Urteil des LAG Hessen vom 06.01.2010

LAG Frankfurt: vergütung, berufserfahrung, anpassung, tarifvertrag, gleichbehandlung, dienstalter, leistungsklage, lebenserfahrung, rechtfertigung, bauer

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
2. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Sa 1300/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
(Lebensaltersstufen nach § 27 BAT - Altersdiskriminierung -
Ausgleichsanspruch - Ausschlussfrist)
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung der Berufung im
Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 16. April 2009 – 1 Ca 193/09 –
teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst.
Es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin
Grundvergütung gemäß der Vergütungsgruppe II a der Anlage 1 a zum BAT nach
der höchsten Lebensaltersstufe dieser Vergütungsgruppe für die Zeit vom 1.
August 2008 bis zum 31. Dezember 2009 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 2/3 und das beklagte
Land 1/3 zu tragen.
Für das beklagte Land wird die Revision zugelassen, im Übrigen wird die
Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug weiterhin um die Höhe des der
Klägerin zustehenden Gehaltes.
Die ... geborene Klägerin, die Gewerkschaftsmitglied ist, arbeitet aufgrund
verschiedener arbeitsvertraglicher Vereinbarungen seit dem 15. April 2003 dem
beklagten Land als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Wegen des Wortlautes der
arbeitsvertraglichen Vereinbarungen wird auf die Kopien Bl. 18-26 d. A. Bezug
genommen. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der
Bundesangestelltentarifvertrag und die diesen jeweils ergänzenden oder
ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der für den Arbeitgeber geltenden
Fassung Anwendung. Die Klägerin ist in die Vergütungsgruppe II a der Anlage 1
zum BAT eingruppiert und erhält ihre Vergütung entsprechend der jeweils
maßgeblichen Altersstufe. Das beklagte Land trat mit Wirkung zum 31. März 2004
aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) aus, die mit Wirkung zum 1.
November 2006 einen neuen Tarifvertrag (TV-L) mit den Gewerkschaften
abgeschlossen hat. Die Klägerin machte mit Schreiben vom 10. Februar 2009,
wegen dessen Wortlauts auf die Kopie Bl. 28 d. A. Bezug genommen wird, die
Zahlung der Vergütung gemäß der höchsten Lebensaltersstufe ihrer
Vergütungsgruppe geltend, welches dem beklagten Land am 20. Februar 2009
zuging. Im November 2009 schloss das beklagte Land mit den Gewerkschaften
neue Tarifverträge – unter anderem den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst
des Landes Hessen (TV-H) – ab, die mit Wirkung ab dem 1. Januar 2010 für die
Beschäftigten des beklagten Landes gelten und den bisher geltenden BAT
ablösen.
Die Klägerin hat in ihrer dem beklagten Land am 3. April 2009 zugestellten Klage
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Die Klägerin hat in ihrer dem beklagten Land am 3. April 2009 zugestellten Klage
die Ansicht vertreten, die Zahlung der Grundvergütung nach Lebensaltersstufen,
wie sie der BAT vorsehe, stelle eine unzulässige Altersdiskriminierung dar, die auch
nicht durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sei. Deshalb sei die differenzierte
Bezahlung nach Lebensaltersstufen rechtswidrig und das beklagte Land schulde
ihr für den Zeitraum seit Inkrafttreten des AGG Vergütung nach der höchsten
Lebensaltersstufe.
Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhaltes, des weiteren Vortrags der
Parteien im ersten Rechtszug und der dort gestellten Anträge wird auf den
Tatbestand des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Gießen vom 16. April
2009 gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen (Bl. 57 f. d. A.).
Das Arbeitsgericht Gießen hat durch vorgenanntes Urteil die Klage abgewiesen. Es
hat angenommen, die unterschiedliche Vergütungshöhe nach den
Lebensaltersstufen des § 27 A BAT stelle zwar eine Diskriminierung wegen des
Alters dar, weil ältere Mitarbeiter des beklagten Landes alleine wegen ihres Alters
eine höhere Vergütung als jüngere Beschäftigte erhielten. Die unterschiedliche
Behandlung sei jedoch nach § 10 AGG statthaft, da sie objektiv angemessen und
durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sei. Gemäß § 10 Ziff. 2 AGG können
unterschiedliche Behandlungen die Festlegung von Mindestanforderungen an das
Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für bestimmte mit der
Beschäftigung verbundene Vorteile einschließen. Diese gesetzliche Regelung stelle
klar, dass nicht nur die Berufserfahrung und Beschäftigungsjahre, sondern auch
schlicht das Lebensalter Unterscheidungskriterium sein können. Die
Tarifvertragsparteien hätten sich – wie § 27 BAT zeige – entschlossen, für den
Bereich des öffentlichen Dienstes der Lebenserfahrung einen besonderen
Stellenwert beizumessen. Bis zu einem bestimmten Lebensalter wollten sie nicht
zwischen Berufs- und Lebenserfahrung unterscheiden. Sie seien aber sodann
davon ausgegangen, dass sich die höhere Lebenserfahrung unabhängig von einer
konkreten Berufserfahrung positiv auf die ausgeübte Tätigkeit auswirke. Indem das
Lebensalter nur bis Anfang/Mitte 30 ausschließliche Bedeutung habe, werde dieses
nicht überbewertet. Auch die anschließenden Bewertungen des Lebensalters sei
angemessen und die Obergrenzen zeigten die Erkenntnis der
Tarifvertragsparteien, dass ab einen bestimmten Lebensjahr die Lebens- und
Berufserfahrung keine positiven Auswirkungen mehr auf die Art und Weise der
Erfüllung der beruflichen Tätigkeit habe. Weil das Vergütungssystem auf eine
Vielzahl von Beschäftigten Anwendung finde, müsse es zwangsläufig einen
generalisierenden Charakter haben. Es sei jedoch durchdacht und bezogen auf die
Vielzahl der betroffenen Beschäftigten angemessen und verhältnismäßig, zumal
das Alter ein sich in der Zeit linear fortentwickelnder Zustand sei, der jeden
potentiell gleich betreffe. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf
Bl. 58-60 d. A. Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin innerhalb der zur Niederschrift über die
Berufungsverhandlung am 25. November 2009 festgestellten und dort
ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.
Sie verfolgt ihr Klagebegehren teilweise unter Ergänzung ihres erstinstanzlichen
Vorbringens weiter und vertritt unter Hinweis auf die Entscheidung des Hessischen
Landesarbeitsgerichts vom 22. April 2009 – 2 Sa 1689/08 – weiterhin die Ansicht,
die Tarifregelung führe zu einer unzulässigen Ungleichbehandlung und stelle eine
Altersdiskriminierung dar.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 16. April 2009 – 1 Ca 193/09 –
teilweise abzuändern und festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, ihr
Grundvergütung gemäß der Vergütungsgruppe II a der Anlage 1 a zum BAT nach
der höchsten Lebensaltersstufe dieser Vergütungsgruppe rückwirkend ab 18.
August 2006 bis zum 31. Dezember 2009 zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls unter Wiederholung und
Ergänzung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Es ist der Ansicht, die
Lebensaltersstufenregelung des BAT benachteilige jüngere Arbeitnehmer wegen
ihres Alters nicht gegenüber älteren Beschäftigten. Eine Besserstellung von
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ihres Alters nicht gegenüber älteren Beschäftigten. Eine Besserstellung von
Älteren bedeute keine Schlechterstellung von Jüngeren, weil auch sie mit höherem
Lebensalter in den Genuss der höheren Vergütung kämen. Bei einer
Gesamtbetrachtung der Vergütungslage eines typischen Arbeitsverhältnisses
würden alle Arbeitnehmer das gleiche Gehalt bekommen. Im Übrigen sei die
Bemessung der Grundvergütung nach Lebensaltersstufen aber auch
gerechtfertigt. Die differenzierten Vergütungsregelungen nach Seniorität im BAT
seien durch das legitime Ziel gerechtfertigt, dass die unterschiedlichen Berufs-
und Lebenserfahrungen der Mitarbeiter bei der Entlohnung berücksichtigt werden
sollten. Die Tarifregelung sei auch verhältnismäßig. Zum einen wolle der
Gesetzgeber das ältere Alter stärker schützen als das junge. Zum anderen stelle
der Umstand, dass es sich bei den Altersstufenregelungen um Tarifnormen
handele, ein Indiz für die Angemessenheit und Zulässigkeit dar. Auch werde durch
diese Regelungen nicht in die Rechtsposition jüngerer Arbeitnehmer eingegriffen,
sondern nur ältere begünstigt. Das beklagte Land vertritt weiterhin die Ansicht,
eine Anpassung "nach oben" sei auch bei Annahme eines AGG-Verstoßes nicht
gerechtfertigt. Hierdurch würde die Tarifautonomie verkannt und es würde eine
massive rückwirkende Belastung des Arbeitgebers entstehen. Eine Lösung der
AGG-Widrigkeit könne allenfalls durch die vom Bundesverfassungsgericht
entwickelten Grundsätze zur Nichtigkeit von Gesetzen erfolgen, so dass die
diskriminierenden Bestimmungen ggf. mit einer Übergangsfrist für die Zukunft
unwirksam würden, nicht jedoch eine rückwirkende Nichtigkeit eintrete. Eine
Anpassung nach oben würde – was zwischen den Parteien unstreitig ist – zu einer
Mehrbelastung für den Landeshaushalt von € 100 Mio. im Jahr führen und zwar bei
einem Landeshaushalt mit Rekordverschuldung und würde nach Auffassung des
beklagten Landes auch dem Willen der Tarifvertragsparteien widersprechen. Eine
Anpassung "nach unten" sei möglich und berücksichtige auch die
Haftungsprivilegierung nach § 15 Abs. 3 AGG. Letztlich beruft sich das beklagte
Land auf Vertrauensschutzgesichtspunkte. Auch wenn das AGG ohne
Übergangsfristen in Kraft getreten sei, müsse in Bezug auf Alttarifverträge
Vertrauensschutz gewährt werden, zumal hier der Tatbestand einer unzulässigen
unechten Rückwirkung gegeben sei. Außerdem sei zu beachten, dass die
Ausschlussfristen des § 15 Abs. 4 AGG bzw. § 70 BAT nicht für sämtliche mit der
Klage verfolgten Ansprüche beachtet worden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 25. November 2009
(Bl. 132 d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung der Klägerin gegen das am 16. April 2009 verkündete Urteil des
Arbeitsgerichts Gießen ist zulässig. Das Rechtsmittel ist nach dem Wert des
Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 Abs. 2, 8 Abs. 2 ArbGG) und auch form-
und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 ZPO, 66 Abs. 1
ArbGG).
II.
Die Berufung hat auch teilweise in der Sache Erfolg. Das beklagte Land schuldet
der Klägerin Vergütung gemäß der Vergütungsgruppe II a der Anlage 1 a zum BAT
nach der höchsten Lebensaltersstufe für den Zeitraum vom 1. August 2008 bis
zum 31. Dezember 2009.
1.
Die Klage ist mit dem gestellten Feststellungsantrag zulässig. Die
Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt.
Nach dieser Vorschrift kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder
Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein
rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch gerichtliche
Entscheidung alsbald festgestellt wird. Das besondere Feststellungsinteresse als
Prozessvoraussetzung muss grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen
Verhandlung vorliegen. Allerdings ist ein Kläger nicht gehalten, in der zweiten
Instanz zur bezifferten Leistungsklage überzugehen, wenn dies nachträglich
möglich wird (vgl. Zöller, ZPO, 27. Aufl., § 256 Rn 7 c).
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Grundsätzlich anerkannt ist, dass auch der Umfang einer Zahlungsverpflichtung
des Arbeitgebers zulässiger Inhalt einer Feststellungsklage sein kann (vgl. BAG
vom 16. Dezember 2008 – 9 AZR 985/07, AP Nr. 33 zu § 1 TVG Vorruhestand). Im
Verhältnis zur Leistungsklage ist eine Feststellungsklage zulässig, wenn mit ihr
eine sachgerechte, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu
erreichen ist und prozesswirtschaftliche Überlegungen gegen einen Zwang zur
Leistungsklage sprechen (vgl. BAG vom 16. Dezember 2008 a. a. O. m. w. H.). Im
Bereich des öffentlichen Dienstes sind Klagen auf Zahlung einer höheren
tarifvertraglichen Vergütung grundsätzlich als Feststellungsklagen zulässig, weil
sich der öffentliche Arbeitgeber der gerichtlichen Entscheidung hierüber in aller
Regel beugen und auf diese Weise der Rechtsfrieden wiederhergestellt wird (vgl.
BAG vom 5. November 2003 – 4 AZR 632/02, AP Nr. 83 zu § 256 ZPO 1977 m. w.
H.). Grundsätzlich braucht im Hinblick auf diese Befriedungswirkung keine
Leistungsklage oder Stufenklage auf Abrechnung und Leistung erhoben zu werden.
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die Feststellungsklage zulässig. Das
Feststellungsurteil ist geeignet, den Streitpunkt der Parteien, ob die Klägerin für
die Zeit ab dem Inkrafttreten des AGG bis zum 31. Dezember 2009 Vergütung
nach der höchsten Lebensaltersstufe seiner Vergütungsgruppe verlangen kann, zu
beseitigen.
2.
Der Feststellungsantrag ist auch zum Teil begründet. Die Klägerin hat für den
Zeitraum vom 1. August 2008 bis 31. Dezember 2009 Anspruch auf Zahlung der
Vergütung nach der von ihr begehrten höchsten Lebensaltersstufe ihrer
Vergütungsgruppe.
2.1.
Die nach Lebensaltersstufen gestaffelte Regelung der Vergütung nach § 27 A BAT
ist wegen unmittelbarer Benachteiligung wegen des Alters, die nicht nach §§ 5, 8
oder 10 AGG sachlich gerechtfertigt ist, unwirksam (§ 7 Abs. 2 AGG).
§ 3 Abs. 1 AGG definiert den Begriff der unmittelbare Benachteiligung
dahingehend, dass eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine
weniger günstige Behandlung erfährt, als ein andere Person in einer
vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Der Nachteil,
der in einer Zurücksetzung besteht, muss also mindestens durch eines der
verpönten Merkmale des § 1 AGG motiviert sein oder der Benachteiligende muss
bei seiner Handlung oder Unterlassung hieran anknüpfen (vgl. Däubler/Bertzbach-
Schrader/Schubert, AGG, 2. Aufl., § 3 Rn 15). Die weniger günstige Behandlung
kann grundsätzlich auch in der Einräumung einer ungünstigeren
Vertragsbedingung liegen.
Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG unterliegen auch kollektivrechtliche Regelungen, die
Beschäftigungsbedingungen festlegen, der Diskriminierungskontrolle des AGG.
Vorliegend ist die Anwendung der Lebensaltersstufenregelung des § 27 A BAT auf
das Arbeitsverhältnis auch anhand des AGG zu überprüfen. Das AGG findet
Anwendung, da die beanstandete Benachteiligung der Klägerin durch die
Tarifvorschrift nach Inkrafttreten des Gesetzes im August 2006 eingetreten ist.
Nachdem das AGG keine Übergangsregelung enthält, findet es auch dann
Anwendung, wenn die Benachteiligung auf einem vor Inkrafttreten des AGG
abgeschlossenen Tarifvertrag beruht (vgl. BAG vom 16. Dezember 2008 – 9 AZR
985/07 a. a. O.; Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, 2. Aufl., § 33 Rn 12; von Roetteken,
AGG, § 33 Rn 13).
Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten
Grundes benachteiligt werden. Gemäß § 1 AGG ist Ziel dieses Gesetzes,
Benachteiligungen u. a. wegen des Alters zu verhindern oder zu beseitigen. Alter
im Sinne des AGG ist jedes Lebensalter (Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Aufl., § 1
AGG Rn 9).
Grundsätzlich verbietet § 1 AGG jede Benachteiligung wegen des Alters. Die
Vorschrift bezweckt nicht nur primär den Schutz älterer Beschäftigter, sondern
erfasst jedes, dh. das niedrige wie das höhere Alter (vgl. LAG Berlin-Brandenburg
vom 11. September 2008 – 20 Sa 2244/07, ZTR 2009, 194; Däubler/Bertzbach-
Däubler a. a. O. § 1 Rn 84 f.; ErfK-Schlachter, 10. Aufl., § 1 AGG Rn 11; von
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Däubler a. a. O. § 1 Rn 84 f.; ErfK-Schlachter, 10. Aufl., § 1 AGG Rn 11; von
Roetteken a. a. O. § 1 Rn 172; Schleusener/Suckow/Voigt, AGG, 2. Aufl., § 1 Rn 58;
Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz Rn 213). Dementsprechend
schützt das Verbot der Altersdiskriminierung auch jüngere Arbeitnehmer gegen
Benachteiligungen im Verhältnis zu älteren Beschäftigten.
Die in § 27 A BAT enthaltende Regelung stellt eine unmittelbare Benachteiligung
jüngerer Arbeitnehmer wegen ihres Alters dar.
Die Vorschrift des § 27 A BAT lautet in den hier interessierenden Teilen wie folgt:
Für die Bereiche des Bundes und der TdL
(1) Im Vergütungstarifvertrag sind die Grundvergütungen in den
Vergütungsgruppen nach Lebensaltersstufen zu bemessen. Die Grundvergütung
der ersten Lebensaltersstufe (Anfangsgrundvergütung) wird vom Beginn des
Monats an gezahlt, in dem der Angestellte in den Vergütungsgruppen III bis X das
21. Lebensjahr, in den Vergütungsgruppen I bis II b das 23. Lebensjahr vollendet.
Nach je zwei Jahren erhält der Angestellte bis zum Erreichen der Grundvergütung
der letzten Lebensaltersstufe (Endgrundvergütung) die Grundvergütung der
folgenden Lebensaltersstufe.
(2) Wird der Angestellte in den Vergütungsgruppen III bis X spätestens am
Ende des Monats eingestellt, in dem er das 31. Lebensjahr vollendet, erhält er die
Grundvergütung seiner Lebensaltersstufe. Wird der Angestellte zu einem späteren
Zeitpunkt eingestellt, erhält er die Grundvergütung der Lebensaltersstufe, die sich
ergibt, wenn das bei der Einstellung vollendete Lebensalter um die Hälfte der
Lebensjahre vermindert wird, die der Angestellte seit Vollendung des 31.
Lebensjahres zurückgelegt hat. Jeweils mit Beginn des Monats, in dem der
Angestellte ein Lebensjahr mit ungerader Zahl vollendet, erhält er bis zum
Erreichen der Endgrundvergütung die Grundvergütung der folgenden
Lebensaltersstufe. Für Angestellte der Vergütungsgruppen I bis II b gelten die
Sätze 1 bis 3 entsprechend mit der Maßgabe, da an die Stelle des 31.
Lebensjahres das 35. Lebensjahr tritt.
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(5) ....
(6) Wird der Angestellte in unmittelbarem Anschluss an eine Tätigkeit im
öffentlichen Dienst als Angestellter, Arbeiter, Beamter, Soldat auf Zeit oder
Berufssoldat eingestellt, gilt als Tag der Einstellung der Tag, von dem an der
Angestellte ununterbrochen in einem dieser Rechtsverhältnisse im öffentlichen
Dienst gestanden hat; Absatz 7 ist entsprechend anzuwenden.
Wird der Angestellte in nicht unmittelbarem Anschluss an ein
Angestelltenverhältnis im öffentlichen Dienst eingestellt, erhält er mindestens die
Grundvergütung nach der Lebensaltersstufe, die für die zuletzt bezogene
Grundvergütung maßgebend gewesen ist oder gewesen wäre, wenn auf sein
früheres Angestelltenverhältnis die Vorschriften dieses Abschnitts angewendet
worden wären.
Wird der Angestellte in unmittelbarem Anschluss an ein Angestelltenverhältnis
im öffentlichen Dienst eingestellt, ist die Grundvergütung nach Satz 2
festzusetzen, wenn dies günstiger ist als nach Satz 1.
(7) ....
(8) Anstelle der Grundvergütung aus der Lebensaltersstufe, die der Angestellte
auf Grund eines in der Zeit vom 1. Januar 2003 bis 31. Dezember 2004
vollendeten Lebensjahres mit ungerader Zahl erreicht, wird ab dem Monat, in dem
der Angestellte ein Lebensjahr mit ungerader Zahl vollendet, für die Dauer von
zwölf Monaten die Grundvergütung aus der bisherigen Lebensaltersstufe zuzüglich
des halben Unterschiedsbetrages zur nächsthöheren Lebensaltersstufe gezahlt.
Der Angestellte, dessen Arbeitsverhältnis in der Zeit vom 1. Januar 2003 bis
31. Dezember 2004 beginnt und der in der Zeit zwischen der Einstellung und dem
31. Dezember 2004 kein Lebensjahr mit ungerader Zahl mehr vollendet, erhält ab
der Einstellung für die Dauer von 12 Monaten die Grundvergütung aus der
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der Einstellung für die Dauer von 12 Monaten die Grundvergütung aus der
nächstniedrigeren als der nach Absatz 2 zustehenden Lebensaltersstufe zuzüglich
des halben Unterschiedsbetrages zur nächsthöheren Lebensaltersstufe gezahlt.
Damit knüpft die im Vergütungstarifvertrag festgelegte Grundvergütung der
jeweiligen Vergütungsgruppen an das tatsächliche Lebensalter des Beschäftigten
an und dem Angestellten steht der Anspruch auf die Grundvergütung seiner
aufgrund der Eingruppierung maßgeblichen Vergütungsgruppe entsprechend der
jeweils zutreffenden Lebensaltersstufe zu. Nach je zwei Jahren erhöht sich die
Vergütung um eine Lebensaltersstufe bis zum Erreichen der letzten
Lebensaltersstufe. Möglich ist, dass sich eine Vorbeschäftigung im öffentlichen
Dienst nach § 27 A Abs. 6 BAT für einen Angestellten günstiger auswirkt als eine
Einstufung nach den Grundvergütungsstufen. Hierdurch privilegiert wird aber
lediglich eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst unabhängig welchen Inhalt sie
hatte. Auf die Frage, ob hierdurch bezogen auf die aktuell ausgeübte Tätigkeit ein
Nutzen gezogen werden kann, kommt es nicht an (vgl. LAG Berlin-Brandenburg
vom 11. September 2008 a. a. O.). Damit schließt die Differenzierung in der
Grundvergütung ausschließlich an das Lebensalter an und bei gleicher Tätigkeit
steht dem lebensälteren Arbeitnehmer lediglich wegen seines höheren
Lebensalters eine höhere Grundvergütung zu als dem jüngeren Beschäftigten zu.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundesangestelltentarifvertrag
(BAT) sowie der, die Lebensaltersstufen konkretisierende Vergütungstarifvertrag
trotz des Austritts des beklagten Landes aus der Tarifgemeinschaft der Länder
Anwendung. Die für das Vertragsverhältnis daher maßgeblichen tariflichen
Vergütungsbestimmungen knüpfen mithin unter Einbeziehung gewisser
Modifizierungen für anrechenbare Vorbeschäftigungen im Wesentlichen an das
Lebensalter (vgl. LAG Berlin-Brandenburg vom 11. September 2008 a. a. O.). Die
im Oktober 1975 geborene Klägerin, die ein Tätigkeit der Vergütungsgruppe II a
der Anlage 1 a zum BAT ausübt, war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des AGG
noch nicht in die höchste Lebensaltersstufe dieser Vergütungsgruppe einzuordnen
gewesen.
2.2.
Die Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Alters ist auch nicht aufgrund
gesetzlich vorgesehener Ausnahmen zulässig.
Nach § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1
genannten Grundes zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden
Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und
entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und
die Anforderung angemessen ist.
§ 10 S. 1 AGG sieht vor, dass ungeachtet des § 8 AGG eine unterschiedliche
Behandlung wegen des Alters auch zulässig ist, wenn sie objektiv angemessen und
durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Nach § 10 S. 2 AGG müssen die Mittel
zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein. Nach § 10 S. 2 Nr. 2
AGG kann die unterschiedliche Behandlung insbesondere die Festlegung von
Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für
den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung
verbundene Vorteile einschließen.
Nach herrschender Meinung sind Vergütungssysteme, die die Vergütung nach
dem Lebensalter staffeln, grundsätzlich unwirksam (vgl. Bauer/Göpfert/Krieger a.
a. O. § 10 Rn 23, 30; Däubler/Bertzbach-Dette a. a. O. § 7 Rn 125;
Däubler/Bertzbach-Brors a. a. O. § 10 Rn 58; ErfK-Schlachter a. a. O. § 10 AGG Rn
4; Küttner/Kania, Personalbuch 2009, 16. Aufl., Diskriminierung Rn 96;
Lingemann/Gotham, NZA 2007, 663; Löwisch, DB 2006, 1729;
Wiedemann/Thüsing, TVG, 7. Aufl. Einl. Rn 162, Schleusener/Suckow/Voigt a. a. O. §
10 Rn 26).
Die Auffassung des beklagten Landes, die Benachteiligung sei schon deshalb zu
verneinen, weil bei einer Gesamtbetrachtung des Arbeitsverhältnisses jeder
Arbeitnehmer die Altersstufen durchlaufe und damit alle Arbeitnehmer gleich
behandelt würden, berücksichtigt nicht, dass die Vergütung für die Tätigkeit in
einem bestimmten Kalenderzeitraum (Monat) gezahlt wird. Für diesen
Bezugszeitraum ist die Ungleichbehandlung festzustellen. Jüngere Beschäftigte
bekommen unabhängig vom Stand ihrer Qualifikationen bei gleicher Tätigkeit
weniger Gehalt als lebensältere Mitarbeiter bezahlt. Diese Benachteiligung wird
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weniger Gehalt als lebensältere Mitarbeiter bezahlt. Diese Benachteiligung wird
nicht dadurch geheilt, dass der jüngere Beschäftigte bei unterstelltem Fortbestand
des Arbeitsverhältnisses die Chance erhält, durch Ansteigen der Altersstufen auch
in den Genuss einer höheren monatlichen Vergütung bei fortschreitendem
Lebensalter zu kommen.
Entgegen der von dem beklagten Land vertretenen Ansicht ist die unterschiedliche
Behandlung der Beschäftigten im Hinblick auf die erlangte Vergütung aufgrund der
Zuordnung zu Lebensaltersstufen nicht im Sinne der oben aufgeführten
Regelungen gerechtfertigt. Das beklagte Land kann sich nicht darauf berufen, dass
mittels der geltenden Tarifregelungen ein legitimes Ziel (z. B. ein höheres Maß an
beruflicher Qualifikation) honoriert werden soll.
Eine allein altersabhängige Entlohnung lassen die in § 10 AGG genannten Gründe
als Rechtfertigung der Benachteiligung nicht ausreichen (vgl. Däubler/Bertzbach-
Brors a. a. O. § 10 Rn 57 m. w. N.). Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Maß an
Berufserfahrung – z. B. ausgedrückt durch zurückgelegte Jahre einer bestimmten
beruflichen Tätigkeit – oder belegbare Zeiten der Betriebszugehörigkeit mit einer
bestimmten Tätigkeit es rechtfertigen können, ein unterschiedliches Gehalt für die
gleiche ausgeübte tarifliche Tätigkeit zu zahlen (vgl. insoweit EuGH vom 3. Oktober
2006 – Rs C-17/05, Cadman, EzA Art. 141 EG-Vertrag 1999 Nr. 20 zur Zulässigkeit
einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Geschlechts bei einer auf das
Dienstalter abstellenden Vergütungsregelung). Ein mit dem Lebensalter
verbundener Zuwachs an Lebenserfahrung kann als Rechtfertigung allenfalls dann
akzeptiert, wenn diese für die konkrete Berufsausübung "nützlich" oder
"vorteilhaft", sowie belegbar ist (vgl. Kittner/Zwanziger, Arbeitsrecht, 4. Aufl., § 111
Rn 120; Prütting/Wegen/Weinrich-Lingemann, BGB, 2. Aufl., § 10 AGG Rn 11;
Waltermann, ZfA 2006, 305).
Vorliegend handelt es sich bei dem Lebensaltersstufensystem der auf das
Arbeitsverhältnis anzuwendenden tariflichen Regelungen aber gerade nicht um ein
System, welches an eine typisierte Berufserfahrung oder ein fortschreitendes
Dienstalter bei dem konkreten Arbeitgeber/einem Arbeitgeber des öffentlichen
Dienstes anknüpft. Maßgeblich für die Zuordnung in die Lebensaltersstufen ist
allein die Vollendung bestimmter Lebensjahren, ohne Rücksicht auf den bisherigen
Lebensverlauf des Angestellten. Ein typischer Geschehensablauf, nach dem bei im
Grundsatz gleichem Einstellungs- oder Lebensalter von einer typischen
gleichwertigen Berufserfahrung auszugehen ist, ist jedoch nicht zu erkennen (vgl.
LAG Berlin-Brandenburg a. a. O.). Hiergegen spricht im Übrigen auch die höchst
unterschiedlich Biographie des einzelnen Beschäftigten im Vergleich zu
Mitarbeitern mit gleicher tariflicher Tätigkeit, insbesondere auch im Bereich des
öffentlichen Dienstes.
Die gesetzeswidrige Benachteiligung wegen des Alters wird auch nicht dadurch
gerechtfertigt, dass mit fortschreitendem Lebensalter jeder Mitarbeiter des
beklagten Landes in den Genuss der höheren Vergütung aufgrund Erlangung
weiterer Altersstufe gelangen kann. Zwar ist das Differenzierungskriterium
"Lebensalter" nicht unabänderlich. Wie bereits ausgeführt wurde, werden bezogen
auf eine konkrete Leistungsgewährung in einem bestimmten Bezugszeitraum
Mitarbeiter jedoch allein aufgrund ihres unterschiedlichen Lebensalters
unterschiedlich behandelt mit der Folge, dass jüngere Mitarbeiter finanziell
schlechter gestellt sind. Ob bei fortbestehenden Arbeitsverhältnis Arbeitnehmer zu
einem späteren Zeitpunkt aufgrund ansteigendem Lebensalter und damit anderer
Zuordnung in der Altersstaffelregelung des Tarifvertrags Vorteile erlangen können,
ist völlig unsicher und würde die bereits eingetretene Benachteiligung auch nicht
ausgleichen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg a. a. O.; Däubler/Bertzbach-Brors a. a.
O. § 10 Rn 56). Die Unabwägbarkeiten einer solchen Entwicklung zeigt sich
insbesondere auch in der Tarifentwicklung bei dem beklagten Land. Mit Wirkung
zum 1. Januar 2010 treten neue Tarifverträge in Kraft, die es dem jüngeren
Mitarbeiter eben gerade nicht mehr ermöglichen, höhere
Lebensaltersstufenvergütungen zu erlangen.
Das beklagte Land kann sich auch nicht darauf berufen, dass soziale Aspekte die
tariflichen Vergütungsregelungen rechtfertigen können. Der Anknüpfungspunkt
"Lebensalter" ist nicht geeignet, einen möglichen familiären Unterhaltsbedarf der
Arbeitnehmer angemessen auszugleichen. Es gibt keine Erfahrungswerte, die
belegen, dass in höheren tariflichen Altersstufen besondere finanzielle Bedürfnisse
der Arbeitnehmer des beklagten Landes auszugleichen wären und dass ein derart
pauschaler Ansatz wie das Lebensalter ein objektiv geeignetes
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pauschaler Ansatz wie das Lebensalter ein objektiv geeignetes
Differenzierungskriterium wäre. Die Frage des zu sichernden Lebensstandards und
die Frage höherer Kosten im sozialen Umfeld sind keine belegbaren Kriterien für
eine Rechtfertigung des angegriffenen Vergütungssystems. Im Übrigen haben die
Tarifvertragsparteien selbst in den tariflichen Regelungen zum Ortszuschlag (§ 29
BAT) die Parameter aufgestellt, die die familiäre Situation der Beschäftigten und
die damit unzweifelhaft einhergehenden finanziellen Belange objektiv und
angemessen berücksichtigen.
Sonstige Rechtfertigungsgründe, die zur Zulässigkeit der bei dem beklagten Land
zur Anwendung gelangenden tariflichen Vergütungsregelungen im Sinne der AGG-
Normen führen könnten, sind nicht zu erkennen. Insbesondere kann aufgrund der
Vorgaben im AGG nicht festgestellt werden, dass der Gesetzgeber in dem hier
interessierenden Bereich das ältere Alter stärker schützen wollte als das jüngere.
Die Frage der Altersdiskriminierung stellt sich anerkannter Maßen wechselseitig im
Verhältnis jung zu alt und umgekehrt.
Auch die Tatsache, dass sich die diskriminierende Regelung in einem Tarifvertrag
findet, stellt kein Indiz für ihre Angemessenheit und Zulässigkeit dar. Die
angegriffenen Lebensaltersstufenregelungen sind ein dem bisherigen
Vergütungssystem des öffentlichen Dienstes immanentes Instrument für eine
unterschiedliche Bezahlung. Eine sachliche Rechtfertigung in der heutigen Zeit
unter Einbezug der gesetzlichen Veränderungen lässt sich hieraus nicht ableiten.
2.3.
Auf Grund dieser ungerechtfertigten Benachteiligung kann die Klägerin die geltend
gemachte Vergütung nach der höchsten Altersstufe ihrer Vergütungsgruppe für
die Zeit vom 1. August 2008 bis 31. Dezember 2009 verlangen.
Rechtsfolge der ungerechtfertigten Benachteiligung der Klägerin durch die
tarifrechtlichen Vergütungsvorschriften ist, dass diese gemäß § 7 Abs. 2 AGG
unwirksam sind. Die Vorschrift des § 7 Abs. 2 AGG findet auch auf
kollektivrechtliche Regelungen Anwendung (ErfK-Schlachter a. a. O. § 7 Rn 3).
Im AGG findet sich keine ausdrückliche Festlegung, was inhaltlich anstelle der für
unwirksam erklärten benachteiligenden Regel treten soll. Entgegen der von dem
beklagten Land vertreten Auffassung kommt nur eine Anpassung "nach oben" in
Betracht, um den Nachteil durch die diskriminierende Ausgestaltung der
Altersstufenregelungen auszuschließen.
Nach den Intentionen des AGG muss der unerlaubt benachteiligte Arbeitnehmer
einen entsprechenden Ausgleichsanspruch haben. Deshalb hat der bei der
Entgeltzahlung unerlaubt benachteiligte Arbeitnehmer entsprechend der zugrunde
liegenden Regelung einen Anspruch auf die vorenthaltene Leistung. Aus der
Wertung in § 2 Abs. 1 Nr. 2 und § 8 Abs. 2 AGG ergibt sich, dass bei einer diesem
Gesetz widersprechenden Diskriminierung eine Grundlage für Ansprüche auf
gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeiten gegeben ist (BT-Drucks.
16/1780 S. 35). Auch § 612 Abs. 3 BGB a. F. stellte, trotz seiner Formulierung als
Verbotsnorm, eine Anspruchsgrundlage für die vorenthaltenen Entgeltbestandteile
dar (vgl. BAG vom 11. Dezember 2007 – 3 AZR 249/06, AP Nr. 1 zu § 2 AGG).
Deshalb sind bei Verstößen gegen die Benachteiligungsverbote des AGG die
leistungsgewährenden, nicht benachteiligenden Tarifvertragsbestimmungen auf
diejenigen Personen zu erstrecken, die entgegen den Benachteiligungsverboten
von den tariflichen Leistungen – auch teilweise – ausgeschlossen wurden (vgl. BAG
vom 24. September 2003 – 10 AZR 675/02, AP Nr. 4 zu § 4 TzBfG zum
Benachteiligungsverbot des TzBfG; LAG Berlin-Brandenburg vom 11. September
2008 a. a. O; ErfK-Schlachter a. a. O. § 15 Rn 3; Thüsing, AGG, § 15 Rn 543). Dies
gilt solange, bis die Tarifvertragsparteien selbst eine diskriminierungsfreie
Regelung schaffen. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des europäischen
Gerichtshofs in Fällen der Verstöße gegen Art. 119 EGV (vgl. EuGH vom 7. Februar
1991 – C – 184/89, AP Nr. 25 zu § 23 a BAT; EuGH 27. Juni 1990 – C-33/89, AP Nr.
21 zu Art. 119 EWG-Vertrag; BAG Urteil vom 24. September 2003 a. a. O.).
Nur durch eine Angleichung "nach oben" kann die Gleichbehandlung der Klägerin
bezogen auf die geschuldete Grundvergütung mit lebensälteren Beschäftigten
hergestellt werden. Eine klare Vergleichsgruppe ist in der Gruppe mit der höchsten
im Tarifvertrag enthaltenen Lebensaltersstufe der jeweiligen Vergütungsgruppe zu
sehen. Es kommt auch nicht darauf an, dass möglicher Weise im Einzelfall eine
relative Bevorzugung bei gleichzeitig einhergehender Benachteiligung gegeben ist,
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relative Bevorzugung bei gleichzeitig einhergehender Benachteiligung gegeben ist,
wenn ein Arbeitnehmer nicht in der niedrigsten, aber auch nicht in der höchsten
Lebensaltersstufe einzuordnen ist. Hierdurch zeigt sich nur, dass auch mit einer
vermittelnden Angleichung die tatsächlich eingetretene Benachteiligung nicht
beseitigt, sondern wiederum nur abgemildert werden könnte. Eine Anpassung
"nach unten" als Ersatzregelung scheidet ebenfalls aus (vgl. Bauer/Göpfert/Krieger
a. a. O. § 7 Rn 30). Sie würde allenfalls zu einer rechtlichen, nicht aber zu einer
tatsächlichen Gleichbehandlung führen. Die bei dem beklagten Land beschäftigten
lebensälteren Mitarbeiter haben die höhere Vergütung erhalten und ein Entzug ist
dem beklagten Land schon praktisch und ggf. auch rechtlich aus verschiedensten
Gründen nicht mehr möglich (vgl. BAG vom 28. Mai 1996 – 3 AZR 752/95, AP Nr.
143 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie; BAG vom 7. März 1995 – 3 AZR
282/94, AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung). Einer Angleichung "nach
oben" steht auch nicht entgegen, dass hierdurch das Volumen, welches das
beklagte Land an Vergütung an seine Angestellten zu zahlen hätte, enorm
gesteigert und eine Anpassung "nach oben" möglicher Weise auch nicht dem
Willen beider Tarifvertragsparteien entsprechen würde. Das Berufungsgericht
erkennt an, dass Tarifverträge komplexe Werke sind, die einen Kompromiss der
unterschiedlichen Interessen der Arbeitgeber- wie der Arbeitnehmerseite
beinhalten. Letztlich haben bzw. hatten es jedoch die Tarifpartner in der Hand, den
Grundsätzen des AGG entsprechende Vergütungsregelungen zu schaffen. Ist das
nicht geschehen, ohne dass es auf die hierfür maßgeblichen Gründe ankommt,
kann als Bezugsgröße zur Beseitigung der diskriminierenden Benachteiligung nur
eine Anpassung "nach oben" herangezogen werden.
Für das Berufungsgericht besteht auch keine Möglichkeit, die Anpassung für die
Vergangenheit den Tarifvertragsparteien zu überlassen.
Zwar hat das Bundesarbeitsgericht angenommen, dass es Gerichten verwehrt ist,
nichtige Normen durch andere zu ersetzen, da dies ein unzulässiger Eingriff in die
Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 GG wäre. Deshalb können für die Zukunft aus
nichtigen Bestimmungen die ungleichbehandelten Arbeitnehmergruppen keine
Rechte herleiten. Für die Vergangenheit könne dagegen die Gleichheit nur durch
Gewährung der entsprechenden Leistung auch an die diskriminierten
Arbeitnehmer verwirklicht werden. Wenn insoweit praktisch nur eine
Regelungsmöglichkeit besteht, kann die Tarifnorm für die Vergangenheit auch
durch die Gerichte ergänzt werden (vgl. BAG vom 13. November 1985 – 4 AZR
239/84, AP Nr. 136 zu Art. 3 GG).
2.4.
Der geltend gemachte Anspruch scheitert auch nicht an
Vertrauensschutzaspekten.
Die Benachteiligungsverbote des AGG gelten ohne Übergangsregelung und
erstrecken sich auf alle Sachverhalte, die sich seit dem Inkrafttreten dieses
Gesetzes im August 2006 in seinem Geltungsbereich verwirklicht haben. Danach
müssen sich auch Tarifverträge, die bereits vor seinem Inkrafttreten vereinbart
waren, an seinen Diskriminierungsverboten messen lassen. Eine solche
Anknüpfung ist grundsätzlich zulässig. Der zeitliche Geltungsbereich wird nur durch
den Grundsatz des Vertrauensschutzes beschränkt. Der Gesichtspunkt des
Vertrauensschutzes kann je nach Lage der Verhältnisse im Einzelfall der
Regelungsbefugnis Schranken setzen (vgl. BAG vom 16. Dezember 2008 a. a. O.
m. w. H.; BAG vom 11. Dezember 2003 – 6 AZR 64/03, AP Nr. 7 zu § 4 TzBfG).
Es kann dahingestellt bleiben, ob sich das beklagte Land in Bezug auf
Beschäftigungsverhältnisse, die vor dem Inkrafttreten des AGG begründet worden
sind, im Hinblick auf sein Ausscheiden aus der Tarifgemeinschaft der Länder und
dem bisher unterbliebenen Tarifneuabschluss auf Landesebene auf den Grundsatz
des Vertrauensschutz berufen kann (ErfK-Schlachter a. a. O. § 7 Rn 5). Im Hinblick
auf die Gesetzeshistorie und die Tarifpolitik bestehen insoweit jedenfalls Bedenken
(vgl. hierzu auch LAG Berlin-Brandenburg vom 11. September 2008 a. a. O.).
Bezogen auf das streitgegenständliche Beschäftigungsverhältnis der Parteien vom
23. 18. Juni 2008 war das beklagte Land aufgrund des Austritts aus der TdL nicht
gehindert, abweichend vom BAT arbeitsvertragliche Vereinbarungen auch zur
Vergütung mit der Klägerin zu treffen. Dies zeigt sich auch in dem vorgenannten
Arbeitsvertrag, in dem abweichend von verschiedenen tariflichen Bestimmungen
Regelungen vereinbart worden sind. Folglich wäre es dem beklagten Land möglich
gewesen, AGG-konforme Vergütungsvereinbarungen mit der Klägerin zu treffen.
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gewesen, AGG-konforme Vergütungsvereinbarungen mit der Klägerin zu treffen.
Wenn es dies in Kenntnis des bereits im August 2006 in Kraft getretenen AGG im
Juni 2008 unterlassen hat, kann es sich nunmehr nicht auf
Vertrauensschutzaspekte berufen.
2.5.
Es kommt auch nicht darauf an, ob das beklagte Land bei Anwendung der
kollektivrechtlichen Vereinbarungen vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat.
§ 15 Abs. 3 AGG sieht vor, dass der Arbeitgeber bei der Anwendung der
kollektivrechtlichen Vereinbarungen nur dann zu einer Entschädigung verpflichtet
ist, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt. Diese Vorschrift ist in Bezug
auf den Streitfall jedoch nicht einschlägig. Sie bezieht sich nach ihrem eindeutigen
Wortlaut nur auf Entschädigungsansprüche im Sinn von § 15 Abs. 2 AGG (vgl.
Däubler/Bertzbach-Deinert, AGG, 2. Aufl., § 15 Rn 92; ErfK-Schlachter, a. a. O. § 15
Rn 10; a. A. Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, 2 Aufl., § 15 Rn 45, der sie auch auf
Schadenersatzansprüche ausdehnen will).
Vorliegend wird mit der Klage jedoch weder ein Schadenersatzanspruch im Sinne
von § 15 Abs. 1 AGG noch ein Entschädigungsanspruch im Sinne von § 15 Abs. 2
AGG, sondern ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit den zuvor Begünstigten
verfolgt (vgl. ErfK-Schlachter, a. a. O. § 15 Rn 3), so dass weder die
Haftungsprivilegierung des § 15 Abs. 3 AGG noch die Ausschlussfrist des § 15 Abs.
4 AGG zum Tragen kommt (vgl. Wendeling-Schröder/Stein, AGG, § 15 Rn 65).
2.6.
Die Klage ist jedoch nur in Bezug auf den Zeitraum vom 1. August 2008 bis zum
31. Dezember 2009 begründet. Insoweit steht den geltend gemachten
Ansprüchen nicht die tarifliche Ausschlussfrist des § 70 BAT entgegen.
Nach dieser Vorschrift verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie
nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom
Angestellten oder Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. Gemäß § 36
BAT ist die Vergütung fällig am Ende letzten Tag des jeweiligen Bezugsmonats.
Damit hat die Klägerin mit ihrem dem beklagten Land am 20. Februar 2009
zugegangenen Geltendmachungsschreiben die Ausschlussfrist für die
Vergütungsansprüche ab 1. August 2008 gewahrt.
2.7.
Die weitergehende Klage ist unbegründet und die Berufung insoweit erfolglos, weil
die Klägerin ihre Ansprüche auf die höhere Vergütung für die vor August 2008
liegenden Monate nicht rechtzeitig im Sinne von § 70 BAT schriftlich geltend
gemacht hat. Sie kann sich insoweit auch nicht auf eine Unkenntnis vom Bestehen
ihrer Ansprüche berufen. Das AGG ist im August 2006 in Kraft getreten. Ab diesem
Zeitpunkt bestand unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen ein
Anspruch auf Gleichbehandlung im Sinne einer Vergütung nach der höchsten
Lebensaltersstufe, ohne dass es darauf ankommt, ob die Klägerin die Nichtigkeit
der Tarifregelungen bereits bekannt war oder erst infolge der Entscheidung des
Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. September 2008 bewusst
geworden ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Parteien haben
gemäß dem Verhältnis ihres Obsiegens zu ihrem Unterliegen die Kosten zu
tragen.
Die Zulassung der Revision – soweit sie erfolgt ist – beruht auf § 72 Abs. 2 Ziffer 1
ArbGG. Im Übrigen besteht für die Zulassung der Revision keine gesetzlich
begründete Veranlassung (§ 72 Abs. 2 ArbGG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.