitern der Beklagten.
Im Rahmen der Sozialauswahl unter vergleichbaren Arbeitnehmern des Betriebs
der Beklagten am Flughafen C hätte es keine vergleichbaren Mitarbeiter außer den
Mitarbeitern, die dem Bereich Personalpool angehört hätten, gegeben. Aufgrund
der von der Beklagten beschlossenen Schließung dieses Bereichs seien diese aber
selbst entlassen worden. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts Frankfurt
am Main seien die Grundsätze der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG
ausreichend berücksichtigt worden. Der Kläger sei mit den internen Mitarbeitern
der Beklagten im Betrieb am Flughafen nicht vergleichbar, weil die internen
Mitarbeiter die Beklagte gegenüber den Leiharbeitnehmern (wie dem Kläger)
vertreten und ihnen gegenüber weisungsbefugt seien. Der Kläger sei auch nicht
mit den Leiharbeitnehmern vergleichbar, die im Zeitpunkt des Kündigungszugangs
am 9. April 2009 an Kunden (Entleiher) überlassen gewesen seien. Insoweit fehle
es an der Austauschbarkeit. Nach allgemeiner Auffassung fehle es an einer
24
25
es an der Austauschbarkeit. Nach allgemeiner Auffassung fehle es an einer
Vergleichbarkeit zwischen einem Leiharbeitnehmer in der überlassungsfreien Zeit
und einem Leiharbeitnehmer, der sich gerade im Einsatz beim Entleiher befinde,
wenn konkret benannte Leiharbeitnehmer überlassen würden und der zugrunde
liegende Arbeitnehmerüberlassungsvertrag einen Austausch des
Leiharbeitnehmers durch einen anderen Leiharbeitnehmer ohne Zustimmung des
Entleihers nicht zulasse (Dahl, DB 2003, 1626, 1629; Schiefer, NZA-RR 2005, 1, 9;
Steuer, Die Arbeitnehmerüberlassung als Mittel zur Förderung des Arbeitsmarktes
in Deutschland, 2008, S. 75). Jedenfalls seien im Einsatz befindliche
Leiharbeitnehmer aufgrund berechtigter betrieblicher Interessen des Arbeitgebers
an deren Weiterbeschäftigung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG aus der Sozialauswahl
herauszunehmen, wenn deren Austausch mit dem Entleiher vertraglich
ausgeschlossen sei (Schüren/Behrend, NZA 2003, 521, 524). Der
Arbeitnehmerüberlassungsvertrag sei ein schuldrechtlicher Vertrag sui generis zur
entgeltlichen Verschaffung unselbständiger Dienste, auf den hinsichtlich der
Überlassungsverpflichtung des Verleihers die Grundsätze über Stück- und
Gattungsschulden Anwendung fänden. Schulde der Verleiher nach dem
Arbeitnehmerüberlassungsvertrag nicht nur die Überlassung irgendeines für die
vorgesehene Arbeitsaufgabe geeigneten Arbeitnehmers ("Gattungsschuld"),
sondern eines bestimmten, namentlich bezeichneten Leiharbeitnehmers, so liege
eine "Stückschuld" vor, bei deren schuldhafter Nichterfüllung sich der Verleiher
gegenüber dem Entleiher schadensersatzpflichtig mache. In diesem Fall sei der
Verleiher nach dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag nicht befugt, den
namentlich benannten Leiharbeitnehmer durch einen anderen Leiharbeitnehmer
auszutauschen und zu ersetzen. Diese vertragliche Vereinbarung zwischen
Verleiher und Entleiher werde im Hinblick auf die betrieblichen Erfordernisse des
Entleihers abgeschlossen und diene folglich nicht der Umgehung der
Sozialauswahl zwischen den Leiharbeitnehmern des Verleihers.
Individualvereinbarungen Dritter, die sich zu Lasten eines zu kündigenden
Arbeitnehmers im Rahmen der Sozialauswahl auswirkten, seien wirksam, es sei
denn, sie sind rechtsmissbräuchlich und bezweckten allein eine Umgehung der
Sozialauswahl. Letzteres sei hier jedoch nicht der Fall. Die Leiharbeitnehmer auf
dem Flughafen C würden in sicherheitsrelevanten Bereichen tätig und müssten
eine auf die konkrete Person bezogene Zuverlässigkeitsüberprüfung gemäß § 7
Luftsicherheitsgesetz absolvieren. Ferner haben die Leiharbeitnehmer aufgrund
der hohen Sorgfaltsanforderungen und der Werte der Gegenstände, mit bzw. an
denen die Leiharbeitnehmer tätig werden, Eignungstests beim Entleiher
durchzuführen und zu bestehen. Die namentlich benannten Leiharbeitnehmer, die
beim Einsatz beim Kunden sind, könnten von der Beklagten daher nicht ohne
Zustimmung des Kunden ausgetauscht werden.
Die Anschlussberufung des Klägers sei unzulässig und unbegründet. Sie sei als
unzulässig zu verwerfen, da sie nicht in der gesetzlichen Form eingelegt und in der
Anschlussschrift begründet worden sei. Der Zahlungsantrag sei unzulässig, da er
nicht erkennen lasse, ob der Betrag von EUR 3.619,02 ein Bruttobetrag oder ein
Nettobetrag sein soll. Ferner enthalte der Zahlungsantrag eine unzulässige
Klageänderung in der Berufungsinstanz, in welche die Beklagte nicht einwillige.
Zum einen mache der Kläger höhere Beträge als in erster Instanz geltend. Zum
anderen verlange er Zinsen nicht mehr seit dem 15. Oktober 2009, sondern
bereits seit dem 16. Mai 2009. Dies sei weder sachdienlich, noch willige die
Beklagte hierin ein. Der Zahlungsantrag sei auch unbegründet, weil der Kläger
selbst darlege, dass etwaige Zahlungsansprüche von der Beklagten erfüllt worden
seien. Soweit der Kläger vortrage, er habe von der Bundesagentur für Arbeit seit
dem 16. Mai 2009 bis zum 30. September 2009 Leistungen in Höhe von EUR
2.940,32 erhalten, werde dies von der Beklagten bestritten. Die vom Kläger als
Anlage 2 vorgelegte erste Seite des Schreibens der Bundesagentur für Arbeit vom
16. Oktober 2009 sei nicht geeignet, die behauptete Tatsache zu beweisen.
Der Vortrag des Klägers sei nicht geeignet, die Begründetheit der Berufung der
Beklagten zu erschüttern. Der Vortrag des Klägers sei entweder in tatsächlicher
Hinsicht falsch oder in rechtlicher Hinsicht unerheblich. Soweit er vortrage, er sei
bei ihr im Bereich Rampe und im Bereich TRN eingesetzt und tätig gewesen, sei
dies falsch, weil der Kläger als Leiharbeitnehmer nicht bei der Beklagten, sondern
bei der D GmbH als Entleiherin eingesetzt gewesen sei und zwar zuletzt im Bereich
Bodenverkehrsdienste als Palettenhubwagenfahrer. Letzteres meine der Kläger
offenbar mit dem Bereich "Rampe". Einen Bereich "TRN" gebe es hingegen weder
bei der Beklagten noch bei der D GmbH. Offensichtlich sei die Abkürzung "TRN"
Anlass für den fehlerhaften Vortrag des Klägers. Die Abkürzung "TRN" bedeutet
"Training", denn bei den vom Kläger vorgelegten Dokumenten handele es sich um
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
"Training", denn bei den vom Kläger vorgelegten Dokumenten handele es sich um
Ausbildungs- und Trainingsnachweise. Die Behauptung des Klägers, die Beklagte
habe "seit Februar 2009" mindestens 27 neue Mitarbeiter eingestellt und zwar 14
an der Rampe und 13 im Bereich TKS, sei unerheblich und werde vorsorglich
bestritten. Ein Großteil der vom Kläger angeführten "Zeugen" sei nie Arbeitnehmer
der Beklagten gewesen (wie z. B. die "Zeugen" Nr. 2, 3, 4, 5, 6, 7, 9, 12, 15, 22)
oder lange vor bzw. lange nach Februar 2009 eingestellt worden.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt vom 1. Okt. 2009 –
3 Ca 3681/09 – die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt zuletzt,
die Berufung zurückzuweisen
und im Wege der Anschlussberufung,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 2.434,48 brutto nebst 5 % Zinsen über
dem Basiszinssatz seit dem 16. Mai 2009 zu zahlen.
Der Kläger macht sich die Begründung des Arbeitsgerichts zu Eigen, dass das
Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 7. April 2009 nicht
aufgelöst worden sei. Der Kläger sei bei der Beklagten im Bereich "Rampe" sowohl
wie in dem Bereich "TRN" eingesetzt und tätig gewesen. Die Beklagte habe seit
Februar 2009 mindestens 27 neue Mitarbeiter eingestellt und zwar 14 an der
Rampe und 13 im Bereich TKS (Beweis: Zeugen zu 1) bis 26)). Es bestehe der
Verdacht, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger gekündigt habe,
weil dieser sich bemüht hätte, einen Betriebsrat zu gründen.
Die Beklagte begründe die Kündigung des Arbeitsvertrages mit dem Kläger mit der
weltweiten Wirtschaftskrise, die am Flughafen C seit Beginn des Jahres 2009 zu
einem Rückgang des Frachtvolumens um bis zu 40 % und der
Passagierbeförderung um bis zu 30 % geführt habe. Diese Behauptung werde mit
Nichtwissen bestritten. Ob die beiden von der Beklagten benannten Zeugen H und
G von den einzelnen Fluggesellschaften, für die der Kläger arbeitete, genaue
Zahlen über den Rückgang ihres Frachtvolumens erhalten haben, werde
bestritten. Die Fluggesellschaften pflegten ihre Geschäftsdaten in der Regel nicht
exakt zu veröffentlichen. Die Behauptung der Beklagten, sie habe keine
Möglichkeit gehabt, den Kläger anderweitig weiter zu beschäftigen, werde
bestritten. Der Vortrag der Beklagten sei insoweit nicht hinreichend substantiiert,
vielmehr sei er sehr allgemein gehalten. Die Beklagte greife die Entscheidung des
erstinstanzlichen Urteils an, die Kündigung sei durch dringende betriebliche
Erfordernisse bedingt und damit sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs 2 und 3
KSchG gewesen. Die Beklagte lege die Gesetzeslage und Rechtsprechung zur
Sozialauswahl breit dar. Der Kläger gehe davon aus, dass der Satz: "Iura novit
curia" auch heute noch gelte. Die Ausführungen der Beklagten sprächen nicht für
sondern eher gegen eine gerechte Sozialauswahl im vorliegenden Fall. Ergänzend
sei angemerkt, dass die Beklagte mit der Arbeitsleistung des Klägers sehr
zufrieden gewesen sei.
Der Kläger habe nach Leistungsnachweis und Entgeltbescheinigung der
Bundesagentur für Arbeit vom 16. Okt 2009 seit dem 16. Mai 2009 bis zum 30.
Sept. 2009 von der Bundesagentur für Arbeit Leistungen in Höhe von 2.940,32
EUR erhalten. Von der Beklagten habe der Kläger
im Mai 2009 636,64 EUR,
im Juni 2009 1.184,54 EUR,
im Juli 2009 1.184,54 EUR,
im August 2009 1.184,54 EUR,
im September 2009 1.184,54 EUR
und im Oktober 2009 1.184,54 EUR
zusammen 6.559.34 EUR
42
43
44
45
46
47
48
nicht erhalten. Setze man von diesem Betrag die Leistung der Arbeitsverwaltung
in Höhe von 2.940,32 EUR ab, so verbleibe eine Differenz in Höhe von 3.619,02
EUR. Diese Summe werde von dem Kläger gegenüber der Beklagten geltend
gemacht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den
vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze und den Inhalt der
Sitzungsniederschrift vom 22. April 2010 verwiesen.
Entscheidungsgründe
1. Die Berufung ist statthaft, §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511 Abs. 1 ZPO, 64 Abs. 2 b)
ArbGG, und auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66
Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO, und damit insgesamt zulässig. Die Berufung ist
jedoch nicht begründet.
2. Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Die Kündigung der Beklagten vom 7.
April 2009 ist unwirksam, weil sie sozialwidrig ist.
a) Das zweitinstanzliche Vorbringen der Beklagten bezüglich der betriebsbedingten
Kündigung genügt den Anforderungen der Rechtsprechung (BAG Urteil vom 18.
Mai 2006 – 2 AZR 412/05 – EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 146).
Sie hat unter Beweisantritt detailliert dargelegt, dass sie einen dauerhaften
Auftragsrückgang zu verzeichnen hat und ein anderer Einsatz bei einem anderen
Kunden vom Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung aus gesehen prognostisch
ausscheidet.
Die Beklagte hat jedoch soziale Gesichtspunkte im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG
nicht ausreichend berücksichtigt. Sie hat den Kreis vergleichbarer Arbeitnehmer zu
eng gefasst. Sie hat nur diejenigen Zeitarbeitnehmer einbezogen, die ohne
Einsatz waren, und diejenigen aus der Vergleichsgruppe herausgenommen, deren
Überlassung sie nach ihrer Behauptung mit den Kunden fest vereinbart hätte und
die nach ihrer Auffassung deshalb nicht hätten ausgetauscht werden können. Die
Beklagte hat die Herausnahme dieser Mitarbeiter aus der Sozialauswahl damit
begründet, dass sie sie gemäß den mit den Kunden abgeschlossenen
Überlassungsverträgen nicht ohne Zustimmung der Kunden aus dem Auftrag
abziehen könne. Da die Arbeitnehmer von den Kunden gezielt ausgewählt und in
ihre Tätigkeit eingewiesen und eingelernt würden, stimmten Kunden einer
Abziehung nicht zu.
b) Die Beklagte hat dadurch, dass sie den Kreis vergleichbarer Arbeitnehmer auf
die zum Kündigungszeitpunkt nicht an Entleiher überlassenen Arbeitnehmer
beschränkt hat, den überwiegenden Teil der Belegschaft aus der Sozialauswahl
ausgenommen. Dies begründet eine Vermutung dafür, dass die Beklagte bei der
Auswahl soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat. Das
Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 5. Dez. 2002 – 2 AZR 697/01 – EzA § 1 KSchG
Soziale Auswahl Nr. 52) hat angenommen, es spreche grundsätzlich eine
Vermutung dafür, dass die sozialen Gesichtspunkte bei der Auswahl der zu
kündigenden Arbeitnehmer nicht ausreichend berücksichtigt worden sind, wenn
der Arbeitgeber den überwiegenden Teil der Belegschaft (hier 70% der
Arbeitnehmer) aus betriebstechnischen Gründen generell von der
Austauschbarkeit ausnimmt und die Sozialauswahl auf den verbliebenen Teil der
Restbelegschaft beschränkt. Im Streitfall beschäftigte die Beklagte nach ihrer
Aufstellung in Anlage B 10 (Bl. 175 d. A.) zum Kündigungszeitpunkt am 9. April
2009 222 an Kunden überlassene Leiharbeitnehmer. In diesem Monat beendete
sie 11 Arbeitsverhältnisse, davon vier durch den Auslauf von Befristungen und
sieben durch den Ausspruch von Kündigungen. Im Mai 2009 beendete sie weitere
13 und im Juni 2009 nochmals sieben Arbeitsverhältnisse. Sie beschäftigte mithin
im April 2009 noch ca. 211 an Kunden ausgeliehene Arbeitnehmer, die generell
vergleichbare Tätigkeiten verrichteten. Nach dem Vorbringen der Beklagten
werden diese nämlich im Bereich der Bodenverkehrsdienste beschäftigt, welche
Koffer, Fracht, Wasser, Postsäcke und sonstige in Flugzeugen beförderte
Gegenstände zum Flugzeug fahren oder vom Flugzeug abtransportieren und beim
Be- und Entladen der Flugzeuge auf dem sog. Vorfeld des Flughafens unter Einsatz
entsprechender Hilfsmittel (z. B. Förderbänder, Palettenhubwagen etc.) helfen. Sie
werden – abgesehen von den Chauffeuren im Bereich des VIP-Service – als
Palettenhubwagenfahrer, Frachtfahrer, Kofferfahrer, Flugzeugbe- und -entlader
eingesetzt. Auch der Kläger war im Bereich Bodenverkehrsdienste als
Palettenhubwagenfahrer tätig. Die generelle Herausnahme von etwa 211
49
50
51
Palettenhubwagenfahrer tätig. Die generelle Herausnahme von etwa 211
eingesetzten Leiharbeitnehmern, d. h. 95 % der vergleichbaren Arbeitnehmer,
geht noch weit über die vom Bundesarbeitsgericht angenommene
Vermutungsgrundlage hinaus und muss ebenso die die Vermutung von
Auswahlfehlern begründen.
c) Der Vergleichbarkeit steht nicht entgegen, dass der Kläger nach dem
Vorbringen der Beklagten der "Abteilung Personalpool" zugeordnet war. Es handelt
sich dabei schlicht um diejenigen Arbeitnehmer, die gerade nicht verliehen werden
können. Auch in den Folgemonaten gab es Neuzugänge in den Pool und nach dem
Vorbringen der Beklagten monatlich neue Entlassungen. Eine Differenzierung nach
eingesetzten und nicht eingesetzten Leiharbeitnehmern ist kein zulässiges
Unterscheidungskriterium. Eine Austauschbarkeit unter arbeitsplatzbezogenen
Gesichtspunkten ist hier ohne weiteres gegeben (ebenso Dahl, DB 2003, 1626,
1629 li. Sp.).
An der Vergleichbarkeit der eingesetzten und nicht eingesetzten Leiharbeitnehmer
mangelt es darüber hinaus auch nicht deshalb, weil die Beklagte – wie sie
behauptet und meint – infolge vertraglicher Bindungen an einem Austausch der
Leiharbeitnehmer gehindert wäre. Es ist zwar bis zur Grenze der
Gesetzesumgehung oder des Rechtsmissbrauchs rechtlich zulässig, infolge
einzelvertraglicher Regelungen der ordentlichen Unkündbarkeit den unkündbaren
Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl auszunehmen (vgl. BAG Urteil vom 21. April
2005 – 2 AZR 241/04 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 62; APS/Kiel § 1 KSchG
Rz. 703; BBDW § 1 Rz. 319; ErfK/Oetker § 1 KSchG Rz. 312; HaKo-Gallner § 1 Teil F
Rz. 774; KR-Griebeling § 1 KSchG Rz. 665 ff.). Eine derartige Regelung, mit der
einzelne Arbeitnehmer vor dem Ausspruch einer ordentlichen Kündigung
geschützt werden sollen, steht hier jedoch nicht zu beurteilen und es gibt auch
hierzu keine Parallelen. Vielmehr geht es um die Frage, ob eine Einbeziehung der
eingesetzten Leiharbeitnehmer daran scheitert, dass das Direktionsrecht der
Beklagten infolge vertraglicher Bindungen derart eingeschränkt ist, dass ein
Einsatz des Klägers anstelle eines vergleichbaren verliehenen Arbeitnehmers
ausgeschlossen ist. In der Literatur wird angenommen, dass eine
Austauschbarkeit ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag
vorsieht, dass ein bestimmter namentlich benannter Leiharbeitnehmer überlassen
wird, weil es dem Entleiher auf persönliche und fachliche Gesichtspunkte
besonders ankommt. Eine Austauschbarkeit sei nur gegeben, wenn der
Arbeitnehmerüberlassungsvertrag diesen Austausch zulasse (so Dahl DB 2003,
1626, 1629; Schiefer NZA-RR 2005, 1,9; Schüren/Behrend NZA 2003, 521, 524).
Die Ersetzungsbefugnis, d. h. die Berechtigung des Verleihers, den
Leiharbeitnehmer jederzeit abzuberufen und anderweitig einzusetzen, kann zwar
vertraglich ausgeschlossen werden (vgl. Ulber, § 12 AÜG, Rz. 13; a. A. Thüsing § 12
AÜG Rz. 27, der allerdings im Einzelfall einen Ausschluss nach Treu und Glauben
für möglich hält). Aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich ein derartiger
Ausschluss nicht.
Die AÜ-Verträge zwischen Verleiher und Entleiher gemäß § 12 Abs. 1 AÜG (Bl. 165,
166 d. A.) nennen zwar den Kläger namentlich als Leiharbeitnehmer. Er wird als
Flugzeugabfertiger-Helfer mit Führerschein eingesetzt mit dem Be- und Entladen
von Flugzeugen von Hand und/oder mit speziellen Abfertigungsgeräten. Als
erforderliche Qualifikation ist eine interne Schulung/kurze Anlernzeit genannt. Ein
Ausschluss der Ersetzbarkeit ergibt sich aus dem Vertrag ausdrücklich nicht. Sie
ergibt sich aber auch nicht gemäß §§ 133, 157 BGB mit hinreichender Klarheit
durch die namentliche Benennung des Arbeitnehmers im Vertrag oder aus Treu
und Glauben. Es handelt sich bei der Tätigkeitsbeschreibung im Vertrag um
einfache Helferarbeiten, für die nur ein Führerschein und eine kurze Anlernzeit
erforderlich ist. Arbeitnehmer, die diese Tätigkeiten mindestens sechs Monate lang
verrichtet haben – ohne Kündigungsschutz nähmen sie an der Sozialauswahl nicht
teil – sind nach diesen Vorgaben ohne weiteres zu einem Wechsel in der Lage. Die
Zuverlässigkeitsüberprüfung gemäß § 7 LuftSicherheitsG ist in dem Vertrag nicht
einmal genannt, kann aber auch einem Austausch nicht entgegenstehen, denn
Arbeitnehmer, die auf dem Vorfeld eingesetzt waren, haben diese – von
Ausnahmen abgesehen – zwangsläufig zum Kündigungszeitpunkt noch. Vor
diesem Hintergrund reicht der von der Beklagten vorgelegte AÜ-Vertrag nicht aus,
den staatlichen Kündigungsschutz durch hineingelesene Bindungen
einzuschränken. Für eine Vernehmung der von der Beklagten benannten Zeugen
H und G besteht keine Veranlassung, denn dass die Leiharbeitnehmer in dem
Vertrag namentlich benannt sind, ist unstreitig, die Frage ist nur, mit welchen
rechtlichen Auswirkungen.
52
53
54
55
56
57
3. Die Anschlussberufung des Klägers ist zulässig und teilweise begründet. Er hat
diese gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 524 Abs. 1 ZPO durch Einreichung der
Berufungsanschlussschrift bei dem Berufungsgericht eingereicht und gleichzeitig
begründet. Die Vorschriften des § 519 Abs. 2 und 4 sowie des § 520 Abs. 3 gelten
entsprechend (§ 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 524 Abs. 3 ZPO).
Der Klageantrag ist zulässig. Ist Inhalt der Vergütungsvereinbarung eine
Geldleistung, lautet die Verpflichtung des Arbeitgebers auf Zahlung einer
bestimmten Summe Geldes, des sog. Bruttobetrages. Die "vereinbarte
Vergütung" gemäß § 611 BGB ist mangels abweichender Regelung der
Vertragsparteien ein Bruttoentgelt. Die arbeitsrechtliche Vergütungspflicht
beinhaltet nicht nur die Nettoauszahlung, sondern umfasst auch die Leistungen,
die nicht in einer unmittelbaren Auszahlung an den Arbeitnehmer bestehen.
Dementsprechend kann die Lohnzahlungsklage auf den Bruttobetrag gerichtet
werden. Bei der Zwangsvollstreckung aus einem solchen Urteil ist der gesamte
Betrag beizutreiben. Abzug und Abführung von Lohnbestandteilen betreffen nur
die Frage, wie der Arbeitgeber seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer
erfüllt (BAG Großer Senat Beschluss vom 7. März 2001 – GS 1/00 – EzA § 288 BGB
Nr. 3).
Die Verzugslohnansprüche belaufen sich für Mai 2009 auf EUR 636,64 und für Juni
bis Oktober 2009 auf jeweils EUR 1.184,54, das sind insgesamt EUR 6.559.34 EUR.
Wegen des Monats Oktober 2009 hat der Kläger die Klage in Höhe von EUR
1.184,54 EUR zurückgenommen, so dass EUR 5374,80 brutto verbleiben. Der
Kläger hat nach Leistungsnachweis und Entgeltbescheinigung der Bundesagentur
für Arbeit vom 16. Okt 2009 für die Zeit vom 16. Mai 2009 bis zum 30. Sept. 2009
Leistungen in Höhe von EUR 2.940,32 erhalten. Wegen der Leistungen der
Bundesagentur für Arbeit ist der Kläger nicht mehr aktiv legitimiert, daraus ergibt
sich der ausgeurteilte Bruttobetrag in Höhe von EUR 2.434,48.
4. Mit Obsiegen im Kündigungsrechtsstreit besteht ein Anspruch auf vorläufige
Weiterbeschäftigung gemäß §§ 611, 242 BGB, da infolge des Unterliegens der
Beklagten in zwei Instanzen im Kündigungsschutzverfahren auch deren Interessen
an der Nichtbeschäftigung zurückstehen müssen (BAG Großer Senat 27.02.1985 –
GS 1/84 EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9). Dass im Klageantrag eine
Berufsangabe fehlt, steht dessen Bestimmtheit gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO
vorliegend nicht entgegen. Es ist noch ausreichend, wenn die wesentlichen
Arbeitsbedingungen aus der Klagebegründung ersichtlich sind (AR-Blattei SD
(Nungeßer) 170. Aktualisierung, Rz. 230). Hier war die Tätigkeit des Klägers bis
zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorgetragen und unstreitig,
nämlich Tätigkeiten von Leiharbeitnehmern z. B. als Palettenhubwagenfahrer,
Frachtfahrer, Kofferfahrer, Flugzeugbe- und -entlader bei den
Entleiherunternehmen. Dementsprechend ist auch der arbeitsgerichtlich Tenor
auszulegen.
5. Die Kosten des Rechtsstreits sind im Verhältnis des gegenseitigen Obsiegens
und Unterliegens zu verteilen, § 92 Abs. 1 ZPO. Von dem Gesamtstreitwert in
Höhe von EUR 8.357 (EUR 1.184,54 x 4 = EUR 4.738,16 und EUR 3.619,02) trägt
der Kläger 14 %, das entspricht der Rücknahme der Anschlussberufung in Höhe
von EUR 1.184,54.
6. Für die Zulassung der Revision besteht keine gesetzlich begründete
Veranlassung, § 72 Abs. 2 ArbGG. Streitentscheidend ist keine klärungsbedürftige
Rechtsfrage, sondern eine einzelfallbezogene Vertragsauslegung.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.