Urteil des LAG Hessen vom 21.08.2009

LAG Frankfurt: berufsschule, fahrtkosten, stadt, einfluss, vergütung, begriff, tva, berufsausbildung, unverzüglich, parteibezeichnung

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
19. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
19/3 Sa 1847/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 10 Abs 2 TVAöD BT-BBiG, §
10 Abs 3 TVAöD BT-BBiG, § 1
TVG
Erstattung von Fahrtkosten zu einer auswärtigen
Berufsschule - Veranlassung
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Darmstadt vom 08. Oktober 2008 – 5 Ca 254/08 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der beklagten Stadt die Erstattung der ihr durch Fahrten
zu einer auswärtigen Berufsschule entstandenen Fahrtkosten.
Die am 16. September 1985 geborene Klägerin, die Mitglied der Gewerkschaft A
ist, schloss am 20. Juni 2006 einen Berufsausbildungsvertrag mit der beklagten
Stadt, die Mitglied des kommunalen Arbeitgeberverbands ist, ab und wurde in der
Zeit vom 14. August 2006 bis 13. August 2008 zur Gärtnerin mit dem
Schwerpunkt Zierpflanzenbau ausgebildet. Dieser Berufsausbildungsvertrag
enthält u.a. folgende Regelungen:
§ 3 Pflichten des Ausbildenden
Der Ausbildende verpflichtet sich,
5. (Besuch der Berufsschule und von Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der
Ausbildungsstätte)
den Auszubildenden zum Besuch der Berufsschule anzuhalten und
freizustellen. Das gleiche gilt, wenn Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der
Ausbildungsstätte vorgeschrieben oder nach Nr. 12 durchzuführen sind.
§ 4 Pflichten des Auszubildenden
"Der Auszubildende hat sich zu bemühen, die Fertigkeiten und Kenntnisse zu
erwerben, die erforderlich sind, um das Ausbildungsziel zu erreichen. Er verpflichtet
sich insbesondere,
...
2. (Berufsschulunterricht, Prüfungen und sonstige Maßnahmen)
am Berufsschulunterricht und an Prüfungen sowie an Ausbildungsmaßnahmen
außerhalb der Ausbildungsstätte teilzunehmen, für die er nach §3 Nr. 5, 11, 12
freigestellt wird; ...
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8. (Benachrichtigung)
bei Fernbleiben von der betrieblichen Ausbildung, vom Berufsschulunterricht
und von sonstigen Ausbildungsveranstaltungen dem Ausbildenden unter Angabe
von Gründen unverzüglich Nachricht zu geben und ihm Arbeitsunfähigkeit und
deren Dauer unverzüglich mitzuteilen. ....
§ 5 – Vergütung und sonstige Leistungen
3. (Kosten für Maßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte)
Der Ausbildende trägt die Kosten für Maßnahmen außerhalb der
Ausbildungsstätte gemäß § 3 Nr. 5, soweit sie nicht anderweitig gedeckt sind; ist
eine auswärtige Unterbringung erforderlich, so können dem Auszubildenden
anteilig Kosten für Verpflegung in dem Umfang in Rechnung gestellt werden, in
dem dieser Kosten einspart. ...
Eine Berufsschule mit dem Bereich der Ausbildung zum Gärtner war im Kreis B,
dem die Beklagte angehört, nicht vorhanden. Da das Stadtgebiet der Beklagten
zum Nordkreis B gehört, war die C in D die für die Klägerin zuständige Berufsschule
(§ 1 der Verordnung über die Bildung von schulträgerübergreifenden Schulbezirken
für Fachklassen an Berufsschulen vom 19. Juni 2006 nebst Abschnitt A der Anlage;
vgl. Bl. 35 f. d. A.). Die Klägerin besuchte diese Berufsschule. Bis zum 31.
Dezember 2006 erstattete die Beklagte der Klägerin die Fahrtkosten zur
Berufsschule. Ab 1. Januar 2007 gewährte sie keine Fahrtkostenerstattung mehr.
Im Jahr 2007 entstanden der Klägerin durch den Besuch der Berufsschule
unstreitig notwendige Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 206,90 Euro, und zwar
Die Klägerin forderte die Beklagte zur Erstattung der Fahrtkosten unter Vorlage
der Fahrkarten jeweils innerhalb der Ausschlussfrist auf.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, sowohl nach dem Ausbildungsvertrag als
auch nach § 10 Abs. 3 TVAöD-BT BBiG einen Anspruch auf Erstattung der
Fahrtkosten zu haben.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 206,90 Fahrtkostenerstattung
nebst einem Zinssatz in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen
Basiszinssatz aus 22,70 Euro ab 01. März 2007, 22,70 Euro ab 01. April 2007, 7,10
Euro ab 01. Mai 2007, 44,00 Euro ab 01. Juni 2007, 22,70 Euro ab 01. Juli 2007,
22,70 Euro ab 01. August 2007, 7,10 Euro ab 01. September 2007, 22,25 Euro ab
01. Oktober 2007, 10,10 Euro ab 01. November 2007, 20,20 Euro ab 01.
Dezember 2007 und 5,35 Euro ab 01. Januar 2008 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die Klägerin zum Besuch der
auswärtigen Berufsschule in D nicht durch die Beklagte, sondern durch gesetzliche
Verpflichtung veranlasst worden sei.
Das Arbeitsgericht Darmstadt hat der Klage mit Urteil vom 8. Oktober 2008
stattgegeben und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt,
die Beklagte habe die Klägerin zum Besuch der Berufsschule im Sinne von § 10
Abs. 3 TVAöD-BT BBiG dadurch veranlasst, dass sie im Berufsausbildungsvertrag
eine Pflicht zum Besuch der Berufsschule vorgesehen habe.
Gegen das Urteil, das der Beklagten am 24. Oktober 2008 und am 20. November
2008 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17. November 2008
zugestellt worden ist, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 7. November 2008,
eingegangen am Hessischen Landesarbeitsgericht am 10. November 2008,
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eingegangen am Hessischen Landesarbeitsgericht am 10. November 2008,
Berufung eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis 24. Februar 2009 mit Schriftsatz vom 17. Februar
2009, eingegangen am 19. Februar 2009, begründet.
Die Beklagte meint, dass die im Arbeitsvertrag enthaltene Regelung zum Besuch
der Berufsschule keine Veranlassung im Sinne von § 10 Abs. 3 TVAöD-BT BBiG
begründe. Der Besuch der C beruhe auf der gesetzlichen Schulpflicht und einem
stattlichen Organisationsakt. Eine Veranlassung im Sinne von § 10 Abs. 3 TVAöD-
BT BBiG sei nur dann anzunehmen, wenn der Ausbilder auf die Wahl der Schule
Einfluss genommen habe und der Auszubildende deshalb einen längeren
Anfahrtsweg zur Berufsschule und damit höhere Fahrtkosten habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 08. Oktober 2008 – 5 Ca 254/08
– abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Berufung. Sie verteidigt das
angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrags aus dem
ersten Rechtszug.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird
auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift über die
mündliche Verhandlung vom 21. August 2009 (Bl. 94 f. d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A.
Die Berufung ist zulässig. Das Rechtsmittel ist aufgrund der Zulassung im
angefochtenen Urteil gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 a ArbGG statthaft und
von der Beklagten in gesetzlicher Form und Frist gem. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG
i.V.m. §§ 519 ZPO, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG mit Schriftsatz vom 7. November
2008, eingegangen beim Hessischen Landesarbeitsgericht am 10. November
2008, eingelegt worden. Dabei ist die Frist zur Einlegung der Berufung mit
Zustellung des Urteils am 24. Oktober 2008 in Gang gesetzt worden. Die
Berichtigung der Parteibezeichnung (Stadt E statt Städtische Betriebshöfe –
Eigenbetrieb der Stadt E) wegen offensichtlicher Unrichtigkeit der
Parteibezeichnung mit Beschluss vom 17. November 2008 hatte keinen Einfluss
auf den Beginn und Lauf der Berufungsfrist
, da feststand und erkennbar war, welche Partei gemeint war. Die
Beklagte hat die Berufung – nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis 24. Februar 2009 – mit Schriftsatz vom 17. Februar
2009, eingegangen beim Hessischen Landesarbeitsgericht am 19. Februar 2009
innerhalb der durch § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG bestimmten Frist ordnungsgemäß
nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 520 Abs. 2 ZPO begründet.
B.
Die Berufung ist begründet. Sie führt zur Abweisung der Klage. Die Klägerin hat
keinen Anspruch auf Erstattung der ihr durch die Fahrten zur Berufsschule in D
entstandenen Kosten.
I. Die Beklagte ist nicht kraft Gesetzes zur Übernahme der Fahrtkosten verpflichtet
(§§ 812 Abs. 1 iVm § 670 BGB). Ein Anspruch auf Fahrtkostenerstattung folgt nicht
aus dem Berufsausbildungsgesetz und dem darin zum Ausdruck kommenden
Prinzip der Kostenfreiheit.
1. Gemäß § 15 Satz 2 BBiG hat der Ausbildende den Auszubildenden für die Dauer
des Berufsschulbesuchs freizustellen und ihm gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 BBiG die
Vergütung fortzuzahlen. Nach § 14 Abs. 1 Nr. 3 BBiG hat er ihm die
Ausbildungsmittel kostenlos zur Verfügung zu stellen. Eine Regelung über die
Erstattung der durch den Berufsschulbesuch entstehenden Fahrtkosten ist in
diesen Vorschriften nicht enthalten (
).
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (
) folgt ein Erstattungsanspruch auch nicht
aus dem Prinzip der Kostenfreiheit. Das BBiG zielt zwar darauf ab, die finanziellen
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aus dem Prinzip der Kostenfreiheit. Das BBiG zielt zwar darauf ab, die finanziellen
Belastungen, die dem Auszubildenden aus der Berufsausbildung erwachsen,
möglichst gering zu halten. Bei einer dualen Ausbildung hat der Ausbildende aber
grundsätzlich nicht für Kosten einzustehen, die im Zusammenhang mit der
schulischen Berufsausbildung anfallen. Das gilt auch für die Fahrtkosten, die durch
den Besuch einer auswärtigen staatlichen Berufsschule verursacht werden (
. Das BBiG geht für die Berufsausbildung vom Grundsatz des dualen
Systems aus, das durch ein Zusammenwirken von betrieblicher und schulischer
Ausbildung gekennzeichnet ist. Es regelt die vertraglichen Beziehungen zwischen
dem Ausbildenden und dem Auszubildenden nur bezüglich der betrieblichen
Ausbildung. Der Ausbildende ist danach zwar verpflichtet, den Auszubildenden
zum Besuch der Berufsschule sowie zum Führen von schriftlichen
Ausbildungsnachweisen anzuhalten, und ihn für den Besuch der Berufsschule
unter Fortzahlung der Vergütung freizustellen. Weitere Pflichten treffen der
Ausbildenden in Bezug auf die schulische Ausbildung nicht. Durch
landesgesetzliche Regelungen kann die Kostentragungspflicht des Ausbilders nach
dem Berufsbildungsgesetz nicht erweitert werden (
.
3. Die Teilnahme am Berufsschulunterricht steht ferner nicht einer
Ausbildungsmaßnahme außerhalb der Ausbildungsstätte gleich. Dies folgt bereits
aus § 15 BBiG, der ausdrücklich zwischen der Teilnahme am Berufsschulunterricht
und Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte unterscheidet (
.
4. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Ausbildende nach §
670 BGB zur Übernahme von Mehrkosten verpflichtet, wenn der Auszubildende auf
seine Veranlassung eine andere Bildungseinrichtung als die zuständige staatliche
Berufsschule besucht (
.
Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Klägerin hat die zuständige staatliche
Berufsschule besucht. Die Beklagte hat unstreitig auf die Wahl der Berufsschule
keinen Einfluss genommen.
II. Der Anspruch folgt nicht aus § 10 Abs. 3 TVAöD-BT BBiG. Danach werden die
notwendigen Fahrtkosten nach Maßgabe von § 10 Abs. 2 TVAÖD-BT BBiG von dem
Ausbildenden erstattet, wenn der Besuch einer auswärtigen Berufsschule vom
Ausbildenden veranlasst ist. Vorliegend hat die Beklagte die Fahrten der Klägerin
zu der auswärtigen Berufsschule nicht im Sinne der Tarifnorm veranlasst.
1. Der Tarifvertrag ist auf das Ausbildungsverhältnis kraft beiderseitiger
Tarifbindung anwendbar.
2. Die Klägerin hat eine auswärtige Berufsschule besucht. Nach dem
Ausbildungsvertrag fand die betriebliche Ausbildung in E statt, während der
Berufsschulunterricht an der C in D, und damit außerhalb der Grenzen der
politischen Gemeinde E, stattfand.
3. Die Beklagte hat den Besuch der auswärtigen Berufsschule nicht im Sinne des §
10 Abs. 3 TVAöD-BT BBiG veranlasst. Entgegen der Ansicht der Klägerin liegt eine
Veranlassung im Sinne der Tarifnorm nicht darin, dass die Klägerin nach dem
Ausbildungsvertrag verpflichtet war, am Berufsschulunterricht teilzunehmen und
bei Fernbleiben vom Berufsschulunterricht dem Ausbildenden unter Angabe von
Gründe unverzüglich Nachricht zu geben. Das folgt bei Auslegung des
Tarifvertrags.
a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags hat entsprechend den
Grundsätzen der Gesetzesauslegung zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu
ermitteln ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften.
Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der
Tarifvertragsparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der
Tarifnorm mit zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Normen
seinen Niederschlag gefunden hat. Hierzu ist auch auf den tariflichen
Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen berücksichtigt
werden muss, weil nur aus ihm und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den
wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur so der Sinn und
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wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur so der Sinn und
Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Verbleiben bei
entsprechender Auswertung des Tarifwortlauts und des tariflichen
Gesamtzusammenhangs im Einzelfall noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des
wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf weitere Kriterien wie die
Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des
jeweiligen Tarifvertrages zurückgegriffen werden. Eine Bindung an eine bestimmte
Reihenfolge bei den heranzuziehenden Auslegungsmitteln gibt es nicht. Im Zweifel
ist eine Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten,
zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (
).
b) Da die Tarifvertragsparteien den Begriff "veranlassen" nicht definiert haben, ist
zunächst der allgemeine Sprachgebrauch heranzuziehen. "Veranlassen" bedeutet
danach "dafür sorgen, dass etwas geschieht", "etwas bewirken", "etwas
hervorrufen", "etwas anordnen" (Wahrig, Deutsches Wärterbuch 7. Aufl 2000).
Nach diesen Definitionen lässt der Begriff "veranlassen" ein weites und ein enges
Verständnis zu. Versteht man den Begriff weit im Sinne "auf etwas hinwirken" oder
"etwas mitverursachen", so kann in der im Ausbildungsvertrag enthaltenen
Verpflichtung zum Besuch der Berufsschule ein "Verlassen" zu sehen sein. Bei
einem engeren Verständnis des Begriffs im Sinne eines alleinigen Verursachens
führt die vertragliche Verpflichtung zum Schulbesuch dagegen nicht zur Annahme
eines Veranlassens, denn es ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin unabhängig
von der Verpflichtung zum Schulbesuch nach § 4 des Ausbildungsvertrags
aufgrund § 62 Abs. 2 Hessisches Schulgesetz berufsschulpflichtig war. Danach sind
Auszubildenden, die in einem Ausbildungsverhältnis im Sinne des
Berufsbildungsgesetzes stehen, für die Dauer des Ausbildungsverhältnisses
schulpflichtig. Mit der Regelung in § 4 des Ausbildungsvertrags hat die Beklagte die
Schulpflicht folglich nicht begründet, also nicht die verursacht. Nach dem engeren
Verständnis ist ein "Veranlassen" im Sinne von § 10 Abs. 3 TVAöD-BT BBiG erst
anzunehmen, wenn der Ausbildende auf die Wahl der Schule Einfluss nimmt und
der Auszubildende deshalb nicht die staatlich vorgesehene Berufsschule, sondern
eine andere Berufsschule mit einem längeren Anfahrtsweg besucht (
).
Für das enge Verständnis des Begriffs sprechen die besseren Argumente. Dafür
spricht schon der Charakter der Tarifnorm als Ausnahmevorschrift. Die Kostenlast
soll den Ausbildenden nicht regelmäßig, sondern nur ausnahmsweise dann treffen,
wenn er den Besuch der auswärtigen Berufsschule veranlasst hat. Dieser
Charakter als Ausnahmevorschrift wird beim Vergleich mit der Regelung in § 10
Abs. 3 TVA-L BBiG deutlich, die ein anderes Regel-Ausnahmeverhältnis aufstellt. In
§ 10 Abs. 3 Satz 1 TVA-L BBiG trägt der Ausbildende grundsätzlich die
Fahrtkosten; nach § 10 Abs. 3 Satz 3 TVA-L BBiG hat der Auszubildende nur
ausnahmsweise die Kosten zu tragen, wenn er auf seinen Antrag hin eine andere
als die reguläre Berufsschule besucht. Dem Charakter des § 10 Abs. 3 TVAöD-BT
BBiG als Ausnahmevorschrift würde es nicht gerecht, wenn nach dem weiten
Verständnis jede Mitwirkung oder Mitverursachung als Veranlassung zu verstehen
wäre ( ). Dann müsste auch
die Anmeldung zur Berufsschule oder der Abschluss des Ausbildungsvertrags als
Mitursache relevant sein mit der Folge, dass die Kostentragungslast des
Ausbildenden zum Regelfall würde. Gleiches gilt für die vertragliche Verpflichtung
zum Besuch der Berufsschule in § 4 des Ausbildungsvertrags. Diese Regelung ist
vor dem Hintergrund des § 14 Abs 1 Nr. 4 BBiG zu verstehen, nach welcher der
Ausbildende verpflichtet ist, den Auszubildenden zum Besuch der Berufsschule
anzuhalten.
Darüber hinaus spricht die Tarifgeschichte für das enge Verständnis des Be-griffs
"veranlassen". Bis zur Einführung des TVAöD galt § 10 Abs. 1 Satz 3 MTV. Danach
wurden dem Auszubildenden bei Reisen zur Teilnahme am Unterricht an einer
auswärtigen Berufsschule Fahrtkosten erstattet, soweit sie monatlich 6% der
Ausbildungsvergütung eines Auszubildenden im ersten Ausbildungsjahr
überstiegen. Diese Regelung galt unabhängig davon, ob die nächstgelegene
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überstiegen. Diese Regelung galt unabhängig davon, ob die nächstgelegene
Berufsschule besucht wurde. Von dieser Regelung haben die Tarifvertragsparteien
ersichtlich Abstand nehmen wollen in Kenntnis der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts, nach der der Ausbildende im dualen Ausbildungssystem
grundsätzlich nicht für die durch den Besuch der staatlichen Berufsschule
ausgelösten Aufwendungen des Auszubildenden einzustehen hat. Mit der in § 10
Abs. 3 TVAöD-BT BBiG gewählten Formulierung haben die Tarifvertragsparteien die
höchstrichterliche Rechtsprechung aufgegriffen (
.
Die Neuregelung ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht überflüssig, wenn man
sie als Kodifizierung der höchstrichterlichen Rechtsprechung versteht. Sie stellt für
Ausbildende und Auszubildenden im öffentlichen Dienst mit der erforderlichen
Transparenz die Abkehr von der Kostenerstattung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 MTV
klar ( .
III. Der Anspruch folgt schließlich nicht aus den Vereinbarungen der Parteien. Der
Anspruch kann weder auf § 5 Nr. 3 des Berufsausbildungsvertrag noch auf
betriebliche Übung gestützt werden.
1. Ein Anspruch auf Fahrtkostenerstattung folgt nicht aus § 5 Nr.3 des
Berufsausbildungsvertrags. Diese Kostenregelung gilt nicht für Kosten, die durch
den Besuch der Berufsschule entstanden sind.
Nach § 5 Nr. 3 des Arbeitsvertrags trägt der Ausbildende bestimmte Kosten für
"Maßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte gemäß § 3 Nr. 5 des
Arbeitsvertrags". Diese "Maßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte" im Sinne
von § 3 Nr. 5" umfassen jedoch – wie § 3 Nr. 5 zeigt – nicht den Besuch der
Berufsschule. § 3 Nr. 5 unterscheidet erkennbar zwischen dem Besuch der
Berufsschule und den Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte.
Die Regelung in § 3 Nr. 5 knüpft an die gesetzliche Regelung in § 15 BBiG an. Auch
nach der gesetzlichen Regelung zählt die Teilnahme am Berufsschulunterricht,
auch wenn er als Blockunterricht ausgestaltet ist, nicht zu den
Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte (
).
2. Der Anspruch folgt auch nicht aus betrieblicher Übung. Auch wenn die Beklagte
im Jahr 2006 der Klägerin Fahrtkosten erstattet haben sollte, scheitert die
Annahme eines Anspruchs auf Fahrtkostenerstattung aufgrund einer betrieblichen
Übung jedenfalls am Schriftformgebot des § 2 Abs. 2 TVAöD-AT.
a) Nach dieser Tarifvorschrift sind Nebenabreden nur wirksam, wenn sie schriftlich
vereinbart werden. Es handelt sich um eine gesetzliche Schriftform i.S.d. § 126
BGB. Ihre Missachtung hat die Unwirksamkeit des betreffenden Rechtsgeschäfts
zu Folge. Im Geltungsbereich des TVAöD kann deshalb die wiederholte Gewährung
einer Vergünstigung eine bindende Wirkung grundsätzlich nur dann entfalten, wenn
der tariflichen Formvorschrift genügt wird (vgl. zur parallelen Regelung des § 4
BMT-G II: BAG 18. September 2002 – 1 AZR 477/01 – BAGE 102, 351 = AP BGB §
242 Betriebliche Übung Nr. 59 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 48).
b) Die Zusage einer Fahrtkostenerstattung zur Berufsschule ist eine solche
Nebenabrede. Der mit ihr verbundene vermögenswerte Vorteil wird nicht als
Gegenleistung für die vertraglich geschuldete Leistung des Arbeitnehmers
erbracht, sondern aus sozialen Gründen. Es handelt sich um eine Sozialleistung
und nicht um eine vertragliche Hauptpflicht.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Revision wird gemäß § 72 Abs. 2
Nr. 1 ArbGG zugelassen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.