Urteil des LAG Hessen vom 22.10.2008

LAG Frankfurt: altersrente, wechsel, arbeitsgericht, kopie, angestelltenverhältnis, tarifvertrag, sozialversicherung, flugsicherung, unterlassen, krankenkasse

Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
18. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
18 Sa 765/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 TVG, § 3 S 1 Nr 4 SGB 6,
§ 258 ZPO
(Fluglotsen - tarifliches Vorruhestandsgeld -
Übergangsversorgung)
Leitsatz
Der Kläger ist ehemaliger beamteter Fluglotse, der 1993 in ein Angestelltenverhältnis
wechselte und seit 1997 Vorruhestandsgeld bezieht. Sozialversicherungsrechtlich ist für
das dem Kläger nach Ü-VersTV-Lotsen geschuldete Übergangsgeld mittlerweile
bestandskräftig festgestellt, dass es sich dabei nicht um Vorruhestandsgeld iSd § 3
Satz 1 Nr. 4 SGB VI handelt. Das Übergangsgeld unterlag danach nicht der
Rentenversicherungspflicht. Die fehlende Rentversicherungspflicht eines
Übergangsgelds nach Ü-VersTV-Lotsen ist - wenn keine weiteren Vereinbarungen
getroffen wurden - für den Fall eines anderen ehemaligen Fluglosten inzwischen durch
das BSG bestätigt woden (Terminsbericht Nr. 47/08 - B 12 R 10/07 R -)
Der Kläger hat sich seinen Arbeitnehmeranteil mittlerweile von der Einzugsstelle
auszahlen lassen.
Wegen der fehlenden Rentenversicherungspflicht bezieht der Kläger 2 Jahre länger
Übergangsgeld (65 statt 63), wird aber aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine
geringere Altersrente erhalten, als erwartet.
Die Beklagte hat das dem Klägers seit Vollendung des 63. Lebensjahres zustehende
Übergangsgeld auf den Betrag gekürzt, den sie als fiktive Betriebsrente zahlen müsste,
wenn der Kläger seit diesem Zeitpunkt Altersrente beziehen könnte Der Kläger habe die
Rentenversicherungsfreiheit des Übergangsgeld zu verantworten.
Klage des Klägers auf Zahlung der ungekürzten Übergangsversorgung bis zur
Vollendung des 65. Lebensjahres stattgegeben.
Parallelrechtsstreit der Parteien: 18 Sa 1054/07 (Schadensersatzanspruch Kläger gegen
Beklagte)
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am
Main vom 16. April 2008 - 5 Ca 433/07 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen,
dass der Tenor wie folgt klargestellt wird:
Die Beklagte wird verurteilt,
1. an den Kläger 28.368,40 EUR (in Worten:
Achtundzwanzigtausenddreihundertachtundsechzig und 40/100 Euro) brutto
Übergangsgeld und 188,64 EUR (in Worten: Hundertachtundachtzig und 64/100
Euro) Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten aus jeweils 3.569,63 EUR (in Worten:
Dreitausendfünfhundertneunundsechzig und 63/100 Euro) brutto seit dem 29.
Februar 2008 und dem 31. März 2008 zu zahlen, sowie
2. beginnend ab Oktober 2008 bis einschließlich Januar 2010 jeweils am
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2. beginnend ab Oktober 2008 bis einschließlich Januar 2010 jeweils am
Monatsletzten weitere 3.546,05 EUR (in Worten:
Dreitausendfünfhundertsechsundvierzig und 05/100 Euro) brutto Übergangsgeld
und 23,58 EUR (in Worten: Dreiundzwanzig und 58/100 Euro) Arbeitgeberzuschuss
zur Pflegeversicherung zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zahlung ungekürzten Übergangsgeldes bis zur Vollendung
seines 65. Lebensjahres.
Die Beklagte ist ein aus der Privatisierung der ehemaligen Bundesanstalt für
Flugsicherung hervorgegangenes Flugsicherungsunternehmen mit bundesweit
mehr als 5.000 Arbeitnehmern. Sie nimmt die operativen Flugsicherungsaufgaben
für den gesamten deutschen Luftraum wahr und unterhält Niederlassungen an
allen bedeutenden deutschen Verkehrsflughäfen. Der am XX.XX.19XX geborene
Kläger ist ehemaliger beamteter Fluglotse. Er nahm durch Vertrag vom 30. August
/ 08. September 1993 ein Übernahmeangebot der Beklagten zum Wechsel in ein
Angestelltenverhältnis zum 01. Oktober 1993 an.
Als Beamter wäre der Kläger mit 55 Jahren aus dem aktiven Dienst ausgeschieden
und hätte Anspruch auf eine Pension in Höhe von 75% seiner letzten Bezüge
gehabt. Gleichwertiges sollte für die in ein Angestelltenverhältnis wechselnden
Fluglotsen durch eine Kombination von gesetzlicher und betrieblicher
Altersversorgung erreicht werden. Die Beklagte hat am 07. Juli 1993 einen
Tarifvertrag über die Übergangsversorgung für die bei der A GmbH beschäftigten
Fluglotsen (folgend: Ü- VersTV-Lotsen) und einen Versorgungstarifvertrag (folgend:
VersTV) geschlossen. Der Ü-VersTV-Lotsen (vollständiger Wortlaut siehe K 8 zur
Klageschrift, Bl. 30 bis 36 d.A.) regelt den Anspruch der nicht mehr in der
Flugsicherung tätigen und bei der Beklagten ausgeschiedenen Arbeitnehmer auf
ein Übergangsgeld, welches bis zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt geleistet wird,
von dem ab der ausgeschiedene Mitarbeiter Altersrente beziehen kann. § 6 Ü-
VersTV-Lotsen lautet:
"(....) Das Übergangsgeld unterliegt der Beitragspflicht zur Kranken-, Pflege-
und Rentenversicherung sowie der Besteuerung. Die A behält die
Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung ein und führt sie zusammen mit den
Arbeitgeberanteilen an die zuständige Beitragseinzugsstelle ab; (...)"
Die Tarifpartner setzten voraus, dass das Übergangsgeld nach den Ü- VersTV-
Lotsen rentenversicherungsrechtlich Vorruhestandsgeld im Sinne des § 3 Satz 1
Nr. 4 SGB VI sei. Durch Nachversicherung der Beschäftigungszeit als Beamter, die
rentenversicherungspflichtige Beschäftigungszeit im Angestelltenverhältnis und
die ebenfalls beitragspflichtige Zeit in der Übergangsversorgung sollte ein
Anspruch auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erreicht
werden, welcher in Kombination mit einer Betriebsrente nach dem VersTV die
Zusage einer der Beamtenpension gleichwertigen Alterssicherung erfüllte.
Durch Vertrag vom 08. April / 09. Mai 1997 wechselte der Kläger vor Erreichen der
Altersgrenze für eine Tätigkeit als Fluglotse einvernehmlich zum 01. Juli 1997 in die
Übergangsversorgung und schied aus seinem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten
aus (vgl. zum Inhalt des Vertrages Anlage K 6 zur Klageschrift, Bl. 25 bis 27 d.A.).
Nach Bekanntwerden eines sozialversicherungsrechtlichen Verfahrens um die
Beitragspflicht des Übergangsgelds eines ehemaligen Fluglotsen in der
Rentenversicherung wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 31. August 2001 an
die B und bat um Prüfung der Rentenversicherungspflicht seines Übergangsgeldes
(Kopie als Anlage zur Klageerwiderung, Bl. 100 d.A.). Durch Bescheid vom 08. April
2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2002 stellte die B
fest, dass das Übergangsgeld des Klägers nicht rentenversicherungspflichtig sei
(vgl. Kopie des Ausgangsbescheides als Anlage zur Klageerwiderung, Bl. 93 f. d.A.).
Die dem Kläger gewährte Übergangsversorgung begründe keine
Rentenversicherungspflicht gemäß § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI, da der Ü-VersTV-
Lotsen keine Vereinbarung über ein endgültiges Ausscheiden aus dem
Erwerbsleben vorsehe. Die seit 01. Juli 1997 entrichteten
Rentenversicherungsbeiträge seien zu Unrecht geleistet und auf Antrag
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Rentenversicherungsbeiträge seien zu Unrecht geleistet und auf Antrag
demjenigen zu erstatten, der sie getragen habe. Durch eine Erklärung gegenüber
dem Rentenversicherungsträger könnten die Beiträge auch als freiwillige Beiträge
auf dem Rentenkonto verbleiben (§ 202 SGB VI). Die Beklagte erhob gegen den
Widerspruchsbescheid Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main (- S 25/Kr-
102/03 -). Nach der mündlichen Verhandlung vom 08. November 2004, in welcher
der Kläger angab, dass er eine mehr als geringfügige selbstständige Tätigkeit
ausübe, nahm die Beklagte nach Vorlage von Belegen durch den Kläger die Klage
vor dem Sozialgericht am 24. Juli 2006 zurück.
Mit Bescheid vom 04. September 2007 bestätigte die C dem Kläger, dass er
wegen Nichterfüllung der Wartezeit keine Altersrente für langjährig Versicherte
nach § 236 SGB VI mit Vollendung des 63. Lebensjahres (03. Januar 2008)
beziehen könne (vgl. Kopie als Anlage K 7 zur Klageschrift, Bl. 28 f. d.A.). Die
Beklagte hat dem Kläger deshalb, wie zwischen den Parteien im Ergebnis unstreitig
ist, Übergangsgeld bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres im Januar 2010 zu
leisten. Die Rente des Klägers aus der gesetzlichen Rentenversicherung wird
gegenüber der erwarteten Rente geringer ausfallen, da der Zeitraum des Bezugs
von Übergangsgeld nicht als Beitragszeit zählt.
Mit einem Schreiben vom 26. Juni 2006 wandte sich die Beklagte an den Kläger
und teilte unter anderem mit, dass sie ihn für den möglichen Schaden in Anspruch
nehmen werde, der ihr dadurch entstehe, das Übergangsgeld über den sonst
frühestmöglichen Zeitpunkt einer Rentenantragstellung hinaus geleistet werden
müsse. Ihr Schaden bestehe in der Differenz zu der niedrigeren Betriebsrente. Der
Kläger hob deshalb vor dem Arbeitsgericht Offenbach am Main Feststellungsklage,
dass die Beklagte nicht berechtigt sei, die Zahlung des Übergangsgeldes mit
Vollendung seines 63. Lebensjahres einzustellen oder zu mindern (Arbeitsgericht
Offenbach am Main - 5 Ca 44/07 -). Das Arbeitsgericht Offenbach hat diese Klage
durch Urteil vom 15. August 2007 als unzulässig abgewiesen. Der Kläger legte
keine Berufung ein. Durch Schreiben vom 31. Januar 2008 informierte die Beklagte
den Kläger darüber, dass sie ab 01. Februar 2008 nur noch ein Übergangsgeld in
Höhe von 2559,23 € leisten werde. Dieser Betrag entspreche der Leistung, die er
ab 01. Februar 2008 als vorzeitiges Altersruhegeld erhalten hätte. Ebenso werde
sie die Zahlung eines Zuschusses zur Pflegeversicherung nach § 6 KTV einstellen.
Zur Wiedergabe des vollständigen Wortlauts dieses Schreibens sowie der letzten
Abrechnung eines ungekürzten Übergangsgeldes für Januar 2008 wird auf die
Anlagen K 11 und 12 zur Klageschrift (Bl. 55 f., 57 d.A.) Bezug genommen.
Der Kläger hatte bereits in diesem Rechtsstreit am 04. Dezember 2007 Klage bei
dem Arbeitsgericht Offenbach am Main auf Zahlung eines ungekürzten
Übergangsgeldes bis einschließlich Januar 2010 gegen die Beklagte erhoben.
Nachdem ihn die Beklagte durch ihr Schreiben vom 31. Januar 2008 über den
Umfang der Kürzung informierte, beschränkte der Kläger seinen Anspruch auf den
Differenzbetrag zwischen seiner fiktiven Betriebsrente und einem ungekürzten
Übergangsgeld sowie auf Auszahlung des Arbeitgeberzuschusses zur
Pflegeversicherung. Er hat geltend gemacht, in die Beklagte sei zur
Weitergewährung der Übergangsversorgung in voller Höhe verpflichtet. Ein
Schadensersatzanspruch der Beklagten gegen ihn bestehe nicht.
Der Kläger hat beantragt, wie im Berufungsverfahren klargestellt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.092,10 € brutto Übergangsgeld sowie
47,16 € brutto Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.569,63 € seit dem 29.
Februar 2008 sowie aus 3.569,63 € seit dem 31. März 2008 und beginnend ab April
2008 bis einschließlich Januar 2010 jeweils am Monatsletzten weitere 3.546,05
brutto Übergangsgeld und 23,58 € brutto Arbeitgeberzuschuss zur
Pflegeversicherung zu zahlen;
2. hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1), festzustellen,
dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm in der Zeit von Februar 2008 bis Januar 2010
jeweils am Monatsletzten weitere 3.546,05 € brutto Übergangsgeld und 23,58 €
brutto Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, aus dem Gesamtzusammenhang der
§§ 7 Abs. 1 a), 9 Abs. 1 bis Abs. 3 Ü-VersTV-Lotsen ergebe sich, dass die
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§§ 7 Abs. 1 a), 9 Abs. 1 bis Abs. 3 Ü-VersTV-Lotsen ergebe sich, dass die
Tarifvertragsparteien einen manipulativen Eingriff nicht dulden und einen
frühestmöglichen Renteneintritt hätten umfassend absichern wollen. Sie sei
deshalb berechtigt, den Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld auf den Betrag
zu kürzen, die ihm seit 01. Februar 2008 bei unterstellter
Rentenversicherungspflicht seines Übergangsgeldes als Betriebsrente zustehen
würde. Der Kläger habe darüber hinaus gegen seine vertragliche Treuepflicht
gemäß § 241 Abs. 2 BGB verstoßen. Er habe die Überprüfung der
Sozialversicherungspflicht seines Übergangsgeldes erst durch seine Anfrage bei
der B vom 31. August 2001 ausgelöst und verhindert, dass die B von eine seinem
einvernehmlichen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ausging, da er ohne ihr
Wissen eine mehr als geringfügige selbstständige Tätigkeit ausübte. Schließlich
habe er darauf verzichtet, die entrichteten Rentenversicherungsbeiträge als
freiwillige Beiträge bei der C zu belassen, um seinen Arbeitnehmeranteil zur
Sozialversicherung zurück zu erhalten und zwei Jahre länger Übergangsgeld
kassieren zu können.
Das Arbeitsgericht Offenbach am Main hat der Klage durch Urteil vom 16. April
2008 hinsichtlich des Hauptantrages stattgegeben. Zur Wiedergabe des Urteils
und des weiteren Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf Tatbestand
und Gründe der Entscheidung verwiesen (Bl. 147 bis 164 d.A.).
Die Beklagte hat gegen das ihr am 30. April 2008 zugestellte Urteil mit am 16. Mai
2008 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz
Berufung eingelegt. Die Berufung ist nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist auf rechtzeitigen Antrag hin bis zum 11. Juli 2008 durch
die Beklagte mit am 11. Juli 2008 eingegangenen Schriftsatz begründet worden.
Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr Vorbringen mit der Berufung. Sie macht
geltend, der Kläger habe entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts Offenbach
am Main eine Pflichtverletzung begangen. Denn er habe sie unstreitig nicht
darüber informiert, dass er als Bezieher von Übergangsgeld in mehr als
geringfügigem Umfang selbstständig arbeite. Außerdem habe der Kläger während
der Prüfung der Rentenversicherungspflicht seines Übergangsgeldes durch die B
mit seinem Verhalten dazu beigetragen, dass die Krankenkasse die
Rentenversicherungspflicht verneinte. Auch damit habe er gegen seine
vertragliche Rücksichtnahmepflicht verstoßen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 16. April 2008 - 5 Ca
433/07 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung. Er ist der Auffassung, die
Beklagte sei nach dem Ü-VersTV-Lotsen nicht zur Kürzung des geschuldeten
Übergangsgeldes berechtigt. Er hafte der Beklagten auch nicht auf
Schadensersatz. Er sei nicht verpflichtet gewesen, als Bezieher von
Übergangsgeld eine mehr als geringfügige Tätigkeit zu unterlassen. Einigkeit über
sein vollständiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben habe zu keinem Zeitpunkt
bestanden. Seine Arbeitnehmerbeiträge zur Rentenversicherung habe er sich bei
unklarer Rechtslage auszahlen lassen, um seinen Schaden durch die geringeren
Ansprüche gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung teilweise ausgleichen
zu können.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der von
den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift vom
22. Oktober 2008 (Bl. 216 f. d.A.) verwiesen. Die Kammer hat im Einvernehmen
mit den Parteien die mündliche Verhandlung erst nach der Verhandlung des
Bundessozialgerichts vom 24. September 2008 in einem Rechtsstreit zur
Sozialversicherungspflicht des Übergangsgelds eines früheren Kollegen des
Klägers und ehemaligen Fluglotsen der Beklagten durchgeführt. In diesem
Verfahren hat das Bundessozialgericht ausweislich des Terminberichts Nr. 47/08
festgestellt, dass Übergangsgeld nach dem Ü-VersTV-Lotsen rechtlich kein
Vorruhestandsgeld im Sinne von § 3 S. 1 Nr. 4 SGB VI ist (- B 12 R 10/07 R -). Die
Parteien haben außerdem vor der Kammer in dem weiteren Rechtsstreit mit dem
Aktenzeichen - 18 Sa 1054/07 - um einen Anspruch des Klägers auf Zahlung der
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Aktenzeichen - 18 Sa 1054/07 - um einen Anspruch des Klägers auf Zahlung der
fiktiven Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung an ihn für die gesamte Zeit
seines Bezuges von Übergangsgeld gestritten. Die Berufung des Klägers gegen
das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main, wonach er keinen Anspruch auf
diese Leistung hat, ist erfolglos geblieben.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am
Main vom 16. April 2008 ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Sie
ist gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form-
und fristgerecht eingelegt sowie ordnungsgemäß und rechtzeitig begründet
worden. In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht Offenbach
hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Beklagte ist aus keinem Grund
berechtigt, dass dem Kläger seit 01. Februar 2008 bis zum Eintritt in die
gesetzliche Rentenversicherung zustehende Übergangsgeld auf die Höhe seiner
fiktiven Betriebsrente zu kürzen. Die erstinstanzliche Entscheidung war mit der
durchgeführten Klarstellung zu bestätigen.
I. Die erhobene Klage ist in der im Berufungsverfahren klargestellten Fassung gem.
§ 258 ZPO zulässig. Der Kläger macht wiederkehrende Leistungen geltend. Das
mit der Klage verlangte weitere monatliche Übergangsgeld ergibt sich in seiner
Gesamtheit als Folge ein und desselben Rechtsverhältnisses, so dass die einzelne
Leistungen nur noch vom Zeitablauf abhängig ist. Der Kläger schuldet keine
Gegenleistung. Die bloße, noch nicht konkretisierbare Möglichkeit künftiger
Einwendungen der Beklagten steht dem Verfahren gemäß § 258 ZPO nicht
entgegen. Die Kammer hat von dem nach der Lebenserfahrung zu erwartenden
Ablauf der Dinge auszugehen. Dies ist der Bezug des Übergangsgelds durch den
Kläger bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres im Januar 2010. Bei späteren
Veränderungen der Verhältnisse kann die Beklagte gemäß §§ 323, 767, 766 ZPO
vorgehen. Der Antrag des Klägers auf rückständige und künftige Differenzen
zwischen den ihm nach dem Ü-VersTV-Lotsen und der tatsächlichen Leistung der
Beklagten zustehenden Übergangsgelds darf wegen der im Laufe des
Rechtsstreits weiter fällig gewordenen Beträge durch den Tenor ohne Verstoß
gegen § 528 ZPO angepasst werden.
II. Die Beklagte ist aus keinem Rechtsgrund berechtigt, dass dem Kläger seit 01.
Februar 2008 zustehende Übergangsgeld auf die Höhe einer fiktiven Betriebsrente
zu kürzen und keinen Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung mehr zu
zahlen. Sie hat dem Kläger deshalb beginnend ab 01. Februar 2008 weitere
3.546,05 € monatlich sowie einen Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung in
Höhe von 23,58 € bis zum Ablauf des 31. Januar 2010 zu zahlen.
Dem Kläger steht nach § 5 Ü-VersTV-Lotsen ein monatliches Übergangsgeld - zum
Stand 01. Januar 2008 - in Höhe von 6.105,28 € brutto zuzüglich einem
Arbeitgeberzuschuss zur Krankenversicherung in Höhe von 453,11 € und einem
Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung in Höhe von 23,58 € zu (vgl. Kopie
Vergütungsabrechnung für Januar 2008, Anlage K12 zum Schriftsatz des Klägers
vom 07. Februar 2008, Bl. 57 d.A.). Diese Verpflichtung hat die Beklagte in § 2 des
Vertrages über Übergangsversorgung der Parteien vom 03. April / 05. Mai 1997
bestätigt (vgl. Anlage K 6 zur Klageschrift Bl. 25 d.A.). Seit Februar 2008 zahlt die
Beklagte keinen Zuschuss mehr zur Pflegeversicherung und hat das
Übergangsgeld auf einen Betrag in Höhe von 2.559,23 € gekürzt, welches der
Höhe nach der fiktiven Betriebsrente entspricht, welche der Kläger bei unterstellter
Rentenversicherungspflicht des Übergangsgelds und Wechsel in die gesetzliche
Altersversorgung zum 01. Februar 2008 erhalten würde (vgl. Erläuterung der
Beklagten durch Schreiben vom 31. Januar 2008, Anlage K 11 zum Schriftsatz des
Klägers vom 07. Februar 2008, Bl. 55 f. d.A.). Eine solche Kürzung ist weder durch
eine Bestimmung des Ü- VersTV-Lotsen vorgesehen, noch einzelvertraglich von
den Parteien vereinbart worden. Dem Tarifvertrag lässt sich auch nicht als
immanent entnehmen, dass ein Anspruch auf Übergangsgeld gekürzt werden darf,
wenn aus Gründen, welche die Parteien bei Eintritt in die Übergangsversorgung
nicht berücksichtigten, der Wechsel des jeweiligen Beziehers von
Übergangsversorgung in die Altersrente nicht mit Vollendung des 62. oder 63.
Lebensjahres möglich ist. Kann ein ehemaliger Arbeitnehmer der Beklagten vor
Vollendung des 65. Lebensjahres Leistungen der gesetzlichen Altersversorgung
beziehen, endete sein Anspruch auf Übergangsgeld. Sind die Voraussetzungen für
einen Wechsel in die Altersrente nach § 7 Abs. 1 Ü-VersTV-Lotsen nicht erfüllt,
besteht der Anspruch auf Übergangsgeld gemäß § 2 Ü-VersTV-Lotsen in
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besteht der Anspruch auf Übergangsgeld gemäß § 2 Ü-VersTV-Lotsen in
unveränderter Höhe fort.
Ein Anspruch der Beklagten gegen den Kläger, mit welchem sie gegen dessen
Anspruch auf Übergangsgeld bis zur Höhe eines Restbetrages von 2.559,23 €
aufrechnen könnte (§ 389 BGB) ist nicht ersichtlich. Ebenso besteht keine
Rechtsgrundlage, die Zahlung des Zuschusses zur Pflegeversicherung
einzustellen, als ob der Kläger bereits Betriebsrentner sei.
1. Die Beklagte hat gegen den Kläger keinen Schadensersatzanspruch gemäß §§
241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Vertrag
über Übergangsversorgung vom 03. April / 09. Mai 1997 (Anlage K 6 zur
Klageschrift Bl. 25 d.A.).
a) Der Kläger hat sich gegenüber der Beklagten nicht verpflichtet, keine mehr als
geringfügige Tätigkeit während des Bezugs von Übergangsgeld auszuüben. Eine
solche Verpflichtung folgt auch nicht aus dem Tarifvertrag Übergangsversorgung
Fluglotse.
b) Der Kläger hat allenfalls dadurch einen Pflichtverstoß übergangen, dass er den
Umstand der Ausübung einer mehr als geringfügigen Tätigkeit entgegen § 4 des
Vertrags Übergangsversorgung vom 03. April / 09. Mai 1997 in Verbindung mit § 9
Abs. 2 Unterabsatz 1 Ü-VersTV-Lotsen der Beklagten nicht anzeigte. Diese
Pflichtverletzung ist aber nicht ursächlich für den Schaden der Beklagten, welcher
darin besteht, dem Kläger 24 Monate länger Übergangsgeld zahlen zu müssen.
Die vom Kläger als Bezieher von Übergangsgeld ausgeübte selbstständige
Tätigkeit, welche mehr als geringfügig ist, ist für die mangelnde
Rentenversicherungspflicht seines Übergangsgelds nicht kausal. Nach dem
Terminbericht Nr. 47/08 des Bundessozialgerichts zur Verhandlung vom 24.
September 2008 in dem Rechtsstreit - B 12 R 10/07 R - (Hess. LSG - L 8/14 KR
354/04 -) unterliegt ein Übergangsgeld nach dem Ü-VersTV-Lotsen generell nicht
der Sozialversicherungspflicht. Es sei rechtlich kein Vorruhestandsgeld im Sinne
von § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI. Notwendiges Element eines Vorruhestandsgeldes im
Rechtssinne sei unabhängig von der Bezeichnung der konkreten Leistung, dass
der Arbeitnehmer gleichermaßen aus seiner letzten Beschäftigung wie auch
endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Der Tarifvertrag enthalte
hierüber keine Regelung. Sie ergebe sich auch nicht aus der tariflichen
Verpflichtungen des Arbeitnehmers, sich nicht arbeitslos zu melden (§ 4 Ü-VersTV-
Lotsen). Eine über die tariflichen Verpflichtung hinaus gehende Einigung der
Parteien darüber, dass der Kläger als Bezieher von Übergangsgeld endgültig aus
dem Erwerbsleben ausscheiden sollte, ist dem Vertrag der Parteien über
Übergangsversorgung vom 03. April / 09.Mai 1997 nicht zu entnehmen (Anlage K 6
zur Klageschrift Bl. 25 d.A.). Dieser wiederholt nur die tariflichen Bestimmungen.
2. Der Beklagten steht gegen den Kläger auch kein Schadensersatzanspruch
wegen Verstoßes gegen die vertragliche Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs.
2 BGB zu, mit welchem sie aufrechnen könnte.
a) Der Kläger hat nicht gegen eine Rücksichtnahmepflicht verstoßen, als er mit
Schreiben vom 31. August 2001 die für ihn zuständigen Krankenkasse bat, die
Rentenversicherungspflicht seines Übergangsgelds zu überprüfen (vgl. Kopie als
Anlage zur Klageerwiderung, Bl. 100 d.A.). Das von der Beklagten dem Kläger seit
01. Juli 1997 gezahlte Übergangsgeld unterlag nicht der
Rentenversicherungspflicht, wie die B durch den Bescheid vom 18. April 2002 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2002 bestandskräftig
festgestellt hat (vgl. Kopie des Ausgangsbescheides als Anlage zur
Klageerwiderung, Bl. 93 f. d.A.). Die an den beteiligten Sozialversicherungsträger
gerichtete Bitte um Überprüfung der Rechtslage, welche zu einer Korrektur der
sozialversicherungsrechtlich fehlerhaften Behandlung einer Leistung führt, bildet
keinen tauglichen Anknüpfungspunkt für eine Pflichtverletzung. Der Kläger hat zwar
durch seine Anfrage bei der B die Überprüfung der Sozialversicherungspflicht
seines Übergangsgeldes ausgelöst, er hat jedoch im Verhältnis zu der Beklagten
nicht für die Fortdauer einer rechtlichen Fehleinschätzung einzustehen.
b) Soweit die Beklagte meint, der Kläger habe ihr gegenüber dafür zu haften, dass
die B bei Prüfung der Sozialversicherungspflicht seines Übergangsgeldes zu dem
Ergebnis gekommen sei, dies sei sozialversicherungsfrei, kann dem ebenfalls nicht
gefolgt werden. Unterstellt man zu Gunsten der Beklagten, dass die B bei Prüfung
der Rentenversicherungspflicht eine Erklärung des Klägers akzeptiert hätte, er
habe sich mit der Beklagten einzelvertraglich, wenn auch nicht ausdrücklich, über
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habe sich mit der Beklagten einzelvertraglich, wenn auch nicht ausdrücklich, über
sein endgültiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben geeinigt, kann gleichwohl
kein Verstoß des Klägers gegen das Rücksichtsnahmegebot angenommen
werden. Der Kläger ging seit seinem Wechsel in die Übergangsversorgung im Juli
1997 tatsächlich einer mehr als geringfügigen selbstständigen Tätigkeit nach. Die
Behauptung einer Einigung mit der Beklagten über sein vollständiges Ausscheiden
aus dem Erwerbsleben wäre wahrheitswidrig gewesen. An das Unterlassen einer
wahrheitswidrigen Erklärung darf keine Haftung geknüpft werden. 3. Schließlich
kann die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch gegen den Kläger auf den
Umstand stützen, dass sich dieser seine fehlerhaft aus dem Übergangsgeld
entrichteten Arbeitnehmerbeiträge zur Rentenversicherung nachträglich auszahlen
ließ und somit eine Entrichtung freiwilliger Beiträge gemäß § 202 SGB VI vereitelt
hat Weder im Ü-VersTV-Lotsen noch im Vertrag der Parteien über den Wechsel
des Klägers in die Übergangsversorgung vom 03. April / 09. Mai 1997 ist eine
solche Pflicht begründet worden, der Umwandlung irrtümlich entrichteter Beiträge
in freiwillige Beiträge zuzustimmen. Der Kläger hat mangels Pflichtverstoß für seine
Entscheidung nicht gegenüber der Beklagten einzustehen. Welche Auswirkung
seine Wahl, sich die Arbeitnehmerbeiträge auszahlen zu lassen, auf einen
möglichen Anspruch des Klägers seinerseits gegen die Beklagte hat, ihm die in der
gesetzlichen Rentenversicherung entstandenen Nachteile auszugleichen, ist nicht
Gegenstand dieses Rechtsstreits.
4. Der Zinsanspruch des Klägers ist der Höhe nach gemäß § 288 Abs. 1 BGB
gerechtfertigt, dem Zeitpunkt nach gemäß § 6 Abs. 1 Ü-VersTV-Lotsen.
III. Der vom Kläger nur hilfsweise gestellte Feststellungsantrag ist auch im
Berufungsverfahren nicht angefallen, da der Kläger mit seinem Hauptantrag
obsiegt hat.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu
tragen.
Zur Zulassung der Revision besteht kein nach § 72 Abs. 2 ArbGG gerechtfertigter
Anlass.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.