Urteil des LAG Hamm vom 04.03.2005

LArbG Hamm: betriebsrat, freiwillige leistung, treu und glauben, arbeitsgericht, form, mitbestimmungsrecht, anzeichen, verteilungsplan, absichtserklärung, beschwerdeinstanz

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Schlagworte:
Normen:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landesarbeitsgericht Hamm, 10 TaBV 124/04
04.03.2005
Landesarbeitsgericht Hamm
10. Kammer
Beschluss
10 TaBV 124/04
Arbeitsgericht Siegen, 3 BV 14/04
Zulässigkeit der Beschwerde im Beschlussverfahren Übergang vom
Feststellungs- zum Leistungsantrag Anspruch auf Anwendung und
Durchführung von Betriebsvereinbarungen Kündigung einer freiwilligen
Betriebsvereinbarung Nachwirkung
§§ 77 Abs. 1, 5 und 6 BetrVG§§ 81 Abs. 2 S. 3, 87 Abs. 2 S. 3 ArbGG§§
256, 263, 264 Nr. 2 ZPO
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Siegen vom 27.08.2004 - 3 BV 14/04 - wird
zurückgewiesen.
G r ü n d e
A
Die Beteiligten streiten um die Nachwirkung von drei Betriebsvereinbarungen.
Der Arbeitgeber ist ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie mit 14 Standorten
in der Bundesrepublik Deutschland. Im Betrieb in S4xxxx, in dem ca. 450 Mitarbeiter
beschäftigt sind, ist ein aus elf Personen bestehender Betriebsrat, der Antragsteller des
vorliegenden Verfahrens, gewählt.
In den einzelnen Standorten des Arbeitgebers in der Bundesrepublik Deutschland werden
aufgrund unterschiedlicher Rechtsgrundlagen zahlreiche freiwillige Leistungen gewehrt.
Mit Schreiben vom 25.06.2003 (Bl. 9 d.A.) kündigte der Arbeitgeber zum 31.12.2003 die im
Betrieb S4xxxx geltenden Betriebsvereinbarung zu Dienstjubiläen vom 01.12.1980 sowie
die hierzu getroffene Zusatzvereinbarung vom 15.02.2003, die Betriebsvereinbarung zur
Gewäh-rung von Treueprämien vom 12.02.1990 sowie die Betriebsvereinbarung zur
Einführung der ABB Sozialordnung vom 27.10.1994. Im Kündigungsschreiben vom
25.06.2003 heißt es u.a.:
"Die unterschiedlichen Regelungen unserer freiwilligen Sozialleis-tungen führen in
ihrer kaum noch zu überblickenden Vielfalt zu einer nicht mehr hinnehmbaren
Ungleichbehandlung unserer Mitarbeiter an den B2xxxxxxxx-Standorten.
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Es ist das erklärte Ziel von B2xxxxxxxx, ein Sozialleistungssystem zu installieren,
welches den Anforderungen der heutigen Arbeits-welt und den Bedürfnissen der
Mitarbeiter besser Rechnung trägt."
Nachdem der Arbeitgeber seit dem 01.01.2004 Leistungen nach den genannten
gekündigten Betriebsvereinbarungen nicht mehr erbrachte, leitete der Betriebsrat am
06.02.2004 das vorliegende Beschlussverfahren beim Arbeitsgericht ein.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, den gekündigten Betriebsvereinbarungen
komme Nachwirkung nach § 76 Abs. 6 BetrVG zu, da der Arbeitgeber im
Kündigungsschreiben vom 25.06.2003 ausdrücklich erklärt habe, dass es das erklärte Ziel
von B2xxxxxxxx sei, ein neues Sozialleistungssystem zu installieren. Insoweit stehe fest,
dass das "ob" einer freiwilligen Leistung auch weiter gewollt sei und der
Verteilungsrahmen für die Leistungen neu festgelegt werden müsse. Hierbei stehe dem
Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu.
Der Betriebsrat hat beantragt,
festzustellen, das die mit Schreiben vom 25.06.2003 zum 31.12.2003 gekündigten
Betriebsvereinbarungen 80/11 vom 01.12.1980 sowie 81/6 vom 01.12.1981 und 94/7 vom
27.10.1994 nicht zum 31.12.2003 enden.
Der Arbeitgeber hat beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, der Antrag sei wegen fehlenden Feststellungsinteresses
bereits unzulässig. Eine Nachwirkung der Betriebsvereinbarungen scheide aus, da der
Arbeitgeber sich dazu entschlossen habe, die gekündigten Sozialleistungen gänzlich
entfallen zu lassen. Das Kündigungsschreiben vom 25.06.2003 enthalte auch keinen
Hinweis darauf, dass die alten Regelungen auch nur teilweise aufrecht erhalten bleiben
und die Leistungen aus den gekündigten Betriebsvereinbarungen in modifizierter Form
weiter gewährt werden sollten.
Durch Beschluss vom 27.08.2004 hat das Arbeitsgericht den Antrag des Betriebsrates
zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Feststellungsantrag sei bereits
wegen fehlenden Feststellungsinteresses unzulässig. Darüber hinaus sei der Antrag auch
wegen fehlender Nachwirkung der gekündigten Betriebsvereinbarungen unbegründet.
Gegen den dem Betriebsrat am 09.09.2004 zugestellten Beschluss, auf dessen Gründe
ergänzend Bezug genommen wird, hat der Betriebsrat am 06.10.2004 Beschwerde zum
Landesarbeitsgericht eingelegt und diese mit dem am 04.11.2004 beim
Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Der Betriebsrat verlangt nunmehr vom Arbeitgeber die weitere Anwendung der
gekündigten Betriebsvereinbarungen und ist der Auffassung, dass er insoweit in zulässiger
Weise den erstinstanzlichen Feststellungsantrag auf einen Leistungsantrag umgestellt
habe.
Darüber hinaus ist der Betriebsrat weiter der Auffassung, den gekündigten
Betriebsvereinbarungen komme Nachwirkung zu. Diese Betriebsvereinbarungen seien
nämlich teilmitbestimmt. Aus dem Kündigungsschreiben vom 25.06.2003 ergebe sich, dass
der Arbeitgeber die früher gewährten Leistungen aus den gekündigten
Betriebsvereinbarungen weiter gewähren will. An einer eindeutigen Erklärung des
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Arbeitgebers, dass die aufgrund der gekündigten Betriebsvereinbarungen gewährten
Leistungen gänzlich entfallen sollten, fehle es. Aus der Sicht des Empfängers ergebe sich
aus dem Kündigungsschreiben vom 25.06.2003 vielmehr, dass der Arbeitgeber mit der
Kündigung nur eine Änderung des derzeitigen Verteilungs- und Leistungsplanes anstrebe.
Anders sei das Kündigungsschreiben vom 25.06.2003 nicht auszulegen. Mit der
Kündigung verfolge der Arbeitgeber den Zweck, einheitliche Sozialleistungen wegen
Gleichbehandlung der Mitarbeiter an allen B2xxxxxxxx-Standorten zu ermöglichen. Hierbei
bestehe ein Mitbestimmungsrecht.
Der Betriebsrat beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Siegen vom 27.08.2004 - 3
BV 14/04 -
1. den Arbeitgeber zu verpflichten, die mit Schreiben vom 25.06.2003 zum 31.12.2003
gekündigten Betriebsvereinbarungen 80/11 vom 01.12.1980 sowie 81/6 vom 01.12.1981
und 94/7 vom 27.10.1994 unverändert über den 31.12.2003 hinaus im Betrieb des
Arbeitgebers in S4xxxx anzuwenden,
2. dem Arbeitgeber für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen den Antrag zu 1) ein
Zwangsgeld anzuordnen, dessen Höhe in das Ermessen des Beschwerdegerichts gestellt
wird,
3. hilfsweise festzustellen, dass die mit Schreiben vom 25.06.2003 zum 31.12.2003
gekündigten Betriebsvereinbarungen 80/11 vom 01.12.1980 sowie 81/6 vom 01.12.1981
und 94/7 vom 27.10.1994 nicht zum 31.12.2003 enden, sondern darüber hinaus bis zum
Abschluss einer anderen Regelung nachwirken.
Der Arbeitgeber beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Beschluss und ist der Auffassung, dass die gekündigten
Betriebsvereinbarungen nicht nach § 77 Abs. 6 BetrVG nachwirkten, weil der Arbeitgeber
über die vollständige Streichung der in den Betriebsvereinbarungen geregelten Leistungen
mitbestimmungsfrei entscheiden könne. Dies gelte insbesondere deshalb, weil der
Arbeitgeber die freiwilligen Leistungen ersatzlos streichen wolle.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den Hinweisen im Kündigungsschreiben vom
25.06.2003. Aus dem Kündigungsschreiben ergebe sich gerade nicht, dass die Leistungen
aus den gekündigten Betriebsvereinbarungen wieder von dem Arbeitgeber gewährt werden
sollten. Insoweit handele es sich bei dem Hinweis im Kündigungsschreiben allenfalls um
eine vage Absichtserklärung, in Zukunft über soziale Leistungen verhandeln zu wollen.
Darüber hinaus fehle es an jeglichen Anzeichen dafür, dass eine weitere Gewährung von
Treue- oder Jubiläumsgeld beabsichtigt gewesen sei. Bislang führe die Kündigung der
Betriebsvereinbarungen schlicht zum vollständigen Wegfall der gewährten Leistungen.
Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze
ergänzend Bezug genommen.
B
Die zulässige Beschwerde des Betriebsrates ist nicht begründet.
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I
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Betriebsrates ist zulässig.
Insbesondere steht der Zulässigkeit der Beschwerde nicht entgegen, dass der Betriebsrat
sein Begehren, das er im ersten Rechtszug in Form eines Feststellungsantrages verfolgt
hat, nunmehr in Form eines Leistungsantrages weiterverfolgt. Es fehlt weder an der für ein
Rechtsmittel erforderlichen Beschwer des Betriebsrates noch an dem weiteren Erfordernis,
dass der Betriebsrat mit der Beschwerde die Beseitigung der Beschwer erstrebt.
Die Umstellung des erstinstanzlich gestellten Feststellungsantrages auf den in der
Beschwerdeinstanz gestellten Leistungsantrag stellt keine Antragsänderung im Sinne des
§ 263 ZPO dar. Vielmehr liegt in der Umstellung eines unzulässigen Feststellungsantrages
auf einen Leistungsantrag eine nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Klageerweiterung, weil
sich der Leistungsantrag auf dasselbe Rechtsverhältnis bezieht, §§ 87 Abs. 2 Satz 3, 81
Abs. 2 Satz 3 ArbGG, 264 Nr. 2 ZPO. Der zugrunde liegende Lebenssachverhalt, auf den
der Betriebsrat seinen Anspruch stützt, ist nämlich auch bei dem Leistungsantrag derselbe
geblieben (BGH, Urteil vom 12.05.1992 - NJW 1992, 2296; BGH, Beschluss vom
26.05.1994 - NJW 1994, 2098; BGH, Urteil vom 16.05.2001 - NJW-RR 2002, 283; OLG
Hamm, Urteil vom 16.02.2000 - VersR 2000, 992; BAG, Urteil vom 20.11.2003 - NZA 2004,
489 unter II. 2. c) bb) der Gründe; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 264 Rz. 3 b und § 256 Rz.
15 c; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 264 Rz. 12 m.w.N.).
II
1. Der vom Betriebsrat in der Beschwerdeinstanz verfolgte Leistungsantrag ist zulässig.
a) Der Betriebsrat hat seine Anträge zutreffend im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren
nach den §§ 2 a, 80 Abs. 1 ArbGG geltend gemacht. Zwischen den Beteiligten ist eine
betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit streitig, nämlich die Nachwirkung der vom
Arbeitgeber gekündigten Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 6 BetrVG.
b) Die Antragsbefugnis des Betriebsrates und die Beteiligung des betroffenen Arbeitgebers
ergeben sich aus den §§ 10, 83 Abs. 3 ArbGG.
Dem Betriebsrat fehlt nicht die erforderliche Antragsbefugnis. Ein Anspruch auf Anwendung
oder Durchführung einer Betriebsvereinbarung kann sich nämlich als eigener Anspruch
des Betriebsrates aus § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG oder aus der betreffenden
Betriebsvereinbarung selbst ergeben (zuletzt: BAG, Beschluss vom 18.09.2002 - AP
BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 7 - unter B. II. 2. m.z.w.N.).
c) Der gestellte Leistungsantrag ist auch hinreichend bestimmt, § 253 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Mit
ihm begehrt der Betriebsrat, dem Arbeitgeber aufzugeben, die mit Schreiben vom
25.06.2003 gekündigten Betriebsvereinbarungen, die er ausreichend bezeichnet hat,
unverändert über den 31.12.2003 hinaus weiter anzuwenden.
d) Der vom Betriebsrat gestellte Feststellungsantrag, den der Betriebsrat in der Beschwer-
deinstanz lediglich noch hilfsweise weiterverfolgt, ist allerdings unzulässig. Ihm fehlt das
erforderliche Feststellungsinteresse, wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend ausgeführt
hat. Für einen Antrag des Betriebsrates auf Feststellung, dass gekündigte
Betriebsvereinba-rungen nicht durch die Kündigung des Arbeitgebers nicht zu einem
bestimmten Zeitpunkt enden, fehlt regelmäßig das besondere Feststellungsinteresse nach
§ 256 Abs. 1 ZPO, wenn zugleich die Verpflichtung des Arbeitgebers begehrt wird, die
Betriebsvereinbarungen weiter anzuwenden (BAG, Beschluss vom 18.09.2002 - AP
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BetrVG 1972 § 77 Betriebsver-einbarung Nr. 7 - unter B. II. 1.). Das rechtliche Interesse an
der Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses kann nicht bejaht werden, wenn
ein entsprechender Antrag auf Leistung möglich und zumutbar ist. Im Rahmen der
Entscheidung über den Leistungsantrag ist auch im vorliegenden Fall über die begehrte
Feststellung als Vorfrage zu befinden. Für eine gesonderte Feststellung besteht unter
dieser Voraussetzung kein Bedürfnis.
2. Der vom Betriebsrat gestellte Leistungsantrag ist jedoch unbegründet.
Bereits das Arbeitsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt,
dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, die mit Schreiben vom 25.06.2003 gekündigten
Betriebsvereinbarungen im Betrieb in S4xxxx weiter anzuwenden. Voraussetzung für eine
weitere Anwendung der Betriebsvereinbarungen 80/11 vom 01.12.1980, 81/6 vom
01.12.1981 und 94/7 vom 27.10.1994 wäre nämlich, dass sie ungekündigt fortbestehen
oder nach § 77 Abs. 6 BetrVG nachwirken. Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor.
a) Die genannten Betriebsvereinbarungen sind vom Arbeitgeber mit Schreiben vom
25.06.2003 wirksam zum 31.12.2003 gekündigt worden. Nach § 77 Abs. 5 BetrVG können
Betriebsvereinbarungen, soweit nichts anderes vereinbart ist, mit einer Frist von drei Mona-
ten gekündigt werden. Die Ausübung des Kündigungsrechts bedarf keiner Rechtfertigung
und unterliegt keiner inhaltlichen Kontrolle. Insbesondere bedarf die Kündigung keines
sach-lichen Grundes (BAG, Urteil vom 26.10.1993 - AP BetrVG 1972 § 77 Nachwirkung Nr.
6; BAG, Beschluss vom 17.08.1999 - AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 79; BAG, Urteil vom
18.11.2003 - AP BetrVG 1972 § 77 Nachwirkung Nr. 15 m.w.N.). An der Wirksamkeit der
Kündigung der Betriebsvereinbarungen durch den Arbeitgeber vom 25.06.2003 können
danach Zweifel nicht erhoben werden.
b) Entgegen der Rechtsauffassung des Betriebsrates haben die gekündigten
Betriebsvereinbarungen auch keine Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG.
Nachwirkung ist in § 77 Abs. 6 BetrVG nur für Betriebsvereinbarungen über Gegenstände
der erzwingbaren Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG angeordnet. Insbesondere bei
freiwilligen Betriebsvereinbarungen sieht das Gesetz keine Nachwirkung vor. Als mitbe-
stimmungspflichtige Angelegenheit kommen in Ansehung des Gegenstandes der
gekündig-ten Betriebsvereinbarungen allein Fragen der betrieblichen Lohngestaltung nach
§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG in Betracht. Das Mitbestimmungsrecht nach dieser Vorschrift
betrifft insbe-sondere die Aufstellung von (neuen) Entlohnungsgrundsätzen. Gegenstand
des Mitbestim-mungsrechts sind die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer
näheren Vollzugsfor-men. Die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts ist dagegen nicht
mitbestimmungspflichtig. Ebenso wenig kann der Betriebsrat über § 87 Abs. 1 Nr. 10
BetrVG die Gewährung be-stimmter Entgeltleistungen an die Mitarbeiter verlangen, zu
denen der Arbeitgeber gesetz-lich oder tarifvertraglich nicht verpflichtet ist. Der Arbeitgeber
ist vielmehr frei in seiner Ent-scheidung darüber, ob er solche freiwilligen Leistungen
erbringt. Er kann ferner mitbestim-mungsfrei entscheiden, welche Mittel er hierfür zur
Verfügung stellt, welchen Zweck er mit ihnen verfolgt und wie der begünstigte
Personenkreis abstrakt bestimmt werden soll. Im Rahmen dieser Vorgaben unterliegt erst
die Aufstellung eines sogenannten Leistungspla-nes, also die Entscheidung darüber, nach
welchen Kriterien die Berechnung der einzelnen Leistungen und ihre Höhe im Verhältnis
zueinander bestimmt werden sollen, der Mitbestim-mung.
So wie der Arbeitgeber allein darüber entscheidet, ob er freiwillige Leistungen überhaupt
erbringt, kann er mitbestimmungsfrei über ihre vollständige Einstellung befinden. Der Um-
stand, dass der Betriebsrat über die Erstellung eines Leistungsplanes mitzubestimmen hat,
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ändert hieran nichts. Der Arbeitgeber kann mit den Mitteln des Betriebsverfassungsrechts
nicht gezwungen werden, eine freiwillige Leistung länger zu erbringen, als er aufgrund der
in der Betriebsvereinbarung selbst eingegangenen Bindung verpflichtet ist. Fällt die
Leistungs-verpflichtung des Arbeitsgebers infolge der Kündigung einer
Betriebsvereinbarung weg, ist für einen mitbestimmten Verteilungsplan kein Raum mehr.
Eine Nachwirkung der Betriebs-vereinbarung scheidet dann aus (BAG, Urteil vom
26.10.1993 - AP BetrVG 1972 § 77 Nachwirkung Nr. 6; BAG, Beschluss vom 21.08.1990 -
AP BetrVG 1972 § 77 Nachwirkung Nr. 5; BAG, Urteil vom 14.08.2001 - AP BetrVG 1972 §
77 Nr. 85; BAG, Urteil vom 18.09.2001 - BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 34; BAG, Urteil vom
18.11.2003 - AP BetrVG 1972 § 77 Nachwirkung Nr. 15,
Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 22. Aufl., § 77 Rz. 186, 189 ff.
m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen kommt im vorliegenden Fall eine Nachwirkung der vom
Arbeitgeber mit Schreiben vom 25.06.2003 gekündigten Betriebsvereinbarungen nicht in
Betracht. Mit Schreiben vom 25.06.2003 hat der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarungen
80/11 vom 01.12.1980, 81/6 vom 01.12.1981 und 94/7 vom 27.10.1994 insgesamt und
vollständig aufgekündigt. Mit der Kündigung ist keine Änderung des seinerzeitigen
Verteilungs- und Leistungsplanes angestrebt worden. Auch sollte das Leistungsvolumen
nicht verringert werden. Vielmehr war es erkennbare Absicht des Arbeitgebers, die in den
gekündigten Betriebsvereinbarungen enthaltenen freiwilligen Leistungen endgültig zum
Erlöschen zu bringen. Die Kündigung vom 25.06.2003 ist auch nicht unter irgendeine
Bedingung gestellt worden. Der Arbeitgeber hat im Kündigungsschreiben vom 25.06.2003
den Betriebsrat auch nicht zum Eintritt in Verhandlungen über einen geänderten oder
anderweitigen Verteilungsplan aufgefordert.
Auch aus den weitergehenden Hinweisen im Kündigungsschreiben vom 25.06.2003 ergibt
sich nichts anderes. Zwar hat der Arbeitgeber im Kündigungsschreiben vom 25.06.2003
darauf hingewiesen, dass es sein erklärtes Ziel sei, ein Sozialleistungssystem zu installie-
ren, welches den Anforderungen der heutigen Arbeitswelt und den Bedürfnissen der Mitar-
beiter besser Rechnung trage. Hieraus ergibt sich aber nicht, dass der Arbeitgeber bereits
zum Zeitpunkt der Kündigung vom 25.06.2003 definitiv beabsichtigte, lediglich den Umfang
der für die freiwillige Leistung bereitgestellten Mittel zu kürzen. Bereits das Arbeitsgericht
hat in dem angefochtenen Beschluss zutreffend darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber -
sofern er überhaupt weitere freiwillige Sozialleistungen erbringen will - diese einem völlig
neuem Konzept unterwerfen und gleichzeitig einen neuen Leistungszweck sowie einen
neu-en Adressatenkreis bestimmen werde. Gerade diese Entscheidungen sind jedoch vom
Mit-bestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht gedeckt.
Darüber hinaus enthält der Hinweis des Arbeitgebers im Kündigungsschreiben vom
25.06.2003, aus dem der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht herleiten will, lediglich eine
völlig vage, un-verbindliche Absichtserklärung. Eine Entscheidung darüber, ob und in
welchem Umfange freiwillige Sozialleistungen demnächst weiter gewährt werden sollen,
war zum Zeitpunkt der Kündigung vom 25.06.2003 gerade noch nicht gefallen. Etwas
anderes konnte der Betriebs-rat auch aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers
nach Treu und Glauben nicht herleiten. Mit dem Hinweis, es sei das erklärte Ziel von
B2xxxxxxxx, ein anderes Sozialleis-tungssystem zu installieren, hat der Arbeitgeber
lediglich auf sein Motiv für die ausgespro-chene Kündigung der betroffenen
Betriebsvereinbarungen hingewiesen. Welche Leistungen in welchem Umfang
möglicherweise weiter gewährt werden sollten, geht aus dem Kündi-gungsschreiben in
keiner Weise hervor. Irgendwelche Anzeichen einer Neuregelung sind auch in der
Folgezeit vom Arbeitgeber nicht gesetzt worden. Seit Ablauf der Kündigungsfrist am
31.12.2003 sind die Beteiligten auch nicht in irgendwelche Verhandlungen über die weitere
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Gewährung von freiwilligen Leistungen eingetreten. Nach alledem kam eine Nachwirkung
der gekündigten Betriebsvereinbarungen über den 31.12.2003 hinaus nicht in Betracht.
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Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht bestand keine
Veranlassung, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG.
Schierbaum Dr. Mallmann Hering
/N.