Urteil des LAG Hamm vom 25.09.2008
LArbG Hamm: kündigung, klagefrist, zustellung, anerkennung, öffentlich, kreis, rechtskraft, form, subsidiarität, behinderung
Landesarbeitsgericht Hamm, 8 Sa 963/08
Datum:
25.09.2008
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 Sa 963/08
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Herne, 3 Ca 394/07
Schlagworte:
Restitutionsklage bei rückwirkender Anerkennung der
Schwerbehinderung / Subsidiarität der Restitutionsklage / Beginn der
Klagefrist
Normen:
ZPO §§ 581, 582, 586; SGB IX § 85
Leitsätze:
1. Der Grundsatz der Subsidiarität der Restitutionsklage (§ 582 ZPO)
und die dort vorausgesetzte Möglichkeit, den Restitutionsgrund durch
Rechtsmittel im früheren Verfahren geltend zu machen, fordert vom
Restitutionskläger nicht die Einlegung einer aussichtslosen
Nichtzulassungsbeschwerde.
2. Der Restitutionsgrund der rückwirkenden Anerkennung der
Schwerbehinderung entsteht - vom Sonderfall des öffentlich-rechtlichen
Vergleichsvertrages abgesehen - erst mit Zustellung des
Anerkennungsbescheides. Die Kenntnis des Restitutionsklägers von der
bevorstehenden Anerkennung aufgrund außergerichtlicher Einigung mit
der Verwaltungsbehörde und die Möglichkeit, auf dieser Grundlage eine
vorläufige Bescheinigung nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zu erlangen,
setzen die Klagefrist des § 586 ZPO noch nicht in Gang.
Tenor:
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 21.02.2008 - 8 Sa 1061/07 -
wird aufgehoben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herne
vom 15.05.2007 - 3 Ca 394/07 - abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die
Kündigung des Beklagten vom 26.01.2007 nicht beendet worden ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Mit ihrer am 17.06.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Restitutionsklage
begehrt die zwischenzeitlich als schwerbehindert anerkannte Klägerin die Aufhebung
der zuvor ergangenen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, durch welche ihre
Berufung gegen das klageabweisende arbeitsgerichtliche Urteil im
Kündigungsschutzverfahren Arbeitsgericht Herne 3 Ca 394/07 zurückgewiesen worden
ist.
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Die Klägerin hat sich im Ausgangsverfahren (ArbG Herne 3 Ca 394/07) gegen die
Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch Kündigung des beklagten
Insolvenzverwalters gewandt. Nach klageabweisendem Urteil des Arbeitsgerichts ist die
hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin durch das am 21.02.2008 verkündete und
den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 07.04.2008 zugestellte Urteil des
Landesarbeitsgerichts zurückgewiesen worden (LAG Hamm 8 Sa 1061/07). Mit
Bescheid vom 16.05.2008, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am
20.05.2008, ist auf den Antrag der Klägerin vom 17.10.2006 der Grad der Behinderung
rückwirkend ab Antragstellung mit 50 festgestellt worden. Dementsprechend macht die
Klägerin geltend, die vom Beklagten unter dem 26.01.2007 ausgesprochene Kündigung
scheitere an der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 21.02.2008, AZ: 8 Sa
1061/07, aufzuheben und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der
Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 26.01.2007,
zugegangen am 27.01.2007, zum 30.04.2007 nicht beendet worden ist.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er vertritt den Standpunkt, die Restitutionsklage sei als unzulässig anzusehen. Zum
einen habe die Klägerin den hier geltend gemachten Restitutionsgrund bereits im
Kündigungsschutzprozess im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde geltend machen
können. Nachdem nämlich der Kreis U2 unter dem 07.04.2008 der Klägerin das
Regelungsangebot unterbreitet habe, den Grad der Behinderung antragsgemäß
rückwirkend zum 17.10.2006 auf 50 festzusetzen und die Klägerin dieses
Regelungsangebot mit Schreiben vom 24.04.2008 angenommen habe, sei der
maßgebliche Restitutionsgrund bereits vor Rechtskraft des LAG-Urteils entstanden und
habe somit schon im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht
werden können. Zum anderen habe die Klägerin aus den dargestellten Gründen die
Frist für die Erhebung der Restitutionsklage versäumt. Ausgehend vom Eintritt der
Rechtskraft des LAG-Urteils am 07.05.2008 habe die Klägerin jedenfalls spätestens bis
zum 07.06.2008 Restitutionsklage erheben müssen. Soweit die Klägerin demgegenüber
auf die Zustellung des behördlichen Bescheides vom 16.05.2008 abstelle, sei dieser
Zeitpunkt nicht maßgeblich. In Anbetracht der vorangehenden Einigung zwischen der
Klägerin und dem Kreis U2 komme dem Bescheid vom 16.05.2008 keine konstitutive
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Bedeutung zu, vielmehr sei bereits mit dem Zustandekommen des Vergleichs die
Feststellung getroffen worden, dass der GdB ab Antragstellung 50 betrage.
Entscheidungsgründe
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Die Restitutionsklage der Klägerin ist zulässig und begründet.
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I
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Entgegen dem Rechtsstandpunkt des Beklagten bestehen gegen die Zulässigkeit der
Restitutionsklage keine Bedenken.
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1. Soweit der Beklagte auf die Subsidiarität der Restitutionsklage gemäß § 582 ZPO
verweist und geltend macht, die Klägerin habe den Restitutionsgrund der rückwirkenden
Anerkennung ihrer Schwerbehinderung im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde
geltend machen können, trifft dies nicht zu.
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Abgesehen davon, dass der hier maßgebliche Restitutionsgrund – wie nachfolgend
auszuführen ist – erst durch Zustellung des behördlichen Bescheides vom 16.05.2008 –
also nach Rechtskraft der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts – entstanden ist,
kam unter den vorliegenden Umständen eine Geltendmachung des Restitutionsgrundes
in Form der Nichtzulassungsbeschwerde schon deshalb nicht in Betracht, weil eine
derartige Nichtzulassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet gewesen wäre. Der
Beklagte zeigt selbst keinen Grund auf, welcher dem Landesarbeitsgericht hätte Anlass
geben können, die Revision gegen das Urteil vom 21.02.2008 zuzulassen.
Dementsprechend wäre auch für eine Zulassung der Revision durch das
Bundesarbeitsgericht kein Raum gewesen. Die vom Beklagten zitierte Kommentierung
(Zöller/Greger, vor § 588 ZPO Rz. 16) betrifft ersichtlich allein die Vorgehensweise im
Falle der zulässigen Revision. Überdies heißt es an der angegebenen
Kommentarstelle, es dürfe der Partei nicht als Verschulden im Sinne des § 582 ZPO
angelastet werden, wenn sie den Restitutionsgrund nicht im Revisionsverfahren
vorgebracht habe.
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2. Die Klägerin hat mit ihrer am 17.06.2008 beim Landesarbeitsgericht eingereichten
Klage auch die Klagefrist des § 586 ZPO eingehalten.
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a) Für die Feststellung des Beginns der Klagefrist kommt es zunächst darauf an, zu
welchem Zeitpunkt der geltend gemachte Restitutionsgrund entstanden ist. Der weitere
Gesichtspunkt der Kenntnis vom Restitutionsgrund setzt dessen Vorhandensein voraus;
die Kenntnis, dass demnächst der Eintritt eines Restitutionsgrundes zu erwarten steht,
ist demgegenüber nicht maßgeblich.
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b) Entgegen dem Standpunkt des Beklagten ist der Restitutionsgrund – die Feststellung
des GdB mit 50 – nicht schon durch die Einigung zwischen dem Kreis U2 und der
Klägerin im sozialgerichtlichen Verfahren erfolgt. Maßgeblich ist vielmehr der
(konstitutive) Behördenbescheid vom16.05.2007.
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Richtig ist zwar, dass die Verwaltungsbehörden Entscheidungen nicht allein in Form
eines Verwaltungsaktes, sondern auch in Form eines öffentlich-rechtlichen
Vergleichsvertrages treffen können (vgl. § 55 VerwVerfG). Ein solcher Vergleichsvertrag
liegt indessen nicht vor.
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Der Kreis U2 hat der Klägerin ein außergerichtliches Vergleichsangebot unterbreitet, die
Klägerin hat das Vergleichsangebot durch außergerichtliches Schreiben angenommen.
Ob bereits durch diese Einigung der Klägerin der begehrte GdB zuerkannt worden ist
oder ob die Einigung der Beteiligten allein die Verpflichtung der Behörde begründet hat,
den Antrag der Klägerin entsprechend zu bescheiden, ist im Wege der Auslegung zu
bestimmten.
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Dagegen, dass nach dem Willen der Beteiligten die Entscheidung über den
maßgeblichen GdB bereits unmittelbar durch öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrag
getroffen werden sollte, spricht hier schon der Umstand, dass die Behörde im Anschluss
an die Annahme ihres Vergleichsvorschlages einen entsprechenden
Feststellungsbescheid erlassen hat. Demgegenüber hätte bei Abschluss eines
Vergleichsvertrages allein eine diesbezügliche (deklaratorische) Mitteilung über die
Erledigung des klägerseitigen Begehrens nahegelegen. Unabhängig hiervon setzt ein
wirksamer öffentlich-rechtlicher Vergleich die Einhaltung der gesetzlichen Schriftform (§
126 BGB) voraus. Die jeweils getrennte Unterzeichnung von Vertragsangebot und
Vertragsannahme erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Damit bleibt festzuhalten, dass
der Restitutionsgrund erst mit Zustellung des Anerkennungsbescheides – am
20.05.2008 – entstanden und damit die Klagefrist unzweifelhaft gewahrt ist.
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II
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Die Restitutionsklage der Klägerin ist auch begründet. Wie sich aus dem Bescheid des
Kreises U2 vom 16.05.2008 ergibt, war die Klägerin bereits im Zeitpunkt der
Antragstellung (17.10.2006) mit einem GdB von 50 schwerbehindert. Auf den
diesbezüglichen Anerkennungsantrag hatte die Klägerin bereits in ihrer Klageschrift,
dem Beklagten am 13.02.2007 zugestellt, hingewiesen. Dementsprechend scheitert die
Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung an der fehlenden Zustimmung des
Integrationsamtes.
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III
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Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da er unterlegen ist.
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IV
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG liegen nicht
vor.
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