Urteil des LAG Hamm vom 27.01.2006

LArbG Hamm: arbeitsgericht, gewerkschaft, rechtsschutzversicherung, arbeitszeugnis, nachlässigkeit, gleichstellung, mandat, wahrheitspflicht, form, rechtskraft

Landesarbeitsgericht Hamm, 4 Ta 745/05
Datum:
27.01.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ta 745/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Münster, 3 Ca 1594/03
Schlagworte:
Aufhebung der PKH-Bewilligung wegen Nichtvorliegens der
Bewilligungsvoraussetzungen
Normen:
§ 115 Abs. 2, 124 Nr. 3 ZPO
Leitsätze:
1. Das Gericht kann die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 124
Nr. 3 Hs. 1 ZPO aufheben, wenn die persönlichen oder wirtschaftlichen
Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe nicht vorgelegen haben.
Dazu gehören bspw. das Verschweigen einer bestehenden
Rechtsschutzversicherung und/oder die Nichtbeibringung eines
Negativattests der Versicherung. Gleiches muss im arbeitsgerichtlichen
Verfahren gelten, wenn eine Partei einen bestehenden
gewerkschaftlichen Rechtsschutz verschweigt oder auch hier den
abschlägigen Bescheid nicht vorlegt.
2. Eine Partei ist nicht bedürftig im Sinne des Gesetzes, wenn sie als
Gewerkschaftsmitglied kostenlosen Rechtsschutz hätte in Anspruch
nehmen. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf gewerkschaftlichen
Rechtsschutz für ein arbeitsgerichtliches Verfahren ist ein
vermögenswertes Recht im Sinne des § 115 Abs. 2 ZPO.
Rechtskraft:
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen
Tenor:
Die als sofortige auszudeutende Beschwerde der Klägerin gegen den
PKH-Aufhebungsbeschluss des Arbeitsgerichts Münster vom
21.09.2005 - 3 Ca 1594/03 - wird zurückgewiesen
G r ü n d e
1
I. Die Klägerin hat sich mit einer über die D3x R2xxxxxxxxxx GmbH, Büro M2xxxxx, am
04.06.2003 eine Kündigungsschutz- und Weiterbeschäftigungsklage erhoben. Die D3x
R2xxxxxxxxxx GmbH hat am 25.08.2003 ohne Angabe von Gründen das Mandat
niedergelegt. Zuvor, nämlich am 22.08.2003, hatten sich die Rechtsanwälte
E1xxxxxxxxx & Partner GbR für die Klägerin gemeldet und mitgeteilt, dass die Klägerin
nunmehr durch sie anwaltlich vertreten werde. Es heißt in dem Telefax weiter:
2
"
Beiordnung des Unterzeichners [= Rechtsanwalt M4xxxxx E1xxxxxxxxx].
Ausweislich der beigefügten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse ist die Klägerin nicht in der Lage, die Kosten des Rechtsstreits aus
eigenen Mitteln zu tragen.
3
Mit dem Originalschriftsatz vom 22.08.2003 hat die Klägerin eine Erklärung über die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom gleichen Tage einreichen lassen, in
welcher sie in Rubrik B angegeben, dass sie keine Rechtsschutzversicherung habe und
auch kein Gewerkschaftsmitglied sei. Sodann hat das Arbeitsgericht durch Beschluss
vom 17.09.2003 – 3 Ca 3146/03 – der geschiedenen Klägerin, die einem am 26.01.1983
geborenen Kind gegenüber unterverpflichtet sein soll, für den 1. Rechtszug im vollen
Umfang Prozesskostenhilfe bewilligt und ihr Rechtsanwalt E1xxxxxxxxx aus S2xxxxxxx
zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts mit Wirkung vom 26.08.2003
beigeordnet. Ohne zu prüfen, warum die über 20 Jahre alte Tochter weder
Unterhaltszahlungen von ihrem leiblichen Vater erhält noch eigenes Einkommen hat,
und ohne mit einem einzigen Wort zu erwähnen, warum die Anordnung einer
Einmalzahlung in Höhe von 400,00 € (= 10% der im Gütetermin vom 28.08.2003
zwischen den Parteien ausgehandelten Abfindung) unterblieben ist, erfolgte die PKH-
Bewilligung mit der Maßgabe, dass die Klägerin keinen eigenen Beitrag zu den Kosten
der Prozessführung zu leisten braucht.
4
Im sog. PKH-Nachprüfungsverfahren hat die zwischenzeitlich von L1xx (O2xxxxxxxxxx)
nach G2xxxxxx (L2xxxxxxxx) umgezogene Klägerin trotz Mahnung und Androhung der
Aufhebung der PKH-Bewilligung keine Erklärung über die persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt, sondern mit Schreiben vom 16.09.2005, bei dem
Arbeitsgericht am 21.09.2005 eingegangen, eine Rechtsschutzzusage der
Gewerkschaft G4x vom 20.11.2003 "wegen Kündigung, Gleichstellung, Arbeitszeugnis"
zu den Akten gereicht.
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Daraufhin hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 21.09.2005 – 3 Ca 1594/03 – die
PKH-Bewilligung vom 17.09.2003 unter Berufung auf § 124 Nr. 2 ZPO aufgehoben.
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Gegen den ihr am 26.09.2005 per Einschreiben mit Rückschein zugestellten Beschluss
hat die Kläger mit Schreiben vom 05.10.2005, bei dem Arbeitsgericht am 17.10.2005
eingegangen, Beschwerde mit dem Bemerken eingelegt, sie könne sich "überhaupt
nicht daran erinnern, dass [sie] eine Erklärung unterschrieben habe mit dem Vermerk
über eine Mitgliedschaft bei der Gewerkschaft".
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Das Arbeitsgericht hat der [sofortigen] Beschwerde durch Verfügung vom 17.10.2005
nicht abgeholfen, sondern dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
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Mit Schriftsatz vom 19.10.2005, bei dem Arbeitsgericht am 24.10.2005 und bei dem
Landesarbeitsgericht am 25.10.2005 eingegangen, hat der beigeordnete
Prozessbevollmächtigte sich für die Klägerin gemeldet und erklärt, die "Angaben,
welche mit der Erklärung vom 22.08.2003 getätigt wurden, waren seinerzeit zutreffend,
da weder eine Rechtsschutzversicherung noch die Gewerkschaft eine Kostenzusage
erteilt hatte".
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Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist antragsgemäß in Kopie die
Rechtsschutzzusage der Gewerkschaft G4x vom 20.11.2003 zugeleitet worden, und
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zwar mit der Bitte um Stellungnahme binnen Monatsfrist. Diese Frist ist unter dem
07.12.2005 antragsgemäß um einen Monat verlängert worden. Eine Stellungnahme
seitens der Klägerin erfolgte nicht.
II.
fristgerecht eingelegte und als sofortige auszudeutende Beschwerde ist unbegründet.
Zwar liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung der
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PKH-Bewilligung wegen absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit gemachter
unrichtiger Angaben der Klägerin über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse (§ 124 Nr. 2 ZPO) nicht vor, die Aufhebung ist jedoch gemäß § 124 Nr. 3
Hs. 1 ZPO gerechtfertigt, weil die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse "von
vornherein" nicht vorgelegen haben.
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1. Gemäß § 124 Nr.2 ZPO kann das Arbeitsgericht die Bewilligung der
Prozesskostenhilfe nicht nur dann aufheben, wenn die Partei im sog.
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PKH-Nachprüfungsverfahren überhaupt keine Erklärung nach § 120 Abs.4 Satz2 ZPO
abgegeben hat, sondern auch dann, wenn die Partei "absichtlich oder aus grober
Nachlässigkeit" unrichtige An- gaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen
Verhältnisse macht, denn auch im PKH-Verfahren unterliegt die Partei der prozessualen
Wahrheitspflicht gemäß § 138 Abs.1 ZPO. Die Vorschrift des §124 Nr.2 ZPO hat
Sanktionscharakter (OLG Brandenburg v. 03.03.2004 – 9 WF 49/04, FamRZ 2005, 47).
Ob die Voraussetzungen im subjektiven Bereich hier gegeben sind, kann nach der
bisherigen Einlassung der Klägerin nicht beurteilt werden. Letztlich kann dies aber auch
dahingestellt bleiben, denn vorliegend eröffnet § 124 Nr. 3 Hs. 1 ZPO dem Gericht die
Möglichkeit, die PKH-Bewilligung aufzuheben, weil die persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse "von vornherein" nicht vorgelegen haben.
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1.1. Hat die Partei richtige und vollständige Angaben zu ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht und hat das Prozessgericht uneingeschränkt
Prozesskostenhilfe bewilligt, ist eine Abänderung oder Aufhebung von Amts wegen
aufgrund einer geänderten Beurteilung der Sach- und Rechtslage (OLG Stuttgart v.
05.04.1984 – 15 WF 140/84, FamRZ 1984, 722 = Justiz 1984, 397; OLG Hamburg v.
15.11.1995 – 12 WF 146/95, FamRZ 1996, 874 = Rpfleger 1996, 163; OLG Karlsruhe v.
31.05.2000 – 2 WF 40/00 + 2 WF 41/00, juris Dok-Nr. KORE401822001; a.A. OLG Köln
v. 08.06.1982 – 21 WF 78/82, FamRZ 1982, 1226; OLG Zweibrücken v. 26.09.1984 – 2
WF 172/83, Rpfleger 1985, 165) oder einer rechtsirrig erfolgten Bewilligung nicht
zulässig (OLG Hamm v. 28.05.1984 – 3 WF 125/84, JurBüro 1985, 1266 = NJW 1984,
2837 = Rpfleger 1984, 432; OLG Brandenburg v. 01.07.1999 – 9 WF 94/99, FamRZ
2000, 1229 = MDR 2000, 174 = OLGR Brandenburg 2000, 61; a.A. OLG Bremen v.
05.03.1985 – 5 WF 237/84 [b], FamRZ 1985, 728; OLG Zweibrücken v. 07.03.1988 – 2
WF 12/88, JurBüro 1988, 1062 [Mümmler]). Dabei macht es keinen Unterschied, dass
nachträglich nicht der Richter nach §§ 119, 114 ZPO, sondern aufgrund der
Zuständigkeitsregelung in § 20 Nr. 4 Buchst. c RPflG an seiner Stelle der Rechtspfleger
entscheidet (OLG Düsseldorf v. 13.08.1984 – 5 WF 180/84, JurBüro 1986, 122; OLG
Zweibrücken v. 25.08.1986 – 2 WF 38/86, JurBüro 1987, 140 = Rpfleger 1987, 36). Aus
Gründen des Vertrauensschutzes darf das Gericht die ihm bekannten und für seine
Entscheidung maßgebenden Angaben der Partei zu ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen nicht nachträglich abweichend bewerten (OLG Bamberg
v. 30.05.1984 – 2 WF 108/84, FamRZ 1984, 1244 = JurBüro 1985, 463; OLG Köln v.
15
08.01.2001 – 27 WF 216/00, FamRZ 2001, 1534 = OLGR Köln 2002, 133; a.A. OLG
Schleswig v. 11.01.1983 – 8 WF 210/82, SchlHA 1983, 60); eine freie Abänderbarkeit
besteht nicht (OLG Hamm v. 12.03.1986 – 1 WF 75/86, FamRZ 1986, 583; a.A. OLG
Hamburg v. 05.11.1985 – 5 W 69/85, MDR 1986, 243).
2. Sofern seit der rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Beendigungen des
Verfahrens noch keine vier Jahre vergangen sind (§ 124 Nr. 3 Hs. 2 ZPO), kann das
Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 124 Nr. 3 Hs. 1 ZPO aufheben,
wenn die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die
Prozesskostenhilfe nicht vorgelegen haben. Hierdurch sollen Fehler bei der
Bewilligungsentscheidung behoben werden, die auf falscher Berechnung oder objektiv
fehlerhaften Unterlagen beruhte. Auf ein Verschulden der bedürftigen Partei kommt es
dafür nicht an; es reicht aus, wenn sie wesentliche Umstände, die für die Bewilligung
von Bedeutung sind, nicht mitgeteilt hat (OLG Brandenburg v. 20.08.2001 – 9 WF
136/01, FamRZ 2002, 762). Dazu gehören bspw. auch das Verschweigen einer
bestehenden Rechtsschutzversicherung und/oder die Nichtbeibringung eines
Negativattests der Versicherung (OLG Düsseldorf v. 13.01.1993 – 18 W 62/92, MDR
1993, 583 = Rpfleger 1993, 410). Gleiches muss im arbeitsgerichtlichen Verfahren
gelten, wenn eine Partei einen bestehenden gewerkschaftlichen Rechtsschutz
verschweigt oder auch hier den abschlägigen Bescheid nicht vorlegt. Eine Partei ist
nicht bedürftig im Sinne des Gesetzes, wenn sie als Gewerkschaftsmitglied kostenlosen
Rechtsschutz hätte in Anspruch nehmen. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf
gewerkschaftlichen Rechtsschutz für ein arbeitsgerichtliches Verfahren ist ein
vermögenswertes Recht im Sinne des § 115 Abs.2 ZPO. Etwas anderes gilt nur dann,
wenn im Einzelfall
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– der Klagepartei die Inanspruchnahme gewerkschaftlichen Rechtsschutzes
unzumutbar ist (LAG Köln v. 16.02.1983 – 5 Ta 185/82, EzA § 115 ZPO Nr.7; LAG
Hamm v. 25.02.1987 – 14 Ta 357/86, NJW 1987, 1358) oder
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– ihr Rechtsbegehren im Interessengegensatz zum Anliegen ihrer Gewerkschaft steht
(LAG Düsseldorf v. 02.01.1986 – 7 Ta 424/85, LAGE § 115 ZPO Nr.21; LAG
Frankfurt/Main v. 29.06.1988 – 12 Sa 533/88, juris Dok-Nr. KARE335670437).
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Letzteres ist vorliegend nicht ersichtlich. Ersteres ist gegeben, wenn Gründe vorliegen,
die einen verständigen Dritten veranlassen würden, gewerkschaftlichen Rechtsschutz
abzulehnen (LAG Düsseldorf v. 25.03.1983 – 7 Ta 79/83, EzA § 115 ZPO Nr.8). Der
Arbeitnehmer ist verpflichtet, die Gründe, die für die Unzumutbarkeit sprechen,
substantiiert darzulegen (LAG Bremen v. 08.11. 1994 – 4 Sa 260/94 + 4 Sa 267/94,
LAGE § 115 ZPO Nr.48). Die Gewerkschaft GEW entscheidet als Einzelgewerkschaft
nur über die Frage der Gewährung des Rechtsschutzes, während die Prozessvertretung
von den Rechtsschutzsekretären der D3x R2xxxxxxxxxx GmbH wahrgenommen wird.
Dass der Klägerin eine Rechtsvertretung durch die D3x R2xxxxxxxxxx GmbH
unzumutbar sein soll, erhellt sich nicht aus ihrem bisherigen Vorbringen und ist auch
nicht sonst ersichtlich. Es ist auch nicht Aufgabe des Gerichts, Spekulationen darüber
anzustellen, warum seinerzeit die D3x R2xxxxxxxxxx GmbH nach Klageerhebung
alsbald das Mandat niedergelegt hat und warum die Gewerkschaft GEW ihre
Rechtsschutzzusage "wegen Kündigung, Gleichstellung, Arbeitszeugnis" erst am
20.11.2003 erteilt hat. Dazu hätte die Klägerin ungefragt vortragen müssen, denn die
Darlegung der Bewilligungsvoraussetzungen gehört zu ihren Obliegenheiten. Damit
kann sie auch mit dem (möglichen) Gegenargument, das Arbeitsgericht habe nach der
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Mandatsniederlegung durch die D3x R2xxxxxxxxxx GmbH Anlass zum Nachfragen
gehabt, nicht gehört werden. Da die Klägerin versichert hat, dass die Angaben in ihrer
Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 22.08.2003
"vollständig und wahr sind", hat das Arbeitsgericht von deren Richtigkeit ausgehen
können. Erst nach Vorlage der Rechtsschutzzusage vom 20.11.2003 bestand
Aufklärungsbedarf. Obwohl ihr ausreichend Zeit dafür eingeräumt worden ist, hat sich
die Klägerin auch im Beschwerdeverfahren nicht erklärt und nichts zur Aufklärung
beigetragen.
3.Mithin hat die [sofortige] Beschwerde ohne Erfolg bleiben müssen.
20
Berscheid
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