Urteil des LAG Hessen vom 19.06.2008

LAG Frankfurt: wiedereinsetzung in den vorigen stand, vergütung, akte, grobes verschulden, beschwerdefrist, gbv, arbeitsgericht, gleichbehandlung, urlaub, fristverlängerung

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
5. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TaBV 225/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 50 Abs 1 S 1 Halbs 1
BetrVG, § 87 Abs 1 Nr 10
BetrVG, Art 3 Abs 1 GG, § 77
Abs 1 S 1 BetrVG, § 2 Abs 1
Nr 2 AGG
Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates für übertarifliche
Vergütung von AT-Angestellten - Verschulden des
Verfahrensbevollmächtigten bei Fristversäumung
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 08. Mai 2007 – 5 BV 793/06 –
wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer durch Einigungsstellenspruch
beschlossenen Gesamtbetriebsvereinbarung über die Vergütungsstruktur
außertariflicher Mitarbeiter.
Die Beteiligte zu 1. (Arbeitgeberin) betreibt in der Bundesrepublik Deutschland vier
Betriebe mit einer jeweils unterschiedlichen Zahl außertariflicher Mitarbeiter. Für
diese Betriebe der tarifgebundenen Arbeitgeberin kommen unterschiedliche
Tarifverträge mit unterschiedlichen tarifvertraglichen Höchstvergütungen zur
Anwendung. Nach entsprechender Auftragserteilung gem. § 50 Abs. 2 BetrVG
hatte der Beteiligte zu 2. (GBR) mit der Arbeitgeberin Verhandlungen über eine
Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) über die Vergütungsstruktur außertariflicher
Mitarbeiter aufgenommen. Nachdem der für den Betrieb in A zuständige
Betriebsrat diese Beauftragung gegenüber dem GBR zurückgenommen und am
17.01./07.04.2006 mit der Arbeitgeberin für den Betrieb in A eine eigene
Betriebsvereinbarung zur Vergütung von AT-Angestellten abgeschlossen hatte (Bl.
13 – 18 d. A.), wurde durch Spruch einer von den Beteiligten dieses Verfahrens
gebildeten Einigungsstelle am 20.11.2006 eine GBV über die Einführung und
Ausgestaltung einer Vergütungsordnung für außertarifliche Angestellte
beschlossen. Wegen deren Inhalt und des Ergebnisses der Einigungsstellensitzung
vom 20.11.2006 wird ergänzend auf Bl. 19 – 30 d. A. Bezug genommen. Dieser
Einigungsstellenspruch wurde der Arbeitgeberin am 28.11.2006 zugeleitet.
Die Arbeitgeberin hat mit am 12.12.2006 anhängig gemachtem
Beschlussverfahren die Auffassung vertreten, der Einigungsstellenspruch sei
unwirksam. Dem an der Einigungsstelle beteiligten GBR habe die originäre
Zuständigkeit gem. § 50 Abs. 1 BetrVG gefehlt. Auch habe die Einigungsstelle ihr
Ermessen über- bzw. unterschritten.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die durch Einigungsstellenspruch vom 20. November, zugestellt am 28.
November 2006, beschlossene Gesamtbetriebsvereinbarung AT-Vergütung
zwischen den Beteiligten zu 1. und 2. für unwirksam zu erklären.
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Der Gesamtbetriebsrat hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hat im Hinblick auf die unternehmensweite Angemessenheit und
Durchsichtigkeit des Gehaltsgefüges ein zwingendes Erfordernis für seine
Regelungszuständigkeit gesehen. Wegen des übrigen Vortrags der Beteiligten im
ersten Rechtszug wird ergänzend auf die Gründe zu I. des angefochtenen
Beschlusses (Bl. 72 – 75 d. A.) Bezug genommen.
Mit am 08.05.2007 verkündetem Beschluss hat das Arbeitsgericht Frankfurt am
Main – 5 BV 793/06 – den Antrag zurückgewiesen. Es hat zunächst die
Zuständigkeit des GBR bejaht. Zur Begründung hat es festgestellt, dass der
Regelungszweck gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, nämlich die überbetriebliche
Lohngerechtigkeit nur bei einer Zuständigkeit des GBR verwirklicht werden könne.
Dies auch deshalb, da die Arbeitgeberin ein unternehmensweites
Stellenbewertungssystem eingeführt habe (Stellenbewertungssystem nach HAY).
Die bestehenden Standortunterschiede im Lohnniveau würden seitens der
angefochtenen GBV berücksichtigt. So werde ein Fertigungsleiter in C und
Ennepetal in der Gehaltsgruppe E 14 angesiedelt, während dieselbe Funktion in
Mittelheim der Gehaltsgruppe E 15 zugeordnet werde. Mit der angenommenen
Zuständigkeit des GBR laufe auch keineswegs das Mitbestimmungsrecht der
örtlichen Betriebsräte gem. § 99 BetrVG leer. Während die GBV ein
Eingruppierungssystem zur Verfügung stelle, regele § 99 Abs. 1 BetrVG die
Zuordnung des einzelnen Arbeitnehmers hierzu. Die diesbezügliche Zuständigkeit
der Betriebsräte bleibe durch die GBV unberührt. Auch verletze der Spruch der
Einigungsstelle nicht die Grenzen des Ermessens im Sinne des § 76 Abs. 5 Satz 3
BetrVG. Mit der Festlegung einer Obergrenze für die AT-Vergütung mittels
Festlegung bestimmter Gehaltsbänder sei eine typische Regelung betrieblicher
Lohngestaltung gewählt worden. Ein unzulässiger Eingriff in die unternehmerische
Entscheidungsfreiheit sei darin nicht zu sehen. Ebenso wenig könne schließlich
eine Ermessensunterschreitung festgestellt werden. Wegen der vollständigen
Gründe zu II. des Beschlusses wird auf dessen S. 5 – 12 (Bl. 75 – 82 d. A.)
ergänzend Bezug genommen.
Gegen diesen der Arbeitgeberin am 28.06.2007 zugestellten Beschluss hat sie am
28.08.2007 Beschwerde eingelegt, diese begründet und zugleich bezüglich der
Versäumung der Beschwerdefrist die Gewährung der Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand beantragt.
Während des Laufs der Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist war der
Arbeitgeberin mit Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom
19.07.2007 (Az.: 5 Ta 310/07) aufgegeben worden, bis zum 04.08.2007 zu einer
Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des GBR gegen die mit Beschluss
vom 26.06.2007 durch das Arbeitsgericht vorgenommene
Gegenstandswertfestsetzung Stellung zu nehmen (Bl. 108 d. A.). Nachdem dieser
Beschluss bei den Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin am 23.07.2007
eingegangen war, und der Verfahrensbevollmächtigte der Arbeitgeberin D von
diesem Tage an bis zum 05.08.2007 seinen Urlaub angetreten hatte, beantragte
seine Vertreterin am 24.07.2007 eine Verlängerung der Erwiderungsfrist um zwei
Wochen (Bl. 110 d. A.). Diese Fristverlängerung wurde am 30.07.2007 gewährt (Bl.
110 Rs. d. A.).
Die Arbeitgeberin behauptet, der Ablauf der Beschwerdefrist im
Hauptsacheverfahren am Montag, dem 30.07.2007 und der Ablauf der
entsprechenden Beschwerdebegründungsfrist am 28.08.2007 sei im
Fristenkalender notiert worden (Fotokopien Bl. 136 – 138 d. A.). Die aufgrund des
Urlaubs der Sekretärin E allein anwesende Rechtsanwaltsgehilfin F habe es am
30.07.2007 versäumt, die Akte vorzulegen. Sie sei vermutlich dadurch irritiert
worden, dass in der gleichen Angelegenheit bezüglich der Streitwertbeschwerde 5
Ta 310/07 eine Verlängerung der Äußerungsfrist gewährt worden sei. Bei Frau F
handele es sich um eine sorgfältige Rechtsanwaltsgehilfin, die bisher ohne
Probleme der angeordneten Fristenbehandlung nachgekommen sei. Jeweils im
Jahresabstand werde sie vom Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin an die
Regelung zur Fristenbehandlung erinnert. Die Akte sei dem
Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin dann erstmalig am 21.08.2007,
dem Tag der Vorfristeintragung für die Erstellung der Beschwerdebegründung
vorgelegt worden. Wegen des diesbezüglichen Vortrags der Arbeitgeberin wird
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vorgelegt worden. Wegen des diesbezüglichen Vortrags der Arbeitgeberin wird
ergänzend auf die S. 1 – 3 der Beschwerdebegründung (Bl. 129 – 131 d. A.) und
auf ihren Schriftsatz vom 30.04.2008 (Bl. 263 – 268 d. A.) ergänzend Bezug
genommen. Im Übrigen wird auf die eidesstattlichen Versicherungen vom 28.08.
(Bl. 139 – 141 d. A.) sowie vom 03.09.2007 (Bl. 146 d. A.) verwiesen.
Zum Beschlussverfahren selbst ist die Arbeitgeberin weiterhin der Auffassung,
eine Zuständigkeit des GBR sei nicht gegeben. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG habe die
innerbetriebliche Lohngerechtigkeit zum Ausgangspunkt. Sie könne keineswegs
allein durch eine einheitliche Regelung in allen Betrieben erfolgen. Sie nehme auf
regionale Marktpreise Rücksicht und sei nicht bereit, für den Betrieb in C eine über
das Marktniveau hinausgehende Vergütung zu zahlen, "bloß weil sie diese im
hochpreisigen A bezahlen muss". Da die Gewährung einer außertariflichen
Vergütung eine freiwillige Angelegenheit der Arbeitgeberin sei, könne sie auch frei
darüber entscheiden, in welchem Umfang und bezogen auf welches Markt- oder
Tarifniveau sie übertarifliche Leistungen gewähren wolle. Folglich könne sie auch
allein festlegen, ob sie betriebsübergreifend eine einheitliche außertarifliche
Vergütung zahlen wolle. Dem widerspreche auch nicht die konzernweite Einführung
des G. Dies solle lediglich eine Bewertung einzelner Arbeitsplätze mit sich bringen,
jedoch keinen Einfluss auf die Vergütung haben. Auch im Übrigen bleibt die
Arbeitgeberin bei ihren Einwänden aus dem ersten Rechtszug. Sie meint, durch die
abgeschlossene Gehaltsobergrenze ggf. daran gehindert zu sein, einen "Top-
Bewerber" mit entsprechend herausragendem Gehalt zu vergüten. Schließlich
wiederholt sie ihren Vortrag zur Nichtausschöpfung des Ermessens und der
Verdrängung der einzelnen Betriebsräte aus ihren Rechten gem. § 99 BetrVG.
Sie beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 08.05.2007
abzuändern und die durch Einigungsstellenspruch vom 20.11.2006 beschlossene
Gesamtbetriebsvereinbarung AT-Vergütung zwischen den Beteiligten für
unwirksam zu erklären.
Der GBR beantragt,
unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung die Beschwerde ohne
mündliche Verhandlung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, zumindest ein Mitverschulden der
Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin habe zur Versäumung der
Beschwerdefrist geführt. Es liege nämlich eine mangelhafte Auswahl und
Überwachung des Büropersonals vor. Vor allem aber sei der
Verfahrensbevollmächtigte der Arbeitgeberin seiner Verpflichtung nicht
nachgekommen, im gebotenen Maß Fehlerquellen bei der Fristenbehandlung
auszuschließen. Er behauptet, ihm habe die Akte zwischen dem 13. und
24.07.2007 vorgelegen, sodass er verpflichtet gewesen sei, darauf hinzuweisen,
dass der Antrag vom 24.07.2007 (Bl. 110 d. A.) sich auf den Gegenstandswert und
nicht etwa die Beschwerde bezogen habe. Gerade angesichts laufender Fristen zu
zwei unterschiedlichen Rechtsmitteln, die der Verfahrensbevollmächtigte selbst als
irritierend gekennzeichnet habe, sei er verpflichtet gewesen, vor Urlaubsantritt
entsprechende Hinweise zu geben. Weiter meint der GBR, die Arbeitgeberin habe
auch die Wiedereinsetzungsfrist im Sinne von § 234 Abs. 1 und 2 ZPO versäumt.
Der Verfahrensbevollmächtigte der Arbeitgeberin sei nämlich am Montag, dem
06.08.2007 aus dem Urlaub zurückgekehrt, also gerade an dem Tag, an dem die
ursprünglich gesetzte Frist zur Stellungnahme im
Gegenstandswertbeschwerdeverfahren 5 Ta 310/07 abgelaufen sei. Da er über die
Verlängerung dieser Frist während seines Urlaubs nicht informiert gewesen sei,
hätte ihm die Akte vorgelegt werden müssen. Dann aber hätte er bereits an
diesem Tag erkennen können und müssen, dass die Beschwerdeeinlegungsfrist
am 30.07.2007 versäumt worden war. Wegen des vollständigen Vortrags des GBR
zum Wiedereinsetzungsantrag der Arbeitgeberin wird ergänzend auf den
Schriftsatz vom 01.04.2008 (Bl. 245 – 256 d. A.) Bezug genommen.
Im Übrigen meint der GBR, die Beschwerde sei unzulässig, da ihre Begründung
sich entgegen § 89 Abs. 2 Satz 2 ArbGG nicht hinreichen mit dem angefochtenen
Beschluss auseinandersetze. Schließlich verteidigt der GBR dessen Ausführungen.
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Wegen des vollständigen Vorbringens der Beteiligten im Beschwerderechtszug
zum Hauptsacheverfahren wird ergänzend auf die Beschwerdebegründung (Bl. 129
– 134 d. A.) sowie auf die Beschwerdebeantwortung (Bl. 176 – 179 d. A.) Bezug
genommen.
II.
Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist gem. § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft und
insgesamt zulässig.
Sie ist jedoch in der Sache nicht begründet.
1.
Die Beschwerde ist insbesondere rechtzeitig binnen eines Monats nach Zustellung
des angefochtenen Beschlusses eingelegt (§ 87 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 66 Abs. 1
Satz 1 und 2 ArbGG). Der Arbeitgeberin ist nämlich wegen der versäumten
Beschwerdefrist auf ihren rechtzeitigen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand zu gewähren (§§ 233, 234 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 ZPO).
Der Antrag ist rechtzeitig innerhalb von 2 Wochen nach Behebung des
Hindernisses zur fristgemäßen Beschwerdeeinlegung (§ 234 Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 2 ZPO) gestellt. Unverschuldet erlangte der Verfahrensbevollmächtigte der
Arbeitgeberin nämlich erst am 21.08.2007 Kenntnis von der am 30.07.2007
verstrichenen Beschwerdefrist. Der am 28.08.2007 eingegangene Antrag wahrt
diese Frist.
Entgegen der Auffassung des GBR war der Verfahrensbevollmächtigte der
Arbeitgeberin nicht verpflichtet, nach Ende seines Urlaubs am 06.08.2007 Einblick
in die Akte zu nehmen, um bereits zu diesem Zeitpunkt die Versäumung der
Beschwerdefrist feststellen zu können. Es gibt keine Verpflichtung eines
Prozessbevollmächtigten, am ersten Tag nach Ende seines Urlaubs sich die Akten
mit dem gesamten während seines Urlaubs geführten Schriftverkehrs vorlegen zu
lassen, um eventuell während seines Urlaubs versäumte Fristen aufzudecken. Die
Organisation einer Urlaubsvertretung und die ununterbrochene Führung eines
Fristenkalenders machen eine solche kaum praktikable Verfahrensweise
überflüssig.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass am 06.08.2007 die vom
Landesarbeitsgericht ursprünglich gesetzte Frist zur Erwiderung auf die
Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des GBR gegen den
Gegenstandswertbeschluss des Arbeitsgerichts vom 26.06.2007 ablief. Wenn ihm
aus diesem Anlass die Akte am genannten Tag nicht vorgelegt wurde, so eben
deshalb, weil während seiner Urlaubsabwesenheit am 24.07.2007 – gerade im
Hinblick auf seinen Urlaub – eine Fristverlängerung beantragt und auch gewährt
worden war. Der ursprünglich auf den 06.08.2007 notierte Fristablauf durfte daher
im Fristenkalender gestrichen werden, sodass die Akte nicht an diesem Tag,
sondern am Tag des Ablaufs der verlängerten Frist – bzw. bei Ablauf der für die
Beschwerdebegründung eingetragenen Vorfrist am 21.08.2007 – vorzulegen war.
Die Arbeitgeberin war auch ohne ihr Verschulden gehindert, die Notfrist der
Beschwerdeeinlegung einzuhalten (§ 233 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Bei der versäumten Beschwerdefrist handelt es sich um eine Notfrist im Sinne
dieser Vorschrift (§§ 87 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 517 ZPO).
Zwar hat die Arbeitgeberin gem. § 85 Abs. 2 ZPO ein etwaiges Verschulden ihres
Prozessbevollmächtigten zu vertreten. Die Fristwahrung wurde im vorliegenden Fall
jedoch nicht durch einen vom Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin (mit-
)verschuldeten Umstand verhindert. Das offenkundige Verschulden der
Rechtsanwaltsgehilfin F hat sich die Arbeitgeberin nicht zurechnen zu lassen.
Ein Organisationsverschulden seitens des Verfahrensbevollmächtigten der
Arbeitgeberin ist nicht feststellbar. Die von ihm dargestellte und von ihm sowie den
Anwaltsgehilfinnen E und F (Bl. 139 f. u. 146 d. A.) glaubhaft gemachten
Regelungen zur Fristenverwaltung sind nicht zu beanstanden. Auch Auswahl und
Überwachung dieser Mitarbeiterinnen genügten der gebotenen Sorgfalt. Es wurde
glaubhaft gemacht, dass es sich bei der Mitarbeiterin, die die Nichtvorlage am
30.07.2007 zu verantworten hat, um eine "sorgfältige Rechtsanwaltsgehilfin"
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30.07.2007 zu verantworten hat, um eine "sorgfältige Rechtsanwaltsgehilfin"
handelt, die bis dahin ohne Probleme der angeordneten Fristenbehandlung
nachgekommen war.
Auch aufgrund der konkreten Umstände unmittelbar vor Urlaubsantritt des
Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin bestand kein Anlass, im Wege einer
Einzelanweisung gesondert sicherzustellen, dass etwaige Fristen hinsichtlich der
Beschwerde über den Gegenstandswertbeschluss (Az.: 5 Ta 310/07) nicht mit den
Rechtsmittelfristen des eigentlichen Beschlussverfahrens verwechselt würden.
Hierzu bestand für den Verfahrensbevollmächtigten schon deshalb kein Anlass,
weil die Fristsetzung zur Erwiderung auf die Gegenstandswertbeschwerde erst am
23.07.2007, also nach seinem Urlaubsantritt in seinem Büro einging. Die
Fristverlängerung wurde am 24.07.2007 von seiner Vertreterin beantragt. Es trifft
zu, dass die Verpflichtung besteht, bei zwei oder mehr Rechtsmitteln in einem
Verfahren derselben Parteien durch entsprechende Büroanweisung
sicherzustellen, dass eine unverwechselbare Eintragung im Fristenkalender erfolgt
. Diesem Erfordernis
genügt es jedoch, wenn die laufenden Fristen deutlich unterscheidbar durch
Angabe der unterschiedlichen Aktenzeichen im Fristenkalender eingetragen
werden . Genau dies ist ausweislich des Fristenbuches
geschehen (Bl. 137 d. A.).
Die vom Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin geäußerte Vermutung, die
Rechtsanwaltsgehilfin F sei dadurch irritiert worden, dass in der gleichen
Angelegenheit eine Verlängerung der Äußerungsfrist bis zum 30.08.2007 gewährt
worden sei, begründet kein Verschulden seinerseits. Ein grobes Verschulden
offenbart dagegen die Äußerung der Anwaltsgehilfin F in ihrer eidesstattlichen
Versicherung vom 03.09.2007 (Bl. 146 d. A.). Sie versichert an Eides statt, am
30.07.2007 den Fristeneintrag hinsichtlich der Beschwerdefrist im Fristenkalender
gesehen zu haben, jedoch davon ausgegangen zu sein, dass aufgrund des in der
Akte befindlichen Verlängerungsantrags hinsichtlich der Äußerung zur
Gegenstandswertbeschwerde "die Frist verlängert würde". Damit hat diese
Mitarbeiterin nicht nur die beiden ganz unterschiedlichen Fristen miteinander
verwechselt, sondern auch noch die Auffassung zum Ausdruck gebracht, dass ein
Antrag auf Verlängerung der fraglichen Frist bereits die Vorlage der Akte zu dieser
Frist erübrige. Von einer erforderlichen Verlängerung einer Frist darf aber erst dann
ausgegangen werden, wenn der entsprechende Antrag auch positiv beschieden
wurde . Dieses
Verschulden der Mitarbeiterin F könnte jedoch dem Verfahrensbevollmächtigten
der Arbeitgeberin nur zugerechnet werden, wenn ihm Fehler bei der Schulung oder
Überwachung dieser Mitarbeiterin vorzuwerfen wären. Davon kann angesichts der
an Eides statt versicherten jährlichen Erinnerung an die korrekten
Fristenbehandlung und einer entsprechende strichprobenartige Überprüfung nicht
ausgegangen werden.
Die Beschwerdebegründung genügt auch dem Erfordernis des § 89 Abs. 2 Satz
2 ArbGG.
Die Beschwerdebegründung lässt deutlich erkennen, was sie gegen den
angefochtenen Beschluss einzuwenden hat und enthält nach Auffassung der
Kammer eine noch ausreichende Auseinandersetzung mit der angefochtenen
Entscheidung.
2.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass die
Einigungsstelle für den Abschluss der GBV zuständig war und nicht die Grenzen
billigen Ermessens im Sinne von § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG überschritten hat. Das
Beschwerdegericht folgt ausdrücklich den Gründen der angefochtenen
Entscheidung und macht sie sich entsprechend § 69 Abs. 2 ArbGG zu Eigen. Im
Hinblick auf den Vortrag in der Beschwerdebegründung ist lediglich Folgendes zu
ergänzen:
Die Auffassung der Arbeitgeberin, die Gewährung außertariflicher Vergütungen
sei eine freiwillige Angelegenheit, über die sie frei entscheiden und folglich auch
allein festlegen könne, ob sie AT-Vergütungen am jeweiligen Marktpreis orientieren
oder aber betriebsübergreifend zahlen wolle, ist unzutreffend.
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Es ist zwar richtig, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
der Arbeitgeber bei freiwilligen Leistungen, wie etwa
übertariflichen Zulagen, mitbestimmungsfrei allein darüber entscheiden kann, ob
und ggf. in welcher Höhe und zu welchem Zweck er an welchen Adressatenkreis
solche Leistungen erbringen will. In diesen Fällen kann die Frage, auf welcher
Ebene das Mitbestimmungsrecht angesiedelt ist, von einer Vorentscheidung des
Arbeitgebers in dem eben genannten Sinn abhängen.
Bei der Vergütung der AT-Angestellten handelte es sich aber nicht um freiwillige
Leistungen. AT-Angestellte sind Arbeitnehmer, deren Vergütung gerade nicht
durch Tarifvertrag geregelt wird, weil ihre Tätigkeit höher zu bewerten ist als die
Tätigkeit in der jeweils obersten Tarifgruppe . Die
Dotierung außertariflicher Angestellter ist daher keine "freiwillig übertarifliche",
sondern eine eigenständige am jeweiligen Arbeitsmarkt orientierte Bezahlung von
Arbeit, die tarifvertraglich nicht mehr definiert ist. Aus dieser Notwendigkeit einer
anderen als der tarifvertraglichen Vergütung lässt sich folglich kein Recht des
Arbeitgebers herleiten, die Ebene, auf der die Mitbestimmung gem. § 87 Abs. 1 Nr.
10 BetrVG auszuüben ist, seinerseits zu bestimmen.
Wenn das Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der
Lohngerechtigkeit sowie der Angemessenheit und Durchsichtigkeit des
Lohngefüges dienen soll und wenn der dabei
zu berücksichtigende arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz
unternehmensweit Geltung haben soll
, dann kann die
streitgegenständliche Angelegenheit nicht durch die einzelnen Betriebsräte
innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden (§ 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG).
Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit
anwendbar, wenn der Arbeitgeber die Leistungen nach einem allgemeinen Prinzip
gewährt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder Zwecke festlegt
.
Dies tut die Arbeitgeberin, auch wenn sie das konzernweit angewandte
Stellenbewertungssystem nach G ihrem Vortrag zufolge lediglich dazu benutzt, um
Marktpreise für die jeweilige Stelle zu ermitteln. Damit schafft sie in Bezug auf die
bei ihr vorhandenen Funktionen ein abstraktes Raster, nach dem die Stellen
bewertet und ihrem Marktpreis zugeordnet werden. Wenn die Arbeitgeberin
sodann bei den konkreten Einstellungen außertariflicher Mitarbeiter Rücksichten
auf die unterschiedlichen regionalen Gehaltsvorstellungen nimmt, ändert dies
nichts daran, dass sie sich bei der Gehaltsfindung an einem allgemeinen Prinzip
orientiert.
Zur kollektivrechtlichen Gewährleistung der Einhaltung des allgemeinen
Gleichbehandlungsgrundsatzes im Rahmen der Mitbestimmung gem. § 87 Abs. 1
Nr. 10 BetrVG ist der einzelne örtliche Betriebsrat in den vier Betriebsstätten der
Arbeitgeberin nicht im Stande. Er vermag nämlich die konkreten Unterschiede zu
seinen Schwesterbetrieben nicht zu beurteilen und ist nicht in der Lage, ein
übergreifendes, diese Unterschiede berücksichtigendes unternehmensweit
Gleichbehandlung herstellendes Regelwerk zu vereinbaren. Gerade die Geltung
unterschiedlicher Tarifverträge für die vier Betriebe mit unterschiedlichen
Höchstvergütungen macht es zur Herstellung einer horizontalen Gleichbehandlung
über die Betriebe hinweg erforderlich, eine gemeinsame, aber differenzierende
Regelung zu treffen. Wie die streitgegenständliche Betriebsvereinbarung diesen
Auftrag umgesetzt hat, hat bereits das Arbeitsgericht auf S. 8 unten und 9 oben
(Bl. 78 f. d. A.) im Einzelnen dargelegt.
Auch im Beschwerderechtszug rügt die Arbeitgeberin zu Unrecht, die
Einigungsstelle habe bei ihrer Beschlussfassung billiges Ermessen im Sinne von §
76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG verletzt.
Zur angemessenen Vergütung des von ihr angesprochenen "Top-Bewerbers" steht
ihr gem. IV. der GBV zunächst eine Dotierung mit dem doppelten der von ihr der
Höhe nach festzulegenden Jahresgrundvergütung zur Verfügung. Hinzu kommt ein
Spielraum, der über den Bonus als variabler Vergütungsbestandteil gewährt
werden kann. Die Arbeitgeberin hat nicht darzulegen vermocht, dass damit keine
angemessene Berücksichtigung ihrer Interessen im Rahmen billigen Ermessens
stattgefunden hätte.
47 Gegen diese kostenfrei ergehende Entscheidung (§ 2 Abs. 2 GKG) ist das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gem. § 92 Abs. 1 i. V. m. § 72 Abs. 2 ArbGG
zuzulassen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.