Urteil des LAG Hamm vom 17.02.2006

LArbG Hamm: ordentliche kündigung, abmahnung, fristlose kündigung, betriebsrat, unwirksamkeit der kündigung, grad des verschuldens, rücknahme, personalakte, arbeitsgericht, wichtiger grund

Landesarbeitsgericht Hamm, 10 Sa 1869/05
Datum:
17.02.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 Sa 1869/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Arnsberg, 3 Ca 273/05 O
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 9 AZN 369/06 Beschwerde zurückgewiesen
15.08.2006
Schlagworte:
außerordentliche und ordentliche Kündigung, Arbeitsverweigerung und
unentschuldigtes Fehlen, Rücknahme von Abmahnungen,
Interessenabwägung, Betriebsratsanhörung
Normen:
§ 626 BGB§ 1 Abs. 2 KSchG§ 102 Abs. 1 BetrVG
Rechtskraft:
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Arnsberg vom 16.08.2005 - 3 Ca 273/05 O - unter Zurückweisung der
Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien
durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 11.02.2005
nicht zum 11.02.2005 beendet worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits I. Instanz trägt der Kläger 6/7, die
Beklagte 1/7. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger
2/3, die Beklagte 1/3 zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d:
1
Im Berufungsverfahren streiten die Parteien noch um die Wirksamkeit einer
außerordentlichen und einer ordentlichen Kündigung, um Weiterbeschäftigung sowie
um die Rücknahme einer Ermahnung und weiterer Abmahnungen.
2
Der Kläger ist am 21.01.1971 geboren, verheiratet und zwei Kindern gegenüber
unterhaltsverpflichtet. Er ist türkischer Staatsangehöriger. Seit dem 04.10.1994 ist er bei
der Beklagten, die ca. 700 Mitarbeiter beschäftigt, als Anlagenbediener in der
Imprägnierung, zuletzt auch als stellvertretender Schichtführer aufgrund eines
schriftlichen Arbeitsvertrages vom 13.10.1995 (Bl. 11 ff.d.A.) tätig. Er erzielte zuletzt
einschließlich Sonderzahlungen einen monatlichen Bruttoverdienst in Höhe von
durchschnittlich 3.800,00 €.
3
In der Vergangenheit erhielt der Kläger von der Beklagten eine schriftliche Ermahnung
sowie weitere schriftliche Abmahnungen; ob sie berechtigterweise erteilt worden sind,
ist zwischen den Parteien streitig.
4
Am 09.02.2002 war der Kläger in der Frühschicht von 6.00 Uhr bis 14.00 Uhr tätig.
Gegen 9.30 Uhr verließ er nach einer Mitteilung an seine Schichtkollegen ohne weitere
Abmeldung bei seinen Vorgesetzten seinen Arbeitsplatz, um Möbel mit einem vorher
bestellten Leihwagen abzuholen.
5
Daraufhin erteilte die Beklagte dem Kläger unter dem 19.02.2002 (Bl. 44 d.A.) eine
Abmahnung. In dieser Abmahnung heißt es u.a.:
6
"Sie haben durch Ihr Verhalten gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten
verstoßen. Wir raten Ihnen dringend, weitere Verstöße gegen Ihre
arbeitsvertraglichen Pflichten zu vermeiden, denn dadurch gefährden Sie den
Fortbestand Ihres Arbeitsverhältnisses."
7
Mit Schreiben vom 03.04.2002 (Bl. 130 d.A.) nahm der Kläger zu der erteilten
Abmahnung vom 19.02.2002 Stellung. Das Schreiben des Klägers vom 03.04.2002
nahm die Beklagte zu den Personalakten.
8
Am 13.01.2005 war der Kläger nach der im Betrieb der Beklagten existierenden
elektronischen Zeiterfassung von 13.42 Uhr bis 14.31 Uhr im Unternehmen der
Beklagten. Auf dem Original des Stundensammelbelegs für den 13.01.2005 - im Betrieb
werden hinsichtlich der von den Arbeitnehmern geleisteten Arbeitsstunden
Stundensammelbelege geführt, die aus Original und Durchschriften bestehen - war eine
Arbeitszeit für den Kläger nicht vermerkt. Das Original des Belegs für den 13.01.2005
war vom Schichtleiter J1xxxxx unterzeichnet. Auf einer Durchschrift des Sammelbelegs
für den 13.01.2005 war jedoch beim Kläger eine Arbeitszeit von 12.00 Uhr bis 22.00 Uhr
angegeben. Auf weiter geführten Abschriften des Sammelbelegs war sodann eine
Freischicht mit Abkürzung "F" eingetragen. Im Anschluss an ein mit dem Kläger
geführten Personalgespräch vom 24.01.2005 erteilte die Beklagte dem Kläger unter
dem 31.01.2005 eine Ermahnung (Bl. 45 f.d.A.).
9
In der Nacht vom 24. auf den 25.01.2005 war der Kläger in der Nachtschicht tätig. Im
Betrieb der Beklagten existiert eine Haspel, eine Vorrichtung, in welche Papierrollen
eingehängt werden. Damit die Haspel nicht durch andere Geräte beschädigt wird, ist sie
durch einen Anfahrschutz geschützt. In der Nachtschicht vom 24./25.01.2005
beschädigte der
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Kläger den Anfahrschutz dieser Haspel bei der Bedienung des Rollenstaplers. Der
Kläger meldete diesen Vorfall nicht bei der Beklagten.
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Am 29.01.2005 wurde der Kläger vom Produktionsleiter H3xxxxxxxx auf diesen Vorfall
angesprochen. Dabei erwiderte der Kläger, dass eine solche Beschädigung doch jedem
passieren könne.
12
Daraufhin erteilte die Beklagte dem Kläger unter dem 31.01.2005 (Bl. 47 f.d.A.) folgende
Abmahnung:
13
"Am 25.01.2005, während der Frühschicht, stellte Herr H3xxxxxxxx,
Produktionsleiter der Imprägnierung fest, dass an der Imprägnieranlage 2 der
Anfahrschutz der Haspel beschädigt war. Es lag keine Meldung vor, wem diese
Beschädigung unterlaufen war, die zur Frühschicht anwesenden Mitarbeiter
konnten dazu auch nichts sagen. Auf Befragen der Nachtschicht stellte sich
heraus, dass Sie Verursacher des Schadens waren, bestätigt wurde diese
Tatsache durch den diensthabenden Schichtleiter der Nachtschicht, Herrn
O2xxxx.
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Herr H3xxxxxxxx sprach Sie am 29.01.2005, Sie hatten Frühschicht, auf diesen
Vorfall an; zuvor hatte bereits der Schichtleiter, Herr H4xxxxxx, Sie angesprochen.
Ihm gegenüber und auch gegenüber Herrn H3xxxxxxxx stellen Sie fest, dass "das
doch jedem passieren könne;" mit anderen Worten, Sie legten dem Vorfall
keinerlei Gewicht bei.
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Sie verfügen aufgrund Ihrer langen Betriebszugehörigkeit über ausreichende
Erfahrungen im Umgang mit dem Stapler, sodass wir Ihre Erklärung "dass das
jedem passieren kann" nicht akzeptieren.
16
Abgesehen davon, dass bei sorgfältiger Fahrweise mit dem Stapler dieser
Schaden nicht hätte verursacht werden müssen, mahnen wir Ihre grundsätzliche
Einstellung zu diesem Vorfall ab und vor allen Dingen auch die Tatsache, dass
Sie es nicht für nötig gehalten haben, diesen Vorfall offiziell zu melden.
17
Die Instandsetzung des Anfahrschutzes wird ca. € 1.000,-- kosten.
18
Von den Beschädigungen haben wir Fotos erstellt, die wir mit dieser Abmahnung
in Ihre Personalakte nehmen.
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Wir raten Ihnen dringend, sich zukünftig korrekt zu verhalten und Verstöße gegen
Ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu vermeiden; weitere Verstöße führen
unweigerlich zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Mittlerweile haben Sie eine
Ermahnung in Ihrer Personalakte und dies ist schon die 2. Abmahnung."
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Bei der Beklagten existiert für die Mitarbeiter der Imprägnierung eine schriftliche
Arbeitsanweisung vom 16.11.2004 (Bl. 140 d.A.), nach der die Bediener der
Rollenvorbereitung zu arbeiten haben. Inhalt dieser Arbeitsanweisung ist u.a., dass
Rollen erst dann im Relag gebucht werden, wenn sie aus der Haspel genommen
werden. Unter dem 25.01.2005 wurde nochmals schriftlich darauf hingewiesen, dass
Rollen nach wie vor zu früh gebucht werden, obwohl sie noch "in Produktion sind" (Bl.
139 d.A.).
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Am 29.01.2005 löschte der Kläger entgegen der Anweisung vom 16.11.2004 eine Rolle
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bereits um 8.20 Uhr im Relag-Datensystem, obwohl die Rolle noch bis 8.39 Uhr in der
Haspel weiter lief.
Daraufhin erteilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 01.02.2005 (Bl. 49 f.d.A.)
eine weitere Abmahnung. In dieser Abmahnung heißt es u.a.:
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"Am 29.01.2005 hatten Sie Frühschicht. Sie löschten um 8.20 Uhr eine Rolle aus
dem Relag, obwohl der Auftrag zu dieser Zeit noch nicht beendet war, er lief noch
bis 8.39 Uhr. Herr H3xxxxxxxx sprach Sie, im Beisein Ihres Schichtleiters, Herrn
H4xxxxxx, auf Ihr Fehlverhalten an. Als Antwort kam von Ihnen "es ist doch egal,
wann ich sie lösche, da sie eh komplett verbraucht wird".
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Herr H3xxxxxxxx wies Sie darauf hin, dass er Ihre Arbeitsauffassung nicht duldet
und dass Sie aufgrund dieses Fehlverhaltens eine erneute Abmahnung
bekommen - Ihre Reaktion darauf war "ist nicht schlimm und ist mir auch egal".
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Mit Hinweis auf die Abmahnung vom 31.01.2005 ist durch dieses Ihr erneutes
Fehlverhalten das Maß nahezu voll. Bei einem weiteren Fehlverhalten/Verstoß
gegen Ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen werden wir Ihnen die Kündigung
des zwischen uns bestehenden Arbeitsverhältnisses aussprechen."
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Bereits am 03.01.2005 hatte sich der Kläger zur Ableistung einer sogenannten
"Füllschicht" für Sonntag, den 06.02.2005, eingetragen (Bl. 51 d.A.). Die Einzelheiten
der Behandlung von/oder "Vertretungsschichten" regelt eine Betriebsvereinbarung vom
17.02.2003 (Bl. 217 f.d.A.).
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Der Kläger verabsäumte es, am Sonntag, den 06.02.2005 zu der Füllschicht zu
erscheinen. Als er am 07./08.02.2005 vom Schichtleiter auf sein Fehlen in der
Frühschicht vom 06.02.2005 angesprochen wurde, gab er zur Begründung lediglich an,
dass er nicht daran gedacht habe, dass er sich für die Frühschicht am 06.02.2005
eingetragen habe.
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Mit Schreiben vom 09.02.2005 (Bl. 52 ff., 56 d.A.) hörte die Beklagte den Betriebrat zu
einer beabsichtigten fristlosen sowie hilfsweise fristgerechten Kündigung des
Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an.
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Mit Schreiben vom 10.02.2005 (Bl. 52, 55 d.A.) erhob der Betriebrat gegen die fristlose
Kündigung Bedenken, weil er der Meinung war, dass die Schwere der in den
Abmahnungen genannten Vergehen eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigen könne.
Der beabsichtigten
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ordentlichen Kündigung widersprach der Betriebrat mit Schreiben vom 14.02.2005 (Bl.
56, 57 d.A.) "gemäß § 102 Abs. 3 Satz 3 Ziff. 3".
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Mit Schreiben vom 11.02.2005 (Bl. 14 d.A.), dem Kläger zugegangen am gleichen Tage,
kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger sodann fristlos. Mit einem
weiteren Schreiben vom 14.02.2005 (Bl. 15 d.A.), dem Kläger zugegangen am
15.02.2005, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 30.06.2005.
32
Mit Schreiben vom 15.02.2005 (Bl. 22 d.A.) machte der Kläger unter Berufung auf den
Widerspruch des Betriebsrats seine Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 BetrVG
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geltend. Die Beklagte lehnte das Weiterbeschäftigungsverlangen des Klägers mit
Schreiben vom 21.02.2005 (Bl. 59 d.A.) ab.
Mit der am 04.03.2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage machte der Kläger
zunächst die Unwirksamkeit der Kündigungen vom 11. und 14.02.2005 den Fortbestand
des Arbeitsverhältnisses über den 11.02.2005 und 30.06.2005 hinaus, seine
Weiterbeschäftigung als stellvertretender Schichtleiter und S5xxxxxx und die Erteilung
eines Zwischenzeugnisses geltend. Ferner verlangte er die Rücknahme der Ermahnung
vom 31.01.2005 sowie der Abmahnungen vom 19.02.2002, vom 31.01.2005 und vom
01.02.2005. Schließlich hat er die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 42.000,00
€ verlangt.
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Der Kläger hat die Kündigungen vom 11. und 14.02.2005 für unwirksam gehalten und
hierzu die Auffassung vertreten, die Beklagte habe seit Anfang des Jahres 2005 nahezu
täglich einen Weg gesucht, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu beenden. Schon die
enge zeitliche Abfolge von Ermahnung, Abmahnungen und Kündigungen zeige, dass
es die Beklagte geradezu mutwillig darauf angelegt habe, den Kläger aus dem
Arbeitsverhältnis zu entfernen.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die ihm erteilte Ermahnung sowie die
Abmahnungen jeweils zu Unrecht erfolgt seien.
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Dies gelte bereits für die Abmahnung vom 19.02.2002. Insoweit hat er behauptet, dass
er davon ausgegangen sei, dass es ausreichend sei, seinen Stellvertreter über das
Entfernen vom Arbeitsplatz zu informieren. Im Übrigen sei genügend Personal
vorhanden gewesen. Die Anlage, an der er eingesetzt gewesen sei, sei überbesetzt
gewesen. Darüber hinaus
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habe er zu jenem Zeitpunkt bereits Mehrarbeit geleistet. Die Abmahnung sei aus diesem
Grunde in jedem Falle unverhältnismäßig gewesen.
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Der Kläger hat ferner die Auffassung vertreten, dass auch die Ermahnung vom
31.01.2002 aus der Personalakte zu entfernen sei. Bereits aus der Ermahnung selbst
ergebe sich, dass die Beklagte sich nicht sicher sei, ob überhaupt ein
arbeitsvertragliches Fehlverhalten vorgelegen habe. Manipulationen an den
Stundensammelbelegen könnten dem Kläger jedenfalls nicht vorgeworfen werden. Im
Übrigen hätten sowohl der Produktionsleiter als auch seine anderen Mitarbeiter
mitbekommen, dass der Kläger das Werk verlassen habe. Alle Mitarbeiter seien darüber
informiert worden, dass der Kläger nicht mehr im Werk sein würde.
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Auch die Abmahnung vom 31.01.2005 sei aus der Personalakte zu entfernen. Seine
Einschätzung, dass eine Beschädigung des Anfahrschutzes der Haspel jedem
Mitarbeiter einmal passieren könne, sei nach wie vor zutreffend. Insoweit handele es
sich bei seiner Tätigkeit um eine gefahrgeneigte Tätigkeit. Im Übrigen sei die Reparatur
des Anfahrschutzes erst mehr als zwei Monate nach der Beschädigung erfolgt. Eine
Produktionsbeeinträchtigung sei mit dem Vorfall vom 24./25.01.2005 nicht einher
gegangen. Da lediglich ein Blech nur wenige Zentimeter eingedrückt worden sei, seien
die Schadensbeseitigungskosten von der Beklagten mit 1.000,00 € auch viel zu hoch
gegriffen. Der Kläger habe den Vorfall auch nicht verheimlicht. Die komplette Schicht,
der der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalles angehört habe, habe den Unfall
mitbekommen. Er, der Kläger, sei seinerzeit davon ausgegangen, dass der
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Schichtführer den Vorfall melden würde.
Schließlich sei auch die Abmahnung vom 01.02.2005 zu Unrecht erfolgt. Eine
mündliche Anweisung, so hat der Kläger behauptet, habe er nicht erhalten. Die
vorzeitige Buchung habe er deshalb vorgenommen, weil er sich noch um eine weitere
Anlage habe kümmern müssen. Insgesamt handele es sich nicht um eine Fehlbuchung,
ein Schaden sei der Beklagten nicht entstanden.
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Der Kläger hat ferner die Auffassung vertreten, dass auch sein Fernbleiben in der
Füllschicht vom 06.02.2005 weder die außerordentliche noch eine ordentliche
Kündigung rechtfertigen könne. Der Kläger habe lediglich die Teilnahme an dieser
Schicht vergessen. In diesem Zusammenhang verweist der Kläger darauf, dass nach
seiner Einschätzung die Schicht vom 06.02.2005 gleichwohl ausreichend besetzt
gewesen sei. Auch in der Vergangenheit seien vier bis sechs Mitarbeiter pro Schicht
ausreichend gewesen, ohne dass es zu
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Produktionseinschränkungen gekommen wäre. Sein Verhalten vom 06.02.2005 habe
mit einer Arbeitsverweigerung nichts zu tun. Es sei der Beklagten ohne Weiteres
möglich gewesen, den Kläger auch telefonisch zu erreichen; er wäre dann sicherlich
umgehend zur Arbeit erschienen.
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Der Kläger hat ferner die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats zu den
ausgesprochenen Kündigungen bestritten. Insbesondere sei seine Gegendarstellung zu
der Abmahnung vom 19.02.2002 dem Betriebsrat nicht vorgelegt worden.
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Neben dem geltend gemachten Weiterbeschäftigungsanspruch stehe ihm auch ein
Entschädigungsanspruch nach § 61 Abs. 2 ArbGG zu. Insoweit hat der Kläger den Wert
des Annahmeverzuges für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses durch zwei
Instanzen in Ansatz gebracht und den durch eine zwölfwöchige Sperrfrist entstandenen
Schaden hinzugerechnet.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die
schriftliche Kündigung der Beklagten vom 11.02.2005, zugegangen am
11.02.2005, zum 11.02.2005 nicht aufgelöst worden ist, sondern über den
11.02.2005 hinaus zu unveränderten Bedingungen weiter fortbesteht,
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2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die Kündigung vom
14.02.2005, dem Kläger zugestellt am 14.02.2005, zum 30.06.2005 aufgelöst
worden ist, sondern über den 30.06.2005 zu unveränderten Bedingungen hinaus
weiter fortbesteht,
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3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere
Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über
den 11.02.2005 und 30.06.2005 hinaus fortbesteht,
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4. die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger mit Schreiben vom 31.01.2005
erteilte Ermahnung zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen,
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5. die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger mit Schreiben vom 31.01.2005
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erteilte Abmahnung zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen,
6. die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger mit Schreiben vom 01.02.2005
erteilte Abmahnung zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen,
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7. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das
sich auf Führung und Leistung erstreckt,
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8. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger für den Fall des Obsiegens mit dem
Feststellungsantrag zu Ziffer 1. und 2. zu den im Arbeitsvertrag vom 13.10.1995
geregelten Arbeitsbedingungen als stellvertretender Schichtleiter und S5xxxxxx
bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu
beschäftigen,
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9. kommt die Beklagte ihrer Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Klägers
nicht innerhalb einer Frist von einer Woche nach Zustellung der Entscheidung
nicht nach, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Entschädigung in
Höhe von 42.000,00 € brutto zu zahlen,
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10. die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger mit Schreiben vom 19.02.2002
erteilte Abmahnung zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat die Auffassung vertreten, die außerordentliche Kündigung vom 11.02.2005 sei
wirksam. Mindestens sei das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom
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14.02.2005 beendet worden. Das mehrfache erhebliche Fehlverhalten des Klägers
innerhalb kurzer Zeit zeige, dass er nicht gewillt sei, sich vertragskonform zu verhalten.
Die dem Kläger erteilten Abmahnungen seien wirksam.
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Der Kläger sei zunächst unter dem 19.02.2002 zu Recht für sein Fehlverhalten am
09.02.2002 abgemahnt worden. Nachdem der Kläger sich unerlaubt von seinem
Arbeitsplatz entfernt habe, sei die Schicht ohne Schichtführung gewesen, in der Schicht
seien lediglich noch vier Mitarbeiter gewesen. Der Kläger vertrete offenbar auch jetzt
noch die Auffassung, kommen und gehen zu können, wie er wolle, ohne sich bei seinem
Vorgesetzten abmelden zu müssen. Die dem Kläger am 19.02.2002 erteilte Abmahnung
habe auch noch nach Ablauf von drei Jahren im vorliegenden
Kündigungsschutzprozess Bedeutung.
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Auch die Ermahnung vom 31.01.2005 sei dem Kläger zu Recht erteilt worden. Eine
Ermahnung könne auch wegen des Verdachts eines vertragswidrigen Verhaltens
erfolgen. Erst recht sei bei Vorliegen eines bloßen Verdachts das mildere Mittel der
Ermahnung denkbar. Aufgrund des Verhaltens des Klägers habe der Verdacht der
Manipulation an den Stundensammelbelegen bestanden. Der Schichtleiter J1xxxxx
habe jedenfalls bei seiner Abzeichnung der Durchschrift des Stundensammelbelegs
keine Uhrzeiten eingetragen.
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Auch die Abmahnung vom 31.01.2005 sei zu Recht erfolgt. Unstreitig sei, dass der
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Kläger den Anfahrschutz der Haspel beschädigt habe. Der dem Kläger gemachte
Vorwurf ziele aber darüber hinaus auch dahin, dass der Kläger nach der Beschädigung
dieselbe nicht gegenüber der Beklagten angezeigt habe. Seine auf den Vorhalt der
Beklagten gemachte Äußerung zeige, dass es dem Kläger offensichtlich völlig egal sei,
welche tatsächlichen Konsequenzen sich aus dem Fehlverhalten hinsichtlich der
Gefährdung der Produktionsfortsetzung bei Beschädigung des Haspels ergeben
konnten. Der Kläger habe offensichtlich kein Interesse an einer ordnungsgemäßen
Arbeit und Pflichterfüllung. Die Instandsetzung des Anfahrschutzes mache einen Betrag
von über 1.000,00 € aus.
Schließlich sei auch die Abmahnung vom 01.02.2005 gegenüber dem Kläger zu Recht
erfolgt. Der Kläger habe gegen die Anweisungen vom 16.11.2004 und 25.01.2005
hinsichtlich der Buchung von Rollen im Relag verstoßen. Nur durch die
ordnungsgemäße Buchung der Rollen zu einem Zeitpunkt, wenn sie tatsächlich aus der
Haspel genommen würden, sei ein Überblick darüber, ob die erforderlichen
Mindestbestände des Lagers an Papierrollen noch gewahrt seien, und damit die
Gewährleistung eines kontinuierlichen Produktionsflusses sichergestellt. Als der Kläger
auf den Vorgang noch während des Laufens der Rolle durch den Schichtleiter
angesprochen worden sei, habe er geantwortet, es sei doch egal, wann er diese Rolle
lösche, da sie doch eh komplett verbraucht werde.
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Schließlich hat die Beklagte die Auffassung vertreten, sie sei im Hinblick auf das
Fehlverhalten des Klägers vom 06.02.2005 schließlich berechtigt gewesen, das
Arbeitsverhältnis - auch fristlos - zu beenden. Der Kläger habe durch sein
unentschuldigtes Fehlen an diesem Tag ein weiteres Mal seine Gleichgültigkeit
hinsichtlich seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen dokumentiert. Der Kläger könne
sich auch nicht darauf berufen, dass die Schichtbesetzung am 06.02.2005 ausreichend
gewesen sei. Seit Jahren seien die Schichten in der Imprägnierung grundsätzlich mit
sieben Personen besetzt, damit in Anbetracht der Unterschiedlichkeit der
Mengengrößen von einzelnen Aufträgen alle Arbeiten einschließlich des Umrüstens der
Maschinen von Mitarbeitern durchgeführt werden könnten. Durch das Fehlen des
Klägers am 06.02.2005 hätten tatsächlich nur fünf Mitarbeiter in der Schicht die Arbeit
aufgenommen und durchgeführt. Gerade auch in Anbetracht der vorangegangenen
Fehlleistungen des Klägers und der ihm erteilten Abmahnungen habe der Kläger dafür
Sorge tragen müssen, dass er seine Arbeitsverpflichtungen auch hinsichtlich des
06.02.2005 ordnungsgemäß erfüllt, ein bloßes "Vergessen" könne ihn nicht
entschuldigen. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, den Kläger etwa
telefonisch an seine Arbeitsverpflichtung für den 06.02.2005 zu erinnern.
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Durch Urteil vom 16.08.2005 hat das Arbeitsgericht der Klage teilweise stattgegeben
und insbesondere die Unwirksamkeit der Kündigungen vom 11. und 14.02.2005
festgestellt und die Beklagte zur Rücknahme der Ermahnung vom 31.01.2005 und der
Abmahnung vom 01.02.2005 verurteilt. Die Klage hat es abgewiesen, soweit der Kläger
die Rücknahme der Abmahnungen vom 19.02.2002 und vom 31.01.2005, seine
Beschäftigung als stellvertretender Schichtleiter sowie einen Entschädigungsanspruch
geltend gemacht hat. Zur Begründung der stattgebenden Entscheidung hat das
Arbeitsgericht ausgeführt, dem Kläger seien zwar Pflichtverletzungen vorzuwerfen,
aufgrund der Interessenabwägung sei das Fehlverhalten des Klägers jedoch nicht so
schwerwiegend, dass eine außerordentliche oder auch nur eine ordentliche Kündigung
gerechtfertigt sei.
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Gegen das der Beklagten am 08.09.2005 zugestellte Urteil, auf dessen
Entscheidungsgründe ergänzend Bezug genommen wird, hat die Beklagte am
28.09.2005 Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese mit dem am
05.10.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
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Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ist die Beklagte
nach wie vor der Auffassung, die dem Kläger erteilte Ermahnung vom 31.01.2005 sowie
die Abmahnung vom 01.02.2005 seien zutreffend und zu Recht erteilt worden. Unter
Berücksichtigung des vorangegangenen Fehlverhaltens des Klägers sei auch die
fristlose Kündigung vom 11.02.2005, mindestens aber die ordentliche Kündigung vom
14.02.2005 sozial gerechtfertigt. Das Arbeitsgericht habe bei seiner Beurteilung offenbar
die Rechtmäßigkeit der außerordentlichen wie der ordentlichen Kündigung den
gleichen Kriterien unterworfen. Der Kläger habe am 06.02.2005 unentschuldigt gefehlt
und sei zuvor einschlägig abgemahnt gewesen. Auch die abschließend
vorzunehmende Interessenabwägung könne nicht zu Gunsten des Klägers ausgehen.
Allein die Länge der Betriebszugehörigkeit spreche nicht für die Unwirksamkeit der
ausgesprochenen Kündigungen. Der Kläger habe eben nicht zehn Jahre lang
beanstandungslos bei der Beklagten gearbeitet, sondern auch nach der ihm erteilten
Abmahnung vom 01.02.2005 mit besonders gleichgültigem Fehlverhalten einen
ausreichenden Grund zur fristlosen, mindestens zur fristgerechten Kündigung gesetzt.
68
Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage insgesamt
abzuweisen.
70
Der Kläger, der den allgemeinen Fortbestandsantrag nicht aufrechterhalten hat,
beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
72
Er verteidigt das angefochtene Urteil. soweit es der Klage stattgegeben hat und ist nach
wie vor der Auffassung, dass die erteilte Ermahnung vom 31.01.2005 zu unbestimmt sei.
Auch die Abmahnung vom 01.02.2005 sei unzutreffend, weil ein konkreter Vorwurf in
der Abmahnung nicht erkennbar sei. Das Fehlverhalten des Klägers vom 06.02.2005 sei
nicht so gravierend gewesen, dass eine außerordentliche oder eine ordentliche
Kündigung gerechtfertigt gewesen sei. Mindestens die erforderliche
Interessenabwägung müsse zu Gunsten des Klägers ausgehen, da
Produktionsprobleme in der Schicht vom 06.02.2005 nicht aufgetreten seien. Die
Beklagte könne dem Kläger auch keine besondere Gleichgültigkeit vorwerfen. Der
Kläger habe schlicht eine außerhalb seiner normalen Schichten laufende Füllschicht
vergessen. Darüber hinaus müsse berücksichtigt werden, dass die Beklagte in den
Monaten Januar und Februar 2005 derartigen Druck auf den Kläger, der sich auch in
einer schwierigen familiären Situation befunden habe, ausgeübt habe, dass in einer
derartigen Situation halt auch einmal Dinge vergessen werden könnten. Die Beklagte
habe es auch nicht für erforderlich gehalten, den Kläger mit Nachdruck an die
Einhaltung seiner Arbeitszeiten noch am selben Tage zu erinnern; die Handynummer
des Klägers sei der Beklagten bekannt gewesen. Offenbar habe die Beklagte alles
darauf angelegt, sich vom Kläger mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu
trennen.
73
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.
74
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
75
Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet.
76
Die zulässige Klage des Klägers war nämlich abzuweisen, soweit der Kläger die
Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 14.02.2005, die Rücknahme der
Ermahnung vom 31.01.2005 sowie der Abmahnung vom 01.02.2005, die Erteilung eines
Zwischenzeugnisses und seine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten verlangt. Soweit
der Kläger hingegen die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom
11.02.2005 geltend gemacht hat, ist die Berufung der Beklagten unbegründet.
77
I.
78
Das Arbeitsgericht hat zu Recht der zulässigen Feststellungsklage des Klägers gegen
die außerordentliche Kündigung vom 11.02.2005 stattgegeben.
79
Die außerordentliche Kündigung vom 11.02.2005 ist unwirksam, da der Beklagten ein
wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für die sofortige Beendigung des
Arbeitsverhältnisses nicht zur Seite stand.
80
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus
wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn
Tatsachen vorliegen,
81
auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung
des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet
werden kann.
82
1. Hiernach ist bei allen Kündigungsgründen eine Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalles und eine Abwägung der jeweiligen Interessen beider Vertragteile
erforderlich. Dieses Erfordernis schließt es aus, bestimmte Tatsachen ohne Rücksicht
auf die Besonderheit des Einzelfalles stets als wichtigen Grund zur außerordentlichen
Kündigung anzuerkennen; es gibt im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB keine absoluten
Kündigungsgründe (BAG, Urteil vom 23.01.1963 - AP GewO § 124 a Nr. 8; BAG, Urteil
vom 30.05.1978 - AP BGB § 626 Nr. 70; BAG, Urteil vom 15.11.1984 - AP BGB § 626
Nr. 87).
83
Bei der Überprüfung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist
zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des
Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Liegt
ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles
und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 17.05.1984 - AP BGB § 626
Versacht strafbarer Handlung Nr. 14; BAG, Urteil vom 13.12.1984 - AP BGB § 626 Nr.
81; BAG, Urteil vom 02.03.1989 - AP BGB § 626 Nr. 101; KR/Fischermaier, 7. Aufl., §
626 BGB Rz. 84 ff.; ErfK/Müller-Glöge, 6. Aufl., § 626 BGB Rz. 34, 62 m.w.N.).
84
2. In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die außerordentliche Kündigung vom
11.02.2005 mangels eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB als
unwirksam.
85
Die Beklagte kann die außerordentliche Kündigung vom 11.02.2005 nicht darauf
stützen, dass der Kläger am 06.02.2005 unentschuldigt nicht zur Arbeit erschienen ist.
86
a) Zwar ist in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte anerkannt, dass grundsätzlich
eine beharrliche Arbeitsverweigerung, eine beharrliche Verletzung der
arbeitsvertraglichen Pflichten geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen
Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. In Fällen einer sogenannten
beharrlichen Arbeitsverweigerung kann in aller Regel auch eine außerordentliche
Kündigung gerechtfertigt sein (BAG, Urteil vom 09.05.1996 - AP BGB § 273 Nr. 5; BAG,
Urteil vom 21.11.1996 - AP BGB § 626 Nr. 130; BAG, Urteil vom 05.04.2001 - AP
BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 32; LAG Hamburg, Urteil vom 03.11.1999 - NZA-RR
2000, 304; KR/Fischermaier, § 626 BGB Rz. 412; Stahl-
87
hacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Aufl.,
Rz. 630 ff., 638; APS/Dörner, 2. Aufl., § 626 BGB Rz. 209 m.j.w.N.). Eine beharrliche
Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag liegt nach der früheren Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts zu § 123 GewO insbesondere dann vor, wenn eine
Pflichtverletzung trotz Abmahnung wiederholt begangen wird und sich daraus der
nachhaltige Wille der vertragswidrig handelnden Partei ergibt, den arbeitsvertraglichen
Verpflichtungen nicht nachkommen zu wollen (BAG, Urteil vom 12.01.1956 - AP GewO
§ 123 Nr. 5; BAG, Urteil vom 17.03.1988 - AP BGB § 626 Nr. 99; BAG, Urteil vom
21.11.1996 - AP BGB § 626 Nr. 130; BAG, Urteil vom 05.04.2001 - AP BetrVG 1972 §
99 Einstellung Nr. 32).
88
Ebenso kann auch unentschuldigtes Fehlen je nach den Umständen des Einzelfalles
eine ordentliche oder gar außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Längeres oder
wiederholtes unentschuldigtes Fehlen eines Arbeitnehmers ist je nach den Umständen
an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung oder eine ordentliche Kündigung zu
rechtfertigen (BAG, Urteil vom 17.01.1991 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte
Kündigung Nr. 25; BAG, Beschluss vom 22.01.1998 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr.
38; LAG Düsseldorf, Urteil vom 27.01.1970 - DB 1970, 595; LAG Düsseldorf, Urteil vom
16.03.1978 - DB 1978, 1698; LAG Hamm, Urteil vom 01.09.1995 - LAGE BGB § 611
Persönlichkeitsrecht Nr. 7; LAG Hamm, Urteil vom 15.01.1999 - NZA 1999, 1221;
KR/Fischermaier, § 626 BGB Rz. 409; Stahlhacke/Preis/Vossen, a.a.O., Rz. 649;
APS/Dörner, § 626 BGB Rz. 197 m.w.N.).
89
b) Zwar ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger am Sonntag, den
06.02.2005 keine Arbeitsleistung erbracht hat, er ist am 06.02.2005 nicht zu der
vereinbarten Schicht erschienen.
90
Die Berufungskammer unterstellt zu Gunsten der Beklagten auch, dass der Kläger zur
Arbeitsleistung am 06.02.2005 verpflichtet gewesen ist. Dies ergibt sich bereits aus den
Bestimmungen der Betriebsvereinbarung vom 17.02.2003. Dort ist nämlich ausdrücklich
geregelt, die Arbeitsleistung in einer Füll- und/oder Vertretungsschicht für Mitarbeiter
verbindlich ist, wenn diese Mitarbeiter nachweislich zur Ableistung von Füll- und/oder
Vertretungsschichten eingetragen sind. Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass der
91
Kläger sich am 03.01.2005 für die Füllschicht vom 06.02.2005 eingetragen hat.
Hiernach war er verbindlich zur Arbeitsleistung am 06.02.2005 verpflichtet. Soweit in der
Betriebsvereinbarung vom 17.02.2005 zusätzlich geregelt ist, dass eine Eintragung für
Füll- und/oder Vertretungsschichten nur über den Vorgesetzten oder dessen
Stellvertreter möglich ist, folgt hieraus nicht, dass die vom Kläger allein vorgenommene
Eintragung in die Schichtvertretung vom 03.01.2005 nicht verbindlich wäre. Die
Gegenzeichnung durch den Vorgesetzten oder dessen Stellvertreter ist nicht
Voraussetzung für die Verbindlichkeit der Eintragung des Mitarbeiters. Auch die bloße
Eintragung eines Mitarbeiters zur Ableistung einer Füll- und/oder Vertretungsschicht
ohne Gegenzeichnung des Vorgesetzten oder dessen Stellvertreter führt zur
verbindlichen Verpflichtung des Mitarbeiters, die eingetragene Schicht auch
abzuleisten.
Der Kläger ist der Schicht vom 06.02.2005 auch rechtswidrig und unentschuldigt
ferngeblieben. Der bloße Umstand, dass der Kläger die Eintragung für die Füllschicht
vom 06.02.2005 vergessen hat, entschuldigt ihn in keiner Weise.
92
Aus dem Umstand, dass der Kläger die Schicht vom 06.02.2005 nicht wahrgenommen
hat, kann jedoch nicht auf eine beharrliche Arbeitsverweigerung geschlossen werden.
Dass der Kläger bewusst und nachhaltig seine Arbeitspflicht am 06.02.2005 verletzen
wollte, ist auch nach dem Vorbringen der Beklagten nicht feststellbar. Der Kläger hat es
lediglich schlicht vergessen, dass er sich bereits am 03.01.2005 für die Füllschicht vom
06.02.2005 eingetragen hatte. Insoweit liegt lediglich eine fahrlässige Pflichtverletzung
vor. Ein einmaliges Fehlverhalten eines Arbeitnehmers rechtfertigt aber regelmäßig
noch keine außerordentliche Kündigung (LAG Düsseldorf, Urteil vom 27.01.1970 - DB
1970, 595; LAG Düsseldorf, Urteil vom 19.10.1989 - LAGE BGB § 626 Nr. 50; LAG
Hamm, Urteil vom 26.11.2004 - NZA-RR 2005, 414; KR/Fischermaier, § 626 BGB Rz.
409).
93
Die Beklagte kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht auf die dem Kläger am
19.02.2002 erteilte Abmahnung berufen. Der Vorfall vom 09.02.2002, der zur
Abmahnung vom 19.02.2002 geführt hat, war anders gelagert, als das Fehlverhalten des
Klägers am 06.02.2005. Während der Kläger am 09.02.2002 seine Arbeitsleistung für
die Beklagte bewusst vorsätzlich eingestellt hat, ohne sich zuvor bei einem
Vorgesetzten abzumelden oder Urlaub zu nehmen, ist er der Arbeit am 06.02.2005
lediglich fahrlässig ferngeblieben. Insoweit ergibt sich, wie auch das Arbeitsgericht
festgestellt hat, dass die außerordentliche Kündigung nicht die zutreffende Reaktion auf
das Fehlverhalten des Klägers vom 06.02.2005 gewesen ist. Bei Verhaltensgründen
wird nämlich die Interessenabwägung wesentlich auch vom Grad des Verschuldens
beeinflusst (BAG, Urteil vom 14.02.1996 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung
Nr. 26; BAG, Urteil vom 21.01.1999 - AP BGB § 626 Nr. 151; ErfK/Müller-Glöge, a.a.O., §
626 BGB Rz. 64). Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung konnten zu Gunsten
der Beklagten auch nicht die Vorfälle berücksichtigt werden, die zu der Ermahnung des
Klägers vom 31.01.2005 und den Abmahnungen vom 31.01.2005 und 01.02.2005
geführt haben. Bei diesen Vorfällen handelt es sich nämlich nicht um gleichartige
Pflichtverletzungen. Pflichtverletzungen sind nur dann gleichartig, wenn sie in einem
inneren Bezug zu der der Kündigung zugrunde liegenden negativen
Zukunftseinschätzung stehen (BAG, Urteil vom 16.09.2004 - AP KSchG 1969 § 1
Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50). Die Ermahnung vom 31.01.2005 sowie die
Abmahnungen vom 31.01.2005 und vom 01.02.2005 betrafen jedoch andere Vorfälle als
unentschuldigtes Fehlen, wie es dem Kläger am 06.02.2005 vorzuwerfen ist. Ob mit
94
einer Wiederholung von unentschuldigtem Fehlen innerhalb der Kündigungsfrist durch
den Kläger zu rechnen gewesen ist, lässt sich aus der Ermahnung vom 31.01.2005 und
den Abmahnungen vom 31.01.2005 und 01.02.2005 nicht entnehmen.
Vertragsverstöße, die zu etwa bereits abgemahnten Pflichtverletzungen in keinem
Zusammenhang stehen, können nichts zu einer Einschätzung der Frage beitragen, ob
mit einer Wiederholung der abgemahnten Pflichtverletzungen zu rechnen ist.
Nach alledem konnte auch die Berufungskammer - ebenso wie bereits das
Arbeitsgericht - auch unter Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit des Klägers von
mehr als 10 Jahren nicht zu dem Ergebnis gelangen, dass in Abwägung der Interessen
beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist für die Beklagte nicht mehr zumutbar gewesen ist.
95
II.
96
Soweit sich der Kläger mit der vorliegenden Klage auch gegen die ordentliche
Kündigung vom 14.02.2005 wendet, hatte die Berufung der Beklagten Erfolg. Die
Kündigungsschutzklage des Klägers ist insoweit unbegründet.
97
Die Unwirksamkeit der Kündigung vom 14.02.2005 ergibt sich nicht aus § 1 Abs. 1
KSchG.
98
Zwar rechtfertigen sowohl die Beschäftigungszeit des Klägers im Betrieb der Beklagten
als auch die Größe des Betriebes der Beklagten die Anwendung des
Kündigungsschutzgesetzes, §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG.
99
Die Kündigungsschutzklage ist auch rechtzeitig erhoben worden, § 4 KSchG.
100
Die Kündigung des Klägers vom 14.02.2005 ist jedoch sozial gerechtfertigt, weil sie
durch Gründe, die im Verhalten des Klägers liegen, bedingt ist, § 1 Abs. 2 Satz 1
KSchG.
101
1. Ein die Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG aus Gründen im Verhalten des
Arbeitnehmers rechtfertigender Grund liegt vor, wenn das dem Arbeitnehmer
vorgeworfene Verhalten eine Vertragspflicht verletzt, das Arbeitsverhältnis dadurch
konkret beeinträchtigt wird, keine zumutbare Möglichkeit anderweitiger Beschäftigung
besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der beiderseitigen
Interessen billigenswert und angemessen erscheint (BAG, Urteil vom 22.07.1982 - AP
KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 5; BAG, Urteil vom 16.09.2004 - AP
KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50). Entscheidend ist, ob das
Fehlverhalten des Arbeitnehmers im Einzelfall geeignet ist, einen ruhig und verständig
urteilenden Arbeitgeber zur Kündigung zu bestimmen (BAG, Urteil vom 13.03.1987 - AP
KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 18; BAG, Urteil vom 21.05.1992 -
AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29; BAG, Urteil vom 16.09.2004
- AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50; KR/Etzel, § 1 KSchG Rz.
398 m.w.N.).
102
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze konnte die Sozialwidrigkeit der
ordentlichen Kündigung vom 14.02.2005 nicht festgestellt werden.
103
a) Bereits oben unter I. ist im Einzelnen ausgeführt worden, dass unentschuldigtes
104
Fehlen eines Arbeitnehmers je nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere
nach Erteilung einer einschlägigen Abmahnung, auch zur sozialen Rechtfertigung einer
ordentlichen Kündigung führen kann. Darauf wird Bezug genommen.
b) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger am 06.02.2005 nicht zu der
Füllschicht erschienen ist. Er hat insoweit unentschuldigt gefehlt. Dass er vergessen hat,
dass er sich bereits am 03.01.2005 zur Ableistung der Füllschicht vom 06.02.2005
eingetragen hatte, entschuldigt den Kläger nicht. Rechtfertigungsgründe für sein
unentschuldigtes Fehlen sind nicht vorhanden. Der Kläger hat damit eine
Pflichtverletzung gegenüber seinem Arbeitgeber begangen.
105
c) Dieser Pflichtverletzung vom 06.02.2005 ist auch eine einschlägige Abmahnung,
nämlich diejenige vom 19.02.2002 vorangegangen. Nach Erteilung der Abmahnung
vom 19.02.2002 hat der Kläger durch sein unentschuldigtes Fehlen am 06.02.2005
erneut eine Pflichtverletzung begangen. Hieraus ergibt sich der nachhaltige Wille des
Klägers, seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht oder nicht ordnungsgemäß
nachkommen zu wollen oder zu können (BAG, Urteil vom 10.11.1988 - AP KSchG 1969
§ 1 Abmahnung Nr. 3).
106
Bei der Abmahnung vom 19.02.2002, mit der gerügt worden ist, dass der Kläger am
09.02.2002 um 9.30 Uhr ohne Abmeldung seinen Arbeitsplatz verlassen hat, handelt es
sich um eine einschlägige Abmahnung. Um nach Erteilung einer Abmahnung eine
erneute
107
Pflichtwidrigkeit annehmen zu können, die eine Kündigung rechtfertigen kann, müssen
die gerügten Pflichtverletzungen vergleichbar sein (BAG, Urteil vom 10.11.1988 - AP
KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 3, BAG, Urteil vom 16.01.1992 - NZA 1992, 1023;
BAG, urteil vom 16.09.2004 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr.
50; ErfK/Müller-Glöge, a.a.O., § 626 BGB Rz. 45). Eine Vergleichbarkeit der gerügten
Pflichtverletzungen in der Abmahnung vom 19.02.2002 mit dem unentschuldigten
Fehlen in der Schicht vom 06.02.2005 ist gegeben. Erforderlich ist insoweit keine
Identität, sondern lediglich eine materielle Vergleichbarkeit, wie sie beispielsweise bei
den unterschiedlichsten Formen unentschuldigten Fehlens anzunehmen ist. So besteht
zwischen Verspätung und vorzeitigem Verlassen der Arbeitsstätte einerseits sowie
unentschuldigtem Fehlen andererseits ein solcher Zusammenhang, dass die
Abmahnung wegen einer dieser Pflichtverletzungen Bedeutung für beide Bereiche
behält (BAG, Urteil vom 10.12.1992 - AP ArbGG 1979 § 87 Nr. 4; ErfK/Müller-Glöge,
a.a.O., § 626 BGB Rz. 45). So liegt der vorliegende Fall. Die Abmahnung vom
19.02.2002 betraf einen Fall von vorzeitigen Verlassens der Arbeitsstätte. Der Vorfall,
der zur ordentlichen Kündigung vom 14.02.2005 geführt hat, betraf unentschuldigtes
Fehlen.
108
Die Abmahnung vom 19.02.2002 ist auch der Sache nach gerechtfertigt gewesen. Die
Beklagte hat dem Kläger in der Abmahnung vom 19.02.2002 zu Recht vorgeworfen, am
09.02.2002 seinen Arbeitsplatz ohne vorangegangene Abmeldung bei seinem
Vorgesetzten bereits um 9.30 Uhr verlassen zu haben, obgleich der Kläger für die
Frühschicht bis um 14.00 Uhr eingeteilt gewesen ist. Die Abmahnung vom 19.02.2002
hat auch das Arbeitsgericht in der Sache für gerechtfertigt gehalten und die auf
Rücknahme der Abmahnung vom 19.02.2002 gerichtete Klage des Klägers
abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger keine Berufung eingelegt.
109
Die Abmahnung vom 19.02.2002 hat auch nicht allein wegen Zeitablaufs ihre Wirkung
verloren (BAG, Urteil vom 21.05.1992 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte
Kündigung Nr. 28; BAG, Urteil vom 10.10.2002 - NZA 2003, 1295 = DB 2003, 1797;
ErfK/Müller-Glöge, a.a.O., § 626 BGB Rz. 45). Die in der Abmahnung vom 19.02.2002
enthaltene Warnfunktion ist aufrecht erhalten geblieben.
110
Der Kläger war danach in ausreichender Weise gewarnt, sich nicht wieder eines
einschlägigen Verstoßes gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen schuldig zu
machen.
111
Aufgrund der erneuten schuldhaften Vertragspflichtverletzung vom 06.02.2005 konnte
die Beklagte nicht davon ausgehen, dass der Kläger sich in der Zukunft keines
ähnlichen Pflichtenverstoßes schuldig machen, sondern vertragstreu verhalten würde.
112
d) Auch die abschließende Interessenabwägung führt nicht zu dem Ergebnis, dass das
Bestandsinteresse des Klägers das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt.
113
Zu Gunsten des Klägers war zwar, wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt
hat, die lange Betriebszugehörigkeit des Klägers zum Betrieb der Beklagten zu
berücksichtigen. Der Kläger war immerhin bei Ausspruch der Kündigung am 14.02.2005
mehr als zehn Jahre bei der Beklagten beschäftigt, wobei davon ausgegangen werden
kann, dass der Kläger sich in der früheren Zeit - mit Ausnahme des Vorfalles vom
09.02.2002, der zu der
114
Abmahnung vom 19.02.2002 geführt hat - vertragstreu verhalten hat. Dennoch war der
Kläger durch die Erteilung der Abmahnung vom 19.02.2002 gewarnt. Er durfte sich
keiner weiteren Pflichtverletzung, sei es durch vorzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes,
sei es durch un-entschuldigtes Fehlen, schuldig machen, ohne sein Arbeitsverhältnis
aufs Spiel zu setzen.
115
Hinzu kommt, dass der Kläger im Januar und Februar 2005 eine weitere Ermahnung
sowie weitere Abmahnungen erhalten hat, die, auch wenn sie im Hinblick auf den zur
Kündigung führenden Vorwurf unentschuldigten Fehlens am 06.02.2005 nicht
einschlägig gewesen sind, dennoch zeigen, dass der Kläger es mit der Erfüllung seiner
gegenüber der Beklagten obliegenden vertraglichen Verpflichtungen nicht so genau
nimmt. Dies ergibt sich
116
insbesondere aus den Vorfällen vom 24./25.01.2005 und vom 29.01.2005, die die
Beklagte mit den Abmahnungen vom 31.01.2005 und 01.02.2005 gerügt hat. Die vom
Kläger auf die ent-sprechenden mündlichen Vorhalte der Vertreter der Beklagten
getätigten Äußerungen zeigen insgesamt eine Interessenlosigkeit und Gleichgültigkeit
des Klägers gegenüber seinen vertraglichen Arbeitspflichten, die die Beklagte nicht
länger hinzunehmen brauchte. Zu Recht schloss die Beklagte aus der Erklärung des
Klägers, "dass das jedem passieren" könne, dass der Kläger den gerügten Vorfall, der
Beschädigung des Anfahrschutzes der Haspel, keinerlei Gewicht beigelegt hat. Insoweit
mahnte die Beklagte auch zu Recht die grundsätzliche Einstellung des Klägers zu
diesem Vorfall ab, wie sie im Abmahnungsschreiben vom 31.01.2005 ausgeführt hat.
Auch nach dem Vorfall vom 29.01.2005 hat die Beklagte den Kläger auf dessen
Äußerung, "es ist doch egal, wann ich sie lösche, da sie eh komplett verbraucht wird",
darauf hingewiesen, dass man seine Arbeitsauffassung nicht dulde und dies mit der
Abmahnung vom 01.02.2005 auch ausdrücklich zum Ausdruck gebracht. Auch die
117
Äußerung des Klägers auf die Ankündigung einer weiteren Abmahnung spricht für sich.
Die insgesamt gerügte Gleichgültigkeit des Klägers gegenüber seinen
arbeitsvertraglichen Pflichten gipfelte anschließend darin, dass er die Schicht vom
06.02.2005
versäumte und auf Vorhalt zur Begründung lediglich angegeben habe, er habe es
vergessen, dass er sich für die Zusatzschicht eingetragen habe. Diese Gleichgültigkeit
gegenüber seinen arbeitsvertraglichen Pflichten, die auch in den - im Übrigen nicht
einschlägigen - Abmahnungen vom 31.01.2005 und 01.02.2005 gerügt worden ist, war
für die Beklagte nach dem neuerlichen Vorfall vom 06.02.2005 nicht mehr hinnehmbar.
118
Demgegenüber kam dem Umstand, dass das unentschuldigte Fehlen des Klägers vom
06.02.2005 zu keinen Produktionseinschränkungen geführt hat, sowie dem Alter des
Klägers und seinen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner Ehefrau und zwei
Kindern kein entscheidendes Gewicht zu. Das Alter eines Arbeitnehmers ist bei einer
verhaltensbedingten Kündigung zwar berücksichtigungsfähig (BAG, Urteil vom
15.11.1995 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73). Der Kläger war bei Ausspruch der
Kündigung vom 14.02.2005 jedoch noch nicht in einem Alter, in dem ausgeschlossen
ist, dass er keine neue Tätigkeit mehr findet. Angesichts der dem Kläger
vorzuwerfenden Pflichtverletzungen kommt dem Alter des Klägers und seinen
Unterhaltsverpflichtungen jedenfalls kein derart entscheidendes Gewicht zu, dass das
Bestandsschutzinteresse des Klägers das Interesse der Beklagten an der Beendigung
des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Kündigungsfrist überwiegt.
119
Nach alledem erweist sich die ordentliche Kündigung vom 14.02.2005 als sozial
gerechtfertigt.
120
3. Die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 14.12.2005 zum 30.06.2005
ergibt sich auch nicht aus § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG. Der Betriebsrat ist zur
ordentlichen Kündigung vom 14.02.2005 ordnungsgemäß angehört worden.
121
a) Die Beklagte hat das Anhörungsverfahren ordnungsgemäß nach § 102 Abs. 1 Satz 1
BetrVG durch Schreiben an den Betriebsrat vom 09.02.2005 eingeleitet. Im
Anhörungsschreiben vom 09.02.2005 hat die Beklagte die Personalien des Klägers,
sein Geburtsdatum und seinen Familienstand wie die Dauer seiner
Betriebszugehörigkeit angegeben.
122
b) Auch im Hinblick auf die Kündigungsgründe ist der Betriebsrat durch die Anlage zum
Anhörungsschreiben vom 08.02.2005 zutreffend und in ausreichender Weise
unterrichtet worden.
123
Das Anhörungsverfahren hat den Sinn, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, seine
Überlegungen zur Kündigungsabsicht dem Arbeitgeber zur Kenntnis zu bringen. Die
Anhörung soll in geeigneten Fällen dazu beitragen, dass es gar nicht zum Ausspruch
einer Kündigung kommt. Aus diesem Sinn und Zweck der Anhörung folgt für den
Arbeitgeber die Verpflichtung, die Gründe für seine Kündigungsabsicht derart
mitzuteilen, dass er dem Betriebsrat die nähere Umschreibung des für die Kündigung
maßgebenden Sachverhalts gibt. Die Kennzeichnung des Sachverhalts muss so
umfassend sein, dass der Betriebsrat ohne eigene Nachforschungen in der Lage ist,
selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich ein Bild zu machen.
Der Arbeitgeber genügt daher der ihm obliegenden Mitteilungspflicht nicht, wenn er den
124
Kündigungssachverhalt nur pauschal, schlagwort- oder stichwortartig umschreibt oder
lediglich ein Werturteil abgibt, ohne die für seine Bewertung maßgebenden Tatsachen
mitzuteilen (BAG, Urteil vom 02.11.1983 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 29; zuletzt: BAG,
Urteil vom 05.12.2002 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 60 m.w.N.). Allerdings
sind an die Mitteilungspflichten des Arbeitgebers im Anhörungsverfahren nicht
dieselben Anforderungen zu stellen, wie an die Darlegungslast im
Kündigungsschutzprozess. Zudem gilt der Grundsatz der subjektiven Determinierung,
demzufolge der Betriebsrat immer schon dann ordnungsgemäß angehört worden ist,
wenn der Arbeitgeber ihm die aus seiner Sicht tragenden Gründe mitgeteilt hat (BAG,
Urteil vom 17.02.2000 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 113; BAG, Urteil vom 05.12.2002 -
AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 60 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist ein Fehler bei der Betriebsratsanhörung
auch im Hinblick auf die Mitteilung der Kündigungsgründe nicht erkennbar. Im
Anhörungsschreiben vom 08.02.2005 hat die Beklagte unter Bezugnahme auf die dem
Kläger erteilte Ermahnung und die ihm erteilten Abmahnungen die sämtlich in Kopie
beigefügt waren, alle für sie maßgebenden Tatsachen, die zu der beabsichtigten
außerordentlichen bzw. ordentlichen Kündigung führen sollten, im Einzelnen
geschildert. Das Anhörungsschreiben vom 08.02.2005 enthält keine unzureichenden,
unrichtigen oder gar falsche Sachverhaltsdarstellungen gegenüber dem Betriebsrat.
125
Soweit der Kläger darauf hinweist, dass der Betriebsrat über die Gegendarstellung des
Klägers vom 03.04.2002 zur Abmahnung vom 19.02.2002 nicht unterrichtet worden ist,
führt auch dieser Umstand nicht dazu, dass die Anhörung fehlerhaft gewesen ist.
126
Zwar gehört zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Information des
Betriebsrates auch die Unterrichtung über dem Arbeitgeber bekannte und von ihm als
für eine Stellungnahme des Betriebsrats möglicherweise bedeutsam bekannte
Tatsachen, die den Arbeitnehmer entlasten und gegen den Ausspruch einer Kündigung
sprechen (BAG, Urteil vom 22.09.1994 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 68; BAG, Urteil vom
06.02.1997 - AP BetrVG 1972 §
127
102 Nr. 85). In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist auch anerkannt, dass zur
ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats bei einer Kündigungsmaßnahme in der
Regel nicht nur die Information über eine erteilte Abmahnung gehört, sondern auch über
eine bereits vorliegende Gegendarstellung des Arbeitnehmers. Der Grundsatz der
vertrauensvollen Zusammenarbeit gebietet es, dem Betriebsrat mit einer solchen
Gegendarstellung auch Umstände mitzuteilen, die gegen den Ausspruch einer
Kündigung sprechen. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass der
Betriebrat bei vollständiger Kenntnis der Umstände, die die Kündigung begründen
sollen, möglicherweise zu einer anderen Beschlussfassung gekommen wäre (BAG,
Urteil vom 31.08.1989 - AP LPVG Schleswig-Holstein § 77 Nr. 1; BAG, urteil vom
17.02.1994 - RzK II 2 Nr. 7; BAG, Urteil vom 06.02.1997 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 85;
KR/Etzel, § 102 BetrVG Rz. 62, 64; ErfK/Kania, a.a.O., § 102 BetrVG Rz. 9; APS/Koch,
a.a.O., § 102 BetrVG Rz. 89, Rincke, NZA 1998, 77, 83 m.w.N.).
128
Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann nicht angenommen werden, das
die Anhörung des Betriebsrats durch die Beklagte fehlerhaft gewesen ist. Zwar hat die
Beklagte die Gegendarstellung des Klägers vom 03.04.2002 dem Anhörungsschreiben
vom 08.02.2005 nicht beigefügt. Die Stellungnahme des Klägers vom 03.04.2002
enthält jedoch keine Einwendungen über feststehende Tatsachen, sondern lediglich
129
Behauptungen und Meinungen des Klägers, die von der Beklagten nicht geteilt werden.
Dies ergibt sich bereits aus dem Abmahnungsschreiben vom 19.02.2002. Dass der
Kläger am 09.02.2002 während der Frühschicht um 9.30 Uhr seinen Arbeitsplatz
verlassen hat, ohne sich bei einem Vorgesetzten abzumelden, hat der Kläger weder in
seiner Stellungnahme vom 03.04.2002 noch im weiteren Verlauf des vorliegenden
Kündigungsschutzverfahrens bestritten. Bereits insoweit war die Beklagte nicht
verpflichtet, den Betriebsrat über die Einwendungen des Klägers gegen die Abmahnung
vom 19.02.2002 im Einzelnen zu unterrichten, weil sie diese Einwendungen als
unzutreffend angesehen hat und hierauf die Kündigung nicht stützen wollte. Eine
bewusste und gewollte Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Unterrichtung des
Betriebsrats liegt insoweit nicht vor.
4. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien endet danach nach Einhaltung der für
den Kläger zutreffenden Kündigungsfrist von vier Monaten zum Ende eines
Kalendermonats (§ 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BGB) mit Ablauf des 30.06.2005.
130
III.
131
Die Berufung der Beklagten erweist sich auch als begründet, soweit der Kläger die
Verurteilung der Beklagten zur Rücknahme der Ermahnung vom 31.01.2005 und der
Abmahnung vom 01.02.2005 und deren Entfernung aus der Personalakte verlangt. Auch
insoweit war die Klage abzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme
der Ermahnung vom 31.01.2005 und der Abmahnung vom 01.02.2005, nachdem das
Arbeitsverhältnis zum 30.06.2005 beendet worden ist. Nach Beendigung eines
Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer nämlich regelmäßig keinen Anspruch mehr
auf Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte (BAG, Urteil
vom 14.09.1994 - AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 13; LAG Köln, Urteil vom 29.06.2001 -
NZA-RR 2002, 356). Objektive Anhaltspunkte dafür, dass die Abmahnung dem Kläger
auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden könnte, hat der Kläger
nicht vorgetragen.
132
IV.
133
Aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2005 erweisen sich auch
der geltend gemachte Weiterbeschäftigungsanspruch sowie der Anspruch auf Erteilung
eines Zwischenzeugnisses als unbegründet.
134
Die Beklagte ist nach dem 30.06.2005 nicht mehr verpflichtet, dem Kläger in seiner
bisherigen Position weiterzubeschäftigen, da zum 30.06.2005 das Arbeitsverhältnis
geendet hat.
135
Aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2005 hat der Kläger auch
keinen Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Ein Zwischenzeugnis kann
lediglich während des bestehenden Arbeitsverhältnisses erteilt werden, nicht nach
seiner Beendigung.
136
V.
137
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 2 ZPO. Die Berufungskammer hat die
Kosten des Rechtsstreits erster Instanz sowie zweiter Instanz im Verhältnis des
jeweiligen Unterliegens bzw. Obsiegens gequotelt.
138
jeweiligen Unterliegens bzw. Obsiegens gequotelt.
Der Streitwert hat sich in der Berufungsinstanz geändert. Er beträgt für das
Berufungsverfahren 34.200,00 €. Dabei sind für die Feststellungsanträge, mit denen die
Unwirksamkeit der Kündigungen vom 11.02.2005 und 14.02.2005 geltend gemacht
worden sind, mit insgesamt vier Bruttomonatsverdiensten à 3.800,00 € bewertet worden.
Der Weiterbeschäftigungsantrag ist mit zwei Bruttomonatsentgelten bewertet worden.
Für die Anträge auf Rücknahme der Ermahnung vom 31.01.2005, der Abmahnung vom
01.02.2005 sowie auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses sind jeweils ein
Bruttomonatsentgelt in Ansatz gebracht worden. Dies macht einen Streitwert für das
Berufungsverfahren von 34.200,00 € aus.
139
Für die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht bestand nach § 72 Abs. 2
ArbGG keine Veranlassung.
140
Schierbaum
Grommes
Bögershausen
141
/N.
142
Beschluss
143
wird der Tatbestand des am 17.02.2006 verkündeten Urteils gemäß § 319 ZPO
wie folgt berichtigt:
144
1. In Absatz 2 des Tatbestandes wird Satz 2:
145
"Er ist türkischer Staatsangehöriger."
146
ersatzlos gestrichen.
147
2. Der Tatbestand auf Seite 11, Absatz 3 Satz 2 wird wie folgt berichtigt:
148
"Es hat die Klage insoweit abgewiesen, als der Kläger die Rücknahme
der Abmahnungen vom 19.02.2002 und vom 31.01.2005 sowie einen
Entschädigungsanspruch geltend gemacht hat. Dem Antrag auf
Weiterbeschäftigung zu den im Arbeitsvertrag vom 13.10.1995 geregelten
Arbeitsbedingungen als stellvertretender Schichtleiter und Springer bis
zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag hat
es insoweit stattgegeben, als die Beklagte verurteilt wurde, den Kläger zu
den im Arbeitsvertrag vom 13.10.1995 geregelten Arbeitsbedingungen
weiterzubeschäftigen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen."
149
Gründe :
150
Der Tatbestand des am 17.02.2006 verkündeten Urteils war wegen offenbarer
Unrichtigkeit zu berichtigen. Dass der Kläger türkischer Staatsangehöriger ist, ist vom
Kläger im Laufe des Rechtsstreits nicht vorgetragen worden. Der Kläger hat aber
während des laufenden Rechtsstreits auch nicht vorgetragen, dass er deutscher
Staatsangehöriger mit türkischer Abstammung ist. Insoweit besteht kein Anspruch auf
151
Berichtigung.
Satz 2 des Absatzes 3 auf Seite 11 des Tatbestandes ist im Interesse einer Klarstellung
berichtigt worden.
152
Gegen diese Entscheidung findet kein Rechtsmittel statt.
153
Schierbaum
154
Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht
155